Fusion Deutsche Börse und LSE Synergien mit Mehrwert

Liquiditätsbrücke nach London schlagen.
Bloß kein Deutscher an der Spitze unserer Börse, heißt es in London. Bloß keine Verlegung des Sitzes unserer Börse nach London, heißt es in Frankfurt. Was auch immer „unser“ in diesem Kontext heißen soll – die Eigentümer dieser Börsen sind weltweit und nicht nur in London und Frankfurt beheimatet –, so sagt diese Haltung einiges aus über die gegenwärtigen Einstellungen zur weiteren wirtschaftlichen Integration Europas.
Die Bemühungen um eine Vertiefung des Binnenmarkts und vor allem zur Schaffung einer Kapitalmarktunion mögen noch so groß sein, sie scheitern allzu häufig an nationalen Vorbehalten.
Worum geht es in diesem Fall? Zunächst um die legitimen Absichten zweier Unternehmen, der Deutschen Börse und der London Stock Exchange, miteinander zu fusionieren und damit ihre Position im globalen Wettbewerb zu stärken.

Der Autor ist Präsident an der ESMT European School of Management and Technology
Betriebswirtschaftlich wird der Sinn dieser Fusion kaum angezweifelt. Kosten können gespart werden, gerade bei den erheblichen Investitionen in die Infrastruktur eines Technologieanbieters wie einer Börse, deren physischer Handelsraum nur noch als nostalgische Erinnerung an vergangene Zeiten und Kulisse für Fernsehübertragungen dient. Zusätzliche Erträge können erzielt werden, insbesondere bei einem sich gut ergänzenden Produktportfolio beider Börsen.
Fragen für die Wettbewerbsbehörden
Die möglichen Synergien werden auf einen mittleren dreistelligen Millionenbetrag pro Jahr beziffert und als so glaubwürdig angesehen, dass die Aktien beider Unternehmen von der Ankündigung der Fusion unmittelbar profitierten, sehr zur Freude der jeweiligen Eigentümer.
Nun darf die Fusionsabsicht der beiden Börsen nicht nur betriebswirtschaftlich betrachtet werden. Zunächst stellen sich Fragen für die Wettbewerbsbehörden, wie in jeder Transaktion dieser Art. Diese müssen ernsthaft geprüft werden.
Noch wichtiger ist aber die Tatsache, dass eine Börse eine große volkswirtschaftliche Bedeutung aufweist und daher zu Recht einer besonderen Regulierung unterliegt. Sie ist der wesentliche Marktplatz, um Angebot an und Nachfrage nach Kapital zusammenzuführen.
Je leistungsfähiger eine Börse ist, desto besser gelingt ihr diese Aufgabe und desto stärker profitieren davon ihre Kunden, vor allem Anleger und Unternehmen. Für beide Gruppen spielt die Verfügbarkeit von Kapital und Liquidität auf dem Marktplatz eine zentrale Rolle. Für Anleger ist wesentlich, wie schnell sie zu welchem Preis eine bestimmte Menge an Wertpapieren kaufen oder verkaufen können.
Liquiditätsbrücke zwischen London und Frankfurt
Für Unternehmen stellt sich die Frage, wie einfach der Zugang zu frischem Kapital und damit zur Basis neuer Investitionen für sie ist. Wie Untersuchungen zeigen, führen liquide Märkte dazu, dass sich die Kapitalkosten für Unternehmen verringern und ihre Bewertungen steigen. Davon profitieren wiederum die Anleger.
Was bedeutet das für das Fusionsvorhaben zwischen Frankfurt und London? Die bisherigen Informationen zu den Plänen besagen, dass eine sogenannte Liquiditätsbrücke zwischen London und Frankfurt geschlagen werden soll. Wie diese im Einzelnen ausgestaltet werden soll, wird man in der nächsten Zeit sehen. Bei guter Umsetzung wäre sie eine große Chance für den deutschen Kapitalmarkt.
Wie lange hat man zu Recht die Klagen gehört, dass dieser im Vergleich zu anderen Ländern unterentwickelt sei und eine Start-up-Szene wie im Silicon Valley sich daher in Deutschland nicht etablieren könne. Es fehle an Exit-Möglichkeiten für Investoren durch attraktive Börsenemissionen, die wiederum Anleger dazu bringen könnten, ihr Interesse am Aktienerwerb zu steigern.
Die Standortfrage
Eine solche Liquiditätsbrücke und damit der Zugang zum ungleich liquideren Londoner Aktienmarkt könnten alle diese Nachteile beheben, ohne dass andere seit längerem geforderte Reformen, wie eine größere Kapitaldeckung in der Altersvorsorge, angegangen werden müssten.
So wichtig Standortfragen in einer immer stärker integrierten und globalisierten Wirtschaft auch heute noch sind und so sehr man sie daher sorgfältig prüfen sollte, so wenig sollte man sie als alleiniges Kriterium betrachten. Denn es ist nicht so, dass der Gewinn des einen notwendigerweise dem Verlust des anderen Standorts entspricht. Vielmehr könnten beide Standorte profitieren und am Ende London und Frankfurt besser dastehen als heute.