Brexit-Bilanz Mehr als 440 Finanzfirmen verlagern Aktivitäten aus London in die EU
London Der Brexit hinterlässt seine Spuren im Londoner Finanzsektor. Mehr als 440 Firmen haben inzwischen Aktivitäten aus Großbritannien in die EU verlagert. Das ergibt eine Zwischenbilanz der Londoner Denkfabrik New Financial. Bei der letzten Bestandsaufnahme 2019 waren es 269 Firmen.
Vier Fünftel der Verlagerungen verteilen sich auf fünf europäische Städte: Dublin, Paris, Luxemburg, Frankfurt und Amsterdam. Die irische Hauptstadt Dublin ist demnach der „klare Gewinner“ des Brexits. 135 Firmen haben Aktivitäten hierher verlagert, davon sind 115 EU-Zentralen. Auf den Plätzen folgen Paris (102), Luxemburg (93), Frankfurt (63) und Amsterdam (48).
Allerdings ist die reine Zahl der Firmen nur bedingt aussagekräftig. Es kommt auch auf die Größe der Unternehmen und die Art des Geschäfts an. So konzentrieren sich die kapitalstarken Banken in Frankfurt, die Handelsplattformen in Amsterdam, die Vermögensverwalter in Dublin und Luxemburg. Paris hat von allem etwas.
Banken haben mehr als 900 Milliarden Pfund verlagert
„Langfristig erwarten wir, dass Frankfurt der Gewinner bei den Vermögenswerten sein wird und Paris bei den Arbeitsplätzen“, heißt es in der Studie, die am Freitag veröffentlicht wird. Allein die Banken hätten mehr als 900 Milliarden Pfund an Vermögenswerten verlagert. Das entspreche zehn Prozent des gesamten britischen Bankensystems. Zusätzlich hätten Vermögensverwalter und Versicherer mindestens hundert Milliarden Pfund verschoben.
Bei den Zahlen handelt es sich um eine konservative Schätzung. Die Analyse enthalte nur die öffentlich verfügbaren Angaben, in Wirklichkeit seien die Summen wahrscheinlich noch deutlich höher, schreiben die Autoren. Gerade Firmen, die bereits vor dem Brexit in der EU vertreten waren, kommunizieren ihre internen Verschiebungen von Kapital und Personal nicht unbedingt nach außen.
Die Verlagerungen sind auch noch längst nicht abgeschlossen. „Da die EU eine härtere Linie zur Ansiedlung von Aktivitäten und Personen einnimmt, erwarten wir, dass die Zahlen steigen werden“, schreiben die Autoren. „Wir stehen erst am Beginn des Brexits.“
Frankfurt könnte zweites Zentrum neben London werden
Die Zahl der verlagerten Arbeitsplätze hält sich noch in Grenzen: Die Autoren kommen bei ihrer Zählung nur auf 7400. Das Handelsblatt hatte kürzlich bereits zwischen 11.000 und 13.000 identifiziert. Beide Schätzungen liegen weit unter den ursprünglichen Erwartungen. Entscheidender sei aber ohnehin die Zahl der Arbeitsplätze, die künftig neu in der EU entstehen, heißt es in der Studie.
London wird demnach „auf absehbare Zeit“ das dominierende Finanzzentrum in Europa bleiben. Aber Frankfurt sei als Standort der Europäischen Zentralbank für viele Banken die „Standardoption“ auf dem Kontinent. Die „hohe Konzentration großer Namen“ wie Citi, Deutsche Bank, Goldman Sachs, JP Morgan, Morgan Stanley, Nomura und UBS bedeute, dass Frankfurt mittelfristig eine herausgehobene Rolle einnehmen könne. „Es könnte vielleicht sogar zum zweiten europäischen Finanzzentrum neben London werden.“
Eines der wichtigsten Brexit-Kriterien ist laut der Studie die Kapitalallokation von Nicht-EU-Banken. Ende 2019 befanden sich 75 Prozent der EU-Vermögenswerte dieser Institute in Großbritannien. Ende 2020 waren es nur noch 62 Prozent. „Wenn der Anteil des Vereinigten Königreichs künftig unter 50 Prozent fallen sollte, könnte dies ein Teufelskreis werden“, kommentieren die Autoren.
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