Betrugsskandal Wirecard-Leeverkaufsverbot: Handelsaufsicht widersprach Einschätzung der Bafin

Die Finanzaufsicht Bafin gab beim Zusammenbruch des Zahlungsdienstleisters kein gutes Bild ab – und wird deshalb grundlegend umgebaut.
Frankfurt Das Verbot der Bafin, auf fallende Wirecard-Kurse zu wetten, zählt zu den umstrittensten Aktionen der deutschen Finanzaufsicht im Betrugsskandal rund um den bayerischen Zahlungsdienstleister. Denn viele Investoren werteten dies als Vertrauensbeweis für den im Sommer 2020 zusammengebrochenen Konzern.
Interne Dokumente zeigen nun, dass die Bafin in der Person ihrer Exekutivdirektorin Elisabeth Roegele diese Entscheidung durchgedrückt hat, obwohl andere Behörden keine Anhaltspunkte zum Handeln sahen. Auch innerhalb der Bafin wurde die Entscheidung nach Informationen des Handelsblatts damals von einigen kritisch gesehen.
Die Bafin hatte am 18. Februar 2019 für zwei Monate Leerverkäufe mit Wirecard-Aktien verboten. Mit Leerverkäufen können Investoren auf fallende Kurse setzen. Dafür leihen sie sich die Aktie eines Unternehmens und verkaufen diese in der Hoffnung, sie später günstiger zurückkaufen zu können. Die Differenz ist ihr Gewinn.
Ihr Verbot begründete die Bafin damals unter anderem mit Attacken von Leerverkäufern gegen Wirecard sowie einer Bedrohung des Marktvertrauens in Deutschland.
Dass die Deutsche Bundesbank diese Einschätzung nicht teilte, ist schon länger bekannt. Die Notenbank ließ die Kollegen in Bonn bereits am 15. Februar wissen, dass die Kurseinbrüche von Wirecard „keine Ausstrahlungseffekte“ auf andere Finanztitel haben oder ein Risiko für die Finanzstabilität darstellen.
Keine Hinweise auf Manipulationen oder Insiderhandel
Nun zeigen interne Dokumente, dass auch die Handelsüberwachung und die hessische Börsenaufsicht damals keinen Anlass zum Eingreifen sahen. Das geht aus mehreren Schreiben hervor, die dem Handelsblatt vorliegen und über die zuerst die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet hatte.
In einer E-Mail an das hessische Wirtschaftsministerium schreibt ein Mitarbeiter der Handelsüberwachungsstelle der Deutschen Börse, dass diese die Kurseinbrüche der Wirecard-Aktie Anfang 2019 intensiv analysiert habe. „Im Ergebnis konnten keine eindeutigen Hinweise auf Manipulationen oder Insiderhandel konkretisiert werden.“
Einen entsprechenden Report, der 31 Seiten umfasst und das Datum 22. Februar 2019 trägt, habe die Handelsüberwachungsstelle auch der Bafin übermittelt.
Bereits am 15. Februar 2019 gab es den Unterlagen zufolge ein Gespräch von Bafin-Mitarbeitern mit einem Vertreter der hessischen Börsenaufsicht, die beim Wirtschaftsministerium in Wiesbaden angesiedelt ist. Dabei ging es um Hinweise der Staatsanwaltschaft München, dass Wirecard möglicherweise erpresst werde.
Kein Grund für Handelsaussetzung
Die Bafin-Mitarbeiter fragten den Börsenaufseher, ob er darin einen „Grund für eine Handelsaussetzung der Aktie der Wirecard AG“ sehe. Der Börsenaufseher verneinte dies.
Die Deutsche Börse und das hessische Wirtschaftsministerium wollten sich zu dem Thema nicht äußern. Die Bafin betonte, dass es bei dem Austausch mit der hessischen Börsenaufsicht nicht um ein Leerverkaufsverbot ging, sondern um eine mögliche Aussetzung des Handels.
„Leerverkaufsverbot und Handelsaussetzung unterscheiden sich sowohl in den für sie erforderlichen Voraussetzungen als auch in ihrer Zielrichtung“, erklärte die Bafin. „Mit dem Leerverkaufsverbot war lediglich die Begründung oder Erhöhung bestehender Netto-Leerverkaufspositionen untersagt.“
Zudem betont die Behörde, dass sei bei ihrer Entscheidung auf weitergehende Daten zugreifen kann als die Handelsüberwachungsstellen. Dazu zählten beispielsweise kleinere Leerverkaufspositionen sowie Verdachtsmeldungen zu ausländischen Handelsplätzen.
Hinweise anderer Behörden ignoriert
Aus Sicht des Grünen-Bundestagsabgeordneten Danyal Bayaz hat die Bafin trotzdem falsch gehandelt. „Eine erwartete Marktmanipulation durch Leerverkäufer ist weder hinreichend für eine Aussetzung des Handels noch für den Erlass eines Leerverkaufsverbots“, sagt Bayaz.
„Die Bafin hat damit – wieder einmal – Hinweise anderer Behörden ignoriert und hielt unbeirrt an ihrem Narrativ einer Gefährdung des Marktvertrauens fest“, kritisiert Bayaz. „Das von der Bafin verhängte Leerverkaufsverbot hat ein fatales Signal gesendet, das den Betrug in seinem vollen Ausmaß mit ermöglicht hat.“
Mehr: Der oberste Bankenaufseher der Bafin räumt Fehler im Wirecard-Skandal ein.
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