Börsensegment Neue US-Börse IEX setzt auf Langfrist-Anleger

Der Gründer der Börse IEX greift Nyse und Nasdaq an.
New York Das Buch war ein Bestseller. Autor Michael Lewis hatte 2014 in „Flash Boys“ die Geschichte des kanadischen Aktienhändlers Brad Katsuyama erzählt, der frustriert war von dem Aufstieg der Hochfrequenzhändler, die im Rhythmus von Millisekunden mittlerweile die US-Börsen dominieren. Katsuyama, dessen wahre Geschichte das Buch schildert, wollte mit einer eigenen, faireren Handelsplattform etwas dagegensetzen und wurde damit – zumindest in der Finanzszene – ein Star.
Heute ist aus seiner Idee ein Unternehmen geworden. Die Investors Exchange (IEX) bekam vor zwei Jahren ihre Börsenlizenz und konkurriert seitdem mit den US-Platzhirschen Nyse, Nasdaq und Bats, die Teil der Chicagoer Börse CBOE ist. Zwar kommt die IEX nur auf einen Marktanteil von gut zwei Prozent, während die anderen locker sieben Mal so groß sind. Doch IEX wächst und hat sich zu einem scharfen Kritiker der derzeitigen Marktstruktur entwickelt.
Mit einem neuen Projekt sorgt die Handelsplattform nun für eine weitere Debatte: Die IEX tut sich zusammen mit der Long Term Stock Exchange (LTSE), einem Unternehmen der Silicon-Valley-Legende Eric Ries. Unter einer neuen Kategorie der IEX sollen Unternehmen gehandelt werden, die sich unabhängig von Quartalsgewinnen und dem kurzfristigen Erfolgsdruck von Investoren machen wollen. Die Idee stammt von Ries, der 2011 das Konzept des „Lean Start-up“ erfunden hat. Schon lange träumte der Autor und Entrepreneur von einer Börse, die langfristige Investoren belohnt.
Nun hat er gemeinsam mit der IEX einen Antrag bei der SEC gestellt. Auf einer separaten Listing-Kategorie der IEX sollen künftig Unternehmen unter langfristig orientierten Standards an die Börse gehen können. Ries will dabei jene Investoren mit mehr Stimmrechten ausstatten, die Aktien für lange Zeit halten. Auch müssen die Unternehmen, die an der LTSE gelistet werden wollen, ihren Führungskräften entsprechende Anreize setzen, um den langfristigen Erfolg zu fördern. Zu einem späteren Zeitpunkt könnte die LTSE dann ihre eigene Börse gründen.
Noch offen, ob die Aufsicht grünes Licht gibt
Damit hat Ries einen Nerv getroffen. Viele Unternehmen scheuen den Gang an die Börse. Der Druck, jedes Quartal Wachstum zu präsentieren, um Analysten und Investoren bei Laune zu halten, sei gerade für innovative Unternehmen gefährlich, argumentiert er und bekommt dabei prominente Unterstützung. Marc Andreessen, Mitgründer der Risikokapitalfirma Andreessen Horowitz, der frühere Twitter-Chef Dick Costolo und der AOL-Mitgründer Steve Case haben in die LTSE investiert und sich mit unterstützenden Briefen an die SEC gewandt.
Der Druck, die vierteljährlichen Erwartungen der Wall Street einzuhalten, schüre die Gefahr einer zu kurzfristigen Perspektive, schreibt etwa Dick Costolo, der Twitter 2013 an die Börse brachte und genau mit diesen Problemen kämpfte. Kleinanleger würden dadurch Investmentmöglichkeiten verpassen, weil schnell wachsende Unternehmen länger privat finanziert bleiben. Andreessen hält die Entwicklung für einen „gefährlichen Trend in den Kapitalmärkten“. Zudem gibt es dank des Private-Equity-Booms reichlich Möglichkeiten für stark wachsende Unternehmen, sich zu finanzieren und den Gang aufs Parkett zu vermeiden.
Ob die Aufsicht grünes Licht für diese Börse gibt, ist noch offen. Doch IEX hat Übung darin, den Status quo zu bekämpfen. Das neue Projekt beweist, dass die kleine Börse im Angriffsmodus ist. „Wir wachsen und stellen so viele Leute ein wie nie zuvor“, schwärmt Ronan Ryan, einer der Mitgründer von IEX.
Bekannt geworden ist die Börse mit ihrem „Speed Bump“. IEX verzögert bewusst die Umsetzung von Wertpapieraufträgen, um Hochfrequenzhändler auszubremsen. Die schalten sich bei vielen anderen Handelsplattformen dazwischen, um in Millisekunden Geschäfte abzuwickeln, und sind anderen so immer ein Stück voraus. Bei IEX dagegen sollen alle Teilnehmer die gleichen Chancen haben.
IEX ist ein unbequemer Konkurrent für die etablierten Börsen geworden, der etablierte Praktiken hinterfragt. Gerade kämpfen Katsuyama und Ryan gegen die Rabatte, die die großen Börsen den sogenannten Market-Makern zahlen. Typischerweise bieten sie den Brokern rund 30 Cent Rabatt je 100 gehandelte Aktien – als Anreiz dafür, dass sie Liquidität bereitstellen, heißt es dort.
IEX dagegen wittert einen Interessenkonflikt. „Broker gehen oft zu jenen Börsen, die die höchsten Rabatte zahlen“, kritisiert Ryan, „und nicht unbedingt zu jenen, die die besten Preise für die Kunden bieten.“ IEX verlangt von den Brokern dagegen bis zu neun Cent pro 100 Aktien an Gebühren.
2,5 Milliarden Dollar haben Nasdaq, Nyse und Co. im vergangenen Jahr für Rabatte ausgegeben. IEX dagegen verzichtet darauf. „Dafür haben wir unter bestimmten Gesichtspunkten die beste Ausführungsqualität“, betont Ryan. Selbst ein Vergleich, den die Konkurrenzbörse Bats anstellte, zeigte, dass Käufer und Verkäufer bei der IEX für Aktien aus dem S&P 500-Index 2017 so gute Preise bekamen wie bei sonst keiner anderen Börse – auch wenn die Differenz freilich bei einem Bruchteil eines Cents pro Aktie liegt. Vermögensverwalter missfallen die Rabatte schon lange. Daher unterstützen sie genauso wie IEX eine Initiative der US-Börsenaufsicht SEC, die in einer Langzeitstudie feststellen will, wie Rabatte sich auf die Preise auswirken.
Proteste an der Wall Street
Die Rabatte sind auch einer der wichtigsten Gründe, warum der Marktanteil von IEX nicht höher liegt. Zwar kommt Katsuyamas Plattform gerade bei institutionellen Investoren gut an. „Doch das Preismodell für Broker ist nicht gerade verlockend“, sagt Larry Tabb, Chef der auf Kapitalmärkte spezialisierten Analysefirma Tabb Group „Nyse und Nasdaq sind nicht gerade erfreut über IEX“, sagt Tabb. Doch die Börse sei noch zu klein, um den großen Spielern wirklich wehzutun.
Ryan dagegen bleibt zuversichtlich. „Wir haben noch einiges in der Pipeline, und von den Regulierern bekommen wir Rückenwind“, erzählt er. Auch die neue Finanzmarktrichtlinie Mifid II soll helfen, da sie die Broker anhält, dorthin zu gehen, wo es die bestmöglichen Preise für ihre Kunden gibt. Europäische Institute wie die Deutsche Bank, Barclays und Credit Suisse handeln über ihre US-Niederlassungen ebenfalls an der IEX.
Das Unternehmen ist seit drei Jahren profitabel. Genaue Zahlen jedoch werden nicht veröffentlicht. Ab Herbst sollen zum ersten Mal auch Unternehmen an der IEX gelistet werden können. Das soll das Handelsvolumen zusätzlich steigern. Schließlich verantworten die Börsen, an denen Unternehmen gelistet sind, die Auktionen zum Handelsstart und zum Börsenschluss. „Gut fünf Prozent des gesamten Handelsvolumens in den USA passiert zur Schlussauktion, zum Handelsbeginn ist es ein Prozent“, sagt Ryan. „Da wollen wir mitverdienen, schließlich verdienen wir unser Geld vor allem mit dem Handel.“ Unternehmen hätten dann zum ersten Mal eine dritte Option für ihr Listing, neben Nasdaq und Nyse.
Die großen Börsen waren zuletzt in die Kritik geraten, weil sie immer höhere Gebühren für wichtige Marktdaten und IT-Dienste erheben. Handelsgebühren machen nur noch einen Bruchteil ihrer Einnahmen aus. So macht die ICE etwa nur fünf Prozent ihrer Umsätze mit Handelsgebühren aus dem US-Aktienmarkt, wie aus Daten der Investmentbank Sander O’Neill hervor geht. Die Erträge aus dem Verkauf von wichtigen Handelsdaten belaufen sich dagegen auf 44 Prozent. Bei der Nasdaq sind es 26 Prozent. Die immer neuen Preiserhöhungen hatten zuletzt auch für Proteste an der Wall Street gesorgt.
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