Bankenregulierung EU-Kommissarin McGuinness: „Basel III wird kein Kostentreiber für den Mittelstand“

Die EU-Kommissarin hat die Europäische Bankenaufsichtsbehörde Eba und die Wertpapieraufsicht Esma angewiesen zu prüfen, wie die Ratingabdeckung in der EU ausgeweitet werden kann.
Brüssel, Frankfurt Die Europäische Union strebt eine umfassende Verschärfung der Finanzregulierung an. „Es geht darum, unsere Banken zu stärken, sie widerstandsfähiger und zukunftsorientierter zu machen“, sagte die zuständige EU-Kommissarin Mairead McGuinness im Interview mit dem Handelsblatt und einigen anderen Wirtschaftsmedien. Sorgen, dass durch die Reform Kredite in Europa teurer würden, versuchte die Irin zu zerstreuen.
Anlass für das Gespräch war die Präsentation des Gesetzespakets der EU zur Umsetzung der international vereinbarten Basel-III-Regelungen, über das das Handelsblatt bereits vergangene Woche berichtet hatte. Es handele sich um eine „ausbalancierte und glaubwürdige“ Reform, die die Besonderheiten des europäischen Bankensystems berücksichtige, sagte McGuinness. Anders als von der Bankenlobby befürchtet, werde es keine „signifikante Erhöhung der Kapitalanforderungen“ geben. Nach Berechnungen der Kommission werden die Kapitalanforderungen an die europäischen Banken durch die Reform bis 2030 im Schnitt um weniger als neun Prozent ansteigen.
„Die Neuregelungen sind so gestaltet, dass die Branche damit gut umgehen kann“, sagte McGuinness. Bevor die Reform in Kraft treten kann, muss der Vorschlag der Kommission noch mit den Vorstellungen des Europäischen Parlaments und der EU-Mitgliedstaaten in Einklang gebracht werden. Die Umsetzung dauere in Europa damit etwas länger als in anderen Wirtschaftsräumen. Die EU will die neuen Regeln ab 2025 schrittweise einführen – und damit zwei Jahre später als im Baseler Ausschuss für Bankenaufsicht vereinbart.
Die Kernpunkte der Reform sind der Umgang mit den internen Risikomodellen der Banken und die Behandlung von Krediten für Unternehmen, deren Risikoprofil nicht von einer Ratingagentur bewertet wird. In der Sache macht Brüssel dabei keine Kompromisse: Kredite für die – oft kleineren – Unternehmen, die kein Rating haben, könnten durch die Reformen künftig stärker belastet werden. Außerdem werden die Möglichkeiten der Banken begrenzt, mit eigenen Modellen ihre Risiken und damit ihren Kapitalbedarf herunterzurechnen.
Um die Folgen der Neuerungen abzumindern, sind jedoch eine Reihe von Erleichterungen und lange Übergangsfristen vorgesehen. Die Bundesbank erwartet, dass die Mindestkapitalanforderungen für den deutschen Bankensektor durch die neuen Regeln lediglich um sechs Prozent steigen werden. „Das entspricht zusätzlichen Kapitalanforderungen in Höhe von grob 20 Milliarden Euro“, sagte Bundesbank-Vorstand Joachim Wuermeling.
Da die meisten Banken deutlich dickere Kapitalpuffer hätten als von den Aufsichtsbehörden vorgeschrieben, stellten die höheren Anforderungen für sie kein Problem dar, sagte Wuermeling. „Die höheren Kapitalquoten sind für die allermeisten Banken leicht zu erfüllen, allerdings nicht für alle.“
Deutsche Bank kann mit neuen Regeln leben
Die Reaktionen aus dem Bankensektor fielen unterschiedlich aus. Die Deutsche Kreditwirtschaft (DK), ein Zusammenschluss der hiesigen Bankenverbände, rechnet durch die Reform mit „deutlich steigenden Eigenkapitalkosten“ für die Geldhäuser, die auch Folgen für die europäische Wirtschaft haben werde. „Es ist zu befürchten, dass ein Teil des Kreditgeschäfts aus dem Bankensektor in weniger regulierte Bereiche abwandert“, erklärte die DK.
Die Deutsche Bank hält die Effekte des neuen Regelwerks dagegen für „sehr beherrschbar“ und muss deshalb nach eigenem Bekunden kein zusätzliches Kapital aufnehmen. Die EU-Kommission sei mit ihrem Vorschlag zumindest teilweise auf die Rückmeldungen aus der Finanzbranche eingegangen und habe dabei die Besonderheiten des europäischen Finanzmarkts berücksichtigt, sagte Finanzchef James von Moltke.
Ähnlich äußerte sich auch Gerhard Hofmann, Vorstandsmitglied beim Bundesverband der Volks- und Raiffeisenbanken (BVR). Er hätte sich allerdings – genauso wie der Grünen-Finanzexperte Sven Giegold – mehr administrative Erleichterung für kleine und mittelgroße Banken gewünscht. „Es ist es dringend notwendig, mit Blick auf die Proportionalität von Regeln in der Basel-III-Umsetzung nachzubessern“, sagte Hofmann.
In Deutschland sehen viele zudem die Vorschriften für die Bewertung von Kreditrisiken von Mittelständlern mit Sorge. Die allermeisten dieser Firmen sind nämlich nicht von einer Ratingagentur eingestuft – und haben deshalb Angst, dass durch die Reform perspektivisch ihre Kreditkosten steigen. „Wir sind uns dieser Sorgen bewusst“, sagte McGuinness. Die EU-Kommission habe deshalb Vorkehrungen getroffen und erwarte nicht, dass die Reform zu „einem Kostentreiber für kleine und mittlere Firmen“ wird.
Geplant ist eine lange Übergangsphase, in der es de facto einen Rabatt für Mittelstandskredite gibt. Dieses vergünstigte „Risikogewicht“ von 65 Prozent soll aber nur für Unternehmen gelten, die aus Sicht der Banken eine gute Kreditwürdigkeit haben. Die Ausfallwahrscheinlichkeit soll dabei höchstens 0,5 Prozent betragen. Diese Sonderregelung wurde laut Bundesbank in letzter Sekunde noch mal verlängert und soll nun bis 2032 gelten.
Um sich auch auf die Zeit danach vorzubereiten, „haben wir die Europäische Bankenaufsichtsbehörde Eba und die Europäische Wertpapier- und Marktaufsichtsbehörde Esma angewiesen zu prüfen, wie die Ratingabdeckung in der EU ausgeweitet werden kann“, erklärte McGuinness. Die Gründung einer eigenen europäischen Ratingagentur, die in den vergangenen Jahren immer wieder diskutiert wurde, ist in dem Gesetzespaket allerdings nicht vorgesehen.
Grundsätzlich dürften von der Basel-Reform vor allem größere Banken und Spezialfinanzierer betroffen sein, die stark auf interne Modelle setzen. Bei Sparkassen und Volksbanken bleibe dagegen „alles beim Alten“, sagt Finanzökonom Sebastian Mack vom Berliner Jacques Delors Centre.
Unterschiedliche Reaktionen aus der Politik
In der Politik fielen die Reaktionen unterschiedlich aus. Der Grünen-Politiker Giegold lobte, dass McGuinness den Forderungen aus Frankreich nach einer Abschwächung der Reform nicht nachgekommen sei. „Damit erteilt die EU-Kommission den Forderungen von Emmanuel Macron nach einer aufgeweichten Basel-III-Umsetzung eine klare Absage.“
Der CSU-Finanzexperte Markus Ferber sieht das Gesetzespaket kritischer. Was die Kommission vorgelegt habe, sei „alles andere als passgenau für die europäische Wirtschaft“, sagt Ferber. „Wir müssen sehr genau aufpassen, dass die neuen Eigenkapitalvorschriften für Banken den europäischen Unternehmen nicht die Kreditversorgung abdrehen.“
McGuinness kündigte zudem an, die Auflagen für Zweigstellen von Banken aus nichteuropäischen Ländern zu verschärfen und den Aufsichtsbehörden neue Kompetenzen zu geben. „Wir haben uns angesehen, was auf dem Markt passiert“, sagte die Irin. „Es gibt einen Anstieg in der Zahl der Zweigstellen, und wir müssen verstehen, ob wir mehr Kontrollen brauchen, um die finanzielle Stabilität zu wahren.“
Darüber hinaus will Brüssel den Nachhaltigkeits- und Klimarisiken für das Finanzsystem künftig mehr Beachtung schenken. Zum einen solle die Widerstandskraft der Banken gestärkt werden – durch Anpassungen des Risikomanagements. Zum anderen solle die Reform Banken dabei helfen, die grüne Transformation der Wirtschaft zu finanzieren. Dies sei von „entscheidender Bedeutung für die Green-Deal-Agenda, die Europa verfolgt, um klimaneutral zu werden“, sagte McGuinness.
Auch in diesem Bereich sollen Aufsichtsbehörden „mehr Macht erhalten“, um zu prüfen, wie Banken die Klima- und Umweltrisiken ausweisen. Der Klimawandel stelle „ein Risiko für die Finanzstabilität dar, wenn das Problem unbeachtet bleibt“. Es geht darum, das gesamte Finanzsystem „graduell, aber eben noch rechtzeitig umzusteuern“.
Einen Bonus für „grüne“ Finanzierungen oder einen Malus für klimaschädliche „braune“ Finanzierungen, wie er zeitweise diskutiert wurde, sieht das Gesetzespaket nicht vor. Vom Tisch ist die Idee allerdings nicht. Über sie soll weiter beraten werden. „Die Klimadebatte entwickelt sich sehr schnell, das Problem wird immer dringlicher, daher müssen wir uns dieser Frage womöglich früher zuwenden“, sagte McGuinness. 2023 soll es einen europäischen Vorschlag dazu geben.
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