Börse Die Zukunft des Börsenhandels oder einfach nur Wahnsinn? Wie Neobroker Robinhood erwachsen werden will

Der Neobroker polarisiert die Finanzwelt.
Denver Robinhood-Chef Vlad Tenev und sein Managementteam haben auf einer weißen Couch Platz genommen. Kameras, Blumen, Teleprompter – alles ist perfekt eingerichtet. Schon seit Tagen beantworten sie im Rahmen ihrer Roadshow die Fragen potenzieller Investoren.
Der Auftritt am Samstag war jedoch nicht für Fonds-Manager, Hedgefonds und andere Profi-Anleger vorgesehen, sondern für die Kunden des umstrittenen Neobrokers. Das Start-up, das am Donnerstag an der Nasdaq an die Börse geht, hat gut ein Drittel der Aktien zum Ausgabepreis, der aktuell in einer Preisspanne zwischen 38 bis 42 Dollar liegt und Mittwochabend New Yorker Zeit festgelegt wird, für seine Nutzer vorgesehen. Daher sollten auch sie die Möglichkeit bekommen, der Robinhood-Führung Fragen zu stellen.
Robinhood mischt damit wieder einmal die Finanzbranche auf. Klassischerweise sind Roadshows nur für institutionelle Investoren vorgesehen, die die Aktie zum Ausgabepreis am Vorabend des Börsengangs von den beteiligten Banken kaufen können. Höchstens ein bis zwei Prozent der Aktien legen Unternehmen in der Regel für Kleinanleger zurück – wenn überhaupt. Der Rest kann erst einsteigen, wenn die Aktie an der Börse gehandelt wird, zu meist deutlich höheren Preisen. Dass gleich 35 Prozent den Nutzern zugeteilt werden sollen, ist eine kleine Revolution an sich.
Die Initiative passt zum Image des Start-ups aus dem kalifornischen Menlo Park, das sich auf die Fahnen geschrieben hat, die Finanzwelt „für alle zu demokratisieren“. Der 2013 von Vlad Tenev und Baiju Bhatt gegründete Broker sieht sich, getreu dem Firmennamen, als Kämpfer für Kleinanleger, die die gleichen Zugänge zum Finanzmarkt bekommen sollen wie die Profis.
Damit hat das Unternehmen einen Nerv getroffen. Das Start-up hat es geschafft, eine ganze Generation an neuen Tradern heranzuziehen. Robinhood selbst ist damit zu einem relevanten Akteur der Finanzwelt geworden, der nun mit einer luftigen Bewertung von bis zu 35 Milliarden Dollar selbst an die Börse strebt.
Immer wieder ist Robinhood in den vergangen Jahren mit Regulierern und Politikern angeeckt. Eine neue Untersuchung, über die das Start-up am Dienstagabend informierte, sorgt nun zusätzlich für Verunsicherung. So missfällt der US-Finanzaufsicht Finra, dass weder Tenev noch Bhatt bei der Aufsicht registriert sind. Daher habe der wichtige Wall-Street-Aufseher am Montag eine Untersuchung eingeleitet, wie Robinhood mitteilte.
Fehlende Registrierungen von Top-Managern
Es ist in der Branche üblich, dass Top-Manager sich registrieren und eine Reihe von Tests absolvieren, die belegen, dass sie sich in der komplexen Finanzwelt auskennen. Die demokratische Senatorin Elizabeth Warren, die sich einen Ruf als Wall-Street-Kritikerin aufgebaut hat, hatte bereits vor Monaten auf die fehlenden Registrierungen aufmerksam gemacht.
Das Unternehmen hat in der Vergangenheit darauf verwiesen, dass die beiden Gründer lediglich die Holding Robinhood Markets führen und nicht die Broker-Tochter Robinhood Financial.
Allerdings ist besonders Tenev eng in die täglichen Entscheidungen des Broker-Geschäftes eingebunden. Die neue Untersuchung der Finra kommt unmittelbar vor dem geplanten Börsengang. Der Ausgabepreis wird am Mittwochabend festgelegt.

Die Erwartungen an den Neobroker sind groß.
Um der hohen Unternehmensbewertung gerecht zu werden, muss der Broker nicht nur seine Compliance-Probleme in den Griff bekommen. Er muss auch sein Geschäftsmodell breiter aufstellen. Tenev schwebt vor, künftig nicht mehr nur die App zum Handeln von Aktien, Optionen und Kryptowährungen zu sein, sondern eine „Single Money App“, wie er am Samstag erklärte, mit Rentensparplänen, Bezahldienstleistungen und einer eigenen Geldbörse für digitale Währungen, wie sie von Nutzern schon lange gefordert wird.
Robinhood polarisiert die Finanzwelt. Anleger der alten Schule wie Star-Investor Warren Buffett glauben, die App würde eine „Casino-Mentalität“ fördern. Es gehe nur noch um riskante und kurzfristige Wetten. „Gamification“ heißt das Schlagwort, mit dem Robinhood die Finanzmärkte zum Spiel gemacht hat. Mit langfristigem Investieren hat das in Buffetts Augen nichts zu tun.
Die App „ermutigt die Kunden sicher nicht dazu, in einen ETF des S&P 500 zu investieren, das kann ich Ihnen versichern“, echauffierte sich Buffett im Juli im US-Börsensender CNBC. Der 91-jährige Chef der Beteiligungsgesellschaft Berkshire Hathaway riet seinen Investoren schon vor Jahren dazu, möglichst konstant und langweilig zu investieren, unter anderem mit börsengehandelten Indexfonds, sogenannten ETFs. Das gilt in der Branche als verlässlicher Weg, Vermögen anzusammeln.
Yolo und Fomo: Populismus an der Wall Street
„Der Name Robinhood ist zum Inbegriff für die wilden Momentum-Aktien wie Gamestop und AMC geworden, die in den vergangenen Monaten immer wieder für Schlagzeilen gesorgt haben“, sagt Dan Brown, Technologie-Investor beim Vermögensverwalter Synovus. Kursanstiege von über 1000 Prozent in wenigen Wochen und ohne erkennbaren Grund hatten Anfang des Jahres für Turbulenzen an den Märkten gesorgt und einigen Hedgefonds Milliardenverluste beschert.
„An der Wall Street ist damit eine neue Art des Populismus eingekehrt“, erklärte der unabhängige Kapitalmarktberater Ed Yardeni im Frühjahr. Entstanden ist er aus einem Mix an neuen Technologien: Das Reddit-Forum „Wall Street Bets“ wird von vielen Tradern genutzt, um sich auszutauschen und zu koordinieren. Viele führen ihre Order dann auf Robinhood aus. Das Start-up stachelt die Nutzer ohnehin an, möglichst oft die App zu öffnen und noch mehr Risiken einzugehen, um ihre Rendite zu steigern.
Die Begriffe Yolo (You only live once) und Fomo (Fear of missing out) prägen das Lebens- und das Investitionsverhalten neuer Anleger. Die Stimmung sorgt dafür, dass Trader große Risiken eingehen und immer wieder auf Trends aufspringen, getrieben von der Angst, etwas zu verpassen.
22
Millionen Nutzer
hat der Neobroker Robinhood in etwa – mehr als die Hälfte davon sind Neulinge an den Finanzmärkten.
Robinhood hält dagegen und verweist auf die vielen neuen Trader, die ohne die App nie ihren Weg an die Finanzmärkte gefunden hätten. Von den derzeit gut 22 Millionen Nutzern des Neobrokers sind mehr als Hälfte Neulinge an den Märkten, wie aus dem Börsenprospekt des Unternehmens hervorgeht. Einige haben sich dank des leichten und spielerischen Zugangs an die Finanzmärkte gerade in der Pandemie neue Existenzen aufbauen können.
Pablo Batista ist einer von ihnen. Der Koch aus der Bronx hatte im Zuge der Lockdowns vergangenes Jahr seinen Job in einem Restaurant im Büroviertel Midtown verloren. Ohne Einkommen, verunsichert und gelangweilt entdeckte er Robinhood und „Wall Street Bets“. Mit glücklichen Einsätzen bei Gamestop, AMC und der Kryptowährung Dogecoin, die ebenfalls auf Robinhood handelbar ist, konnte er seinen Einsatz von 4000 Dollar mehr als verzehnfachen.
„Dafür werde ich Robinhood immer dankbar sein“, stellt der 25-Jährige klar. Auf LinkedIn hat er seine Jobbezeichnung von Koch auf Daytrader aktualisiert. Jeden Tag ist er am Aktienmarkt aktiv, zählt Roblox, Lucid Motors und Snap zu seinen Holdings.

An der Technologiebörse wagt Robinhood den Sprung aufs Parkett.
Doch er ist auch dabei, sich ein passives Einkommen aufzubauen. Allerdings nicht mit Dividenden, sondern mit Kryptowährungen. „Ich habe einen Teil meiner Gewinne in Computerausrüstung gesteckt, um Ether zu schürfen“, erklärt er. Zwei Computer generieren für ihn bereits die zweitgrößte Kryptowährung.
Wenn die Kurse gut stehen, bringt ihm das monatlich bis zu 1200 Dollar ein. „Einen dritten Computer baue ich mir gerade zusammen“, sagt er. Sein Ziel: „Bis zum Ende des Jahres so viel passives Einkommen zu generieren, damit ich mir nie wieder einen Job suchen muss.“
Auch in Deutschland und anderen Ländern gilt Robinhood als Vorbild für ähnliche Angebote. Trade Republic ist seit der jüngsten Finanzierungsrunde im Mai das wertvollste Finanz-Start-up in Deutschland, mit einer Bewertung von über fünf Milliarden Dollar. CEO Christian Hecker ist dabei, die Europa-Expansion voranzutreiben.
Viele ungelöste Probleme
Robinhood steht mit dem Börsengang unterdessen vor einer großen Bestandsprobe. Bis zu 2,3 Milliarden Dollar will das Unternehmen von Investoren einsammeln, das wäre der fünftgrößte US-Börsengang in diesem Jahr. Doch der Broker schreibt hohe Verluste. Das Minus im zweiten Quartal könnte auf bis zu 537 Millionen Dollar angewachsen sein, wie das Start-up mitteilte. Vor einem Jahr war es noch profitabel.
Die jüngste Krise an den Kryptomärkten sorgt zudem für geringere Handelsumsätze. Dan Morgan von Synovus sorgt sich zudem um die Ausdauer der Robinhood-Trader. „Die meisten haben noch nie eine lange Flaute wie das Platzen der Tech-Blase oder die Finanzkrise durchlebt. Nach der Finanzkrise dauerte es fünfeinhalb Jahre, bis die Märkte zu ihrem Vorkrisenniveau zurückgekehrt sind. In der Regel verlieren spekulative Investoren in solchen Zeiten schnell das Interesse“, gibt er zu bedenken.
22
Millionen Nutzer
hat der Neobroker Robinhood in etwa – mehr als die Hälfte davon sind Neulinge an den Finanzmärkten.
Immer wieder war Robinhood in den vergangenen Monaten in die Schlagzeilen geraten. Ein Student nahm sich im Sommer 2020 das Leben, nachdem ihm die App fälschlicherweise hohe Verluste angezeigt hatte. Robinhood sicherte daraufhin zu, den Kundendienst auszubauen und Erklärmaterial über die Finanzmärkte zur Verfügung zu stellen, was auf die Kosten drückt.
Im Januar, im Boom um Meme-Aktien wie Gamestop und AMC, musste Robinhood einen Handelsstopp verhängen, um nicht in Liquiditätsprobleme zu geraten. Das führte zu rund 50 Sammelklagen und rief Politiker und Regulierer auf den Plan. Wegen angeblicher Irreführung von Kunden, zu lascher Kontrollen bei riskantem Optionshandel und technischer Pannen hatte das Unternehmen bereits Ärger mit der Finma und zahlte Ende Juni bei dem Vergleich fast 70 Millionen Dollar Strafe an die Finra.
Der Handelsstart am Donnerstag könnte turbulent werden
Politikern und Regulierern missfällt unter anderem das Geschäftsmodell des Start-ups. Der Handel sei zwar gebührenfrei, allerdings verkauft Robinhood Handelsdaten seiner Nutzer an Marketmaker wie Citadel Securities, was zu schlechteren Preisen für die Kunden führen könnte, so die Kritik. Auch hatte Robinhood das seinen Nutzern anfangs nicht kommuniziert.
Wie viele Start-ups aus dem Valley muss auch Robinhood beweisen, dass es mittelfristig profitabel sein kann und Investoren mit seinem Geschäftsmodell überzeugt. Anderen ist das nicht immer gelungen. Die Kryptobörse Coinbase liegt seit ihrem eigenen Börsengang im April rund 25 Prozent im Minus. Lyft hat seit dem IPO 2019 gut 30 Prozent verloren.
Der Handelsstart am Donnerstag könnte für Robinhood unterdessen unerwartet turbulent werden. Wegen der ungewöhnlich hohen Zuteilung an seine Kunden stellen sich Händler an der Wall Street darauf ein, dass viele die Aktien sofort verkaufen könnten, um schnelle Gewinne einzustreichen.
Auch Robinhood bereitet das offenbar Sorgen. „Investoren, die ihre Aktien innerhalb der ersten 30 Tage verkaufen, könnten von künftigen Börsengängen ausgeschlossen werden“, warnt der Broker seine Kunden, die sich für eine Zuteilung interessieren. Wenn es um die eigenen Aktien geht, bevorzugt der Broker offenbar eher Anteilseigner mit längerem Horizont.
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