James Freis Der neue Wirecard-CEO steht vor einer Herkulesaufgabe

Der 49-jährige Amerikaner hatte erst am Donnerstag die neu geschaffene Position im Wirecard-Vorstand für „Integrity, Legal and Compliance“ übernommen.
Frankfurt, München Gleich an seinem zweiten Arbeitstag wurde James H. Freis befördert. Am Tag davor, seinem ersten Arbeitstag, war die Aktie seines neuen Arbeitgebers um bis zu 71 Prozent abgestürzt.
Der 49-jährige Amerikaner hatte am Donnerstag die neu geschaffene Position im Wirecard-Vorstand für „Integrity, Legal and Compliance“ übernommen. Nach dem überraschenden Abgang von Vorstandschef Markus Braun am Freitagmittag wurde er mit sofortiger Wirkung zum Interims-CEO des umstrittenen Zahlungsdienstleisters berufen.
Welche Hoffnungen auf Freis ruhen, bekam der Amerikaner bereits wenige Minuten nach Bekanntgabe der Personalie zu spüren. Die Wirecard-Aktie, die davor um bis zu 50 Prozent im Minus und unterhalb von 20 Euro notierte, stieg in Richtung 30 Euro.
Mitte Mai hatte der Zahlungsdienstleister Wirecard nach den bereits damals schon negativen Berichten und Kontroversen einen umfangreichen Vorstandsumbau gemeldet.
Kernstück dabei: Der 49-jährige Freis sollte Vorstand für das neu geschaffene Compliance-Ressort werden. Arbeitsbeginn: 1. Juli. Die Reaktionen am ersten Handelstag nach der Personalentscheidung fielen beinahe euphorisch aus. „Der Lebenslauf ist beeindruckend“, sagte Stephane Houri vom Finanzhaus Oddo. Heike Pauls von der Commerzbank nannte Freis einen „Game Changer“.
Freis muss die Existenz des Unternehmens sichern
Doch anders als ursprünglich geplant, muss Freis nun nicht nur dafür sorgen, dass bei dem Dax-Konzern Regeln und Gesetze eingehalten werden. Er wurde durch die extrem prekäre Lage schon gut zwei Wochen früher gebraucht.
An seinem zweiten Arbeitstag am Freitag wurde er sogleich mit dem höchsten Amt im Konzern betraut. Seine wichtigste Aufgabe wird es nun sein, überhaupt die Existenz des Unternehmens zu sichern.
Seitdem am Donnerstag bekannt wurde, dass Kontoauszüge in Höhe von 1,9 Milliarden Euro bei asiatischen Banken gefälscht wurden und damit ein Viertel der bisherigen Konzernbilanzsumme infrage steht, droht die Gefahr eines der größten Bilanzskandale in der deutschen Börsengeschichte.
Freis könnte den Neustart liefern, der nach Einschätzung vieler Experten bei Wirecard dringend nötig ist. Denn anders als die verbliebenen Vorstände Alexander von Knoop und Susanne Steidl gilt Freis als unbelastet. „Das kann aber erst der Anfang sein. Wir erwarten weitere Schritte. Vor allem muss geklärt werden, wo das Geld geblieben ist“, fordert Marc Tüngler, Hauptgeschäftsführer der Deutschen Schutzvereinigung für Wertpapierbesitz (DSW).
Schon in den vergangenen Jahren waren nie alle Vorwürfe um Geldwäsche, Betrug und Bilanzfälschung gänzlich zu entkräften gewesen. Auch die im Herbst eingeleitete Sonderprüfung durch KPMG schaffte das nicht. Stattdessen förderte sie eine Reihe von internen Ungereimtheiten und Versäumnissen zutage, die ein schlechtes Bild auf den bislang von Finanzvorstand Alexander von Knoop verantworteten Bereich Compliance warfen.
Freis‘ Vita ist dagegen tadellos. Nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaften an der Georgetown University in Washington promovierte er in Harvard im Fach Jura. Anschließend heuerte er bei der New Yorker Niederlassung der Federal Reserve an und wechselte zur Bank für Internationalen Zahlungsausgleich nach Basel.
Danach arbeitete Freis sieben Jahre für das US-Finanzministerium, wo er sich vor allem um Maßnahmen zur Bekämpfung von Geldwäsche und Terrorismusfinanzierung kümmerte.
Nach einem kurzen Intermezzo bei der internationalen Anwaltssozietät Cleary Gottlieb Steen & Hamilton wechselte Freis 2014 als Chief Compliance Officer zur Deutschen Börse. Das Unternehmen war von der US-Exportkontrollbehörde OFAC damals wegen Sanktionsverstößen bei Iran-Geschäften zu einer Strafe von 152 Millionen Dollar verdonnert worden. Freis sollte helfen, die Wogen zu glätten. Doch trotz seines Einsatzes schwelt der Streit seit Jahren weiter.
Entspannt und humorvoll
Im persönlichen Gespräch gibt sich Freis dennoch oft entspannt und humorvoll – und hat kein Problem, über komplexe Streitigkeiten in Deutsch zu sprechen. Das dürfte auch bei den deutschen Aufsehern und der Staatsanwaltschaft gut ankommen, mit denen Freis in seiner neuen Funktion als Wirecard-Chef bald häufig zu tun haben wird.
Als Nachfolger des langjährigen Chefs Markus Braun muss Freis nun schnell Regeln aufstellen und kontrollieren. Das dürfte ihm spätestens bei seinem ersten öffentlichen Auftritt bei Wirecard bewusst geworden sein.
Sein Vorgänger Markus Braun hatte am frühen Freitagmorgen noch eine Videobotschaft mit dem gesamten Vorstand verbreiten lassen, um mit versteinerter Miene auf den Ernst der Lage hinzuweisen.
Als einziger der vier Vorstände machte Freis selbst da noch einen gelösten Eindruck. Und trug im Gegensatz zu seinen Kollegen auch nicht komplett schwarz, sondern ein hellgraues Jackett.
In der Deutschen Börse wusste man diese lockere und doch souveräne Art sehr zu schätzen. Alle nannten ihn dort nur Jim. Doch auch dort war der Amerikaner eine Ausnahme. „Er ist nicht nur fachlich eine Autorität, sondern auch im Umgang sehr angenehm“, sagt ein Wegbegleiter.
Nachdem er sein Amt an Sabine Roeckl-Schmidt im Februar abgab, verbrachte er Zeit mit der Familie in den USA.
Bei Wirecard wird Freis indes auf ehemalige Manager des Börsenbetreibers treffen: Erst Ende April wurde bekannt, dass Hauke Stars bei Wirecard in den Aufsichtsrat einziehen wird – nach zuvor acht Jahren im Vorstand der Deutschen Börse. Und auch Thomas Eichelmann, der Vorsitzende des Gremiums, war einst Vorstand der Börse.
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