Benachrichtigung aktivieren Dürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafft Erlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviert Wir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke

David Folkerts-Landau im Interview Chefvolkswirt der Deutschen Bank rechnet mit der Ära von Josef Ackermann ab

Ein Insider spricht Klartext: Der Chefvolkswirt der Deutschen Bank hat sich bislang noch nie in den Medien zu seinem eigenen Haus geäußert. Im Handelsblatt-Interview erklärt er jetzt, was alles schief lief.
21.05.2018 - 13:53 Uhr 2 Kommentare
Deutsche Bank: David Folkerts-Landau rechnet mit Ära Ackermann ab Quelle: Jonas Wresch / Agentur Focus
David Folkerts-Landau

Der Ökonom der Deutschen Bank will nicht länger schweigen.

(Foto: Jonas Wresch / Agentur Focus)

Frankfurt David Folkerts-Landau ist dafür bekannt, kein Blatt vor den Mund zu nehmen. Egal ob es um die Euro-Krise, Donald Trump oder Einwanderung geht - der Chefvolkswirt der Deutschen Bank hat sich nie vor unpopulären oder im eigenen Haus umstrittenen Thesen gescheut.

Zur Deutschen Bank aber hat er sich nie geäußert. Doch jetzt will der als unabhängiger Kopf geltende Ökonom, der seit zwei Dekaden der Führungsmannschaft der Investmentbank angehört, nicht mehr schweigen - und redet sich geradezu in Rage. Per Videoschalte aus New York erklärt der 69jährige, warum die ungehemmte Expansion der Deutschen Bank im Kapitalmarktgeschäft in den vergangenen zwei Dekaden ein fataler Fehler war.

Herr Folkerts-Landau, Sie arbeiten seit mehr als 20 Jahren in der Deutschen Bank und haben sich in dieser Zeit nie zu dem Geldhaus öffentlich geäußert. Jetzt wollen Sie das erstmals tun – warum?
Die Art und Weise, wie in den Medien über unser Haus berichtet wird, hat mich zu diesem Schritt bewogen. Ja, wir haben in den vergangenen zwei Jahrzehnten Fehler gemacht, die das Image der Deutschen Bank, eines der Aushängeschilder der deutschen Wirtschaft, beschädigt und uns Vertrauen und Einfluss gekostet haben.

Die Verantwortlichen, die damals gut daran verdienten, haben unsere Bank größtenteils verlassen, und das in vielen Fällen, ohne dass man sie für ihr Missmanagement zur Verantwortung ziehen konnte. Diejenigen aber, die über diese Zeit loyal zur Bank gestanden haben und jetzt aufräumen, sind nun Kritik und Anfeindungen ausgesetzt.

Die Zuversicht unserer Mitarbeiter sowie das Vertrauen unserer Kunden, Aktionäre und der Gesellschaft sind für unseren wirtschaftlichen Erfolg unabdingbar. Um dies zurückzugewinnen, aber auch um irreführende Darstellungen über die Vergangenheit zu vermeiden, ist eine ehrliche Analyse notwendig.

Und wer trägt die Schuld?
Die harte Wahrheit ist, dass fundamentale, strategische Entscheidungen des Managements und des Aufsichtsrates in der Zeit von Mitte der Neunzigerjahre bis 2012 die Bank in diese Lage gebracht haben. Ursächlich war ein tiefes Missverständnis der handelnden Personen hinsichtlich der kulturellen Unterschiede zwischen dem angelsächsischen Investmentbanking und der Art, wie in Deutschland das Bankgeschäft betrieben wurde.

Das Topmanagement oder die Investmentbanker? Sie wurden einst vom Star-Händler Edson Mitchell zur Bank geholt. Er war es, der die Investmentbank aufgebaut hat. Was war Mitchell für die Bank – ein Wunderkind oder ein Hasardeur?
Edson Mitchell war ein „Global-Markets-Wunderkind“, quasi ein Garant für schnellen Geschäftserfolg im Kapitalmarktgeschäft. Dies hatte er schon bei Merrill Lynch bewiesen. Die Deutsche Bank war bereits in den Achtzigerjahren gegenüber den US-Rivalen ins Hintertreffen geraten.

Alfred Herrhausen und später Hilmar Kopper waren überzeugt, dass die Bank mit den führenden US-Instituten mithalten müsse, um die deutschen Unternehmen bei ihrer globalen Expansion adäquat zu unterstützen. Diese Einsicht führte 1989 zum Kauf der englischen Investmentbank Morgan Grenfell.

Aber Morgan Grenfell war zu altmodisch, um als Sprungbrett in die globalen Finanzmärkte zu dienen. 1995 holte man deshalb Edson Mitchell mit seinem Team von Merrill Lynch, um groß in den extrem lukrativen Handel mit festverzinslichen Wertpapieren, Aktien, Devisen und Rohstoffen einzusteigen. Das war aus damaliger Sicht ein konsequenter Schritt.

Mit welchem Ergebnis?
Die Führung der Bank überließ die operative und strategische Kontrolle des Kapitalmarktgeschäfts den Händlern. Man hatte mit Bewunderung beobachtet, wie Allen Wheat, ein anderes Wall-Street-Wunderkind seiner Zeit, beim Konkurrenten Credit Suisse First Boston (CSFB) mit großem Erfolg eine ähnliche Abteilung aufgebaut hatte, was ihm 1997 den Chefposten von CSFB einbrachte.

Wenige Vorstände und Aufsichtsräte der damaligen Deutschen Bank hatten das Wertpapierhandelsgeschäft vollständig durchdrungen. Sie waren in der konsensorientierten, konservativen Kultur einer traditionellen deutschen Geschäftsbank gefangen und verließen sich auf Edson Mitchell und seine Mannschaft, der aus einer extrem kompetitiven und individualistischen Geschäftskultur kam, in der alles dem schnellen Gewinn untergeordnet wurde.

Was waren die Folgen?

Beide Gremien, Aufsichtsrat und Vorstand, haben damals nicht verstanden, dass dies ein „reverse takeover“, eine umgekehrte Übernahme der Bank, durch die Global-Markets-Abteilung war. Dies war der erste schicksalhafte, strategische Fehler der Führungsspitze unserer Bank. Man hätte auch besser daran getan, wie heute den Aufsichtsrat mit erfahrenen Fachleuten zu besetzen. Der damaligen Führung war – unabhängig von ihren ehrenwerten Zielen – die neue Welt des Investmentbankings völlig fremd. Dadurch schlug die Bank eine Richtung ein, die uns nahezu zwangsläufig dahin führen musste, wo wir heute stehen.

Man hätte die Händler von Anfang an mehr in Schach halten sollen?
Edson tat genau das, wofür man ihn eingestellt hatte und worin er brillant war: Er baute das Handelsgeschäft schnell und massiv aus, ohne danach zu fragen, ob das für die Bank insgesamt der richtige Weg war. Wer einen Klempner beauftragt, sein Haus zu bauen, darf sich nicht wundern, wenn es am Ende zu viele Bäder hat.

Und wie hat er es geschafft, aus einer Frankfurter Bank ein derart gigantisches Handelshaus zu bauen?
Dabei hat ihm die Bilanz der Deutschen Bank geholfen. In ihr lagen ja gigantische versteckte Reserven in Form von Industriebeteiligungen. Edson nutzte den Blankoscheck, den ihm Hilmar Kopper und sein Nachfolger Rolf Breuer ausgestellt hatten, und heuerte in gerade mal zwei Jahren mehr als zweitausend Händler an. Mit großzügigen Gehältern holte er die Besten, die am Markt zu bekommen waren, und gab ihnen die Freiheit und die Mittel, alle Arten von Finanzgeschäften aufzubauen, solange sie zum zweistelligen Ertragswachstum beitrugen. Der Kauf der US-Investmentbank Bankers Trust 1999 war Teil dieser Strategie, mit der man die Position der US-Großbanken direkt attackieren wollte. Der wahre Schicksalsmoment für die Bank kam allerdings erst, zwei Jahre nachdem Edson sein Leben bei einem Flugzeugabsturz verloren und Anshu Jain die Leitung der Global-Markets-Abteilung übernommen hatte.

Was war das für ein Moment?
Das war im Jahr 2002, in dem Josef Ackermann zum Nachfolger von Rolf Breuer als Vorstandssprecher bestellt wurde. Damit wurde jemand Chef der Bank, der das Wachstumspotenzial des Investmentbankings innerhalb der Deutschen Bank klar verstand und für den ein rasantes Wachstum im globalen Handelsgeschäft die Eintrittskarte der Deutschen Bank in den Klub der größten drei globalen Finanzinstitute versprach.

Ackermann war dabei auf das magische Ziel einer Eigenkapitalrendite von 25 Prozent vor Steuern fixiert. Dieses war damals aber nur unter Inkaufnahme großer finanzieller und ethischer Risiken zu erreichen. Breuer, der neue Aufsichtsratsvorsitzende, war zunehmend mit eigenen Problemen beschäftigt, sodass Ackermanns Macht immer größer wurde. Es gab durchaus Aufsichtsratsmitglieder, die den neuen Kurs der Bank sehr kritisch sahen. Insbesondere Ulrich Cartellieri, der aber sein Aufsichtsratsmandat 2004 niederlegte, als er erkennen musste, dass sein Widerstand gegen Ackermanns Pläne zwecklos war.

Als Ackermann antrat, verkleinerte er den Vorstand radikal und schuf das Group Executive Committee direkt unter dem Vorstand. Welche Rolle spielte dieser Umbau der Führung?
Durch die Verkleinerung des Vorstands und die Einrichtung eines Group Executive Committees, das die Verantwortung für das Tagesgeschäft übernahm, wurden die Kontrollmöglichkeiten des Aufsichtsrates noch weiter reduziert. Damit war ein CEO nach angelsächsischem Vorbild installiert, das Schicksal der Bank lag jetzt in den Händen des Vorstandschefs, für den das Wachstum der Investmentbank absolute Priorität hat.

Hätte man das Wachstum eindämmen können? Zulasten der Rentabilität? Wer hätte das damals mitgemacht? Ackermann galt doch als ungemein erfolgreich.
Es war ein Erfolg, der zulasten der Zukunft ging. Im Rückblick wird klar, dass die Strategie des „Wachstums über alles“ scheitern musste. Die Risiken wurden einfach zu groß für die Kapitalbasis der Bank, das heißt, die Verschuldungsquote, das sogenannte Leverage, stieg viel zu sehr an.

Im Grunde nahmen die Gläubiger implizit an, dass im Falle des Falles der deutsche Staat die Bank auffangen würde. Es war eben die Deutsche Bank. Ohne diese implizite Annahme hätte gegen Ende der Ära Ackermann die Bilanz der Bank nicht die Größe des deutschen Bruttoinlandsprodukts übertreffen und die Deutsche Bank gemessen an ihrer Bilanzsumme nicht zur größten Bank der Welt aufsteigen können.

Es gab also eine implizite Staatsgarantie?
Ja, im übertragenen Sinne stimmt das. Die Händler und Eigentümer profitierten damals von den hohen Erträgen und den Gewinnen in der Gegenwart, die mit der Expansion des Geschäfts der Bank erzielt wurden, während der Steuerzahler im Zweifel für dadurch entstandene Verluste hätte geradestehen müssen.

Die Bank agierte zunehmend wie ein Hedgefonds, aber mit dem fundamentalen Unterschied, dass ein Hedgefonds gewöhnlich keine implizite Staatsgarantie besitzt – ein dramatischer Wettbewerbsvorteil für die Bank. Verstehen Sie mich nicht falsch: Unser Management von Markt- und Kreditrisiken an sich war exzellent. Die Bilanz wurde nur einfach viel zu groß.

Und warum konnte Ackermanns Wachstumsstrategie nicht erfolgreich sein?
Das lag erstens an dem Vergütungssystem, das die Händler dazu motivierte, immer größerer Risiken einzugehen. So konnten Investmentbanker drei oder vier Prozent des Umsatzes eines Geschäftes als Bonus des laufenden Jahres bekommen, obwohl überhaupt nicht absehbar war, wie sich die Rendite dieser Aktiva entwickeln würde.

Es war die Lizenz zum Reichwerden, die Händlern in besonders lukrativen Bereichen wie Kreditderivative oder Devisenhandel Jahresgehälter von mehr als 30 Millionen Dollar bescherte, leider zum langfristigen Schaden der Bank. Dies ging in den überschwänglichen Märkten der 2000er-Jahre einige Zeit gut, brach aber mit dem Ausbruch der US-Subprimekrise im Jahr 2007 in sich zusammen.

Zweitens hatten die Investmentbanker wenig Interesse, in IT-basierte Kontroll- und Datensysteme zu investieren, da dies den laufenden Gewinn reduziert hätte. Da stand das Risikomanagement auf verlorenem Posten. Langfristig rächte sich das natürlich: Die Kosten stiegen, und das Management bekam die Volumina und die Komplexität der Geschäfte nicht mehr in den Griff. Die Folgen haben sich in den Rechtskosten manifestiert.

Welche Gründe gab es noch?
Drittens wurde durch die risikofreudige Atmosphäre und das großzügige Vergütungssystem der Bank ein bestimmter Typ Mitarbeiter angezogen. Diese neue Kultur, die der von Popstars ähnlich war, entfremdete die Bank zunehmend von Deutschland und damit von ihrem Brot-und-Butter-Geschäft, das von den Investmentbankern nur milde belächelt wurde.

Diese betrachteten die übrigen Mitarbeiter bestenfalls als Kollegen zweiter Klasse – zumal die Investitionen in deren Bereichen dünn ausfielen.
Und viertens führte die Abkehr von den deutschen Wurzeln der Bank dazu, dass sie ihren Rückhalt in der Gesellschaft und der Regierung verlor, der in schwierigen Zeiten aber unabdingbar ist.

Aber ist es nicht etwas einfach, die ganze Schuld bei Joe Ackermann abzuladen? Der damalige Chef der Investmentbank Anshu Jain und seine Händlertruppen waren doch diejenigen, die riskante Geschäfte machten, an die Grenzen des Legalen und manchmal darüber hinaus gingen und dafür hohe Boni kassierten?
Natürlich waren es Anshu Jain und seine „Army“, die Josef Ackermanns Ziele in die Tat umsetzten. Er erschuf das legendäre „DB flow monster“, die größte Sales-&-Trading-Organisation der Welt. Er machte DB Global Markets zu einem gefürchteten Wettbewerber am globalen Finanzmarkt.

Das war schon eine Leistung: Niemals zuvor war eine ausländische Bank zu einer ernsthaften Bedrohung der amerikanischen Platzhirsche aufgestiegen. Anshu schaffte es, die besten Talente für die Deutsche Bank zu gewinnen, indem er ihnen die Möglichkeit gab, neue Geschäftsfelder zu erobern.

Die Motivation kam durch ein Vergütungssystem, das sich eng am finanziellen Erfolg orientierte. Es wurden Boni auf Grundlage von Gewinnen ausbezahlt, bei deren Bemessung der Vorstand künftige Risiken ausblendete. Außerdem wurde neben der Ausweitung des Kundengeschäfts der risikobehaftete Eigenhandel in vielen Bereichen dominierend.

Wäre die Bank heute in einer besseren Verfassung, wenn Edson Mitchell und Anshu Jain niemals für sie gearbeitet hätten?
Mitchell und Jain waren nur die Symptome eines viel grundlegenderen Problems. Solange die Bank den Anspruch verfolgte, möglichst schnell von einer deutschen Bank für Unternehmensfinanzierung zu einer globalen Investmentbank auf Augenhöhe mit JP Morgan oder Goldman Sachs aufzusteigen, und solange sie dafür ihre Bilanz und ihre günstigen Refinanzierungskonditionen zur Verfügung stellte, hätte sie immer Manager gefunden, die ein Kapitalmarktgeschäft aufgebaut hätten – und das nicht zuletzt wegen der üppigen Vergütung. Mitchell und Jain setzten die Mission, die ihnen Ackermann aufgetragen hatte, extrem erfolgreich um, aber auf Kosten der langfristigen Stabilität, wie sich 2007 dann zeigte.

Aber würde es der Deutschen Bank heute besser gehen, wenn sie im Handelsgeschäft nicht derart expandiert hätte?
Ja, ganz sicher. Ursprünglich hatte die Bank eine sehr viel ausbalanciertere Wachstumsstrategie. Die Vermögensverwaltung, das Private Banking, die Beratung und der Handel sollten ähnlich stark wachsen. Diese Balance geriet in den 2000er-Jahren aus den Fugen. Darin liegt der Sündenfall.

Wann war das genau?
Im Jahr 2005 verkündete Ackermann, dass von nun an das Handelsgeschäft wachsen könne, auch wenn dies auf Kosten der anderen Bereiche gehen sollte. Dadurch expandierte die Sparte derart schnell, dass sie im Jahr 2007 die Bank vollkommen dominierte: Fast zwei Drittel der Erträge des Konzerns wurden vom Investmentbanking generiert. Es ist wichtig zu verstehen, dass es durchaus möglich gewesen wäre, eine qualitativ hochwertige, weniger riskante, aber kleinere Investmentbank innerhalb der Deutschen Bank aufzubauen. Sie hätte dann deutsche und europäische Firmenkunden adäquat betreuen können. Dies genau wollte Ulrich Cartellieri, aber anderen reichte dieser Anspruch nicht.

Sie sind seit 1998 im Führungsgremium der Investmentbank. Und Sie gehörten zu Anshu‘s Army. Sind Sie also auch selbst Teil des Problems?
Natürlich wünschte ich mir, ich hätte das alles in seiner Komplexität schon damals verstanden. Im Nachhinein – nach all dem, was später passiert ist – lässt sich natürlich einfach sagen, wir hätten es verstehen müssen. Aber auch wir konnten uns damals nicht vorstellen, dass die Pleiten von Lehman Brothers und Bear Stearns das globale Finanzsystem an den Rand des Zusammenbruchs bringen würden.

Im Nachhinein erkennt man natürlich auch, dass ein Versicherungskonzern wie AIG nicht einen erheblichen Anteil seines Gewinns durch die Absicherung von Ausfallrisiken strukturierter Produkte hätte erwirtschaften sollen. Zumindest hatte meine Abteilung schon 2006 erkannt, dass es zu einer Krise am US-Hypothekenmarkt kommen würde, sobald die Zinsen steigen würden. Aber das war natürlich nur ein Teil der Geschichte.

Welche Rolle hat Anshu Jain in der Finanzkrise gespielt?
Er hat die Bank vor dem Kollaps bewahrt. Daran gibt es keinen Zweifel. Ich erinnere mich gut an ein Dinner mit 20 Hedgefonds-Managern in Barcelona im August 2007. Dort war man sich einig, dass die Welt wohl auf eine schwere Krise zurast. Kurz nach dem Dinner, um 23 Uhr, bestellte Anshu seine Führungsmannschaft ein und forderte sie auf, am nächsten Morgen aggressiv die Risiken der Bank abzubauen. Ohne diese Weichenstellung hätten wir bestimmt mehrere Milliarden Euro zusätzliche Verluste gemacht, und es wäre unmöglich gewesen, Staatshilfe zu vermeiden.

Was wäre so schlimm an Staatshilfe gewesen?
Das ist ein guter Punkt. Der US-Weg war auf jeden Fall der richtige. Dort hat der damalige Finanzminister Hank Paulson alle großen Banken gezwungen, sich durch staatliche Finanzspritzen zu rekapitalisieren – und zwar wirklich alle. Das ermöglichte eine schnelle Sanierung.

Im Jahr 2012 hatten die großen US-Häuser ihre Bilanz längst aufgeräumt, zahlten die Kapitalspritzen mit Gewinn für den Staat zurück und konnten wieder nach vorne blicken. Aber Ackermann wollte kein Geld vom Staat, weil es seine Ehre verletzt hätte und wohl auch, weil er dessen Einmischung fürchtete.

Im Fall von Staatshilfe hätte niemand in der Bank mehr als 500.000 Euro verdienen dürfen. Dann hätten die Banker das Haus in Scharen verlassen.
Auch in den USA gab es in der Tat neue Regeln für Banken, welche Staatshilfe bekamen. Aber diese Regeln machten es nicht unmöglich, gute Leute zu halten oder zu gewinnen. Ich glaube nicht, dass die deutsche Regierung der Bank ein derartig enges Korsett von Auflagen angelegt hätte, dass man ihr die Luft zum Atmen genommen und sie damit zerstört hätte.

Aber Ackermann wollte eben nicht mit der Regierung über Staatshilfen verhandeln. Stattdessen hat man die Probleme in die Zukunft verschoben. Die Bank machte so weiter wie vor der Krise und hoffte, dass sich die Märkte wieder normalisieren würden. Dadurch gingen kostbare Jahre verloren.

Andere Banken wie die Schweizer UBS sind schon 2012 zu der Erkenntnis gekommen, dass das Investmentbanking stark schrumpfen muss. Warum hat das Paul Achleitner, der in diesem Jahr als Aufsichtsratschef zur Bank kam, nicht erkannt und Jain einfach gefeuert?
Paul Achleitner hat Jürgen Fitschen und Anshu Jain nicht nominiert, sondern ist zeitgleich zur Jahresmitte 2012 angetreten. Zu der Zeit war die Investmentbank, insbesondere der Bereich Global Markets, nach wie vor das pulsierende Herz der Bank, das zwei Drittel zum Geschäftsergebnis beitrug.

Ein radikaler Rückbau von Global Markets zugunsten anderer, stabilerer Geschäftsbereiche nach dem Vorbild der UBS war damit nicht möglich. Nachdem das Management über Jahre die anderen Geschäftsbereiche vernachlässigt hatte, waren die Erträge der anderen Bereiche einfach nicht ausreichend, um eine durch den Rückbau von Markets entstandene Lücke zu füllen. In diesem Umfeld brauchte es deshalb jemand an der Spitze, der sich mit dem Kapitalmarktgeschäft der Bank bestens auskannte, und Jain war dafür zu der Zeit genau der richtige Mann.

Lag der schleppende Wandel nicht auch daran, dass man nicht umbauen wollte?
Nein, die Notwendigkeit, die Bank in eine ausgewogenere, besser kapitalisierte Organisation mit entsprechend reduzierter Rolle des Kapitalmarktgeschäfts zu überführen, war klar erkannt und war Kerngedanke jeder Strategiediskussion. Aber für eine schnelle Umsetzung hätte das Topmanagement aller Bereiche der Bank – ohne Wenn und Aber – an einem Strick ziehen müssen.

Dafür fehlte Anshu allerdings, trotz aller Anstrengungen, außerhalb der Investmentbank die Glaubwürdigkeit. Er war ein großartiger Anführer von „Anshu‘s Army“, aber es gelang ihm nicht, die sehr unterschiedlichen Personen im Vorstand und im Group Executive Committee der Bank zu einem Team zu schmieden. Meiner Wahrnehmung nach wollten ihn einige damals wohl lieber scheitern sehen

Woran haperte es noch?
Es war außerdem schwierig – wenn nicht unmöglich –, die deutsche Regierung und die deutsche Öffentlichkeit davon zu überzeugen, dass er der richtige Mann war, um der Bank eine neue Richtung zu geben. Er war zwar ein kosmopolitischer Investmentbanker, aber er sprach kein Deutsch, und ihm fehlte der enge Draht zur deutschen Wirtschaft. Er war in den obersten Finanzkreisen in London und New York zu Hause, kannte aber Hamburg oder Stuttgart kaum. Deutschland war damals wohl noch nicht bereit für einen angelsächsisch geprägten Manager mit indischen Wurzeln an der Spitze der Deutschen Bank.

Ließ sich das nicht überwinden?
Ja, aber dazu wäre mehr Zeit nötig gewesen. Die hatte Anshu nicht. Das Marktumfeld, insbesondere der Wettbewerb durch die wieder erstarkten US-Banken, aber auch die exorbitant gestiegenen Belastungen durch die Regulierung machten es unmöglich, die nötigen Gewinne für den Umbau zu erwirtschaften.

Selbst die zahlreichen Kapitalerhöhungen haben nicht ausgereicht, die IT-Infrastruktur zu modernisieren, die vernachlässigten Geschäftsfelder auszubauen, die exorbitant hohen Strafzahlungen zu finanzieren und gleichzeitig die verschärften regulatorischen Kapitalanforderungen zu erfüllen.

Warum war es dann 2015 auf einmal richtig, mit John Cryan als Nachfolger von Jain einen externen Banker reinzuholen?
John Cryan kam ja nicht von außen. Er kannte die Bank in all ihren Facetten dank seiner langjährigen Rolle als Leiter des Audit-Komitees im Aufsichtsrat sehr gut. Er wurde zu Recht als ein Sanierer wahrgenommen. Er hat eine brillante Auffassungsgabe. Cryans Detailkenntnis ermöglichte es ihm, viele der komplexen Probleme aufzudecken, mit denen sich die Bank zu dieser Zeit herumplagte, und ihre nachhaltige Lösung voranzutreiben.

Beispielsweise hat er mit seinem Rechtsvorstand Karl von Rohr die juristischen Probleme aufgearbeitet, was existenziell war. Zudem hat er gemeinsam mit Achleitner die Führungsstrukturen der Bank auf Vordermann gebracht. Durch die Abschaffung des Group Executive Committees und die Stärkung des Vorstands kann der Aufsichtsrat nun wieder eine effektivere Kontrolle ausüben.

John war genau der richtige Mann, um 2015 das Ruder herumzuwerfen. Nach fast drei Jahren war aber klar, dass die Märkte mehr Tempo und konsequenteres Durchgreifen verlangten. Die niedrige Volatilität, das negative Zinsumfeld und die regulatorischen Kosten drückten auf den Gewinn und zeigen, dass wir nun einen anderen Managementstil brauchen. Das wurde nicht zuletzt bei der Entwicklung der Kosten im vierten Quartal 2017 und im ersten Quartal 2018 deutlich.

Hätte Cryan das Handelsgeschäft schon deutlich härter beschneiden sollen, und ist es das, was sein Nachfolger Christian Sewing jetzt tun sollte?
Christian Sewing hat da Ende April schon eine klare Richtung vorgegeben. Aber er hat richtigerweise auch deutlich gemacht: Natürlich muss die Deutsche Bank im Investmentbanking präsent und stark bleiben, um die deutschen und europäischen Unternehmen erfolgreich unterstützen zu können. Außerdem ist sie in manchen Bereichen – wie zum Beispiel strukturierten Finanzierungen – Weltklasse. Diese Position sollten wir nicht aufgeben.

Und ist Sewing der Richtige für den Job?
Ja, mit seiner Ernennung können wir von einem epochalen Wandel für die Bank sprechen. Nach 16 Jahren ist wieder ein Deutscher Chef der Deutschen Bank. Alle wissen, dass Christian in der Bank „aufgewachsen“ ist. Die Bank ist sein professionelles und intellektuelles Zuhause. Ich weiß, wie sehr er sich mit der Deutschen Bank identifiziert. Für ihn steht der Erfolg der Bank im Mittelpunkt seines beruflichen Lebens. Damit steht er im Gegensatz zu manch anderem vor ihm. Er kann den Mitarbeitern, ob in Eschborn oder in New York, die Zuversicht in die Zukunft ihrer Bank zurückgeben - und das tut er bereits. Mit Christian haben wir wieder einen Vorstandschef, der Deutschland versteht und den die Deutschen verstehen und der in Berlin ein geschätzter Gesprächspartner ist.

Auch bei den Investmentbankern?
Er versteht das Kapitalmarktgeschäft durch seine langjährige Arbeit im Risikomanagement. Er ist damit auch in der Investmentbank respektiert. Er ist ein Banker mit internationaler Perspektive, gepaart mit einer lokalen Verankerung. Wir brauchten einen klaren Neustart, und den hat Achleitner uns jetzt mit Christian und seinem Team verschafft.

Aber auf der anderen Seite könnten die Investmentbanker in New York oder London zum Schluss kommen, dass eine Deutsche Bank dieser Prägung für sie nicht mehr interessant ist.
Wir sind eine in Deutschland verwurzelte Bank, und wir haben den Mut, das deutlich auszusprechen. Wir wollen aber auch eine starke europäische Bank mit einem globalen Netzwerk sein. Wer das nicht für den richtigen Ansatz hält, würde sich wahrscheinlich bei einer anderen Bank wohler fühlen.

Wäre Marcus Schenck nicht auch ein guter Kandidat gewesen?
Marcus ist ein großartiger Banker. Erneut einen Investmentbanker an der Spitze zu haben wäre aber nicht zu vermitteln gewesen – weder intern noch extern.

Aber was kann Sewing besser als Cryan?
Ich möchte die beiden nicht vergleichen. Christian hat während seiner langjährigen Tätigkeit in der Bank bewiesen, dass er entscheiden, umsetzen und auch gegen den Strom schwimmen kann. Er hat Prinzipien. Es sollte daher keinen Zweifel geben, dass wir diesmal unsere Kostenziele erreichen werden. Außerdem besitzt Christian den nötigen Enthusiasmus, um den Unterschied zu machen und damit auch die Mitarbeiter zu gewinnen.

Wie lange wird er dafür brauchen?
Wir sollten nicht wieder den Fehler machen, sofortige Erfolge zu verlangen und alles auf eine Person, einen CEO, zu projizieren. Nur ein Vorstand unter einer starken Leitung kann die Deutsche Bank führen, die Herausforderung ist einfach zu groß. Die amerikanische Konkurrenz wird immer stärker und dabei von einer wieder freundlicheren Regulierung und deutlich besseren Margen auf dem Heimatmarkt begünstigt.

Hinzu kommt, dass sich das Zinsumfeld in Europa wohl nur sehr langsam ändern wird und der Kostendruck enorm bleibt. Hier wird es wohl auch Rückschläge geben. Als jemand, der seit mehr als zwei Jahrzehnten eng mit dem Topmanagement der Bank zusammengearbeitet hat, bin ich davon überzeugt, dass es Christian und seinem Team in einigen Jahren gelungen sein wird, die Deutsche Bank wieder als Europas einzige Bank mit globalem Netzwerk zu etablieren. Als die Bank Europas, die Unternehmen und Privatanleger mit den weltweiten Finanzmärkten verbindet.

Kann Sewing wirklich diesen Weg mit einem Aufsichtsratschef gehen, der immer noch ein riesiger Fan eines großen Handelsgeschäfts ist?
Ich halte Ihre Annahme für einen großen Irrtum. Achleitner hat durch viele seiner Entscheidungen die aktuelle Transformation überhaupt erst möglich gemacht. Er hat die Kompetenz des Aufsichtsrats immer weiter gestärkt und ihn damit zu einem viel besseren Kontrollgremium für die Geschäfte und insbesondere die Strategie der Bank gemacht. Unter Achleitners Führung nimmt der Aufsichtsrat seine eigentliche Rolle überhaupt erst wieder wahr. Ganz gleich, was wir mit unserer Investmentbank machen: Wir brauchen Experten aus diesem Bereich im Aufsichtsrat.

Mag sein. Aber die Deutsche Bank ist auch sechs Jahre nach Achleitners Start als Aufsichtsratschef in der Krise.
Die Periode zwischen 2012 und diesem Frühjahr war für die Bank von großer Unsicherheit geprägt. Im Nachhinein und von außen ist es einfach, die Entscheidungen des Aufsichtsrats und des Topmanagements zu kritisieren. Aber als jemand, der die Geschichte der Deutschen Bank seit 1997 aus der Innenansicht miterlebt, bin ich überzeugt, dass Achleitner aufgrund seiner Leistung und der schwierigen Entscheidungen, die er treffen musste und getroffen hat, eines Tages als einer der erfolgreichen Aufsichtsratschefs in die Annalen der Deutschen Bank eingehen wird.

Startseite
Mehr zu: David Folkerts-Landau im Interview - Chefvolkswirt der Deutschen Bank rechnet mit der Ära von Josef Ackermann ab
2 Kommentare zu "David Folkerts-Landau im Interview: Chefvolkswirt der Deutschen Bank rechnet mit der Ära von Josef Ackermann ab"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • Vorausgesetzt man ist der Überzeugung das Aufsichtsrat und Vorstand aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt haben, sollten die Aktien der Deutschen Bank ein klarer KAUF sein.

  • Hr. Folkerts-Landau,
    sie waren offensichtlich 20 Jahre in Führungsposition als Profiteur und Teil eines Systems, dass die Gefährdung der Deutschen Bank in kauf nahm und stellen eben dieses im Nachhinein in Frage. Als Aktionär in der Falle erlebte ich in den letzten 10 Jahren eine unbeeindruckte Boni Kultur die trotz der grottenschlechten Jahresergebnisse immer zahlte, eine kontinuierliche „Fehleinschätzung“ der Rechtskosten und 6 Kapitalerhöhungen. Mein Vertrauen kann nicht mehr an beschwichtigenden Worten der Führungsebene wachsen, sondern nur noch an schnellen sichtbaren positiven Ergebnissen.

Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%