Stark in der Nische Warum sich deutsche Tech-Aktien nicht verstecken müssen

Analysten empfehlen Technologiewerte, die eine starke Gewinn- und Cashflow-Entwicklung aufweisen.
Frankfurt Wenn Anleger an Tech-Aktien denken, fallen ihnen häufig zuerst die großen US-Namen wie Apple, Google oder Facebook ein. Sie stehen für Börsenwerte in Milliardenhöhe, ihre Kursgewinne haben die Rally an der Wall Street in den vergangenen Monaten maßgeblich angetrieben. Doch interessante Tech-Firmen finden Investoren auch in Deutschland. „Es gibt viele deutsche Technologiewerte, die in einer bestimmten Nische stark sind“, sagt Thomas Angermann, Fondsmanager bei UBS Global Asset Management. „Mir gefallen Unternehmen, die mittel- und langfristig eine starke Gewinn- und Cashflow-Entwicklung aufweisen. Davon findet sich eine ganze Reihe im TecDax wieder“, meint auch sein Kollege Christian von Engelbrechten vom Fondshaus Fidelity.
Dabei läuft es auch in Deutschland derzeit rund für Technologieaktien. Seit Jahresbeginn hat der TecDax – trotz des kleinen Rückschlags am Donnerstag – satte 37,5 Prozent zugelegt. Der Dax kommt dagegen nur auf ein Plus von gut 14 Prozent. Auch den MDax und den SDax überrundet der Technologiewerte-Index deutlich. Trotz des starken Anstiegs sehen Anlageprofis für die Tech-Werte noch Luft nach oben, weil viele Unternehmen ihre Investitionen für 2018 erhöht haben. Das dürfte sich in steigenden Gewinnen bei den Anbietern von Investitionsgütern im Bereich Hard- und Software niederschlagen. „Dann wird der Aufschwung am Aktienmarkt auch im neuen Jahr noch anhalten können“, erwartet Angermann. Dass die Bewertungen teilweise hoch sind, stört von Engelbrechten nicht, solange „positive Gewinnaussichten die Kursanstiege rechtfertigen“.
Besonders stark zugelegt haben in diesem Jahr der Chip-Anlagenbauer Aixtron, der Halbleiterhersteller Siltronic, die Biotech-Firma Evotec – und der Zahlungsdienstleister Wirecard, der wohl umstrittenste Wert im TecDax. Vor kurzem Woche musste sich das Unternehmen gegen Vorwürfe wehren, gegen Glücksspielgesetze in Deutschland zu verstoßen. „Wir sind uns zu 100 Prozent sicher, dass wir rechtskonform agieren“, betont eine Firmensprecherin. Die Fondsmanager sind für das Unternehmen positiv gestimmt. „Wirecard ist mit dem E-Payment in einem Wachstumsmarkt tätig“, ist von Engelbrechten überzeugt. Angermann ergänzt: „Da die Konkurrenten entweder übernommen wurden oder auch noch im Offlinegeschäft tätig sind, ist Wirecard der einzige in Europa gelistete reine E-Payment-Anbieter.“ Wer auf dieses Geschäft setzen wolle, komme an der Aktie kaum vorbei.
Auch Aixtron sei in einem interessanten Markt tätig, betont der UBS-Experte. Der Anlagenbauer für Verbindungshalbleiter hat schwere Jahre hinter sich, die Umsätze gingen zurück, während das Unternehmen zugleich viel Geld in Forschung & Entwicklung investierte. Jetzt sei Aixtron aber gut positioniert, um vom nächsten Produktzyklus zu profitieren. „Der starke Kursanstieg in diesem Jahr hat bereits viel vorweggenommen“, schränkt Angermann aber ein.
Bau-Software gilt als aussichtsreich
Auch bei der Biotech-Branche – neben Evotec sind Firmen wie Medigene, Morphosys oder Qiagen im TecDax vertreten – sind die Anlageprofis vorsichtig. „Die Kursentwicklung hängt stark von einzelnen Ereignissen ab. Es ist sehr schwer einzuschätzen, ob eine Zulassung von Substanzen oder Medikamenten erfolgreich sein wird“, betont von Engelbrechten. Da es aber bei Evotec Gewinnmitnahmen gab, sieht Angermann wieder Einstiegskurse. Eine Einschätzung, die nicht alle Analysten teilen. Zwar stufte zuletzt Igor Kim von Oddo BHF die Aktie von „halten“ auf „kaufen“ hoch, da er die Kursverluste für übertrieben hält. Heinz Müller von der DZ Bank sieht für die Aktie dagegen weitere Kursverluste voraus und rät zum Verkauf.
Für aussichtsreicher hält Angermann die beiden Anbieter von Software für das Bauwesen, RIB Software und Nemetschek. „Die Aktie von Nemetschek ist bereits recht hoch bewertet, allerdings wächst das Unternehmen derzeit auch sehr stark“, sagt er. Beide Firmen bieten Softwarelösungen an, mit deren Hilfe die Planung und der Bau von Großprojekten optimiert werden können. Diese sogenannten BIM-Lösungen erhalten kräftigen Rückenwind von der Politik, denn bis spätestens Oktober 2018 muss die öffentliche Auftragsvergabe in der Europäischen Union auf elektronischem Wege durchgeführt werden. Aufträge können nur noch an Baufirmen vergeben werden, die eine entsprechende Software einsetzen. Der Vorteil: Änderungen an den Plänen können direkt an alle Beteiligten vom Architekten bis hin zum Maler und Fliesenleger weitergegeben werden. „Die Nachfrage nach diesen IT-Lösungen dürfte in den nächsten Jahren hoch bleiben“, prognostiziert Angermann.
Auch einige Index-Schwergewichte kommen bei den Fondsmanagern gut an. Die nach Marktkapitalisierung größten Unternehmen im TecDax stellt die Telekommunikationsbranche mit Telefónica Deutschland und United Internet (UI). Die beiden Firmen sowie Wirecard und das von UI mehrheitlich übernommene Mobilfunkunternehmen Drillisch sind an der Börse mehr wert als der kleinste Dax-Konzern Pro Sieben Sat 1. Fidelity-Mann von Engelbrechten gefallen die starken Wachstumsraten von United Internet: „Was viele Anleger unterschätzen, ist, dass das Unternehmen nicht nur im Mobilfunk- und Internetbereich stark ist, sondern auch bei Werkzeugen zur Erstellung von Webseiten. Mittelständler nutzen diese Applikationen sehr gerne.“ Analysten rechnen zudem mit Synergieeffekten aus der Übernahme von Drillisch. Ulrich Rathe vom Analysehaus Jefferies sieht durch den Zusammenschluss gute Chancen für strukturell bedingtes Wachstum. Dies biete der Aktie bedeutendes Kurspotenzial, schreibt Rathe in einer Studie.
Daneben hält von Engelbrechten IT-Dienstleister wie Bechtle oder Cancom für interessant: „Gerade der deutsche Mittelstand vertraut bei Cloud-Lösungen aufgrund der Datensicherheit häufig eher lokalen Anbietern. Auch wenn die Bewertungen der Aktien insgesamt teilweise hoch sind, konnten sie dies in der Vergangenheit durch ein starkes Gewinnwachstum rechtfertigen.“ Nach einer erhöhten Jahresprognose ist die Bechtle-Aktie am Freitag auf ein neues Rekordhoch gestiegen.
Mit Nordex, GFT Technologies, Adva Optical Networking, Medigene und Dialog Semiconductor gibt es aber auch fünf Firmen, deren Aktien im bisherigen Jahresverlauf verloren haben. Am stärksten unter die Räder kam der Windturbinenhersteller Nordex. Die Branche leidet seit geraumer Zeit unter hartem Wettbewerb. Hinzu kommt nun, dass die USA die Subventionen für Windparks, die nach Anfang November errichtet werden, möglicherweise kürzen. Besserung ist also nicht in Sicht.
Von Engelbrechten betont unterdessen, dass sich deutsche Tech-Werte nicht auf den TecDax beschränken. „Firmen mit einer starken technologischen Ausrichtung sind auch der Ticketvermarkter CTS Eventim und der Online-Modehändler Zalando aus dem MDax oder der Essenslieferdienst Delivery Hero aus dem SDax.“ Auch wenn hierzulande bislang kein zweites Facebook entstand: Verstecken müssen sich die deutschen Tech-Firmen nicht.