Handelsblatt-Serie: Alternativen zum Kredit Wie Lieferkettenfinanzierung zur Stütze für die eigenen Zulieferer werden kann

Lieferanten müssen häufig 90 Tage und länger warten, bis eine Rechnung beglichen wird. Supply Chain Finance sorgt dafür, dass das schneller geht.
Frankfurt Als Norbert Broger im Januar 2020 als Finanzchef der Krones AG antrat, richtete er seinen Blick schnell auf die Frage, ob der Hersteller von Verpackungs- und Abfülltechnik seinen Lieferanten günstige Zwischenfinanzierungen anbietet. Denn in seinem alten Job hatte der Manager Bekanntschaft mit einem Finanzinstrument gemacht, das in der Coronakrise einen regelrechten Boom erlebt.
Gemeint ist die Lieferkettenfinanzierung, meist Supply Chain Finance genannt. Das Konzept funktioniert ähnlich wie Factoring – nur umgekehrt. Beim Factoring verkauft ein Lieferant seine Rechnungen gegen einen Abschlag an eine Bank oder einen anderen Forderungsankäufer.
Bei der Lieferkettenfinanzierung organisiert der Ankäufer eine Zwischenfinanzierung: Dazu kann er eine technische Plattform aufsetzen, in die er alle von ihm akzeptierten Rechnungen zügig einstellt. Sein Zulieferer kann das ihm zustehende Geld dann jederzeit gegen einen Abschlag abrufen, schon bevor die Zahlungsfrist erreicht ist, die oft 90 Tage oder länger in der Zukunft liegt. Das funktioniert, weil eine Bank oder ein anderer Geldgeber einspringt und die Rechnung begleicht.
Der Kunde des Lieferanten bezahlt die Rechnung erst zu Ende der Zahlungsfrist an den Zwischenfinanzierer. „Der Vorteil für das Unternehmen ist also, dass es seine Rechnungen später bezahlen kann, ohne seine Zulieferer in irgendeiner Form in Gefahr zu bringen“, erklärt Michael Dietz, Leiter der Handelsfinanzierung der Deutschen Bank.
Längere Zahlungsziele sind möglich
Broger spricht von einer Win-win-Situation: „Die Lieferanten können zu günstigen Konditionen früher an ihr Geld kommen. Und die Käufer können häufig längere Zahlungsziele vereinbaren, was wiederum deren Liquidität schont“, sagt er. „Bei unserem Bestreben, deutlich längere Zahlungsziele mit unseren Lieferanten zu vereinbaren, kann dieses Instrument somit sehr hilfreich sein.“ Der Krones-Finanzchef schätzt das Finanzinstrument, weil er so das Working Capital, also das durch den Betrieb kurzfristig gebundene Kapital, reduzieren kann.
Dass die Konditionen für die Zulieferer trotz des Abschlags oft attraktiv sind, hat mehrere Gründe: „Aus Sicht des Lieferanten ist das eine Zwischenfinanzierung, die weder auf seine Bonität abstellt oder zusätzliche Sicherheiten fordert, noch seine eigenen Kreditlinien belastet“, erklärt der Leiter Treasury von Krones, Willibald Benz. „Außerdem sind die Konditionen für den Lieferanten in der Regel attraktiv, da sie auf der meist besseren Kreditwürdigkeit seines Kunden basieren.“ Denn da die Banken das Geld im Auftrag des Ankäufers vorstrecken, orientieren sich die Finanzierungskonditionen an ihm.
Bei Krones gab es schon vor Ausbruch der Corona-Pandemie Pläne, eine Plattform für Supply Chain Finance (SCF) aufzusetzen. „Die Coronakrise hat diesem Instrument noch einmal einen Schub gegeben“, sagt Benz. „Themen wie Liquidität und Stabilität in der Lieferkette gewinnen in Krisenzeiten an Bedeutung. Die Pandemie ist gerade für kleinere und mittlere Lieferanten herausfordernd“, sagt er. Für größere Unternehmen sei es meist leichter, zusätzliche Liquiditätsbedarfe zu decken.
Der Markt wächst rasant
Krones liegt mit der Entscheidung im Trend. „Der Markt wächst derzeit stark, vor allem seit Beginn der Coronakrise“, beobachtet Deutsche-Bank-Manager Dietz. Dem World Supply Chain Finance Report 2021 zufolge ist das Volumen solcher Finanzierungen im Pandemiejahr 2020 um rund ein Drittel auf global 1,3 Billionen US-Dollar gewachsen.
„Dieses Finanzinstrument funktioniert für so gut wie alle klassischen Branchen, in denen Zahlungsziele und Lieferantenbeziehungen eine wichtige Rolle spielen, etwa in der Automobilbranche, der Nahrungsmittelbranche oder der Schwerindustrie“, sagt Finanzierungsexperte Dietz. Auch die Pharmabranche beschäftige sich mit dem Thema. „In all diesen Branchen wird die Lieferantenfinanzierung künftig eine größere Rolle spielen.“
Die Einführung so eines Programms ist für eine Bank erst einmal aufwendig, denn sie muss jeden beteiligten Zulieferer überprüfen. „Dadurch wird dann aber sichergestellt, dass eine echte Kundenbeziehung besteht, und es wird ausgeschlossen, dass es sich um eine Briefkastenfirma handelt oder dass ein Unternehmen von Sanktionen betroffen ist“, erklärt Dietz.
Die richtige Auswahl an Lieferanten treffen
Es ist aber auch gar nicht sinnvoll, jeden Lieferanten in so ein Programm aufzunehmen. Das relevante Einkaufsvolumen von Krones etwa liegt bei rund 1,4 Milliarden Euro im Jahr, die sich auf 2400 Lieferanten verteilen. Davon entfallen aber rund 1,2 Milliarden Euro auf nur 460 Zulieferer. „Wir konzentrieren uns in unseren Gesprächen über eine mögliche Lieferkettenfinanzierung auf die rund 400 Lieferanten, mit denen wir 80 bis 90 Prozent unseres relevanten Einkaufsvolumens abwickeln“, sagt CFO Broger. Der Aufwand für alle Beteiligten lohne sich nur, wenn ein gewisses Einkaufsvolumen hinter der Geschäftsbeziehung stehe.
SCF-Angebote haben die meisten größeren Banken im Programm – und nicht nur sie: „Nach der Finanzkrise sind die ersten Supply-Chain-Finance-Fintechs in den USA entstanden, wo dieses Thema bereits eine größere Rolle spielt“, sagt Jochen Siegert, der bei der Deutschen Bank den Bereich „Asset Platforms“ verantwortet. Die Fintechs (Finanz-Start-ups) hätten stark auf gute technologische Systeme und automatisierte Prozesse gesetzt.
Häufig werben diese jungen Firmen damit, dass sie eine Alternative zu Banken sind. „Ab einer gewissen Größenordnung benötigen Anbieter dann aber selbst zusätzliche Liquidität, etwa über Kooperationen mit Banken oder Fonds“, sagt Siegert. Und die Fintechs seien dabei darauf angewiesen, dass ihre Liquiditätsanbieter verlässlich seien.
Siegert stammt selbst aus der Welt der Finanz-Start-ups: Bevor er zur Deutschen Bank kam, war er Finanzchef des Fintechs Traxpay, an dem die Deutsche Bank beteiligt ist. Neben Traxpay sind auch Taulia oder C2FO in diesem Markt aktiv. Vor allem Taulia ist mit einer anderen SCF-Spielart groß geworden, dem sogenannten Dynamic Discounting: Dabei setzen Unternehmen eigenes Cash ein, um ihre Rechnung früher zu begleichen, als sie laut Zahlungsziel müssten. Sie profitieren dann von einem Rabatt auf den Rechnungsbetrag, der umso höher ausfällt, je eher das Unternehmen zahlt.

Die Krones AG bietet vielen ihrer wichtigsten Lieferanten eine attraktive Form der Zwischenfinanzierung an.
Verschiedene Finanzierer gibt es also viele. „Die Preisgestaltung der einzelnen Anbieter ist allerdings sehr unterschiedlich und daher schwer vergleichbar“, sagt Krones-Manager Broger. „Für uns war unter anderem wichtig, dass wir Supply Chain Finance unseren Lieferanten international, also in möglichst vielen Ländern, anbieten können, weil wir in über 150 Ländern aktiv sind.“ Krones entschied sich für die Deutsche Bank.
Schärfere Vorschriften nach Greensill?
Normalerweise ist die Lieferkettenfinanzierung ein konservatives Geschäft. Umso größer war der Schock angesichts der Pleite des Fintechs Greensill, die für Aufregung in der Branche sorgte. Greensill hatte allerdings nicht nur existente Rechnungen zwischenfinanziert, sondern auch künftige Forderungen, die nur prognostiziert waren.
Es ist absehbar, dass sich nun die Regulierung verschärfen wird. „Es gab schon vor dem Fall Greensill erste Anzeichen dafür“, meint Deutschbanker Dietz. Er erwartet, dass künftig strenger geregelt wird, was unter den Begriff der Lieferantenfinanzierung fallen darf. Und er stellt sich darauf ein, dass es auch strengere Vorgaben für die Prüfung aller Teilnehmer an einem solchen Programm geben wird. „Bislang ist es zum Beispiel bei bestimmten Konzepten möglich, einen KYC-Prozess, also die genaue Prüfung der beteiligten Zulieferer, zu vermeiden. Doch wenn eine Partei nicht identifizierbar ist, lässt das viel Raum für Betrug.“
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