Geldhaus Viel Arbeit für den neuen Chefaufseher: Das sind die größten Baustellen der Commerzbank

Die neue Strategie des Kreditinstituts verzögert sich weiter, weil zunächst ein neuer Chef gefunden werden muss.
Frankfurt Einen neuen Aufsichtsratschef hat die Commerzbank mit dem früheren LBBW-Chef Hans-Jörg Vetter mittlerweile gefunden, doch die neue Strategie des Instituts lässt weiter auf sich warten. Denn die soll es erst geben, wenn die Bank auch noch die Nachfolge des scheidenden Vorstandschefs Martin Zielke geregelt hat.
Wie lange sich dieser Prozess noch hinziehen könnte, ließ die Finanzchefin des Instituts, Bettina Orlopp, bei Vorlage der Zahlen für das zweite Quartal am Mittwoch offen. „Wir haben große Fortschritte bei der Überarbeitung der Strategie gemacht“, beschied sie in einer Telefonkonferenz mit Analysten kurz und knapp. Worin diese Fortschritte bestehen, sagte die Managerin nicht.
Finanzkreisen zufolge sehen die nachgeschärften Pläne bisher den Abbau von 10.000 Stellen und die Schließung der Hälfte der Filialen vor, um die Rendite auf das materielle Eigenkapital mittelfristig auf sieben Prozent zu heben.
Die Zeit drängt. „Zeitverzögerungen kann sich das Institut nicht mehr erlauben. Daher wäre es gut, wenn die Personalentscheidungen zügig getroffen werden“, sagt etwa Andreas Thomae, Portfoliomanager des Sparkassenfondsdienstleisters Deka. „Die Konkurrenten der Commerzbank schlafen nicht.“
Seit Dienstag ist der neue Aufsichtsratschef auch gerichtlich bestellt. Vetter ist für seine Sanierungsarbeiten bei der Bankgesellschaft Berlin und der Landesbank Baden-Württemberg bekannt geworden. Sein Profil dürfte Programm sein, denn auf Vetter und den neuen Vorstandschef oder -chefin kommen harte Umbauarbeiten zu.
Rote Zahlen im Gesamtjahr
Die Probleme der Commerzbank lassen sich auch an den Zahlen der Bank für die Monate April bis Juni ablesen, auch wenn diese mit einem Nettogewinn von 220 Millionen Euro sehr viel besser ausfielen als von Analysten erwartet. Die Finanzprofis hatten lediglich mit einem Ergebnis von 95 Millionen Euro gerechnet.
Doch trotz dieses Erfolgs verraten die Details der Zahlen einiges darüber, wo sich die Bank verbessern muss. Zumal der scheidende Vorstandschef Martin Zielke im Gesamtjahr mit Verlusten rechnet. Das liegt nicht zuletzt an der höheren Risikovorsorge, die nach Einschätzung der Bank im Gesamtjahr bei 1,3 Milliarden bis 1,5 Milliarden Euro liegen dürfte.
Allein im ersten Halbjahr legte die Bank für faule Kredite 795 Millionen Euro zurück. Dafür ist neben den Folgen der Corona-Pandemie auf das Kreditgeschäft dem Vernehmen nach auch ein geplatzter Kredit an den insolventen Zahlungsdienstleister Wirecard verantwortlich, der mit 175 Millionen Euro zu Buche schlug.
Im Gesamtjahr rechnet die Commerzbank nun mit Belastungen aus faulen Krediten von 1,3 Milliarden bis 1,5 Milliarden Euro. Einige Analysten zeigten sich am Mittwoch skeptisch, ob das genügen wird. Denn bislang hat die Bank zu rund 80 Prozent Reserven für bereits geplatzte Kreditengagements gebildet und damit relativ wenig Spielraum für böse Überraschungen gelassen.
Doch die Probleme des Instituts reichen tiefer. Die Bank hatte unter Zielkes Führung zu lange darauf gesetzt, durch einen strammen Expansionskurs in ein überdimensioniertes Kostenkorsett hineinzuwachsen. Das hat auch deshalb nicht funktioniert, weil die von Zielke ersehnte Zinswende nie eintrat. Bis heute findet sich in den Ergebnispräsentationen ein Chart, das zeigt, wie segensreich sich steigende Zinsen auf die Gewinn-und-Verlust-Rechnung auswirken würden.
Nun muss die Bank auf folgenden Baustellen schnellstmöglich Fortschritte erzielen.
Führungsfragen lösen
Die drängendste Baustelle ist die Regelung der Zielke-Nachfolge. Schon jetzt hat die ausstehende Personalentscheidung Auswirkungen auf den Sanierungsprozess. Trotz aller interner Vorarbeiten wird die neue Strategie erst beschlossen, wenn klar ist, wer die Bank künftig führen wird.
Doch erst mit einem neuen Vorstandschef kann die Bank in Verhandlungen mit ihren Arbeitnehmern treten, um über den im Raum stehenden massiven Stellenabbau zu verhandeln.
Deshalb geht Finanzchefin Orlopp davon aus, dass sie in diesem Jahr nur Restrukturierungskosten in Höhe von 200 Millionen Euro verbuchen kann, die aus älteren Sparpaketen stammen. In diesem Jahr wird es abgesehen davon nur Freiwilligenprogramme für einen Abschied geben.
Das bringt Aufsichtsratschef Vetter in eine Zwickmühle. Die bisher eher zögerlichen Sanierungsmaßnahmen der Bank gelten einigen Kritikern des Instituts als Argument dafür, dass Vetter neben den internen auch externe Kandidaten unter die Lupe nehmen sollte. Das würde einen Findungsprozess allerdings eher noch weiter in die Länge ziehen, insbesondere wenn ein Kandidat von außen an Kündigungsfristen gebunden ist und sich erst einarbeiten müsste.
Der Zeitdruck spricht daher eher für eine interne Nachfolgeregelung. Als Favoriten gelten dabei Finanzchefin Orlopp sowie Roland Boekhout, der seit diesem Jahr die Firmenkundensparte leitet.
Die Firmenkundensparte ist die größte Baustelle
Einst war die Mittelstandsbank die mit Abstand größte Gewinnmaschine der Commerzbank, gefolgt vom Investmentbanking. Nach seinem Amtsantritt fusionierte Zielke 2016 beide Sparten. Durch die engere Verzahnung der Bereiche wollte die Commerzbank ihre Erträge bis Ende 2020 um über 300 Millionen Euro steigern.
So viel zu den Plänen. In der Realität trat das Gegenteil ein. Die Erträge brachen zwischen dem Jahr 2016 und dem Jahr 2019 um 27 Prozent ein, der operative Gewinn sackte um drei Viertel ab auf 328 Millionen Euro.
Der Rückzug der Commerzbank aus etlichen Feldern wie etwa dem Aktienzertifikategeschäft, Teilen des Handelsgeschäfts sowie Einschnitte im Korrespondenzbanken-Netz haben dazu beigetragen. Insider taxieren die dadurch wegfallenden Einnahmen auf einen hohen dreistelligen Millionenbetrag.
Allerdings sind im gleichen Zeitraum auch die Provisionseinnahmen um acht Prozent gesunken, trotz der engeren Verzahnung des Investmentbankings mit dem Firmenkundengeschäft. Im ersten Halbjahr 2020 ist die Sparte nun sogar in die roten Zahlen gerutscht, nicht zuletzt wegen der höheren Risikovorsorge.
Lohnt sich das Großkundengeschäft?
Kein Wunder, dass sich die Kritik der Investoren mittlerweile auf das einstige Herzstück der Commerzbank konzentriert. „Das größte Problem der Commerzbank ist nicht das Privatkunden-, sondern das Firmenkundengeschäft. Es bindet ungeheuer viel Eigenkapital, ohne die entsprechende Rendite zu bringen“, sagt Alexandra Annecke, Fondsmanagerin bei Union Investment. „Wer immer in der Bank künftig das Sagen hat, muss das Firmenkundengeschäft sauber und ohne Tabus auf den Prüfstand stellen“, fordert sie.
Zu diesem Schluss kommt auch eine Analyse der US-Großbank Morgan Stanley. Die Sparte stehe für mehr als die Hälfte der konzernweiten risikogewichteten Vermögenswerte und binde damit mehr als die Hälfte des Eigenkapitals, trage aber nur ein Drittel der Profite bei. Das sei der Hauptgrund für die niedrige Profitabilität. Gemessen am nötigen Kapitaleinsatz ist das Mittelstandsgeschäft der Sparte dem internationalen und dem institutionellen Geschäft haushoch überlegen, analysieren die Experten.
„Im Mittelstand ist die Bank sehr gut positioniert, da versorgt sie ihre Kunden mit vielen Dienstleistungen, und sie ist profitabel“, sagt Andreas Thomae, Fondsmanager bei Deka Investments. Im Großkundenbereich müsse man aber neben Krediten sehr viel Zusatzgeschäft hereinholen, damit sich das wirklich lohne. „Und da tut sich die Commerzbank schwer.“
Der Geschäftsführer des Center for Financial Studies, Volker Brühl, rät dem Institut deshalb, sich aus dem Geschäft mit Großkonzernen zurückzuziehen und das dadurch frei werdende Kapital in das profitablere Mittelstandsgeschäft zu investieren.
Es ist allerdings unklar, ob das die Probleme der Sparte lösen würde. Die IT-Systeme in der Kapitalmarktsparte, die den Mittelstand versorgt, seien die gleichen, mit denen die großen Firmenkunden versorgt würden, heißt es in Finanzkreisen. Gebe man dieses Geschäft auf, würden die Erträge aus diesem Geschäften verschwinden, das Gros der Fixkosten aber bleiben.
Wie um die Kritiker Lügen zu strafen, entwickelten sich die Bruttoerträge im internationalen Firmenkundengeschäft ausgerechnet im zweiten Quartal recht gut. Im Geschäft mit Anleiheemissionen erlebte die Bank das stärkste Quartalsresultat der letzten fünf Jahre. Das internationale Großkundengeschäft profitierte außerdem von einer hohen Kreditnachfrage.
Am Grundproblem ändert das nichts. Orlopp geht nicht davon aus, dass sich mit Bond-Emissionen in den nächsten Quartalen weiterhin so gut verdienen lässt. Und auch die Margen bei Firmenkrediten haben sich nicht wirklich verbessert.
Die Bank bemüht sich, seit einiger Zeit gegenzusteuern. Unter Spartenchef Boekhout achtet das Institut genauer darauf, dass sich eine Kundenbeziehung für sie rechnet. So führt das Institut verstärkt Negativzinsen für die Einlagen von Unternehmen ein, vor allem wenn diese Firmen wenig Zusatzgeschäft bei der Commerzbank abschließen. Die Negativzinsen tragen mittlerweile mit rund 100 Millionen Euro im Jahr zu den Erträgen der Sparte bei.
Privatkundensparte verliert ihren Glanz
Seine anfänglichen Erfolge beim Umbau der Privatkundensparte waren der Grund dafür, dass Martin Zielke 2016 das Rennen um die Nachfolge von Martin Blessing machte. Zielke hatte auf Präsenz durch viele Filialen gesetzt. Denn mit Filialkunden verdient die Bank nach zwei Jahren 300 Euro, mit Onlinekunden nur rund 100 Euro. Damals teilte die Bank kräftig gegen die Konkurrenz aus, die ihr Zweigstellennetz zu dieser Zeit bereits kräftig zurechtstutzte.
2015 strahlte das Institut noch einen Spot aus, in dem ein Kundenberater der Konkurrenz ungerührt eine Kundin berät, während Möbelpacker die Filiale ausräumen und der Kundin zuletzt den Stuhl unter dem Gesäß wegziehen. „Immer mehr Banken schließen Filialen. Aber wir bleiben an Ihrer Seite“, so die Botschaft damals.
Mittlerweile zeigt sich immer deutlicher, dass sich das nicht gerechnet hat. Das Gros der Neukunden stammt mittlerweile von der Onlinetochter Comdirect. Von den rund 103.000 Neukunden im zweiten Quartal eröffneten 75 Prozent ihr Konto über das Internet.
Noch steht die Privatkundensparte mit einer Eigenkapitalrendite von 9,2 Prozent besser da als das Firmenkundengeschäft. „Angesichts des geringen Kapitalbedarfs in diesem Geschäft sollte die Profitabilität höher liegen“, moniert Fondsmanager Thomae.
Das gilt umso mehr, als große Teile der Gewinne gar nicht unter der Marke Commerzbank erwirtschaftet werden: Die Comdirect und die polnische Tochter mBank steuerten im ersten Halbjahr ein Drittel der Erträge und sogar drei Viertel der operativen Gewinne der Sparte bei.
Allein die Comdirect erzielte im ersten Halbjahr einen Vorsteuergewinn von 146 Millionen Euro. Ohne ihre beiden Töchter hätte die Privatkundensparte in der ersten Jahreshälfte gerade einmal 4,1 Prozent Rendite erzielt.
Kein Wunder, dass Fondsmanager Thomae fordert, dass die Commerzbank die Integration ihrer Onlinetochter Comdirect dazu nutzt, um ihre Prozesse noch stärker zu digitalisieren und die Produktpalette noch mehr zu standardisieren.
Mehr Tempo bei der Umsetzung nötig
Investoren fordern mittlerweile ein höheres Tempo für die Lösung der Probleme. Nach den im April 2019 geplatzten Fusionsgesprächen zwischen Deutscher Bank und Commerzbank legte die Deutsche Bank bereits im Juli einen Plan B vor. Die Commerzbank ließ sich dafür bis Ende September Zeit. Ihre erste Reaktion, den Plan Commerzbank 5.0, fiel bei Investoren dann auch noch glatt durch.
„Die Commerzbank hat auf dringenden Reformbedarf zu langsam reagiert. Bis die Commerzbank auf das absehbare Verfehlen ihrer alten Ziele das Programm Commerzbank 5.0 vorgelegt hat, ist fast ein Jahr vergangen – und dann kam nur ein Ziel von vier Prozent auf das materielle Eigenkapital im Jahr 2023 heraus“, moniert Union-Investment-Fondsmanagerin Annecke. Diesen mangelnden Ehrgeiz hatten im vergangenen Dezember auch die europäischen Bankenaufseher in ungewöhnlicher Deutlichkeit kritisiert.
Annecke wird sich noch gedulden müssen, bis Aufsichtsratschef Vetter seine Wahl getroffen hat. Eine zeitnahe Entscheidung über die Zielke-Nachfolge und damit über die neue Strategie ist auch noch aus einem anderen Grund wichtig: „Die Situation für die Mitarbeiter ist sicher lähmend und demotivierend. Die Commerzbank muss schnell Klarheit über ihre Restrukturierungspläne schaffen, um zu verhindern, dass das Geschäft weiter leidet“, mahnt die Fondsmanagerin.
Mehr: Wie es zum Eklat um Cerberus und die Commerzbank kam, lesen Sie hier.
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