Bilanzskandal „Kreditanstalt für Wirecard“: KfW blamiert sich im Untersuchungsausschuss

Die Deutsche Bank hat im Wirecard-Skandal 18 Millionen Euro verloren, die Staatsbank KfW hingegen 90 Millionen Euro.
Berlin Es war eine kurze Nacht für die Abgeordneten. Bis um drei Uhr in der Früh hatte die Befragung von Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing im Wirecard-Untersuchungsausschuss gedauert. Seit 8:30 Uhr ging es am Freitagmorgen nun weiter. Thema an Tag zwei: die Verantwortung der Staatsbank KfW bei der Pleite des Zahlungsdienstleisters Wirecard – und die Sicht von Goldman Sachs auf den Bilanzskandal.
Erster Zeuge am Freitag war Klaus Michalak, Chef der KfW-Tochter Ipex. Diese war im Zuge des Wirecard-Untergangs heftig in die Kritik geraten. Die KfW Ipex hatte Wirecard als Teil eines Bankenkonsortiums 100 Millionen Euro geliehen – und diese Linie im Sommer 2019, als die Probleme bei Wirecard längst virulent waren, noch einmal verlängert.
Dabei hatte die Bank – anders etwa als die Deutsche Bank – auf entsprechende Absicherungsgeschäfte verzichtet. Die Folgen musste Michalak gegenüber den Abgeordneten transparent machen: Insgesamt habe das eigene Engagement knapp 90 Millionen Euro gekostet, womit rund 90 Prozent auf die 100-Millionen-Euro-Kreditsumme abgeschrieben werden mussten, erklärte der Bankchef. Ein signifikantes Fehlverhalten seines Instituts konnte Michalak aber auch auf mehrmalige Nachfrage nicht erkennen.
Kritische Presseartikel, etwa diejenigen der britischen Zeitung „Financial Times“ ab 2019 habe man gesehen. „Wir haben die Warnsignale, die es gegeben hat, nicht nur aufgenommen, sondern auch sehr ernstgenommen“, so Michalak. „Aber diese muss man abwägen mit den mitigierenden Signalen. Und das haben wir sehr gewissenhaft gemacht.“
Auf die Frage, warum eine Staatsbank ausgerechnet ein Unternehmen, das in der Zahlungsabwicklung für Glücksspiel- und Pornoseiten groß geworden ist, betreuen muss, verwies Michalak auf die „positive Entwicklung“ in Aschheim, etwa das Engagement von McKinsey zum Ausbau der Compliance. „Die Historie des Kundenfokus von Wirecard ist Thema gewesen. Aber Wirecard hatte sich, zumindest in der Wahrnehmung, nicht nur technisch signifikant weiterentwickelt, sondern auch in der Marktsituation.“
Kritik der Revision
Wie am Freitag bekannt wurde, wurde Wirecard von der KfW Ipex zunächst ins falsche Programm aufgenommen, und zwar im Rahmen der Exportförderung mit Krediten versorgt. Erst nach Kritik der Revision wurde der Kunde der Gruppe „Innovation und Digitalisierung“ zugeordnet.
Bei den Abgeordneten stieß das Agieren des öffentlichen Instituts auf Unverständnis. Die KfW habe offenbar mit aller Gewalt mit Wirecard ins Geschäft kommen wollen. „Wir sehen den größten Bilanzskandal seit Jahrzehnten und die Staatsbank KfW hat das mitfinanziert und damit das Betrugssystem Wirecards ermöglicht“, schimpfte CSU-Parlamentarier Hans Michelbach. „Fraglich ist, ob die Sorgfaltspflicht nach dem Kreditwesengesetz eingehalten wurde.“
„Fassungslos“ zeigte sich Michelbach nach eigener Aussage über einen kritischen Bericht der KfW-Ipex-Innenrevision, der bereits vor der Pleite von Wirecard vor den Risiken des eigenen Engagements gewarnt hatte und den Abgeordneten vorlag.
Demnach hätte die KfW die Chance gehabt, jedes halbe Jahr Sicherheiten nachzufordern, so auch bei der Verlängerung des Kredits im Sommer 2019. Warum dies nicht passierte, erklärte Michalak damit, dass die Sicherheiten nur von Wirecard-Töchtern hätten eingefordert werden können. Deren Sicherheiten seien aber nicht von hohem Wert. Und: „Weil für uns nicht erkennbar war, dass die Töchter eigene Kredite aufnehmen, war das Instrument für uns nicht relevant“, so der Bankchef verklausuliert.
„Wir erklären Sie sich, dass die Ipex 90 Millionen Euro verloren hat, die Deutsche Bank nur 18 Millionen Euro?“, lautete eine Frage. „Ich kann da keine Stellung zu nehmen, wie die Portfoliostrategien und Absicherungsstrategien von Wettbewerbern laufen“, so die Antwort. Die Struktur des eigenen Kreditprozesses sei „angemessen“. Dass unbesicherte Engagements eingegangen werden, sei bei einem Unternehmen von der Größe Wirecards nicht ungewöhnlich. Und überhaupt: Das eigene Personal sei gut aufgestellt. Oder, in den Worten Michalaks: „Unsere Kompetenzstruktur ist absolut marktüblich.“
Scharfe Kritik der Abgeordneten
An letzterem hatten die Abgeordneten angesichts der Höhe des Ausfalles bei der Staatsbank und der frühen internen Warnungen dann doch erhebliche Zweifel. Die KfW hätten alle Warnsignale offenbar kalt gelassen, so die einhellige Meinung.
„In der Ipex gab es schon 2019 massive Zweifel an Wirecard. Trotzdem wurde der 100 Millionen-Euro-Kredit verlängert“, sagt FDP-Finanzexperte Florian Toncar. Die KfW habe sich auch durch das Leerverkaufsverbot der Bafin, einer „zentralen Fehlentscheidung“, einlullen lassen.
Linken-Parlamentarier Fabio De Masi erklärt in Anspielung auf ihren Gründungsnamen: „Die KfW schien mit Ipex eher Kreditanstalt für Wirecard, nicht Kreditanstalt für Wiederaufbau. Intern gab es größte Befürchtungen gegenüber Wirecard, dennoch wurde das Kreditengagement angepasst und Ratings haarscharf so angepasst, dass der Aufsichtsrat nicht informiert werden musste. Dieser Widerspruch wurde nicht aufgeklärt.“
Grünen-Abgeordneter Danyal Bayaz ergänzt: „Die staatliche KfW Ipex hat sich bei ihrem Wirecard-Engagement ganz sicher nicht mit Ruhm bekleckert. Es ist zweifelhaft, dass ausgerechnet ein Unternehmen mit dubioser Glücksspiel-Historie zum gesetzlichen Auftrag der Ipex passt.“
Längst ist der Streit um die Angemessenheit des KfW-Handelns ein Thema für die Staatsanwaltschaft. Ende September 2020 kam es wegen Untreueverdachts gegen mehrere Manager der Bank zu einer Durchsuchung der Zentrale. „Ich kann bestätigen, dass die Staatsanwaltschaft Frankfurt Untreueermittlungen aufgenommen hat. Ich möchte zu dem Verfahren nicht weiter Stellung nehmen, auch auf Bitten der Staatsanwaltschaft Frankfurt, um die Ermittlungen nicht zu gefährden“, sagte Michalak.
Was wussten die Staatssekretäre?
Mit der Aussage des KfW-Ipex-Chefs rückt der Wirecard-Skandal noch näher an den politischen Raum. Denn es gibt eine Besonderheit: Bei der Staatsbanktochter sitzen zwei Staatssekretäre im Aufsichtsrat, Ulrich Nussbaum aus dem Bundeswirtschafts- und Jörg Kukies aus dem Bundesfinanzministerium.
Der Aufsichtsrat sei mit mit der Kreditvergabe an Wirecard nicht befasst gewesen, erklärte Michalak. Erst am 19. Juni, dem Tag der Ablösung von Konzernchef Markus Braun, habe man den Aufsichtsrat über die „dramatische Entwicklung“ informiert, woraufhin dieser weitere Informationen angefordert habe. Keiner der Staatssekretäre habe ihn vorgewarnt, so Michalak. Erst am 18. Juni sei die „Informationsbombe“ in Aschheim geplatzt.
Die Frage, ob ausgewählte Finanzinstitute durch Spezialdrähte in die Politik eventuell mehr über die Probleme bei Wirecard wussten, bestimmte auch die anschließende Anhörung von Goldman-Sachs-Deutschland-Chef Wolfgang Fink.
Er stellte klar, sein Haus habe durch Wirecards Pleite kein Geld verloren. „Goldman Sachs hatte keine Beratungsmandate oder Finanzierungen an Wirecard vergeben“, sagte Fink. Nur in Großbritannien habe man Einlagenkonten für zwei Wirecard-Tochterfirmen geführt. Gespräche mit der Bundesregierung habe es über den Fall nicht gegeben.
Im Anschluss entspannte sich eine hitzige Diskussion zwischen FDP-Parlamentarier Frank Schäffler und Fink über die Frage, wie oft dieser seinen früheren Kollegen in der Goldman-Sachs-Geschäftsführung, Ex-Goldman-Banker Kukies, seit dessen Antritt als Staatssekretär 2018 getroffen habe. Das Bundesfinanzministerium hatte auf Anfrage des Parlaments erklärt, es habe nur ein persönliches Treffen gegeben. Auf Nachfrage Schäfflers erklärte Fink jedoch, er tausche sich „regelmäßig“ mit Kukies aus.
Ob er diesen „mehr als einmal“ in den letzten Jahren getroffen habe, war Fink jedoch auch auf mehrmalige Nachfrage „nicht erinnerlich“. Auch, wie oft er sich mit Kukies per Telefon, SMS oder Whatsapp-Nachricht austausche, wollte Fink nicht bekanntgeben.
Auf Schäfflers Frage: „Herr Kukies sagt, er hat Sie nur einmal getroffen. Sie sagen ,regelmäßig'. Was stimmt denn nun?“, antwortete Fink wörtlich: „Ich bin mir nicht sicher, ob ich das rekonstruieren kann, wie oft ich mich mit Herrn Kukies ausgetauscht habe.“
Den Abgeordneten im Untersuchungsausschuss kamen diese Erinnerungslücken reichlich sonderbar vor. Sie wollen Fink nun dazu zwingen, seine Kalendereinträge und Handynachrichten offenzulegen. Weitere Einsichten im Fall Wirecard sind also nicht ausgeschlossen – auf die Parlamentarier wartet noch viel Arbeit.
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