Unwetter Sturmtief Sabine könnte Versicherer 500 bis 700 Millionen Euro kosten

Einsatzkräfte der Feuerwehr bergen einen Baum, der durch das Sturmtief auf eine Straße gestürzt ist.
Frankfurt Umgestürzte Bäume, abgesagte Flüge und Stillstand auf vielen Bahnhöfen: Der Orkan Sabine hat tiefe Spuren in Deutschland hinterlassen. Die Sturmböen schwächten sich am Dienstag zwar allmählich ab, doch viele Hausbesitzer, Autofahrer und Firmen sind noch dabei, die von der Kaltfront verursachten Schäden zu beseitigen.
In den Zentralen der großen Versicherer und Maklerhäuser hat angesichts der sichtbaren Folgen des Sturmtiefs das Rechnen begonnen. Der Rückversicherungsmakler Aon sowie die Beratungsgesellschaft ‧Meyerthole Siems Kohlruss (MSK) wagten sich am Dienstag bereits mit ersten Schätzungen vor. Der jüngste Sturm in Deutschland dürfte die Versicherungsbranche demnach einen hohen dreistelligen Millionenbetrag kosten.
Der versicherte Schaden liege in einer Größenordnung von 500 bis 700 Millionen Euro, teilte der Rückversicherungsmakler Aon auf Grundlage eigener Berechnungen mit. In einem aktuellen Sturmbericht von Aon heißt es, dass Deutschland sehr gut auf das Sturmtief vorbereitet gewesen sei. Diese Maßnahmen könnten dazu beigetragen haben, dass die Schäden nicht deutlich höher ausgefallen seien.
Ähnliches prognostizieren die Experten von MSK: „Wir schätzen den versicherten Sachschaden, den der Orkan in Deutschland angerichtet hat, auf rund 600 Millionen Euro“, sagt Onnen Siems von der Kölner Beratungsfirma.
Der Versicherer R+V erwartet, dass das Sturmtief ihn rund 50 Millionen Euro kosten wird. Damit sei es glimpflicher ausgegangen als erwartet. Bis Mittwochmorgen seien mehr als 15.000 Schäden mit einer Schadensumme von 25 Millionen Euro gemeldet werden, die meisten davon an Gebäuden und Hausdächern.
Die Schäden fallen damit insgesamt deutlich kleiner aus als nach dem bisher teuersten Sturm in Deutschland: Im Jahr 2007 hatte der Orkan „Kyrill“ Kosten von insgesamt 3,3 Milliarden Euro verursacht, wovon rund 2,4 Milliarden Euro versichert waren. Zum Vergleich: Im Jahr 2019 haben Stürme, Hagel und Starkregen in Deutschland nach Angaben des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) versicherte Schäden an Häusern, Hausrat, Gewerbe, Industrie und Kraftfahrzeugen in Höhe von insgesamt 3,2 Milliarden Euro verursacht.
„Sabine“ ein mittelstarkes Ereignis
Neue Sturmschäden in der Nacht zum Dienstag blieben zwar meist aus – allerdings mussten Pendler teils wegen noch nicht behobener Schäden des Vortags Verzögerungen im Bahnverkehr und auf den Straßen einplanen. Der Deutsche Wetterdienst (DWD) rechnete damit, dass es in den nächsten Tagen stürmisch bleibt.
„Sabine“ wird mit rund 600 Millionen Euro Schadensumme für die Versicherer ein mittelstarkes Ereignis, wie es alle drei bis vier Jahre vorkommt“, sagt der Versicherungsmathematiker Siems. „Mit etwa 500 000 Schäden stellen die Gebäudeschäden das Gros der Zahlungen.“ Im vergangenen Jahr waren vor allem Unwetter mit Hagelschlägen zusammen mit Hitzewellen für einen Großteil der Schäden in Europa verantwortlich.
Die Sommerunwetter kosteten 2,2 Milliarden Euro, 800 Millionen Euro davon versichert. Weltweit zählte der Rückversicherer Munich Re im vergangenen Jahr 820 Naturkatastrophen. Sie verursachten einen Schaden in Höhe von 150 Milliarden Dollar, 52 Milliarden Dollar waren versichert. 2018 lagen die beiden Werte noch jeweils rund 35 Milliarden Dollar höher.
Doch auch wenn 2019 die Schäden zum zweiten Mal in Folge niedriger ausfielen als im Vorjahr, entspricht das nicht dem langfristigen Trend. Tatsächlich stiegen die Schäden im langjährigen Vergleich, sagte Klimaexperte Ernst Rauch, Chef-Klima- und -Geowissenschaftler des Münchener Rückversicherers. Ein Grund dafür sei die zunehmende Konzentration an Werten wie Gebäuden, ein anderer, dass bestimmte Wetterphänomene wie schwere Gewitter in Europa an Bedeutung gewinnen.
„Lothar“ wohl vor „Sabine“
Laut Statistik treten Winterstürme in Europa jedoch nicht häufiger auf als in früheren Jahrzehnten: „Bei der Zahl der Winterstürme ist in den letzten Jahrzehnten kein signifikanter Trend festzustellen“, sagte Rauch dazu. Die Munich Re dokumentiert seit Jahrzehnten die durch Naturkatastrophen weltweit verursachten Schäden. Große Stürme in Europa können laut dem Experten eine Ausdehnung vom Norden Großbritanniens bis über die Alpen im Süden und von der Atlantikküste bis nach Osteuropa erreichen.
„Daher kann die Summe aller Einzelschäden ähnlich hoch sein wie bei Hurrikanen“, sagte Rauch. So verursachte etwa der Wintersturm „Lothar“ 1999 allein in Deutschland dem Versicherungsverband GDV zufolge Schäden von rund 800 Millionen Euro.
Während über 90 Prozent der Hausbesitzer in Deutschland jedoch gegen Sturm und Hagel versichert sind, haben sich laut GDV nur 43 Prozent gegen die Naturgefahren wie Starkregen und Hochwasser abgesichert. Eine Wohngebäudeversicherung deckt Sturmschäden am Haus ab. Einen Sturm erkennt die Versicherung dabei erst ab Windstärke 8 an, der Wind bläst dann mit mehr als 62 Stundenkilometern – „Sabine“ war teilweise mit mehr als der doppelten Geschwindigkeit unterwegs.
„Kyrill“ führt jedoch die Liste der schwersten Winterstürme in Europa weiter unangefochten an. Der Orkan beschädigte damals mehr als 1,7 Millionen Häuser. Insofern ist die Versicherungsbranche bei den Zerstörungen durch das Sturmtief „Sabine“ vergleichsweise glimpflich davongekommen – auch wenn viele Betroffene, deren Häuser mit Wasser vollgelaufen oder die an Bahnhöfen gestrandet sind, dies anders empfinden dürften.
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