Junge Unternehmen Afrikanische Fintech-Firmen ziehen verstärkt Investoren an

Das Finanzzentrum von Nigerias 20-Millionen-Metropole.
Lagos Sie ermöglichen rasche Überweisungen über Ländergrenzen, unkomplizierte Kredite oder Krypto-Geschäfte. Sie heißen Flutterwave, Bankly oder Flux. Und sie sind nigerianische Fintech-Unternehmen, die viele Millionen Dollar an Investorengeldern eingesammelt haben.
„Fintech in Afrika ist eine Goldgrube“, schreibt das nigerianische Wirtschaftsmagazin „Stears“ – und meint dabei vor allem das eigene Land. 2019 floss ein Viertel der knapp 500 Millionen Dollar, die Afrikas Tech-Startups sammelten, in nigerianische Firmen, die Finanztechnologien entwickeln.
Die Summen sind im Vergleich zu anderen Weltregionen überschaubar, doch das Potenzial ist groß: Nigeria ist die größte Volkswirtschaft in Afrika, 200 Millionen Menschen leben in dem Land, rund 40 Prozent von ihnen haben kein Bankkonto, und nur rund die Hälfte nutzt das Internet – bis jetzt.
„Junge Nigerianerinnen und Nigerianer sind first movers, und das global gesehen“, sagt Oo Nwoye, der nigerianische Startups berät. Mit first movers meint er: Nigerias Junge reagieren rasch, wenn sich im Tech-Bereich Neues regt.
Sie gründen auch immer rascher; es gibt rund 250 Fintech-Unternehmen. Diese tummeln sich vor allem in Nigerias größter Stadt Lagos. Die 20-Millionen -Einwohner-Metropole ist der attraktivste Tech-Standort in Afrika.
Fintechs stoßen in technologische Lücken vor
Die nigerianische Fintech-Welle begann in den 2010er Jahren. Start-ups wie Paystack stießen in Lücken vor, die der traditionelle Finanzsektor gelassen hatte. Sie profitierten davon, dass die Zahl der Internetnutzer stark zunahm und viele Nutzer jung und Tech-affin waren. Die Firmen versuchten, Überweisungen zum Beispiel durch simple Online-Lösungen zu vereinfachen – oder für Leute ohne Bankkonto überhaupt erst zu ermöglichen. Mit der Zeit differenzierte sich die Szene aus, neue Firmen vereinfachten zum Beispiel Kreditprozesse.
„In wohlhabenden Ländern haben Fintech-Firmen Dinge effizienter gemacht. Bei uns haben sie Dinge überhaupt erst ermöglicht“, sagt der Start-up-Berater Nwoye. Er meint zum Beispiel Zahlungen über Landesgrenzen hinweg. Diese waren auf dem afrikanischen Kontinent mit Dutzenden von Währungen lange kompliziert und kostspielig. Nigerias Fintech-Unternehmen lösten anscheinend banale Probleme, die aber oft elementar waren. Das erklärt für Oo Nwoye auch ihren Erfolg: „Wenn du nicht bezahlen kannst, machst du keine Geschäfte.“
Eines der erfolgreichsten nigerianischen Fintech-Start-ups ist Flutterwave. Das 2016 gegründete Unternehmen ist eine Milliarde Dollar wert – und damit wertvoller als die meisten nigerianischen Banken. Vor kurzem setzte das Magazin „Time“ Flutterwave auf seine Liste der 100 einflussreichsten Unternehmen. Das Start-up mit Sitz in Lagos und San Francisco wollte ursprünglich Überweisungen in Afrika vereinfachen; der Gründer Olugbenga Agboola bewirbt das so: „Afrika ist kein Land, aber dank uns fühlt es sich an wie eines.“
Inzwischen ist Flutterwave in 15 afrikanischen Ländern aktiv und stellt Zahlungslösungen für fast 300 000 Nutzerinnen und Nutzer zur Verfügung. Während der Pandemie lancierte die Firma den Flutterwave-Store, der eine Plattform bietet, um ein digitales Ladenlokal zu eröffnen. Die Plattform hat bisher 25.000 Nutzer. Der Erfolg von Flutterwave befeuert Gerüchte. Die Firma ist eines von sechs afrikanischen Tech-Einhörnern, es heißt, ihre Chefs könnten einen Börsengang in New York anstreben.
Talente wandern ab in reichere Länder
Doch trotz allem Enthusiasmus bleiben die Herausforderungen für Flutterwave und für Nigerias Fintech-Unternehmer groß. Laut Henry Obatomi, der den Bereich Prozesstechnologie bei Flutterwave leitet, ist eine der größten, Talente zu finden – und die gefundenen zu halten. Sie würden noch immer Nachwuchskräfte an Firmen in reicheren Ländern verlieren, sagt Obatomi. „Wir wollen an einen Punkt gelangen, an dem wir so konkurrenzfähig sind, dass wir sie bei uns halten können.“
Der Verlust talentierter Nachwuchskräfte ist umso schmerzhafter, als Flutterwave und andere Unternehmen diese oft aufwendig rekrutieren. Henry Obatomi sagt, Flutterwave habe eine forsche HR-Abteilung, die Talente möglichst früh in Ausbildungsprogramme einzugliedern versuche; teilweise noch bevor diese die Schule abgeschlossen hätten.
Auch die nigerianischen Behörden sind manchmal hinderlich. Start-up-Berater Oo Nwoye sagt: „Unser größtes Problem ist ignorante Regulierung.“ Im Februar zum Beispiel verbot die Nationalbank den Handel mit Kryptowährungen. Die Regierung misstraut den Krypto-Geschäften, spätestens seit im Oktober 2020 große Anti-Regierungs-Demonstrationen stattfanden, deren Organisatoren angeblich Geld in Kryptoform sammelten.
Eine größere Schockwelle löste die Regierung aus, als sie im Juni beschloss, den Nachrichtendienst Twitter zu verbieten. Twitter hatte zuvor einen Tweet von Präsident Muhammadu Buhari gelöscht, in dem dieser den Separatisten im Südosten des Landes mit Gewalt drohte.
Die Beziehung der Regierung zu Twitter war zuvor schon vergiftet gewesen: Twitter-Chef Jack Dorsey hatte im vergangenen Oktober Demonstranten, die über Twitter mobilisierten, offen unterstützt. Im April hatte Twitter zudem bekanntgegeben, man eröffne ein Afrika-Hauptquartier – nicht in Nigeria, sondern im viel kleineren Ghana. Für die nigerianische Regierung war es eine Blamage.
Das anglofone Afrika dominiert
Nigeria ist nicht das einzige afrikanische Land mit einer erratischen Regierung und abwanderungswilligen Talenten. Die strukturellen Probleme in vielen Ländern tragen dazu bei, dass der afrikanische Kontinent im Vergleich zu anderen Weltregionen noch immer wenig Investorengelder anzieht. Laut einem im Mai veröffentlichten Bericht des Think-Tanks Briter Bridges sammeln afrikanische Startups in Seed-Finanzierungsrunden durchschnittlich 1,5 Millionen Dollar, indische und lateinamerikanische dagegen 4,6 und 5,7 Millionen Dollar.
Das Geld für Start-ups in Afrika fließt zudem vor allem in einige wenige Zentren – nach Ägypten, Nigeria, Ghana, Kenya und Südafrika. Das frankofone Afrika hinkt hinterher. Der Startup-Berater Nwoye sagt: „Es gibt keine panafrikanische Tech-Szene.“
Trotz allem herrscht gerade viel Enthusiasmus – bei nigerianischen Fintech-Firmen, aber auch bei Start-ups an anderen Orten auf dem Kontinent. „Afrika hat viel brachliegendes Potenzial, das erst zum Vorschein kommt“, sagt Henry Obatomi von Flutterwave. Er meint: viele junge Internetnutzer, eine große Diaspora, die Geld schicken will, sowie Millionen von Afrikanerinnen und Afrikanern, die ein Reservoir für Tech-Lösungen in wenig erschlossenen Bereichen wie Landwirtschaft oder Gesundheit bilden. „Viele Investoren sehen, dass da ein Markt entsteht, der einfach zu skalieren ist.“
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