Immobilien Banken saugen sich mit Baufinanzierungen voll

Zu den Profiteuren des Immobilienbooms zählen die Banken. Sie haben so viele Baukredite vergeben wie noch nie.
Frankfurt, Erfurt So viele neue Baukredite wie im vergangenen Jahr haben die Banken in Deutschland noch nie vergeben: Auf 263 Milliarden Euro summierten sich die Darlehen der Banken an private Kunden. Damit ist der Baufinanzierungsbestand der Geldhäuser innerhalb von zehn Jahren um 36 Prozent auf 1,3 Billionen Euro angeschwollen, das zeigt eine Analyse der Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsgesellschaft PwC, die dem Handelsblatt exklusiv vorliegt. „Die Bedeutung der privaten Baufinanzierung ist für die deutschen Banken in den vergangenen Jahren relativ und absolut gestiegen“, konstatiert PwC-Partner Tomas Rederer.
Die deutschen Kreditinstitute zählen damit zu den eindeutigen Profiteuren des Immobilienbooms im Land. Wohnimmobilien in Deutschland werden immer teurer. 2019 Jahr stiegen die Preise in den Städten dem Analysearm des Verbands deutscher Pfandbriefbanken (vdp) zufolge um 6,5 Prozent, ein Jahr zuvor waren es gut acht Prozent. Auch die Mietpreise klettern immer höher.
Je mehr Menschen Eigentumswohnungen und Doppelhaushälften kaufen, desto mehr Kredite sind gefragt. Und je teurer die eigenen vier Wände werden, desto größer fällt in der Regel die Kreditsumme aus. Die durchschnittliche Darlehenssumme ist allein zwischen Januar 2019 und Januar 2020 von 239.000 Euro auf 264.000 Euro gestiegen, zeigt eine Untersuchung des Kreditvermittlers Dr. Klein. Anfang 2014 waren es noch 156.000 Euro.
Bankenaufseher beobachten die Immobilien-Bonanza längst mit Skepsis, weil sie langfristig Risiken befürchten. Doch für die Geldhäuser ist sie ein Segen, weil sie im Hier und Jetzt die Ertragslage aufpolstert. Denn der Boom spiegelt sich spürbar in den Erträgen der Geldhäuser wider, obwohl die Gewinnspannen im Vergleich zu Firmen- oder Konsumentenkrediten gering sind.
Die PwC-Analyse, die auf Daten von Bundesbank, Europäischer Zentralbank und Barkow Consulting basiert, kommt zu dem Schluss, dass den Instituten allein 2019 13 Milliarden Euro an Zinsen zuflossen. Die Einnahmen aus Baufinanzierungen machen mittlerweile 15 Prozent der gesamten Zinserträge der deutschen Banken aus.
Damit hat sich ihr Anteil innerhalb von sieben Jahren beinahe verdreifacht. Diese Quote ist eindrucksvoller, als sie scheint, denn die Zinserträge einer Bank speisen sich nicht allein aus Einnahmen von Kreditgeschäften, auch Zinsgewinne aus Wertpapieranlagen zählen dazu.
Baufinanzierungen sind das wichtigste Kreditgeschäft
Längst entfällt auf Baufinanzierungen der Löwenanteil im Kreditgeschäft: Bei etwa 42 Prozent aller deutschen Bankkredite handelt es sich mittlerweile um private Baufinanzierungen. Der Anteil der Unternehmenskredite liegt bei 35 Prozent, wobei diese Zahl auch die Finanzierung von Gewerbeimmobilien enthält. Die tatsächliche Bedeutung der Immobilienfinanzierung für das Kreditgeschäft ist damit eigentlich noch größer.
Den Bankenaufsehern ist der Boom nicht mehr ganz geheuer. Die Bundesbank und die deutsche Finanzaufsicht Bafin kamen bei einem Stresstest unter kleinen und mittelgroßen Banken im vergangenen Jahr zu dem Schluss, dass die Vergabestandards bei Krediten für Wohnimmobilien „in den vergangenen drei Jahren sukzessive weniger konservativ geworden“ sind.
Der Ausschuss für Finanzstabilität, ein Gremium, in dem Vertreter von Bundesfinanzministerium, Bafin und Bundesbank sitzen, verdonnerte die Banken unlängst zu einem Extra-Kapitalpuffer. Das sei vor dem Hintergrund „potenziell überbewerteter Sicherheiten und der damit verbundenen Risiken im Bankensystem“ geschehen, sagte eine Bundesbank-Sprecherin. „Aktuelle Analysen deuten darauf hin, dass die Risiken aus der Wohnimmobilienfinanzierung teilweise zugenommen haben“, sagte sie.
Tatsächlich wird am Markt teils mit harten Bandagen gekämpft. Wer etwa bei der Münchner Hyp einen Baukredit abschließt, der kann sich eine 30-jährige Zinsbindung zum Preis von einer 15-jährigen Zinsbindung sichern. Das ist ein Zugeständnis, das je nach Darlehensbetrag viele Tausend Euro Unterschied machen kann. Denn lange Zinsbindung ist in der Regel deutlich teurer als kurze.
Mehr Kredite mit wenig Eigenkapital
Zum Unbehagen der Aufseher passen auch einige Daten des Baufinanzierungsvermittlers Dr. Klein. Danach finanzieren die Immobilienkäufer einen größeren Anteil des Kaufpreises über Bankkredite als noch vor wenigen Jahren. Aufschluss darüber gibt der sogenannte Beleihungsauslauf. So nennt man das Verhältnis von Kreditsumme zum Beleihungswert, der konservativ ermittelte Wert einer Immobilie, der in der Regel unter dem Kaufpreis liegt. Dieser Beleihungsauslauf stieg zwischen Januar 2014 und Januar 2020 von 77,6 auf 84,5 Prozent.
Der Anteil der Kredite mit besonders hohem Verschuldungsgrad wächst ebenfalls. So lag der Anteil von Krediten mit einem Beleihungsauslauf von 90 Prozent oder mehr Ende 2019 bei rund 40 Prozent aller Darlehen. Anfang 2017 waren es gerade einmal 17 Prozent, das zeigen Daten von Europace, einem Schwesterunternehmen von Dr. Klein, das nach eigenen Angaben auf einen Marktanteil bei Baufinanzierungen von 15 Prozent kommt.
Wie die Entwicklung insgesamt am Markt aussieht, ist allerdings unbekannt. Einen umfassenden Überblick über die Entwicklung der Kreditvergabestandards gibt es laut Bundesbank nicht. „Leider ist die Datenlage in diesem Bereich lückenhaft, weshalb wir die Frage bezüglich der Entwicklung von Beleihungsausläufen und der Verbreitung von 100-Prozent-Finanzierungen nicht zuverlässig beantworten können“, bedauert eine Sprecherin.
Längst nicht jedes Kreditinstitut macht bei solchen Extremen mit. „Auch für uns ist die Baufinanzierung ein wichtiges Geschäft. Wir achten dabei aber genau auf die Risiken“, betont Rainer Mellis, der Vorstandssprecher der Volksbank Düsseldorf Neuss. 100-Prozent-Finanzierungen gebe es bei seiner Bank nicht. „Das halten wir für unverantwortlich. Außerdem achten wir darauf, dass die Baufinanzierung nicht auf Kante genäht ist.“
Mellis erwartet von Kunden, dass sie jederzeit über die Mittel verfügen, um eine Annuität – also Zins und Tilgung – von sechs Prozent jährlich leisten zu können. „Wenn sich eine junge Familie das nicht leisten kann, finanzieren wir auch nicht. Wir haben gegenüber der Bankenaufsicht auch schon nachgewiesen, dass wir uns an diese eigenen Vorgaben auch wirklich halten.“
Auch Fachleute wie Dr.-Klein-Vorstand Michael Neumann betonen, dass Immobiliendarlehen alles in allem nach wie vor solide und mit Bedacht vergeben werden. Dennoch räumt auch Neumann ein: „In Summe ist das Risiko für die Kreditinstitute heute höher als vor vier oder fünf Jahren.“
Wachsende Bedeutung von Vermittlerplattformen
Die Banken selbst sehen die Lage keineswegs dramatisch. Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) bezeichnet die Entwicklung als stabil. „Da Sparkassen sehr verantwortungsvoll in der Kreditvergabe sind, rechnen wir auch nicht mit nennenswert steigenden Risiken in der privaten Baufinanzierung für unsere Institute.“ Die genaue Kenntnis der regionalen Immobilienmärkte helfe bei der Einschätzung, die Bewertungskriterien für die Kreditvergabe würden zudem regelmäßig überprüft.
Besonders groß im Geschäft sind in der Baufinanzierung dabei vor allem die kleinen, regional verankerten Genossenschaftsbanken. Sie haben ihren Marktanteil in der privaten Baufinanzierung ausgebaut – binnen fünf Jahren von 23 auf 25 Prozent. „Diese Entwicklung sehen wir absolut positiv“, sagte ein Sprecher des Bundesverbands deutscher Volks- und Raiffeisenbanken (BVR). Der Verband macht „einen besonders guten Kundenzugang“ dafür verantwortlich.
Doch es gibt auch andere Gründe. Volksbankchef Mellis ist davon überzeugt, dass sich die Genossenschaftsbanken derzeit Marktanteile zurückholen, „nicht zuletzt, weil sie sich auch modernen Methoden öffnen wie etwa dem Vertrieb über Plattformen wie Genopace oder der Interhyp“. Es gibt mittlerweile etliche Volks- und Raiffeisenbanken, die auf Vermittlerplattformen aktiv sind. „Viele Kunden wollen bei der Baufinanzierung verschiedene Angebote vergleichen – und oft genug landen dann selbst Bestandskunden über die Plattformen wieder bei uns“, sagt Mellis.
Genopace ist, grob gesagt, die Basis einer Vermittlerplattform namens Baufinex für Genossenschaftsbanken. Interhyp gehört zur niederländischen Großbank ING, die bekannteste Immobilienplattform in Deutschland richtet sich sowohl an Privatkunden als auch an Vermittler.
Wie stark manche Genossenschaftsbank die Vergabe privater Immobiliendarlehen gesteigert hat, wird auch an der Volksbank in der Ortenau aus Offenburg deutlich. Der Bestand an Baufinanzierungskrediten kletterte Ende 2019 auf gut 1,3 Milliarden Euro, das ist doppelt so viel wie 2014. Laut Vorstandschef Markus Dauber wäre dieses Wachstum ohne die Zusammenarbeit mit Plattformen nicht möglich gewesen. „Wir vergeben bundesweit Baufinanzierungen in Regionen, die wir für zukunftsfähig halten.“
Dabei müssen Banken sich zunächst dafür wappnen, um auf den Plattformen überhaupt mitmischen zu können: „Wenn eine Bank über Plattformen Baukredite vergibt, muss sie erst einmal investieren - unter anderem, um die Standards, die Vermittler verlangen, zu erfüllen und um ihr Risikomanagement aufzurüsten“, sagt Dauber.
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