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Bilanzskandal Kunden gehen auf Abstand zu Wirecard – Die Suche nach Alternativen läuft

Viele Händler wollen zu anderen Zahlungsdienstleistern wechseln oder loten dies zumindest aus. Auch Fintechs, die mit Wirecard zusammenarbeiten, machen sich Sorgen.
24.06.2020 - 18:20 Uhr Kommentieren
Erste Kunden wenden sich von Wirecard ab. Das macht die Lage für den Dax-Konzern noch schwieriger. Quelle: AFP
Wirecard

Erste Kunden wenden sich von Wirecard ab. Das macht die Lage für den Dax-Konzern noch schwieriger.

(Foto: AFP)

Frankfurt, Bangkok, London Vor einer Woche hat der Wirtschaftsprüfer EY mit seinem verweigerten Bilanztestat ein Beben bei Wirecard ausgelöst. Jetzt rücken auch die ersten Kunden von dem Zahlungsdienstleister ab – oder sehen sich zumindest nach Alternativen um. Sowohl Händler, die Wirecards Dienstleistungen bei Zahlungsabwicklungen nutzen, als auch Wirecard-Kunden unter den Finanz-Start-ups stehen vor einem Anbieterwechsel.

Der Vertrauensentzug der Kunden macht die Lage des Dax-Konzerns nach Ansicht von Experten noch brenzliger. Am Montag hatte Wirecard zugegeben, dass es 1,9 Milliarden Euro aus der Bilanz mit „überwiegender Wahrscheinlichkeit“ gar nicht gibt. Wirecard selbst bezweifelt zudem, ob das Geschäft mit Partnern in Asien, das seit Jahren für einen großen Teil der Gewinne steht, überhaupt existiert.

Derzeit verhandelt das Unternehmen unter Hochdruck mit den Gläubigerbanken, die ausstehende Kredite angesichts des fehlenden Jahresabschlusses für 2019 direkt kündigen könnten.

Dabei hat Wirecard sich nun eine kleine Atempause verschafft. In den kommenden Tagen soll der Sanierungsspezialist FTI Consulting im Auftrag des Bankenkonsortiums die Bilanzen des Skandalkonzerns durchforsten und prüfen, wie viel Kapital und Liquidität tatsächlich noch vorhanden ist. Solange wollen die etwa 15 Geldhäuser eine Kreditlinie über fast 1,8 Milliarden Euro nicht fällig stellen.

Ein Überblick über die Folgen der Wirecard-Krise für den Sektor:

Die Händler: Maximale Verunsicherung

Mit dem Mitfahrdienst Grab hat Wirecard bereits einen ersten großen Namen verloren. Der Uber-Konkurrent erklärte am Mittwoch, seine Zusammenarbeit mit Wirecard bis auf Weiteres auszusetzen. Dabei hatten beide Unternehmen erst im Frühjahr angekündigt, dass Wirecard künftig Zahlungen für die führende Taxi-App Südostasiens abwickeln soll.

Auch andere Kunden wollen Finanzkreisen zufolge wechseln und haben Gespräche mit Wirecard-Wettbewerbern aufgenommen. Der französische Telekomkonzern Orange beispielsweise werde bei seiner Tochterfirma Orange Bank in Kürze auf einen neuen Zahlungspartner umschwenken, berichtete die Nachrichtenagentur Bloomberg.

Weitere Unternehmen dürften nachziehen und einen anderen Zahlungsdienstleister beauftragen oder zumindest hinzuziehen. Davon profitiert zum Beispiel Computop. Co-Chef Ralf Gladis sagte dem Handelsblatt: „Wirecard-Kunden fragen bei uns an und wollen wissen, ob wir gegebenenfalls Dienstleistungen übernehmen können.“ Auch bei einem anderen Zahlungsdienstleister, der namentlich nicht genannt werden wollte, hieß es, man führe bereits erste Gespräche mit Wirecard-Kunden.

Sollte Wirecard seine Dienstleistungen nicht erbringen könnten, träfe das Händlerkunden empfindlich, vor allem wenn Wirecard ihren gesamten Zahlungsverkehr stemmt. Einige sehr große Handelsketten engagieren Branchenkennern zufolge aber meist zwei oder mehr Zahlungsdienstleister, die sich auch gegenseitig ersetzen können.

Dabei geht es unter anderem um das Bereitstellen von Kartenterminals in Geschäften, das Einbinden verschiedener Bezahlarten in Onlineshops sowie um den technischen Transfer des Geldes vom Kunden zum Händler und die Garantie von Zahlungen. Die Zahlungsdienstleister kassieren bei jeder Transaktion einen Minianteil des Umsatzes.

Mehr zum Thema:

Der Markt gilt als stark umkämpft. Für die Kunden ist das angesichts der Wirecard-Krise gut. Computop-Manager Gladis rechnet denn auch nicht mit großen Verwerfungen. „Es ist für Händler in der Regel nicht so kompliziert, einen zweiten Zahlungsdienstleister einzubinden. Das gilt besonders für reine Onlineshops.“

Ohnehin ist Wirecards Bedeutung für die deutschen Händler begrenzt. Eine mit dem Thema vertraute Person sagte: „Wirecard ist für den Zahlungsverkehr in Deutschland nicht systemrelevant.“ Bei Aldi beispielsweise sei Wirecard lediglich für die Abwicklung von Kreditkartenzahlungen verantwortlich, die nur rund zehn Prozent aller Zahlungen entsprächen. „Im schlimmsten Fall kann man in manchen Supermärkten ein paar Tage nicht mit der Kreditkarte bezahlen“, sagte der Insider.

Zahlungen mit der weitaus mehr genutzten Girocard, besser bekannt unter ihrem alten Namen „EC-Karte“, kann Wirecard technisch nicht abwickeln. Das Unternehmen zählte zuletzt laut der Deutschen Kreditwirtschaft, dem Zusammenschluss der deutschen Bankenverbände, nicht zu den entsprechenden 20 sogenannten Netzbetreibern.

Klar ist, dass alle Wirecard-Kunden die Lage im Blick haben. Aldi Süd teilte mit, man stehe weiterhin mit Wirecard in Verbindung, „um den Sachverhalt zu klären“. „Wir bitten jedoch um Verständnis, dass wir Spekulationen nicht kommentieren.“ Kunden könnten wie gewohnt mit Kreditkarte zahlen.

Weitere Unternehmen wollen sich derzeit nicht dazu äußern, ob sie Wirecard die Treue halten oder nicht. Die österreichische Bahn ÖBB beispielsweise erklärte auf Anfrage: „Wir haben mit Wirecard einen langfristigen Vertrag.“ Deswegen beobachte man die weitere Entwicklung sehr genau, sehe derzeit aber keine Auswirkungen auf den Zahlungsverkehr der Kunden.

Wermutstropfen für die Branche: Dem Sektor könnte als Lehre aus der Krise eine strengere Regulierung drohen. Der Chef eines Rivalen geht davon aus, dass Aufseher die Branche künftig mehr kontrollieren und es Start-ups künftig schwerer fallen dürfte, in den Markt vorzustoßen. Zudem heißt es von verschiedenen Zahlungsdienstleistern, es hätten sich bereits zahlreiche Wirecard-Mitarbeiter auf der Suche nach einem neuen Job gemeldet.

Die Start-ups: Suche nach einem Plan B

Denn jungen Finanz-Start-ups (Fintechs), die Wirecard als Kooperationspartner nutzen, geht es meist um die Lizenzen der Wirecard Bank und der britischen Tochter Wirecard Card Solutions (WDCS). Mit deren Hilfe können die Start-ups Finanzprodukte anbieten, für die sie eigentlich selbst eine Lizenz von Aufsichtsbehörden wie der Bafin bräuchten. Haben sie einen Dienstleister wie Wirecard an ihrer Seite, können sie sich zuerst auf die Produktentwicklung konzentrieren und womöglich später eine eigene Lizenz beantragen.

Ob Wirecard angesichts der jüngsten Enthüllungen aber ein verlässlicher Partner ist, steht zu bezweifeln. Bei etlichen Fintechs läuft daher bereits die Suche nach Alternativen. Manche Akteure sprechen von einem „Schock“. Je intensiver die Verflechtungen mit Wirecard sind, desto größer ist die potenzielle Gefahr für Fintechs. „Für Start-ups, die die Lizenz von Wirecard nutzen, können die Kosten einer möglichen Umstellung auf einen anderen Anbieter ruinös sein“, sagt Jens Lütcke, der seit rund 15 Jahren in der Fintech-Branche arbeitet.

Ein besonderes Problem ergebe sich dann, wenn Kunden erneut die Prüfungen im Rahmen der Vorgaben zur Geldwäscheprävention durchlaufen müssten. „Das kann ein Geschäftsmodell sehr schnell zum Kippen bringen“, so Lütcke. Laut Berater Claudio Wilhelmer müssen Fintechs drei bis sechs Monate einkalkulieren, wenn sie von Wirecard zu einem anderen Anbieter wechseln wollen. „Wenn das nicht reibungslos funktioniert, schwebt ein Fintech in großer Gefahr“, warnt Wilhelmer.

Die Betroffenen selbst äußern sich weniger pessimistisch. „Wir hoffen, dass Wirecard unser Partner bleibt, denn wir sind mit der Zusammenarbeit bisher sehr zufrieden“, sagt Björn Goß, der erst vor wenigen Wochen die Kooperation mit Wirecard verkündet hat. Mit seiner App können Kunden ihre Bonuskarten digitalisieren und in Großbritannien seit Kurzem auch bezahlen.

Die für die Bezahlfunktion notwendige E-Geld-Lizenz stellt die britische Wirecard Card Solutions. „Falls diese Dienstleistung nicht mehr erbracht werden könnte, würden wir einen anderen Partner nutzen“, sagt Goß. „Da wir Wirecard nicht für die Prozessabwicklung nutzen, wäre das vergleichsweise unproblematisch.“

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Auch Givve und Spendit nutzen Wirecard als Herausgeber ihrer Debit-Karten, mit denen Unternehmer ihren Mitarbeitern einen steuerfreien Bonus zukommen lassen können. Spendit-Chef Florian Gottschaller, der mit der Wirecard Bank kooperiert, betont, die Firma behalte schon aus Verpflichtung gegenüber Investoren und Kunden alternative Partner im Auge.

Givve-Geschäftsführer Patrick Löffler verweist auf die Eigenständigkeit der britischen Wirecard Card Solutions (WDCS) als kartenherausgebendes Institut. „Wir bevorzugen deren Technologie und halten es auch für vorteilhaft, dass das Unternehmen losgelöst von der deutschen Wirecard agiert“, sagt er. Ähnlich äußerte sich der finnisch-deutsche Geschäftskonto-Anbieter Holvi, für den die WDCS die Prepaid-Mastercard-Karten herausgibt.

Andere bekannte Fintechs wie N26 haben ihre Verbindung zu Wirecard teils schon vor Langem gelöst und mittlerweile eine eigene Banklizenz. Auf der Liste der ehemaligen Kunden steht seit Neuestem auch der Berliner Geschäftskonto-Anbieter Kontist. Die Banklizenz hatte dieser schon von Beginn an über die Solarisbank bezogen, doch die Karten kamen von Wirecard. Unabhängig von aktuellen Entwicklungen wolle man sich nun auf einen Dienstleister konzentrieren, sagte eine Sprecherin. Auch Transferwise, Lendico, Monzo, Funding Circle und Curve zählen zu den Verflossenen.

Der britische N26-Konkurrent Revolut nutzte Wirecard zuletzt in einigen Ländern noch als Acquirer, der dafür sorgte, dass Kunden ihre Prepaid-Karten mit Geld aufladen konnten. Unternehmenskreisen zufolge ist Revolut bereits seit Ende 2019 damit beschäftigt, diesen Bereich nach und nach auf andere Anbieter zu übertragen. Als Probleme bei Wirecard bekannt geworden seien, habe man den Prozess beschleunigt, um mögliche Probleme zu vermeiden.

Die Wirecard Bank: Vom Rest abschirmen

Wie es für die Wirecard Bank und ihre Fintech-Kunden weitergeht, steht derzeit in den Sternen. Bei einer Pleite des Mutterkonzerns würde die Tochter nicht automatisch insolvent. Doch ausgeschlossen werden kann dieses Szenario auch nicht, schließlich bestehen enge Geschäftsbeziehungen zwischen der Wirecard AG und der Wirecard Bank.

Die Wirecard Bank wird von der Finanzaufsicht Bafin – im Gegensatz zur Wirecard-Gruppe – direkt beaufsichtigt. Die Bafin will nun alles tun, um die Banktochter zu stützen und vom Mutterkonzern abzuschirmen. „Ich weiß jedoch nicht, ob das von Erfolg gekrönt sein kann, falls die Wirecard-Gruppe insolvent gehen sollte“, sagte Bafin-Chef Felix Hufeld diese Woche.

Dass die Wirecard Bank von heute auf morgen pleitegeht und Fintechs dann plötzlich ohne Bankpartner dastehen, halten Experten aber für eher unwahrscheinlich. Sie verweisen darauf, dass die Bafin bei einer Insolvenzgefahr häufig zunächst ein sogenanntes Moratorium verhängt.

In dessen Rahmen könnte die Bafin der Wirecard Bank unter anderem verbieten, Zahlungen zu leisten oder Vermögensgegenstände zu veräußern. Und während dieser Zeit könnten Fintechs auf Lizenzen und Dienstleistungen der Bank vermutlich weiter zurückgreifen.

Neben der Kooperation mit Fintechs ist die Wirecard Bank vor allem im Zahlungsverkehr aktiv – und arbeitet hier mit ihrem Mutterkonzern eng zusammen. Darüber hinaus gibt die Wirecard Bank physische und virtuelle Karten heraus und bietet für Privatkunden mit Boon Planet selbst ein Konto an.

Sollte die Wirecard Bank umkippen, müsste der Einlagensicherungsfonds der privaten Banken einspringen. „Die Kunden der Wirecard Bank AG sind durch die Entschädigungseinrichtung deutscher Banken geschützt“, erklärte der Privatbankenverband BdB. „Der Schutzumfang jedes Kunden – inklusive des gesetzlichen Schutzes – beträgt 19,7 Millionen Euro pro Einleger.“

Ob die Einlagensicherung tatsächlich eingreifen muss, ist allerdings völlig unklar, denn laut der zuletzt veröffentlichten Kennzahlen steht die Wirecard Bank ziemlich stabil da. Die harte Kernkapitalquote belief sich Ende vergangenen Jahres auf 20,84 Prozent, heißt es im jüngsten Offenlegungsbericht.

Die Bilanzsumme des Instituts betrug rund 1,9 Milliarden Euro. Das ist weniger als bei vielen Sparkassen.
Die Zahlen unterstreichen, dass eine Pleite der Wirecard Bank weder den privaten Einlagensicherungsfonds noch den deutschen Bankensektor als Ganzes in Bedrängnis bringen würde.

Mehr: Es gibt einen weiteren Haftbefehl für einen Ex-Manager von Wirecard.

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