15 Jahre lang war er das Sprachrohr der genossenschaftlichen Fondsgesellschaft Union Investment, seit 1. April ist er bei der Deka Investment, dem Vermögensverwalter der Sparkassen, als Leiter Nachhaltigkeit & Corporate Governance tätig. Im Interview spricht er über Herausforderungen auf Hauptversammlungen und warum das Thema Nachhaltigkeit nicht mehr weggeht.
Herr Speich, die laufende Saison der Hauptversammlungen ist durch. Was erwartet die Unternehmen bei den Aktionärstreffen 2020?
Ganz klar steht die schwächere Konjunktur im Fokus. Die Gewinnwarnung von BASF war nur ein weiterer Weckruf, dass hier schwierigere Zeiten anbrechen. Wir werden auf den Hauptversammlungen fragen, wie es um die Widerstandsfähigkeit und Agilität der Geschäftsmodelle im Abschwung bestellt ist. Und fast ebenso wichtig ist die Klimadiskussion. Wie steht es um die CO2-Emissionen? Das wird eine zentrale Frage werden.
Wird das Thema Nachhaltigkeit an Bedeutung verlieren, wenn es wieder mehr um die Gewinn-und-Verlust-Rechnung geht?
Nein, ganz bestimmt nicht. Wir werden dafür sorgen, dass es nicht in der Versenkung verschwindet. Nachhaltigkeit ist kein Modethema, sondern ein langfristiger Trend, der bleibt. Dafür sorgt auch die Regulierung mit dem Gesetz zur Anwendung der Aktionärsrechterichtlinie – abgekürzt ARUG II. Da wird in Zukunft Nachhaltigkeit für Investoren quasi zur Pflicht. Und Vergütungsthemen werden wieder stärker diskutiert werden, auch im Zusammenhang mit der Erfüllung von Nachhaltigkeitszielen.
Sind das Lippenbekenntnisse, oder werden Sie nichtnachhaltiges Wirtschaften bestrafen?
Wir sind dabei, Nachhaltigkeit über den gesamten Investmentprozess der Deka zu implementieren. Wenn Unternehmen hier nicht auskunftsfähig sind oder schlecht abschneiden, dann droht die Herabstufung des Anlageurteils oder der Ausschluss aus dem Anlageuniversum. Wir werden Firmen aussortieren. Das kann etwa bei zu hohen CO2-Emissionen passieren.
Wie viele Unternehmen wären heute davon betroffen?
Grob geschätzt erfüllen 20 Prozent der Unternehmen nicht die Anforderungen, wenn ich einen strengen Maßstab nach ESG-Kriterien anlege, also nach Umwelt- und Sozialaspekten, sowie nach den Regeln der guten Unternehmensführung beurteile. Den Chemiekonzern Bayer muss man hier dann sehr kritisch sehen, um mal ein Beispiel zu nennen. Nachhaltigkeit entscheidet heute über den Unternehmenserfolg.
Haben Sie Beispiele zur Hand?
Nehmen Sie nur die Automobilbranche mit VW, BMW und Daimler. Früher war hier das Kurs-Gewinn-Verhältnis (KGV) bei zwölf, heute sehen wir einen Wert von rund sechs. Das zeigt, dass die Investoren unsicher sind, ob die Produkte wegen der CO2-Regulierung in Zukunft noch so nachgefragt werden und die Unternehmen profitabel sind wie in den vergangenen Jahrzehnten.
Auch die Luftfahrtbranche gerät in die Kritik der Klima-Aktivisten.
Ja, und hier fängt es auch damit an, dass die Kunden die Fragen stellen, nicht die Unternehmen. Muss ich noch fliegen, oder nehme ich die Bahn? Das treibt viele um, die Airlines reagieren aber kaum. Je nach Branche brauchen Konzerne mit ihren Investitionszyklen auch einmal fünf oder sieben Jahre Zeit, um sich umzustellen. Aber diese Zeit haben sie nicht mehr.
Diversität, also die kulturelle Vielfalt in den Gremien, ist ebenfalls ein ESG-Thema. Wo stehen wir da?
Die vorgeschriebene Quote von 30 Prozent bei den Frauen haben die meisten Aufsichtsräte erreicht, aber es mangelt am Bewusstsein für Klimarisiken und der Internationalität. Deutschland ist Exportweltmeister, in den Aufsichtsgremien wird das aber nicht reflektiert, da fehlt Know-how aus dem Ausland. Und es fehlt auch Expertise für die Digitalisierung. Siemens hat es in diesem Punkt richtig gemacht und mit Jim Hagemann Snabe, einen IT-Experten, zum AR-Vorsitzenden berufen.
Wenn so viel im Argen liegt, wie oft haben Sie auf den HVs gegen die Vorschläge der Verwaltung gestimmt?
Die Ablehnungsquote liegt bei rund 25 Prozent der Tagesordnungspunkte mit leicht steigender Tendenz. Erfreulich ist, dass die Präsenzen zunehmen. Und man merkt den wachsenden Einfluss der Nachhaltigkeitsteams bei den institutionellen Investoren. Die Aktionärstreffen stehen bei den Medien im Fokus, aber wir treffen uns natürlich unterjährig oft mit Vorständen und Aufsichtsräten, das gerät oft in Vergessenheit.
Helfen Ihnen Stimmrechtsberater wie zum Beispiel ISS? Nehmen Sie deren Dienste auch in Anspruch? Einige Investoren und Vorstände sehen die sehr kritisch.
Wir arbeiten auch mit ISS, aber wir geben die Kriterien vor, nach denen ein Unternehmen auf den Prüfstand kommt. Ein Problem sehe ich nur dann, wenn die Empfehlungen der Aktionärsberater nicht hinterfragt werden. Wir sehen deren Urteile auch als Qualitätscheck für unser eigenes Research, das wir noch ausbauen werden.
Aktivistische Hedgefonds versuchen ebenfalls, ihren Einfluss auf die Vorstände auszuüben. Werden sie zu Verbündeten?
Nein, wir denken langfristig, Hedgefonds eher kurzfristig. Aber es gibt durchaus Übereinstimmungen bei zentralen Themen, zum Beispiel bei der Haltung zu Konglomeraten. Fakt ist, dass die schlanken Geschäftsmodelle an der Börse höher bewertet werden. Siemens hat hier gut reagiert, etwa mit der Ausgliederung der Medizintechnik. Thyssen-Krupp tut sich dagegen schwer.
Und VW hat die Nutzfahrzeuge an die Börse gebracht.
Ja, was aus Aktionärssicht zu begrüßen ist. Die Wolfsburger haben es im zweiten Anlauf durchgezogen, während Daimler hier den organisatorischen Weichenstellungen mit drei Konzerneinheiten noch keine weiteren Taten hat folgen lassen. Und wir haben bei Daimler noch ein weiteres Governance-Thema …
... den Wechsel von Dieter Zetsche in den Aufsichtsrat.
Genau, da plädieren wir für eine zweijährige Abkühlungsphase, damit Herr Zetsche nicht über Entscheidungen aus seiner Zeit als Vorstandschef urteilen muss. Vielleicht braucht man dann an der Spitze des Kontrollgremiums sogar einen Experten für E-Mobilität, der nicht aus der Ära der Verbrennungsmotoren kommt. Übrigens wünschen wir uns andere Kompetenzen auch bei Bayer, wo wir nach wie vor einen Fachmann oder eine Fachfrau für Agrarthemen im Aufsichtsrat vermissen.
In dieser Woche steht die Deutsche Bank mit ihrem radikalen Konzernumbau im Mittelpunkt. Ist die Strategie von Vorstandschef Christian Sewing richtig, und kommt sie zur rechten Zeit?
Es sind die richtigen Entscheidungen zur falschen Zeit. Sie hätten früher kommen müssen. Die Bank wird deshalb nicht untergehen, aber aus Aktionärssicht ist viel Zeit verloren gegangen.
Trägt der Aufsichtsrat eine Mitschuld am jetzigen Zustand der Bank?
Der Aufsichtsrat bestimmt die Strategie mit über die Auswahl der Vorstandschefs. John Cryan war sehr fokussiert auf Zahlen und Kosten, sein Vorgänger Anshu Jain stand für das Investmentbanking. Die Wahl der Vorstände hat immer auch Signalcharakter, wo die Reise hingeht.
Sewing ist jetzt der richtige Mann an der Spitze?
Ja. Er ist der Richtige, um die Veränderungen anzustoßen. Aber die milliardenschweren Kosten für den Umbau gehen gegen das Eigenkapital, weil man ja keine Kapitalerhöhungen macht. Damit wird der Puffer für außerordentliche Belastungen kleiner. Bis 2022 kann viel passieren. Entscheidend wird sein, dass man die Fortschritte in den Quartalszahlen sieht. Wir brauchen Meilensteine.
Der Aktienkurs sinkt weiter, wann wird das für die Bank gefährlich?
Der Markt schaut stark auf die Kreditausfallrisiken, die sich in den CDS-Papieren widerspiegeln. Und man sieht auf die Anleihestruktur der Bank. Anleihen und Aktien sind gerade in der jetzigen Phase stark verknüpft. Der Aktienkurs reflektiert gewisse Enttäuschung und zeigt, dass die Refinanzierung in Zukunft teurer werden könnte.
Ist eigentlich erwiesen, dass aktive Fondsmanager auf den Hauptversammlungen zu einem höheren Aktienkurs führen? Etwa plus zehn Prozent in den kommenden zwölf Monaten?
Nein, so eine direkte Mechanik gibt es nicht. Aber unsere Studie zeigt, dass mit 71 Prozent mehr als die Hälfte der Anleger sich wünscht, dass ihre Fondsgesellschaft bei einer Hauptversammlung für das Thema Corporate Governance aktiv eintritt. Die verantwortungsvolle Unternehmensführung hat einen hohen Stellenwert, gerade auch für die Unternehmensanalyse.
Wie ist die Wertschätzung für Ihre Arbeit bei den Sparkassen, die ja Eigentümer der Dekabank sind?
Ich fühle mich sehr gut aufgenommen. Wir wollen das Thema ESG weiter ausbauen und auf allen Ebenen vorantreiben. Dazu zählen auch die Hauptversammlungen. Daran kann man sehen, dass unsere Arbeit ernst genommen wird.
Herr Speich, vielen Dank für das Interview.
Mehr: Nach einer aktuellen Studie der Deka-Bank finden 71 Prozent der Wertpapierbesitzer die aktive Treuhänderrolle von Fondsgesellschaften wichtig. Sie fordern eine stärkere Einmischung.
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