Benachrichtigung aktivieren Dürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafft Erlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviert Wir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke

Bilanzskandal Merkel im Wirecard-Ausschuss: „Ich bin mir dankbar, dass ich wach war“

Der Auftritt der Bundeskanzlerin im Untersuchungsausschuss brachte kaum neue Erkenntnisse – dafür aber unterhaltsame Einblicke in ihre Arbeitsweise.
23.04.2021 - 17:04 Uhr 2 Kommentare
„Es steht außer Frage, dass wir uns regelmäßig für die Interessen unserer Wirtschaft einsetzen“, sagte sie im Untersuchungsausschuss. Quelle: Bloomberg
Angela Merkel

„Es steht außer Frage, dass wir uns regelmäßig für die Interessen unserer Wirtschaft einsetzen“, sagte sie im Untersuchungsausschuss.

(Foto: Bloomberg)

Berlin Angela Merkel (CDU) hat sich eine Verteidigungsstrategie zurechtgelegt. „Im Rückblick stellt sich die Sache anders dar“, lautet die zentrale Botschaft der Bundeskanzlerin bei ihrem Auftritt im Wirecard-Untersuchungsausschuss. Damit rechtfertigte sie ihren Einsatz für den mittlerweile insolventen Zahlungsdienstleister bei einer Chinareise.

Die fast fünfstündige Befragung der Zeugin Merkel am Freitag war der Höhepunkt im Untersuchungsausschuss, der seit einem halben Jahr in 44 Sitzungen versucht, die politische Verantwortung für einen der größten Betrugsfälle in der deutschen Wirtschaftsgeschichte aufzuklären.

Die Kanzlerin musste sich dafür rechtfertigen, dass sie sich bei einer Reise zu Chinas Premierminister Li Keqiang und Staatspräsident Xi Jinping im September 2019 für Wirecard engagiert hat – nachdem zuvor der frühere Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) bei ihr für den Konzern lobbyiert hatte.

„Es gab damals aller Berichte zum Trotz keinen Anlass, von schwerwiegenden Unregelmäßigkeiten auszugehen“, verteidigte sich Merkel. Der Kenntnisstand vom Sommer 2020, als der Milliardenbetrug Wirecard bekannt wurde und der Konzern Insolvenz anmelden muss, sei ein ganz anderer als der in den Jahren 2018 und 2019. Und da damals niemand von den kriminellen Machenschaften bei Wirecard gewusst habe, sei ihr Engagement in China vor allem eines: ein gewöhnlicher Vorgang. „Es steht außer Frage, dass wir uns regelmäßig für die Interessen unserer Wirtschaft einsetzen“, sagte Merkel.

Merkels Verteidigungslinie hielt der Befragung durch die Parlamentarier weitgehend stand. Insofern brachte der Auftritt für die Aufklärung der Wirecard-Affäre keine Überraschungen, dafür aber ungewöhnliche Einblicke in die Arbeitsweise der Bundeskanzlerin und in ihren Umgang mit Wirtschaftsvertretern.

Wem es um Prestige geht, der bekommt keinen Termin

So hat sich der frühere Wirecard-Chef Markus Braun bei Merkel um einen Gesprächstermin bemüht, aber keinen erhalten. „Aus Termingründen“, wie die Kanzlerin berichtet. Nur weil ein Konzern in den Dax aufsteige, suche sie nicht gleich Kontakt. Sie verwies Braun an ihren Wirtschaftsberater Lars-Hendrik Röller. „Erst mal zu Röller“ sei durchaus geübte Praxis. In dem Gespräch mit Röller zeige sich dann oft, ob es einem Wirtschaftsvertreter um ein echtes Sachanliegen gehe oder nur um „Prestige“.

Während Braun bei Merkel kein Glück hatte, fand ein Wirecard-Berater bei der Kanzlerin ein offenes Ohr: Guttenberg. Er hat bei Merkel den Wunsch platziert, dass die Kanzlerin sich in China für Wirecard einsetze. Der Konzern wollte den chinesischen Anbieter Allscore Payments Services übernehmen.

„Es ist für mich selbstverständlich, Gesprächswünschen früherer Mitglieder meiner Bundesregierung zu entsprechen“, sagte Merkel. Also bekam Guttenberg am 3. September 2019 einen Termin von 45 Minuten bei der Kanzlerin. Dass es dabei auch um Wirecard gehen würde, sei ihr im Vorfeld nicht bewusst gewesen.

Merkel: „Das schätze ich auch nicht sehr“

Sie „schätze das auch nicht sehr“, so Merkel, wenn man solche privaten Gespräche für „die Beanspruchung von bestimmten Anliegen“ nutze. Das Fazit der Kanzlerin zu ihrem Treffen mit Guttenberg: „Er war ganz interessengeleitet da.“ Neben Wirecard warb Guttenberg auch für die Firma Augustus Intelligence.

Nach dem Treffen schickte Guttenberg eine Nachricht an Merkel: „Danke für das gute Gespräch heute! Eine Freude, Dich so guter Dinge zu sehen.“ Der Ex-Wirtschaftsminister teilte der Kanzlerin dann noch die Kontaktdaten zweier Manager von Augustus Intelligence mit, die sich mit Künstlicher Intelligenz beschäftigen.

Merkel leitete das an die zuständige Mitarbeiterin im Kanzleramt weiter, womit es ein offizieller Vorgang wurde. Wegen Wirecard verwies Merkel Guttenberg an ihren Wirtschaftsberater Röller. Damit wurde dann aus dem privaten Gespräch ein offizieller Vorgang, alles ordnungsgemäß bearbeitet. „Veraktet“ lautet das wichtige Stichwort, das den Ausschuss des Öfteren beschäftigte. Sie sei dankbar, dass sie das so auf die Schiene gesetzt habe, „also mir dankbar“, sagte Merkel. „Ich bin mir dankbar, dass ich wach war.“

Entschuldigung aus der CSU bei Merkel

Der CSU-Abgeordnete Hans Michelbach entschuldigte sich „im Namen meiner Partei“ für das Vorgehen von Guttenberg. Es gehe nicht, eine Kanzlerin für geschäftliche Anliegen so einzuspannen. Ihn habe das die Freundschaft zu Guttenberg gekostet. Er habe keinen Kontakt mehr zu ihm. Auch Merkel sagte, dass der Kontakt zu zu Guttenberg „mittlerweile erstorben“ sei.

Kritik, dass sie sich nach dem Treffen mit Guttenberg kurz darauf tatsächlich in China für Wirecard starkmachte, wies Merkel zurück. Sie setze sich in Regierungskonsultationen stets für die Belange mehrerer Unternehmen ein, und zwar kurz und knapp. So sei es auch in China gewesen. Das war „keine Wirecard-Reise“, sagte Merkel.

Unionspolitiker zeigten sich mit den Erklärungen der Kanzlerin zufrieden. „Der Auftritt der Bundeskanzlerin vor dem Untersuchungsausschuss war überzeugend“, sagte der Obmann der Unionsfraktion, Matthias Hauer. Der einzige Berührungspunkt der Kanzlerin mit Wirecard sei die Flankierung des Markteintritts in China gewesen. „Es ist unsere Erwartung an die gesamte Bundesregierung, dass sie sich für Marktöffnungen für deutsche und europäische Unternehmen in China einsetzt“, so Hauser.

Kritik der Opposition: „Märchen nehme ich ihr nicht ab“

Bei der SPD ist man ganz anderer Meinung. Parlamentarier Cansel Kiziltepe sieht ein „systemisches Problem“ und eine „Lobbyismus-Mentalität“ bei der Union. „Guttenberg setzte sich bei der Kanzlerin für Unternehmen ein, von denen er persönlich profitierte. Selbst seine Parteikollegen sind im Nachhinein davon beschämt.“ Merkel hätten die Worte auf die Frage gefehlt, wieso sich vor allem Unionspolitiker „für das kriminelle Wirecard-Management eingesetzt“ hätten, meint Kiziltepe.

Fünf Stunden wurde die Bundeskanzlerin zu ihrer Rolle im Wirecard-Skandal befragt. Quelle: Bloomberg
Merkel vor dem Untersuchungsausschuss

Fünf Stunden wurde die Bundeskanzlerin zu ihrer Rolle im Wirecard-Skandal befragt.

(Foto: Bloomberg)

Linken-Finanzexperte Fabio De Masi verwies auf neue Erkenntnisse zum deutsch-chinesischen Finanzdialog. „Das Märchen, dass sich die Bundeskanzlerin in China nur wegen zu Guttenberg für Wirecard engagiert habe, wurde widerlegt.“ Die Kanzlerin habe sich zwar Mühe gegeben „eine sympathische Ahnungslosigkeit vorzugeben, aber das nehme ich ihr nicht ab“. Die kritischen Berichte der „Financial Times“ seien im Kanzleramt bekannt gewesen, dennoch habe Merkel für Wirecard in China geworben.

Dringend notwendig seien Reformen, sagte Danyal Bayaz (Grüne). „Die Bundeskanzlerin räumte ein, dass die deutsche Aufsicht nicht gut genug aufgestellt sei. Das ist eine klare Aussage und auch ein Arbeitsauftrag an ihren Bundesfinanzminister, der bei sich keine Versäumnisse sehen wollte.“

Positiv sei, dass sich die Union in Form des Ausschussmitglieds Hans Michelbach für die Rolle zu Guttenbergs im Wirecard-Skandal entschuldigt habe. „Trotzdem sieht es weiterhin ziemlich blöd aus, dass Merkel im Ausland für ein Unternehmen warb, das tief im kriminellen Sumpf steckt.“ Für die Zukunft brauche es auch im Kanzleramt strengere Regeln, um das Entstehen eines neuen „Amigo-Netzwerks“ wie im Fall Wirecard zu verhindern.

„Dubiose“ Rolle von Merkels Wirtschaftsberater?

„Wie erwartet war die Bundeskanzlerin nicht bösgläubig, als sie sich in China für Wirecard eingesetzt hat“, meinte FDP-Finanzexperte Florian Toncar. Sie hätte jedoch zu Guttenbergs Intervention kurz vor der Chinareise kritischer überprüfen müssen.

„Dubios bleibt zudem die Rolle des wirtschaftspolitischen Chefberaters der Kanzlerin, Lars-Hendrik Röller.“ Dessen Frau habe für ein chinesisches Unternehmen den Kontakt zu Wirecard hergestellt, Röller sei an der Kontaktvermittlung beteiligt gewesen. „Da glaube ich nicht an Zufälle, zumal Herr Röller in Bezug auf seine Kontakte mit Wirecard große Erinnerungslücken hatte“, so Toncar.

Weitgehende Einigkeit herrschte zwischen Merkel und den Mitgliedern des Untersuchungsausschusses bei der Einschätzung, dass die Behörden zu lange untätig blieben und die Berichte über Unregelmäßigkeiten bei Wirecard nicht ernst genug nahmen. „Die ganze deutsche Aufsichtsseite war nicht objektiv genug aufgestellt“, sagte Merkel.

Die Vorgänge rund um den Milliardenbetrug bei Wirecard sieht die Kanzlerin als einen „Schlag ins Gesicht von Hunderttausenden, wenn nicht Millionen ehrbarer Unternehmer“. Den Abgeordneten wünschte sie zum Abschied viel Erfolg bei der Arbeit und bekam die Zusage, eine signiertes Exemplar des Abschlussberichts des Untersuchungsausschusses zu erhalten.

Mehr: Finanzminister Scholz weist Mitschuld im Fall Wirecard von sich – Union übt Kritik

Startseite
Mehr zu: Bilanzskandal - Merkel im Wirecard-Ausschuss: „Ich bin mir dankbar, dass ich wach war“
2 Kommentare zu "Bilanzskandal: Merkel im Wirecard-Ausschuss: „Ich bin mir dankbar, dass ich wach war“"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • „Ich bin mir dankbar, dass ich wach war“
    Diese Äußerung ist für einen normalen Bürger verdächtig, nicht jedoch für einen Politiker, der mit einem beängstigenden Narzissmus gerüstet ist.

  • Lügen gehört zum Geschäft! Das beherrscht die Dame hervorragend. Aber auch nur das.

Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%