Credit Suisse „Ich habe in jeder Sekunde das Beste gegeben“: So verlief der letzte Arbeitstag von Tidjane Thiam

„Ich habe in jeder Sekunde das Beste gegeben.“
Am Ende wird Tidjane Thiam persönlich. „Ich habe in jeder Sekunde das Beste gegeben“, sagt er. Doch das Beste war für die Credit Suisse nicht mehr gut genug. Es ist Thiams letzter Tag als Chef der Großbank, wo sein Nachfolger Thomas Gottstein in diesen Stunden die Führung übernimmt. Die Jahreszahlen, um die es bei Thiams Auftritt eigentlich gehen soll, werden dabei zur Randnotiz.
Stattdessen darf Thiam an seinem letzten Arbeitstag über seine Erfolge beim Umbau der Credit Suisse referieren, über gestiegene Erlöse, gesunkene Kosten, höhere Kapitalquoten. Man fühlt sich fast wie im Hörsaal: „Die Erfolge des Tidjane Thiam – eine historische Betrachtung“.
Es könnte eine Geschichtsvorlesung mit glücklichem Ende sein, denn verglichen mit europäischen Rivalen wie der Deutschen Bank oder der Commerzbank steht die Credit Suisse beneidenswert da. Unterm Strich steht für das Jahr 2019 ein Gewinn von 3,4 Milliarden Franken (umgerechnet 3,2 Milliarden Euro). Ein Triumph für Thiam, wäre da nicht die Überwachungsaffäre, die ihn den Job gekostet hat.
Die Aktionäre konnte Thiam mit seiner Strategie zwar überzeugen. Doch der Bruch zwischen dem Bankchef und den Schweizern hätte wohl keine Powerpoint-Folie der Welt mehr kitten können. Im September war publik geworden, dass Detektive im Auftrag der Bank den Starmanager Iqbal Khan beschattet hatten. Kahn wechselte damals überraschend von der CS zum Rivalen UBS.
Die Bank sprach von einem Einzelfall, doch dann wurde kurz vor Weihnachten ein weiterer Detektiveinsatz publik. Die Finanzaufsicht Finma schaltete sich ein. Thiam will von den Spitzeleien nichts gewusst haben, zwei interne Untersuchungen haben ihn entlastet. Doch nach Monaten mit immer neuen Enthüllungen wurde der Druck schlicht zu groß.
Anfang Februar sah sich Verwaltungsratschef Urs Rohner nach potenziellen Nachfolgern um. Daraufhin nahmen Aktionäre Rohner ins Visier und forderten seine Absetzung. So etwas gab es in der Schweiz noch nie. Nach einer nächtlichen Verwaltungsratssitzung fiel dann die Entscheidung: Thomas Gottstein, bislang Schweiz-Chef, übernimmt die Führung der CS. Thiam reicht seinen Rücktritt ein.
Als der französisch-ivorische Manager vor fünf Jahren zur Credit Suisse kam, war die Hoffnung enorm. Der Sohn eines Diplomaten hatte eine Bilderbuchkarriere vorzuweisen. Thiam besuchte eine französische Eliteschule, machte einen MBA an der Kaderschmiede Insead. Zur Credit Suisse kam er vom britischen Versicherer Prudential.
Credit Suisse verliert den Anschluss
Dort hatte er als CEO den Aktienkurs kräftig nach oben getrieben. Medien verglichen ihn gar mit Barack Obama. Entsprechend groß waren die Erwartungen in der Schweiz. Nach seinem Antritt bei der Credit Suisse verordnete Thiam der Bank ein dreijähriges Umbauprogramm. Ähnlich wie der Rivale UBS forcierte er das Geschäft mit reichen Kunden und fuhr die als riskant geltenden Handelsaktivitäten zurück.
Die Strategie zeigte durchaus Erfolge, doch es bleiben Probleme. Den Anschluss an die Rivalen von der Wall Street hat die Credit Suisse endgültig verloren. Aber: „Thiam hinterlässt die Bank in weitaus besserem Zustand, als er sie geerbt hat“, urteilen die Analysten der Citigroup.
So zeigen die Zahlen des vergangenen Jahres Licht und Schatten. Der Milliardengewinn wirkt zwar imposant, dabei profitierte die Bank aber auch von vielen Sondereffekten. Und während die Vermögensverwaltung mit einem Vorsteuergewinn von umgerechnet rund 2 Milliarden Euro glänzen konnte, erwiesen sich das Investmentbanking- und Handelsgeschäft einmal mehr als volatil.
Die Handelssparte Global Markets blieb mit einem Vorsteuergewinn von umgerechnet rund 884 Millionen Euro hinter den Erwartungen der Analysten zurück. Und im Geschäft mit Fusionen und Übernahmen machte die Bank gar einen Verlust von umgerechnet 148 Millionen Euro vor Steuern.
Doch solche Details werden bei Thiams letztem Auftritt am Donnerstag zur Nebensache. Warum er denn gehe, wenn die Bank so gut dastehe, will ein Journalist wissen. Thiam gibt sich bescheiden: Er sei nun mal vom Verwaltungsrat bestellt worden. „Und wenn der Verwaltungsrat einen Führungswechsel möchte, dann komme ich dem nach“.
Dabei hatten Kritiker schon im Herbst Thiams Absetzung gefordert. Bis heute bezweifeln viele Schweizer, dass der CS-Chef tatsächlich nichts von der Bespitzelung seines Untergebenen Iqbal Khan gewusst hat. Denn Thiam und Khan hatten sich zuvor persönlich überworfen. Und Stabschef Pierre-Olivier Bouée, der die Überwachungen angeordnet haben soll, galt als enger Vertrauter Thiams – was dieser wiederum dementiert.
Zudem bewies Thiam beim Umgang mit der Affäre kein Gespür für die öffentliche Wirkung. Monatelang hatte er zu den Vorwürfen geschwiegen. „Ich wollte keinen Schritt machen, der als Beeinflussung der Untersuchung gesehen wird“, sagt er heute. „Also musste ich still bleiben“. Für die Überwachung und das dadurch verursachte Leid hat er sich erst jetzt entschuldigt.
Thiam polarisiert
Und auch der Versuch, sich auf dem sozialen Netzwerk Instagram zu inszenieren, schlug völlig fehl. Als längst über Thiams Absetzung spekuliert wurde, ließ der Manager dort ein Foto mit sich und seiner Führungsmannschaft auf Instagram veröffentlichen – ein Affront gegenüber dem Verwaltungsrat.
Ob es sein könne, dass die Art, wie er gehandelt hat, einfach nicht zur Schweizer Mentalität gepasst hat, will ein Journalist des Schweizer Fernsehens wissen. Es ist die letzte Frage, und vielleicht die wichtigste.
Denn für seinen Führungsstil und sein selbstsicheres Auftreten wurde Thiam in der Schweiz immer wieder kritisiert. Von einer „Bank innerhalb der Bank“ war die Rede, von Kadergehorsam und einer Kultur des Misstrauens. Das ist die eine Geschichte, die in Zürich erzählt wird: Sie handelt von einem Fremden, der in die Schweiz kam, sich dort nur mit engsten Vertrauten umgab und schlicht den Kontakt zur Basis verlor.
Die andere Geschichte geht so: Der französisch-ivorische Manager war der erste schwarze Bankchef in der Schweiz, und die war dafür schlicht noch nicht bereit. In den Kommentarspalten im Netz waren rassistische Angriffe gegen Thiam an der Tagesordnung.
Die Forderung, ein „echter“ Schweizer müssen bei der Bank das Ruder übernehmen, wurde nicht nur an Stammtischen aufgestellt, sondern auch im Zürcher Establishment. Und so spricht Thiam am Ende der Pressekonferenz nicht über Zahlen, sondern über sich – und, wenn man genau hinhört, auch über seine Herkunft. „Ich bin, was ich bin“, sagt Thiam, „und das kann ich nicht ändern“.
Er könne eben nur sein Bestes geben. „Aber ich bin Rechtshänder. Und wenn sie keine Rechtshänder mögen, dann kann ich das nicht ändern“. Es sind seine letzten öffentlichen Worte an der Spitze der Credit Suisse. Die Presse verlässt den Saal, die Kameras umlagern jetzt seinen Nachfolger. Thiam packt seine Sachen, schüttelt ein paar Hände, verabschiedet sich. Er nimmt den Hinterausgang.
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