Coronakrise Britischen Start-ups fehlen bis zu 15 Milliarden Pfund

Die Europachefin der Silicon Valley Bank sieht in der Coronakrise einen Rückzug mancher Geldgeber.
London Die Räume von Techhub waren jahrelang der Treffpunkt der Londoner Start-up-Szene. Sie lagen gleich neben dem Kreisverkehr an der Old Street, der auch „Silicon Roundabout“ genannt wird. Zehn Jahre nach der Eröffnung macht der Co-Working-Anbieter nun dicht: Die Einnahmen sind in der Coronakrise weggebrochen.
Das Aus von Techhub diese Woche markiert das symbolische Ende des jüngsten britischen Start-up-Booms. Nachdem das Geld in den vergangenen Jahren locker gesessen hat, erleben viele Firmen nun ihre erste Krise.
Laut einer Studie des Thinktanks ScaleUp Institute, der Beratungsfirma Deloitte und des Fintech-Branchenverbands Innovate Finance könnte die Finanzierungslücke dieses Jahr bis zu 15 Milliarden Pfund betragen. Das ist eine Verdoppelung gegenüber 2019.
Die am Donnerstag veröffentlichte Studie hat die Lage von mehr als 30.000 kleinen und mittleren Unternehmen untersucht, deren Umsatz oder Mitarbeiterzahl um mindestens fünf Prozent pro Jahr wachsen. Diese Firmen haben demnach im zweiten Quartal 40 Prozent weniger Investitionen erhalten als im Vorjahr.
Ihr Wachstum sei gefährdet, wenn der Staat nicht eingreife, warnen die Autoren. Der von der Regierung aufgelegte Future Fund, der private Investitionen durch eine staatliche Mitfinanzierung stimulieren soll, reiche nicht aus. Er enthält nur 500 Millionen Pfund.
Engpass bei Seed-Kapital
Experten bestätigen, dass die Coronakrise neue Engpässe schafft. Besonders bedrohlich ist die Lage für junge Unternehmen, die noch keine guten Kontakte in die Risikokapitalszene haben. „Investoren in Risikokapitalfonds zögern, Teams Geld zu geben, die sie nicht persönlich getroffen haben“, sagt Erin Platts, Chefin für Europa, Asien und den Mittleren Osten (EMEA) bei der Silicon Valley Bank.
Videoschalten seien kein Ersatz. Viele Kapitalgeber wollten auch erst abwarten, wie Unternehmen die Rezession meistern, bevor sie Schecks ausstellen.
Etablierte Start-ups hingegen können häufig auf ihre Netzwerke zurückgreifen. Jüngstes Beispiel ist Transferwise. Der britische Zahlungsdienstleister verkündete im Juli einen sekundären Anteilsverkauf, der die Bewertung der Firma von 3,5 auf fünf Milliarden Dollar erhöhte. Die Nachfrage der Investoren sei sehr hoch gewesen, sagt CEO Kristo Käärmann.
Transferwise sei eine Ausnahme, sagt Platts. Bei vielen Runden würde die Bewertung derzeit eher gesenkt. Die Smartphonebank Monzo etwa ist nach der jüngsten Finanzierung 40 Prozent weniger wert.
Um ihr Risiko zu begrenzen, investieren Risikokapitalgeber zunehmend in Start-ups mit einem bewährten Geschäftsmodell und meiden Firmen in der Frühphase („seed stage“).
Zahl der Deals rückläufig
Dieser Trend verstärkte sich im ersten Halbjahr noch: Laut dem Analysehaus PitchBook flossen insgesamt 6,8 Milliarden Euro Risikokapital in Großbritannien und Irland – ein neuer Rekordwert. Die Region bleibt damit unangefochtene Nummer eins in Europa. Zwei Drittel der Summe verteilten sich allerdings auf die größten Deals von mehr als 25 Millionen Euro.
Der Anteil für Firmen in der Frühphase hingegen ging weiter zurück. Auch die Anzahl der Deals ist im ersten Halbjahr stark gesunken: Das Kapital konzentriert sich auf reifere Unternehmen, denen Investoren bessere Chancen geben, die Krise zu überstehen.
In der Krise hat sich die Machtbalance zugunsten der Investoren verschoben. Manche Risikokapitalgeber nutzen das aus: Sie nehmen ihre Zusagen in letzter Minute zurück und fordern bessere Bedingungen von den Start-ups. Platts sagt, sie kenne vielleicht eine Handvoll solcher Fälle. Die meisten Risikokapitalgeber würden sich jedoch an Abmachungen halten.
Nicht nur bei den Start-ups, auch bei den Geldgebern findet nun eine Auslese statt. Die Zahl der Wettbewerber gehe zurück, sagt Platts. Traditionelle Banken zögen sich aus dem Start-up-Sektor zurück, um sich nicht zu viele Risiken in die Bücher zu holen. Auch Challengerbanken würden vorsichtiger. Ihr Institut will davon profitieren. „Es ist ein guter Zeitpunkt, um sich vorzulehnen und Marktanteile zu gewinnen“, sagt Platts.
Das erwartete Start-up-Sterben dürfte auch an der Silicon Valley Bank nicht vorbei gehen. Bisher verzeichnet sie noch keinen Anstieg an Kreditausfällen, aber Platts rechnet mit einer geringen Erhöhung in der Zukunft. Das Geschäftsmodell ändere sich aber nicht, betont sie. Man verleihe weiterhin „täglich oder wöchentlich“ Geld an innovative Firmen in der Frühphase.
Mehr: Prominente Investoren starten 125-Millionen-Fonds für Hightech aus Deutschland.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.