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Interview mit Henning Bergmann Chef des Derivateverbands: „Wir stehen nicht vor einer Finanzkrise“

Der DDV-Chef spricht über Ausfälle im Zertifikatehandel und warnt vor Panikmache. Die Lage sei heute völlig anders als 2008, sagt Henning Bergmann.
24.03.2020 - 17:33 Uhr Kommentieren
„Für Anleger ist die Situation schwierig, wir sehen Verluste in allen Anlageklassen“, sagt der geschäftsführende Vorstand des Deutschen Derivate Verbands (DDV). „Der Vergleich mit Lehman ist aber nicht passend.“ Quelle: DDV
Henning Bergmann

„Für Anleger ist die Situation schwierig, wir sehen Verluste in allen Anlageklassen“, sagt der geschäftsführende Vorstand des Deutschen Derivate Verbands (DDV). „Der Vergleich mit Lehman ist aber nicht passend.“

(Foto: DDV)

Frankfurt Seit gut einem Jahr steht Henning Bergmann an der Spitze des Deutschen Derivate Verbands (DDV). Und aktuell bläst ihm der Wind heftig ins Gesicht. Die Zertifikatebranche, deren Interessen der DDV vertritt, steht nach einer Reihe von Ausfällen in der Kritik. Und viele Anleger haben im Zuge der Coronakrise hohe Verluste erlitten.

Manche Investoren treibt sogar die Angst um, dass es zu einer Finanzkrise wie 2008 kommen wird. Damals war mit der US-Investmentbank Lehman Brothers ein großer Zertifikate-Emittent pleitegegangen.

Da Banken zuvor auch unerfahrenen Kunden massenhaft Lehman-Zertifikate verkauft hatten, verloren Tausende Deutsche ihrer Ersparnisse. Die „Lehman-Oma“ wurde zum Sinnbild für die Finanzkrise.

Aus Sicht von Bergmann kann man die Situation von 2008 mit der von heute jedoch nicht vergleichen. „Anders als 2008 stehen wir nicht vor einer Finanzkrise, sondern vor einer Situation, in der ein Virus komplette Volkswirtschaften lahmlegt“, sagt der geschäftsführende Vorstand des DDV. „Wir haben keine Insolvenz eines Emittenten, sondern Kursverluste auf breiter Front.“

Zu den Pannen bei einzelnen Anbietern wie UBS und Société Générale will sich Bergmann nicht äußern. Aber er räumt ein, dass die Systeme aller Institute wegen großer Kursschwankungen und hoher Umsätze derzeit stark belastet sind.

Zudem seien im Zertifikatehandel viele Akteure beteiligt: Neben dem Emittenten noch die Börsen, technische Dienstleister sowie die Bank, über die Kunden Zertifikate kaufen und verkaufen. „Wenn es irgendwo in der Kette eine Störung gibt, kann dies beim Kunden zu Problemen führen.“

Von den jüngsten Problemen waren vor allem solche Anleger betroffen, die oft und intensiv an der Börse handeln. „Für die meisten anderen Privatanleger, die Zertifikate beispielsweise in Filialen von Sparkassen und Volksbanken gekauft haben, war das kein Thema“, sagt Bergmann. „Sie halten ihre Papiere üblicherweise bis zum Ende der Laufzeit.“

Lesen Sie hier das komplette Interview:

Herr Bergmann, in den vergangenen Wochen kam es im Zertifikatehandel wiederholt zu Ausfällen. Woran liegt das?
Ich kenne diese Fälle im Einzelnen nicht, kann aber sagen: Wir befinden uns in einer extremen Marktsituation. Die Schwankungen bei Einzelwerten und Indizes sind gewaltig. Zudem sind die Handelsumsätze im außerbörslichen Geschäft und an den Börsen unglaublich hoch. An der Börse Stuttgart gab es an einem normalen Handelstag im Januar 29.000 Trades. Im März waren es an normalen Tagen 51.000 Trades und an Tagen mit besonders hohen Ausschlägen 83.000 Trades. Das führt dazu, dass die Systeme aller Beteiligten stark belastet sind.

Wer ist denn im Einzelnen verantwortlich für die Ausfälle?

Als Verband sind wir vor allem für regulatorische Themen zuständig und beschäftigen uns weniger mit Aspekten der Marktinfrastruktur. Aus dieser Perspektive heraus kann ich daher keine pauschale Antwort geben. Beim Handel mit Hebelprodukten ist eine Reihe von Akteuren involviert: Neben dem Emittenten zählen dazu die Börsen, technische Dienstleister sowie die Bank, über die Kunden die Produkte kaufen und verkaufen. Wenn es irgendwo in der Kette eine Störung gibt, kann dies beim Kunden zu Problemen führen.

Den Kunden ist am Ende egal, wo der Fehler liegt. Sie sind verärgert, wenn sie gerade an lebhaften Handelstagen zum Zuschauen verurteilt sind.
Das kann ich sehr gut verstehen. Zu den einzelnen Fällen können nur die jeweiligen betroffenen Institute Auskunft geben. Insgesamt haben wir von unseren Emittenten in den vergangenen Tagen die Rückmeldung bekommen, dass es keine größeren Ausfälle über einen längeren Zeitraum hinweg gab. Von den jüngsten Problemen waren vor allem die sogenannten Selbstentscheider betroffen, die intensiv an der Börse handeln und ihre Portfolios mit Hebelprodukten wie Optionsscheinen absichern oder ergänzen. Für die meisten anderen Privatanleger, die Zertifikate beispielsweise in Filialen von Sparkassen und Volksbanken gekauft haben, war das kein Thema. Sie halten ihre Papiere üblicherweise bis zum Ende der Laufzeit.

Auch wenn die Systeme funktionierten, konnten einige Zertifikate zuletzt zeitweise nicht gehandelt werden. Warum?
Das ist von außen schwer zu sagen und muss im Einzelfall geprüft werden. Grundsätzlich hängt der Wert von Zertifikaten ganz wesentlich von der Entwicklung des zugrunde liegenden Basiswerts ab, beispielsweise einer Aktie oder eines Indexes. Wenn es bei diesen Basiswerten Handelseinschränkungen gibt, ist es für Emittenten und Marketmaker eine besondere Herausforderung, Kauf- und Verkaufspreise zu stellen. Zuletzt gab es gerade bei ausländischen Basiswerten häufiger Handelsaussetzungen oder Unterbrechungen, zudem war die Liquidität im Handel mit einigen Basiswerten eingeschränkt. In diesem Fall ist es schwer, die entsprechenden strukturierten Wertpapiere zu bepreisen.

Wäre es für Privatanleger nicht sinnvoller, grundsätzlich in Produkte wie ETFs zu investieren, wo die Liquidität höher und die Abhängigkeit von einzelnen Anbietern geringer ist?
Indexfonds und strukturierte Wertpapiere erfüllen verschiedene Zwecke und sind unterschiedlich ausgestaltet. Während Indexfonds die Wertentwicklung von Indizes nachbilden, sind strukturierte Wertpapiere geeignet, ganz verschiedene Anlageziele zu erreichen. Dabei stellen in der Regel der Emittent oder ein vom Emittenten beauftragter Marketmaker die Kauf- und Verkaufspreise. Aber die Ausfälle der vergangenen Wochen haben nichts mit dieser Struktur zu tun, sondern vor allem mit den Entwicklungen der Basiswerte und des Gesamtmarkts. Diese stellen nicht nur die Zertifikatebranche vor Herausforderungen, sondern auch Anbieter von aktiven und passiven Fonds.

Kritiker monieren, die Verluste bei einigen Zertifikaten seien in den zurückliegenden Wochen noch höher ausgefallen als bei Aktien und ETFs.
Über alle Produkte hinweg ist diese Darstellung nicht richtig. Zwar weisen manche Hebelprodukte und Optionsscheine höhere Risiken auf. Dort gibt es höhere Ausschläge – nach oben genauso wie nach unten. Einer aktuellen Studie zufolge, über die auch das Handelsblatt berichtete, werden diese Instrumente hauptsächlich zur Absicherung von Depots genutzt. Deshalb ist es zu kurz gegriffen, nur die Wertentwicklung einzelner Produkte zu betrachten. Grundsätzlich werden solche Instrumente von gut informierten, risikoaffinen Kunden genutzt. Diese Anleger wissen, was sie tun.

Wie sieht es bei den Anlagezertifikaten aus, die schwerpunktmäßig über Sparkassen und Volksbanken vertrieben werden?
Anlagezertifikate tragen in erster Linie zur Risikominimierung bei. Wenn wir uns dieses Segment anschauen, zeigen Zahlen von 2019, dass diese Zertifikate in 95 Prozent der Fälle ein geringeres Risiko aufweisen als Aktien. Darüber hinaus wurden seit der Finanzkrise zahlreiche neue Regeln zum Anlegerschutz eingeführt. Es ist beispielsweise nicht zulässig, dass Banken Produkte in den Markt drücken, die nicht zum Risikoprofil der Kunden passen.

Viele haben dennoch Angst, dass es wie bei Lehman 2008 dazu kommen könnte, dass Tausende Privatanleger mit Zertifikaten ihre Ersparnisse verlieren.
Für Anleger ist die Situation schwierig, wir sehen Verluste in allen Anlageklassen. Der Vergleich mit Lehman ist aber nicht passend. Anders als 2008 stehen wir nicht vor einer Finanzkrise, sondern vor einer Situation, in der ein Virus komplette Volkswirtschaften lahmlegt. Wir haben keine Insolvenz eines Emittenten, sondern Kursverluste auf breiter Front.

Halten Sie es für ausgeschlossen, dass wie 2008 Banken umkippen und die von ihnen emittierten Zertifikate damit wertlos werden?
Zertifikate haben ein Emittentenrisiko, mit dem sich die Anleger auseinandersetzen sollten. Aber die Lage ist heute vollkommen anders als in der Finanzkrise. Die Banken haben heute viel mehr Eigenkapital als damals und sind deutlich stabiler. Die großen Zertifikate-Emittenten in Deutschland haben sehr gute Bonitätsnoten, und die Instrumente erfüllen ihren Zweck: Sie dienen der Absicherung von Kursrisiken in den Depots – gerade auch bei Privatanlagern.
Herr Bergmann, vielen Dank für das Interview.

Mehr: Marktturbulenzen legen DKB-Homepage lahm.

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