Deutsche Bank John Cryan und die Geschichte einer Desillusionierung

Der Chef der Deutschen Bank schwört Mitarbeiter auf harte Zeiten ein.
Frankfurt Die tiefen Falten auf der Stirn und die dunklen Ringe unter den Augen sind beinahe schon sein Markenzeichen. Vielleicht haben einige Londoner Investmentbanker John Cryan, dem neuen Chef der Deutschen Bank, deshalb den Spitznamen „Mr. Grumpy“ verpasst. Allerdings muss „Herr Griesgram“ auch nicht groß nach Gründen suchen, um sich Sorgen zu machen. Gerade erst meldete die Bank einen Rekordverlust von 6,7 Milliarden Euro. Die Investoren sind entsetzt, aber auch viele Mitarbeiter schockieren die tiefroten Zahlen. „Jeder ahnte, dass es schlimm kommen würde, aber so schlimm?“, fragt einer.
Trotz des dunkelroten Ergebnisses versuchte Cryan sich am Freitag in Davos beim Weltwirtschaftsgipfel in einer neuen Rolle: als Optimist. Abseits der Öffentlichkeit, bei der großen Kunden-Party im edlen Belvédère-Hotel, präsentierte sich der Manager ungewohnt jovial, erzählen Gäste. Sein Kommunikationschef habe ihm eine Rede geschrieben, doch die habe er gerade verlegt, scherzte Cryan. Dann sprach er die Zahlen des vierten Quartals an: Schlecht, das stimme, aber die Bank werde die Durststrecke gut überstehen, alles sei auf dem richtigen Weg.
Diese Botschaft werden die rund 100.000 Mitarbeiter der Deutschen Bank gern hören, aber ob sie sie auch glauben? Denn mittlerweile haben sie sich wohl oder übel daran gewöhnt, dass es meist nichts Gutes bedeutet, wenn sie Post von ihrem obersten Dienstherrn bekommen. So auch in der vergangenen Woche: „Uns erwarten in den kommenden beiden Jahren harte Arbeit und Belastungen durch Kosten für die Restrukturierung der Bank und für dringend erforderliche Investitionen“, schrieb Cryan. In seinem Brief an die Mitarbeiter verkündet er intern den Rekordverlust und schwört die Mannschaft auf Blut, Schweiß und Tränen ein – wieder einmal. Denn Kritik sind die Mitarbeiter gewohnt: Das Geschäftsmodell? Überholt. Die IT-Systeme? Veraltet. Die Unternehmenskultur? Mangelhaft.
Cryans Ehrlichkeit ist kein gutes Marketing
Gerade mal sechs Monate ist der Sanierer im Amt, aber schon muss die Geschichte einer Desillusionierung erzählt werden. In ihrem tiefsten Innern wissen die meisten Banker zwar, dass Cryan mit seiner schonungslosen Analyse recht hat und dass an seiner Strategie des Gesundschrumpfens kein Weg vorbeiführt. Aber es fällt schwer, die neuen Realitäten anzuerkennen. Gestern noch war die Bank die Elitetruppe der Deutschland AG, ausgestattet mit der Extraportion Selbstbewusstsein; heute ist sie ein Sanierungsfall, der bei der Konkurrenz nicht einmal mehr Schadenfreude, sondern nur noch Mitleid erregt. Und mit seiner knochentrockenen Fehlerdiagnose macht Cryan die Umstellung nicht gerade leichter. Dabei hatte die Beziehung zwischen dem neuen Chef und seinen Bankern so verheißungsvoll begonnen.
Wie Cryans Spitzname vermuten lässt, wirkt der öffentlichkeitsscheue Brite meist blass, müde und etwas missmutig. Das hat das Gros der Deutsch-Banker aber nicht daran gehindert, den neuen Chef erst einmal ins Herz zu schließen, als er im Sommer den glücklosen Anshu Jain an der Spitze ablöste. Dass Cryan Klartext redete, kam gut an. „Endlich keine hochfliegenden Versprechungen mehr, von denen eh jeder ahnte, dass sie sich nie erfüllen würden“, erzählt eine Bankerin. Der krasse Widerspruch zwischen Jains Mantra, die Bank unter die Top fünf der Welt zu führen, und der immer tristeren Realität, hatte für Apathie und Frust gesorgt.
Da wirkte einer wie Cryan beinahe schon erfrischend, auch wenn klar war, dass sein Reformkurs Opfer kosten wird. 9000 Arbeitsplätze sollen wegfallen, 4000 davon in Deutschland. Die Postbank wird abgespalten, und bis Ende 2017 schließt die Bank etwa 200 der 700 eigenen Filialen. Auch im einst fast sakrosankten Investmentbanking will Cryan schmerzliche Schnitte setzen. Aber mit diesen Qualen hatte die Belegschaft gerechnet. Und trotzdem droht die Stimmung zu kippen. Denn viele fürchten, dass Cryans Dauerkritik zur sich selbst erfüllenden Prophezeiung mutiert – dass er die Bank schlechtredet und Kunden verprellt.
Ohne Boni keine guten Investment-Banker
Der Tag, an dem das Fremdeln zwischen Boss und Belegschaft beginnt, lässt sich genau bestimmen, es ist der 23. November 2015. Durch eine Seitentür schleicht sich Cryan an diesem Montagnachmittag auf seinen Platz in der ersten Reihe des Auditoriums der Frankfurter Goethe-Universität und wartet geduldig, bis er an der Reihe ist. Was er auf der Bühne zu sagen hat, ist dann aber alles andere als unauffällig. Auch sieben Jahre nach der Finanzkrise hätten die Banken das Thema Gier nicht im Griff, diagnostiziert Cryan, und: „Ich glaube, dass die Leute im Bankensektor zu viel Geld verdienen.“ Mit diesen Worten schafft es der neue Chef, fast die gesamte Bank gegen sich aufzubringen, vom kleinen Frankfurter Buchhalter bis zum Londoner Investmentbanker.
Ein paar Tage nach Cryans Auftritt bringt die Gewerkschaft Verdi ein Flugblatt in Umlauf, auf dem sie kampfeslustig fragt: „Mehr Gewinn durch geringere Gehälter für normale Angestellte – ist das der Kulturwandel in der Bankbranche?“ Andere Arbeitnehmervertreter klagen, dass Cryans Bescheidenheitsrhetorik auf die Motivation schlage: „Die meisten Mitarbeiter legen sich trotz der äußeren Umstände voll ins Zeug, um die Bank wieder nach vorn zu bringen, und dann bekommen sie zu hören, dass sie zu viel verdienen“, schimpft Stephan Szukalski, Vorsitzender der Gewerkschaft DBV. „Das schlägt ganz deutlich auf die Bereitschaft, die berühmte Extra-Meile zu gehen.“
Im Investmentbanking, wo traditionell die höchsten Boni gezahlt werden, ist der Unmut besonders groß. Nicht nur wegen des Konzernumbaus würden viele Manager der mittleren Führungsebene gehen, sondern auch wegen der trüben Boni-Aussichten. In der Bank geht die Furcht um, dass Cryan den Prämientopf um bis zu 30 Prozent zusammenstreichen könnte. „Viele Kündigungen und eine niedrigere Motivation bei denen, die bleiben – da ist es doch kein Wunder, dass unsere Erträge im Investmentbanking einbrechen“, meint ein Banker. Tatsächlich schwächelt das Geldhaus im Tagesgeschäft. Selbst ohne die hohen Abschreibungen für neue Rechtsrisiken und den Konzernumbau hat die Bank im vierten Quartal offenbar rote Zahlen geschrieben, vor allem wegen der anhaltenden Flaute im Investmentbanking.
Cryans Suppe schmeckt nicht jedem
Aber nicht nur im mittleren Management, auch weiter oben rumort es. Cryan und sein Chefaufseher Paul Achleitner haben im Vorstand und in der zweiten Führungsebene kräftig aufgeräumt. Alte Vertraute von Jain mussten gehen. Der neue Chef hat seine eigene Mannschaft an Bord geholt, und die hat neue Vorstellungen, wie die Bank in Zukunft geführt werden soll. Manager, die bis vor kurzem noch als Hoffnungsträger galten, sind jetzt entbehrlich.
Nach nur 20 Monaten verließ Karl-Georg Altenburg die Bank wieder. Der Ex-Deutschlandchef von JP Morgan sollte die Frankfurter auf dem Heimatmarkt im Investmentbanking voranbringen, doch die Einnahmen brachen 2015 um ein Drittel ein. Erst vor wenigen Tagen wurde bekannt, dass auch James Dilworth geht, einer der Topmanager im Asset-Management. Den Amerikaner hatte die Deutsche Bank erst Anfang 2015 bei Allianz Global Investors abgeworben.
„John Cryan hat den schwersten Job überhaupt“, meint der Chef einer anderen Großbank, und auch ein Londoner Deutsch-Banker räumt ein, dass man nicht erwarten dürfe, dass der neue Chef „innerhalb weniger Monate das korrigieren kann, was viele Jahre schieflief“. Aber genau wie Analysten und Investoren wollen die Mitarbeiter allmählich nicht nur wissen, wo die Deutsche Bank überall sparen will. Sie wollen auch wissen, wie die Bank in Zukunft ihr Geld verdienen will und wie sie nach dem Großumbau aussehen soll. Stattdessen konstatieren Londoner Banker eine „Lähmung“: Entscheidungen würden verzögert, Dinge ausgesessen, weil noch nicht in alle Ebenen vorgedrungen sei, wie sich Cryan künftig die Dinge vorstellt.
Rund 40 Prozent hat die Aktie der Bank seit Cryans Amtsantritt verloren, allein seit Jahresbeginn steht ein Minus von knapp 20 Prozent zu Buche. Fast sieht es so aus, als könne es die Bank und ihr neuer Chef im Moment niemandem recht machen. Aber das stimmt nicht, zumindest die Party in Davos war ein Erfolg. Besser gegessen habe man nirgends während der Tage des Weltwirtschaftsgipfels, lobt einer der Gäste.