Wagnisfinanzierer Berlin bleibt Hauptstadt der Start-ups

Auch der Flugtaxi-Entwickler erhielt 2020 eine große Finanzspritze.
Frankfurt. Der deutsche Markt für Venture-Capital kam bisher vergleichsweise glimpflich durch die Coronakrise. Die Zahl der Finanzierungsrunden stieg 2020 sogar um sechs Prozent auf 743 und erreichte damit einen neuen Rekordwert.
Allerdings gab es deutlich weniger große Deals im Volumen von mindestens 100 Millionen Euro. Das führte dazu, dass das gesamte Investitionsvolumen stark sank – um 15 Prozent auf 5,3 Milliarden Euro.
Positiv verläuft die Entwicklung in der deutschen Hauptstadt. Laut dem Start-up-Barometer der Prüfungs- und Beratungsgesellschaft EY gab es in Berlin wieder besonders rege Aktivitäten: Die Zahl der Finanzierungsrunden kletterte in der Hauptstadt um 20 Prozent auf 314.
Doch auch in Berlin macht sich der Mangel an ganz großen Transaktionen bemerkbar, denn das Investitionsvolumen verringerte sich um 17 Prozent auf 3,1 Milliarden Euro. Zweiter Magnet für Gründer ist München und sein Umland.
„Es gibt zwar einen Corona-Effekt bei den Risikokapitalinvestitionen“, sagt Hubert Barth, Vorsitzender der Geschäftsführung von EY Deutschland. Dieser beschränke sich aber in erster Linie auf den Rückgang bei sehr großen Deals. Die Zahl der Transaktionen mit einem Volumen von mehr als 100 Millionen Euro sank im Vergleich zum Vorjahreszeitraum von 13 auf acht.
Zu den Gewinnern zählen Gesundheit und E-Commerce
Gleichzeitig gab es mehr kleinere Deals. Eindeutige Gewinner des letzten Jahres waren laut der Analyse die Bereiche Gesundheit und E-Commerce, in die jeweils deutlich höhere Summen investiert wurden. Auf der anderen Seite schrumpfte das Investitionsvolumen bei Mobilitäts-Start-ups und Fintechs kräftig.
Zwar sind die deutschen Gründer bislang mit einem blauen Auge davongekommen, für eine Entwarnung ist es aber nach Meinung von EY-Partner Thomas Prüver noch zu früh.
Denn aufgrund der ausgesetzten Insolvenzanmeldungspflicht sei nicht klar, wie es tatsächlich um die vielen kleinen Unternehmen bestellt ist, die nicht im Investorenfokus stehen und womöglich vollständig mit Eigenmitteln finanziert sind.
Größte Finanzspritze ging an Auto1
Die größte Transaktion in Deutschland war eine Finanzspritze von 255 Millionen Euro für die in Berlin ansässige Auto1 Group im Juli, die an diesem Mittwoch ihren Börsengang ankündigte.
An zweiter Stelle steht der Münchener Flugtaxi-Entwickler Lilium, dann folgt im Ranking eine 212-Millionen-Euro-Finanzierung für das Berliner E-Mobility-Start-up Tier Mobility. Von den fünf größten Finanzierungsrunden des Jahres entfielen vier auf Berlin, eine auf Bayern.
Die meisten Finanzierungsrunden, nämlich 232, wurden 2020 wie schon im Vorjahr im Bereich „Software & Analytics“ gezählt. Das Investitionsvolumen schrumpfte allerdings um 15 Prozent auf 1,0 Milliarden Euro.
Deep Tech, Social Commerce und Industrie 4.0 stehen im Fokus
Gesunken ist hingegen die Zahl der Finanzierungsrunden für E-Commerce-Start-ups, während das Investitionsvolumen in diesem Segment um 35 Prozent auf 976 Millionen Euro hochschnellte. Im Fintech-Sektor sanken die Transaktionen um 13 auf 54, das Investitionsvolumen ging deutlich um 58 Prozent auf 552 Millionen Euro zurück.
Der M&A-Experte Christian Saxenhammer von der Berliner Investment-Boutique Saxenhammer & Co. rechnet mit einer Konsolidierung unter den reiferen Fintechs im laufenden Jahr. „Außerdem sehe ich zunehmenden Druck bei den etablierten Finanzdienstleistern, die Digitalisierung des Geschäftsmodells zu verstärken. Übernahmen von Fintechs können ein probates Mittel sein.“
Gleichfalls sei aber auch der Boom der Fintech-Gründungen abgeebbt. Andere Branchen stünden bei den Gründern mehr im Fokus, etwa die Themen Deep Tech, Social Commerce und Industrie 4.0.
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