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Investmentbanking Hilferuf der Wall-Street-Banker entfacht Debatte über die Zukunft der Finanzwelt

Nachwuchsbanker lösen eine Diskussion über den Kulturwandel der Finanzbranche aus. Wenn sich Banken nicht ändern, könnten sie den Anschluss an andere Konzerne verlieren.
07.04.2021 - 16:48 Uhr Kommentieren
Die Präsentation der 13 Goldman-Banker hat gemischte Reaktionen hervorgerufen Quelle: AFP
Zentrale von Goldman Sachs in New York

Die Präsentation der 13 Goldman-Banker hat gemischte Reaktionen hervorgerufen

(Foto: AFP)

New York David Solomon ist angetreten mit der Mission, eine Zeitenwende an der Wall Street einzuleiten. Sicher, bei Goldman Sachs werde es immer ein großes Arbeitspensum geben. Doch der neue CEO wollte „eine Atmosphäre schaffen, in der wir hart arbeiten, aber auch die Möglichkeit haben, ein ausgeglichenes Leben zu führen“, hatte er 2018 in einem Podcast erklärt.

Solomon wollte dabei mit gutem Beispiel vorangehen. Der Manager legt in seiner Freizeit gern Platten auf. „Das ist meine Leidenschaft. Und wenn man es nicht schafft, seine Leidenschaft mit seinem täglichen Leben zu verbinden, ist es einfach viel schwieriger, die Energie für den Job aufzubringen“, stellte er klar.

In der Realität hat sich das Gegenteil manifestiert. 13 junge Goldman-Banker wiesen im März in einer Präsentation auf die „unmenschlichen und missbräuchlichen“ Arbeitsbedingungen hin, denen sie sich mit 100 bis 120 gearbeiteten Stunden pro Woche ausgesetzt fühlen.

Damit haben sie einen Nerv getroffen. Binnen weniger Tage sind Jeffries, Citigroup und andere Wall-Street-Häuser mit Initiativen vorgeprescht, um ihre überarbeiteten Mitarbeiter zu entlasten oder zumindest zusätzlich zu belohnen.

Doch der Hilferuf der Goldman-Banker hat eine neue Debatte über die Zukunft der Finanzwelt entfacht: Die jungen Banker werden für ihre Arbeit außerordentlich gut bezahlt, sagen die einen, daher dürfen sie sich über lange Nächte am Schreibtisch nicht beschweren. Die Wall Street war schließlich schon immer so.

Andere drängen dagegen auf eine Abkehr von den gestrigen Tugenden. Schon jetzt sei es immer schwieriger, die richtigen Talente anzulocken. Und die neue Generation zeigt, dass sie nicht mehr alles mit sich machen lässt.

Man hat nachts maximal zehn Minuten Zeit für den Rückruf

Frank Mason* gehört zu den Investmentbankern der alten Schule. In seinen ersten drei Berufsjahren in den 80er-Jahren hat er praktisch jeden Tag gearbeitet. Selbst am Wochenende oder über die Feiertage erhielt er Faxe mit Dokumenten, die er prüfen musste.

Es gab nur eine Ausnahme. „An einem Samstag habe ich geheiratet und musste bei meinen Chefs hart dafür kämpfen, dass ich an dem Tag auch tatsächlich nicht ins Büro kommen muss“, erinnert sich der New Yorker.

Andere hatte es noch härter getroffen: Wall-Street-Urgestein Bob Greenhill, der in den 1980er-Jahren das Investmentbanking bei Morgan Stanley leitete, war für seinen gnadenlosen Anspruch berüchtigt. In der Zeit vor Mobiltelefonen setzte er wie viele andere Manager auf Pager. „Wenn er einen seiner jungen Mitarbeiter nachts um zwei anmorste, dann mussten sie innerhalb von zehn Minuten anrufen. Sonst wurden sie angebrüllt“, erzählt Mason.

Heute hat sich an der Erwartung, ständig erreichbar zu sein, nicht viel geändert – trotz wohlklingender Unternehmenswerte auf den Webseiten der Banken und Bekenntnissen zu „Stakeholderkapitalismus“, der die Interessen der Umwelt und das Wohlergeben der Mitarbeiter genauso berücksichtigen will wie den Aktienkurs. „Wenn der Kunde etwas will, dann hat das oberste Priorität, auch wenn die Teams eigentlich schon überlastet sind“, sagt ein ehemaliger Banker von Goldman Sachs.

Wo ein Wille ist, ist möglicherweise auch ein Weg

Dabei könnte sich durchaus etwas ändern, sagen Kritiker wie Jake Richmond*. „Wenn die Banken es wirklich wollten, könnten sie das Arbeitspensum natürlich reduzieren. Das ist außer Frage.“

Richmond selbst hat seine Karriere bei einer großen US-Bank beendet, um mehr Freiheiten zu genießen. „Die Antwort auf jedes Problem ist immer: ,Ihr müsst härter arbeiten.' Die Banken könnten sich auch fragen: ,Welche Prozesse könnten wir automatisieren, wie können wir besser planen, um unseren Mitarbeitern die Arbeit zu erleichtern?' Doch das passiert nicht“, kritisiert Richmond.

Die Belastung sollte sich schon mehrfach etwas grundlegend ändern. Passiert ist eher wenig. Quelle: Reuters
Debatte um die Zukunft der Wall Street

Die Belastung sollte sich schon mehrfach etwas grundlegend ändern. Passiert ist eher wenig.

(Foto: Reuters)

Er befürchtet, dass diese sture Haltung den Banken auf Dauer schaden könnte. „In anderen Branchen werden Mitarbeiter ermutigt, möglichst smart und effizient zu arbeiten, damit sie mehr Freizeit haben.“ Bei Banken sei es dagegen oft unnötige Arbeit. Die langen Arbeitswochen führten dazu, dass die Leute irgendwann unproduktiv agieren.

Die 13 Goldman-Mitarbeiter klagen in ihrer Präsentation über stressbedingte Angstzustände sowie schwindende körperliche und mentale Gesundheit. Alle 13 sahen sich mit unrealistischen Arbeitsanforderungen konfrontiert, was sich ebenfalls negativ auf ihr Privatleben ausgewirkt hat.

Die Coronakrise hat die Belastung nochmals erhöht

Die Pandemie hat die Lage gleich aus mehreren Gründen verschärft: Der Boom bei Fusionen und Übernahmen und bei Private-Equity-Deals hat das ohnehin schon hohe Arbeitspensum noch einmal deutlich gesteigert. Rund 8000 Private Equity-Deals wurden im vergangenen Jahr verkündet – so viele wie nie zuvor.

Auch Börsengänge und vor allem die sogenannten Spacs waren so beliebt wie nie. Das sind Mantelgesellschaften, die Start-ups schneller an die Börse bringen – einer der heißesten Trends an der Wall Street und ein lukratives Geschäft für Investmentbanken. Parallel dazu stieg pandemiebedingt die Zahl der Insolvenzverfahren.

Gleichzeitig beklagen junge Banker, dass sie wenig lernen, weil sie ihre Vorgesetzten nicht mehr auf Termine begleiten können und diese sich in der Pandemie nicht die Zeit nehmen, sie über Zoom zu coachen und ihnen ausreichend Feedback zu geben. Schroffe Mails dominieren den Alltag, meist mit dem Inhalt: „Kannst du das bitte korrigieren und zurückschicken.“

Die Nachwuchsbanker werden von älteren Kollegen und Führungskräften schnell als faul abgestempelt. Kritiker warnen jedoch, diese Dynamik nicht zu schnell abzutun. „Wir erleben einen langfristigen Trend: Leute, egal in welchem Alter, hinterfragen alte Arbeitsmuster“, gibt Richmond zu bedenken. „Sie suchen sinnvolle Aufgaben und sind nicht mehr so einfach bereit, sich im gleichen Maße ausbeuten zu lassen.“

Goldman-Chef Solomon sendet gemischte Signale

Auch andere Institute spüren das Problem. Citi-Chefin Jane Fraser kündigte, kurz nachdem die Goldman-Präsentation ihren Weg in die Öffentlichkeit fand, „Zoom-freie Freitage“ an und ermutigte die Mitarbeiter, Urlaub zu nehmen.

Die Boutique-Investmentbank Moelis & Co. zahlt ihren jungen Bankern 10.000 Dollar extra, die sie in ihre mentale Gesundheit investieren sollen. Dafür lässt die Firma jedoch kaum Zeit. Die Mitarbeiter sollen zwar am Freitagabend und Samstagvormittag frei nehmen. Zu allen anderen Zeiten jedoch wird erwartet, dass sie zur Verfügung stehen.

Goldman-Chef Solomon sendet unterdessen gemischte Signale. Er hat angekündigt, sein altes Versprechen von freien Samstagen dieses Mal auch tatsächlich einzuhalten und mehr Banker einzustellen. Gleichzeitig forderte er seine Mitarbeiter auf, weiter alles zu geben. „Ihr dürft nicht vergessen: Wenn wir alle die Extra-Meile gehen, selbst dann, wenn wir glauben, dass wir unsere Grenzen erreicht haben, kann das wirklich einen Unterschied in unserer Performance machen“, sagte er Ende März in einer Ansprache an seine weltweiten Investmentbanker.

Der Goldman-Chef legt in seiner Freizeit gern Platten auf – und betont selbst, wie stark Arbeitsleistung und Work-Life-Balance miteinander zusammenhängen. Quelle: AFP
David Solomon

Der Goldman-Chef legt in seiner Freizeit gern Platten auf – und betont selbst, wie stark Arbeitsleistung und Work-Life-Balance miteinander zusammenhängen.

(Foto: AFP)

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Banken für ihre harten Arbeitsbedingungen rechtfertigen müssen – und Besserung versprechen. 2013 starb ein 21-jähriger Praktikant der Bank of America in London an einem epileptischen Anfall. Er hatte 72 Stunden durchgearbeitet.

Daraufhin empfahl die Bank, dass sich junge Mitarbeiter mindestens vier freie Wochenend-Tage im Monat genehmigen. Goldman Sachs führte für Praktikanten eine Obergrenze von 17 Arbeitsstunden pro Tag ein. Zwei Jahre später führten die Selbstmorde von zwei jungen Bankern in den USA zu einer neuen Welle solcher Ankündigungen.

Experten sind skeptisch, dass ein Kulturwandel stattfindet

Branchenkenner glauben nicht, dass sich dieses Mal tatsächlich viel verändern wird. „Die Banker, die darüber entscheiden, verweisen darauf, dass sie selbst durch diese harte Schule gegangen sind“, sagt Mason. „Sie glauben, dass dies der einzig richtige Weg ist, um Mitarbeiter mit der Kämpfermentalität zu finden, die sie für ihre hochkompetitiven Teams suchen. Das hat auch etwas mit Stolz zu tun.“

Mason verweist auf die guten Verdienstmöglichkeiten in den späteren Jahren. Mit Einstiegsgehältern von über 100.000 Dollar würden schon die Nachwuchsbanker bestens bezahlt. Die harte Arbeit sei das Ticket, um in ein paar Jahren siebenstellige Gehälter mit nach Hause zu nehmen.

Mason selbst hat sich nach ein paar Jahren bei großen Investmentbanken selbstständig gemacht und ist heute Milliardär. „Wer bei Tech-Konzernen arbeitet, verdient anfangs vielleicht mehr und muss nicht so viel arbeiten. Doch die meisten schaffen es nicht, über ein Jahresgehalt von 500.000 Dollar hinauszukommen“, gibt er zu bedenken. „Das ist an der Wall Street anders.“

Auch in Karriere-Foren wie „Wall Street Oasis“ wird das Thema Arbeitsbelastung kontrovers diskutiert. Nicht alle springen den überarbeiteten Goldman-Bankern bei. Geld und Status sind für viele immer noch ein wichtiger Treiber. „Ich habe keinen Bock darauf, dass mehr Leute eingestellt werden und dafür unser Bonus schmilzt“, moniert ein Nutzer. „Wer mit der vielen Arbeit nicht klarkommt, der soll halt woanders arbeiten.“

*Namen geändert

Mehr: Die Leistungsrituale im Investmentbanking sind von vorgestern – ein Kommentar.

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