Konzernumbau Christian Sewings radikaler Sanierungsplan – die große Analyse

„Ich darf keine Rücksicht nehmen.“
- Durch den Radikalumbau will die Deutsche Bank effizienter und profitabler werden. Doch Deutschlands größtes Finanzinstitut steht nun vor großen Herausforderungen.
- Die verbleibenden Mitarbeiter dürfen nicht den Mut verlieren, die Kunden sich nicht nach Alternativen umschauen.
- Besonders das Investmentgeschäft ist vom Stellenabbau betroffen. Durch Zukäufe wollte die Bank einst im Wertpapierhandel erfolgreich werden. Doch die Risiken waren zu groß – und die Expansion scheiterte.
- In seinem ersten großen Interview seit Verkündung des Umbaus erklärt nun Vorstandschef Christian Sewing die neue Strategie. Auch zu möglichen Fusionen und zur Unternehmenskultur äußert er sich.
Die Krawatte war an diesem Tag nicht mehr nötig. Das Hemd hängt locker aus der Hose, unter dem Arm steckt ein großer, weißer Umschlag. Niedergeschlagen wirken die zwei Mitarbeiter der Deutschen Bank, als sie am Montagmorgen die Zentrale an der New Yorker Wall Street verlassen. „Wollen wir uns später noch mal treffen?“, fragt der eine. Der andere nickt. So können sich die beiden noch richtig verabschieden. Denn am Ende ging alles ganz schnell.
In den Umschlägen stecken ihre Kündigungsunterlagen und Details zur Abfindung. Hunderte Deutschbanker verlieren an diesem Tag in New York ihre Jobs. Ein kurzes Gespräch mit der Personalabteilung, das war es. Vor dem letzten Gang ins Büro haben sich einige noch von Khaled verabschiedet, der in einem kleinen Wagen vor der Deutschen Bank Kaffee und Bagels verkauft.
„Ab morgen komme ich nicht mehr, mach’s gut“, sagt einer zum Abschied. Einen Karton mit ihren Habseligkeiten müssen sie nicht mit rausschleppen. Die werden per Post geschickt. Die Deutsche Bank will keine Untergangsbilder wie 2008 bei der Pleite von Lehman Brothers.
Szenen wie in New York spielten sich Anfang dieser Woche überall im Reich der Deutschen Bank ab, in London, Tokio, Hongkong, Sidney. Nur ein paar Stunden vorher hatte Vorstandschef Christian Sewing einen radikalen Umbau verkündet. Um 40 Prozent soll die Investmentbank schrumpfen, seit mehr als zwei Jahrzehnten das Herzstück der Bank.
Der Aktienhandel wird bis auf ein paar Reste geschlossen, das Geschäft mit Staatsanleihen eingedampft. 74 Milliarden Euro werden in eine Art Bad Bank ausgelagert. 18.000 Jobs fallen weg, ein Fünftel aller Stellen.
Ein Einschnitt, den Konkurrenten schon vor Jahren machten. Es ist ein Abschied von der glamourösen Welt des Investmentbankings, das Vorgänger wie Alfred Herrhausen, Hilmar Kopper, Rolf-E. Breuer und Josef Ackermann groß und größer gemacht haben. Die Deutsche Bank soll eine global tätige Bank bleiben, aber im Kern soll es zurück zu den Wurzeln gehen. Statt ein großes Rad an den Märkten zu drehen, will sich die Deutsche Bank unter Christian Sewing auf das Geschäft mit Unternehmen und Privatkunden konzentrieren. „Wir werden zwar insgesamt etwas kleiner, aber wir werden viel effizienter und profitabler“, sagte Sewing dem Handelsblatt im ersten Interview nach Bekanntgabe der Reformpläne.
Sewing ist bodenständig, denkt langfristig und ist stolz auf seine Herkunft aus Westfalen. Ein Mann der Provinz, mit internationaler Erfahrung als Banker, will das Traditionshaus Deutsche Bank zukunftsfähig machen. Die Herausforderung ist riesig: In nur fünf Jahren gingen 70 Prozent des Börsenwerts der Deutschen Bank verloren. Auch Vorstandschef Sewing konnte die Talfahrt des Aktienkurses nicht stoppen. Von 2015 bis 2018 fuhren die Frankfurter in Summe 8,5 Milliarden Euro Verluste ein.
Seit der Finanzkrise musste die Bank 33 Milliarden Euro an frischem Kapital bei ihren Aktionären einsammeln, doppelt so viel, wie das Geldhaus heute noch wert ist. Im Zentrum der Probleme stand immer wieder das Investmentbanking.
Seit Tagen wirbt Sewing von London aus bei Aktionären und Analysten für seine Pläne. Er weiß nur zu genau: Es ist eine riskante Operation. Er muss Vertrauen gewinnen, nicht nur bei den Aktionären. Die verbleibenden Mitarbeiter dürfen nicht den Mut verlieren, die Kunden sich nicht nach Alternativen umschauen.
Immerhin: Die neue Strategie sei glaubhaft, sagt Stefan Wolf, Chef von Elring-Klinger. Der deutsche Autozulieferer erzielt 1,7 Milliarden Euro Umsatz – eine jener Firmen, um die sich die Deutsche Bank künftig mehr kümmern will. Wolf: „Das Investmentbanking der Deutschen Bank hatte schon etwas von Größenwahn.“
Doch nicht jeder glaubt die neue Botschaft. Zu oft hat die Deutsche Bank ihre Versprechungen gebrochen, zu oft erwiesen sich ihre Planrechnungen als Luftbuchungen. Immer kürzer wurde die Halbwertszeit der neuen Strategien, immer schneller folgten die Vorstandschefs aufeinander. Viele Unternehmen verzichten zunehmend auf die Dienste der Frankfurter. Dazu sollen Branchenkreisen zufolge Schwergewichte wie Daimler, Bayer und Volkswagen gehören.
„Weitere Kundenverluste sind zu erwarten“, warnt Analyst Tom Hallett von KBW, vor allem an Konkurrenten mit einer breiteren Angebotspalette. Behält am Ende doch Staranalyst Stuart Graham recht, der im vergangenen Jahr eine seiner Studien über die Deutsche Bank unter das düstere Motto „Beyond Repair“ stellte? Oder kommt es so, wie Doug Braunstein meint, der Hedgefondsmanager, dessen Firma mehr als drei Prozent an der Deutschen Bank hält?
Er lobt „die toughen Entscheidungen des Managements“. Sewing schlage die richtige Strategie ein, wenn er auf die „traditionellen Stärken“ der Deutschen Bank setze. Wer hat recht? Immerhin geht es um die Zukunft eines Geldriesen von nationaler Bedeutung, um die Bedeutung des deutschen Finanzplatzes. Eine Antwort auf die Frage wird erst 2022 möglich sein, dann soll der Umbau abgeschlossen sein. Aber um versierte Vermutungen anzustellen, lohnt sich ein Blick in die Vergangenheit.
Vertrauliche Gespräche
Im Frühjahr 2018 herrschte bei der Deutschen Bank der zwar analytisch brillante, aber entscheidungsschwache Brite John Cryan. Sein Ende war nah. Längst wurde in den Zwillingstürmen an der Taunusanlage Cryans Nachfolge besprochen. Damals bereitete sich sein Stellvertreter Sewing auf den Sprung an die Spitze vor, entwickelte einen Plan für die Zukunft der Bank. In einem vertraulichen Gespräch machte er Aufsichtsratschef Paul Achleitner klar, wie seine künftige Strategie aussehen würde: ein radikaler Umbau, vor allem eine deutlich kleinere Investmentbank.
Im Handelsblatt-Interview versichert Sewing, dass es zwar einen intensiven Beratungsprozess mit dem Aufsichtsrat gegeben habe, Widerstand habe er aber nie gespürt. Insider berichten hingegen, Sewings Ankündigung sei nicht gerade auf Begeisterung bei Achleitner gestoßen. Über das ungefähre Sanierungsziel sei man sich einig gewesen, aber nicht über den Weg dahin.
Der frühere Deutschlandchef von Goldman Sachs hat stets das Geschäftsmodell einer globalen Investmentbank verteidigt. Seine Logik war simpel: Nach der Finanzkrise werden die Kapitalmärkte wichtiger für die Finanzierung der Unternehmen, also brauchen wir eine starke Investmentbank. Den Rauswurf des glücklosen Cryan begründete Achleitner entsprechend: „Die Deutsche Bank hat ein Umsetzungs-, aber kein Strategieproblem.“ Sewing beförderte er trotzdem zum Vorstandschef – und der feilte weiter an seinem Plan.
Zu bedrohlich waren die Verfallserscheinungen. Die Mitarbeiter waren von den Chefwechseln und der Dauerkrise genervt und frustriert. „Viele machten, was sie wollten, aber nicht das, was sie sollten“, berichtet ein Vertrauter von Sewing. Die Unternehmenskultur sei vergiftet gewesen, weil Investmentbanker trotz chronischer Minderleistungen mit üppigen Bonuszahlungen rechnen konnten.
„Es war ein schwerer Fehler des Aufsichtsrats, an diesen Fehlanreizen nichts geändert zu haben“, sagt ein hochrangiger Deutschbanker. Viele Mitarbeiter hätten längst innerlich gekündigt. Das Ergebnis konnte man Quartal für Quartal ablesen: erodierende Erträge und hohe Kosten. Im vergangenen Jahr musste die Bank 93 Cent ausgeben, um einen einzigen Euro einzunehmen.
Die Diagnose war klar. Doch warum dauerte es mehr als ein Jahr, bis Sewing seinen Plan auf den Tisch legte? Schließlich drängte die Zeit.
Die ersten Monate beschäftigte sich der Vorstandschef damit, Arbeitsabläufe und Strukturen zu überprüfen. Anders als sein Vorgänger Cryan hat sich Sewing stundenlang von seinen Mitarbeitern Hunderte von Prozessen erklären lassen. Er wollte verstehen, was falsch läuft. Für den ehemaligen Risikomanager galt: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser. Einige haben ihn für dieses Mikromanagement belächelt. Sewing aber wollte die Schwachstellen der Bank aufdecken – und sehen, wo die Stärken liegen. Außerdem musste der Vorstandschef Glaubwürdigkeit bei den Investoren aufbauen, musste beweisen, dass er im Gegensatz zu seinen Vorgängern wirklich sparen kann.

Kehrtwende nach einem Jahrzehnt der Hybris. Zurück zu den Wurzeln heißt nun die neue Devise.
Die Fusionsgespräche mit dem Frankfurter Nachbarn Commerzbank drohten im Frühjahr 2019 Sewings Plan zu durchkreuzen. Der Westfale bastelte dennoch weiter an seinem Vorhaben, einem Alternativplan zur Fusion. Ab Dezember 2018 begannen die Feinarbeiten am Sanierungsprojekt, eingeweiht war nur eine Handvoll Manager. Monatelang verhandelte der Vorstandschef mit den Aufsehern. Ohne die Unterstützung der Europäischen Zentralbank und der deutschen Finanzaufsicht hätte der Plan nicht funktioniert. Nach dem brutalen Kurssturz der vergangenen Monate war klar, dass die Bank nicht noch einmal ihre Aktionäre um neues Geld bitten konnte, eine Kapitalerhöhung war keine Option.
Aber wo sollten die Milliarden für die Sanierung herkommen? Es gab einen Ausweg: Die Bank fährt ihre Kernkapitalquote herunter. Der Zielwert für den Sicherheitspuffer sollte von 13,5 Prozent auf 12,5 Prozent schrumpfen. Für Laien hört sich das nicht dramatisch an, aber bei den Aufsichtsbehörden gab es mehr als Stirnrunzeln. Der Konzern galt lange als Sicherheitsrisiko für das Finanzsystem, das Verhältnis zu den Regulierern war nach den vielen Skandalen der Bank weitgehend zerrüttet. Sewing und sein Team überzeugten in mühseliger Kleinarbeit die Behörden.
Auch jenseits des Atlantiks: Drei Mal waren die Frankfurter durch den Stresstest der US-Notenbank Fed gefallen. Der vierte Anlauf musste gelingen, sonst wäre der Sanierungsplan Makulatur gewesen. Sewing erklärte den Stresstest zur Chefsache. Ende Juni konnte er Vollzug melden. Die Bank genügte den Ansprüchen der Fed. Auch die EZB nickte den Plan ab, die Kapitalquote herunterzufahren. Darauf ist die Kerntruppe des Sanierungsteams rund um Sewing stolz. Allerdings hatten die Aufseher auch schon seit vielen Monaten gedrängt, dass die Bank endlich ihr Investmentbanking gesundschrumpft.
Es waren Schicksalswochen für das Geldhaus. Aufsichtsratschef Achleitner galt hinter den Kulissen stets als Unterstützer einer Fusion mit der Commerzbank, Sewing eher als Skeptiker. Die offizielle Linie lautete, beide Manager seien zu dem Schluss gekommen, dass man eine Frankfurter Bankenehe zumindest prüfen muss, sonst schnappt einem am Ende noch ein ausländischer Konkurrent den Nachbarn weg. Sechs Wochen zog sich diese Prüfung hin, dann platzte Ende April die Verlobung. Das Mammutprojekt rechnete sich für die Deutschbanker nicht.
Spätestens nach dem Scheitern der Fusionsgespräche war klar, dass die Deutsche Bank ihren Plan B so schnell wie möglich umsetzen muss, damit das Vertrauen der Märkte nicht weiter verloren geht. Über das Tempo habe es von Anfang an in der Führung unterschiedliche Ansichten gegeben, heißt es aus dem Umfeld des Aufsichtsrats. Chefkontrolleur Achleitner habe befürchtet, dass ein abrupter Strategiewechsel Investoren und Management überfordern könnte. Auf der Hauptversammlung Ende Mai kündigte Sewing dann „harte Einschnitte“ an.
Sechs Wochen später folgte der entscheidende Schritt: Um 12.30 Uhr am 7. Juli setzt sich der Aufsichtsrat der Deutschen Bank in einem Frankfurter Hotel zusammen, einige der internationalen Mitglieder sind per Telefon zugeschaltet. Sewing und Achleitner üben sich in demonstrativer Geschlossenheit. Vier Stunden später ist der Plan des Vorstandschefs beschlossen. Die wichtigsten Großaktionäre, die Herrscherfamilie von Katar, den US-Investor Cerberus und die weltgrößte Fondsgesellschaft Blackrock, hatte Sewing bereits zuvor an Bord geholt.
Trotz aller Differenzen: Paul Achleitner bleibt Aufsichtsratschef – obwohl wie vor jeder Hauptversammlung der vergangenen Jahre Gerüchte die Runde machten, dass der Österreicher durch einen Putsch von Großaktionären und dem Rest des Aufsichtsrats aus dem Amt gedrängt werden sollte. Angeblich stand Stefan Simon, der Vertreter der Herrscherfamilie von Katar, bereits als Nachfolger bereit. Vertraute von Simon, Sewing und Achleitner verweisen die Information ins Reich der Legende.
Trotzdem könnte sich die Frage nach der Zukunft von Achleitner bald stellen. Sein Vertrag läuft 2022 aus, ein Jahr früher als der von Sewing. Eigentlich müsste bereits früher ein neuer Aufsichtsratschef eingeführt oder zumindest bestimmt werden. Sonst bleibt keine Zeit, den Vorstandschef in Ruhe kennen zu lernen und zu entscheiden, ob Sewings Vertrag verlängert wird oder nicht.
Der deutscheste Deutsche-Bank-Chef
Vielleicht ist es kein Zufall, dass sich Sewing, der Mann aus dem westfälischen Städtchen Bünde, mit seinem Umbauplan durchsetzte. Sein Abitur bestand er mit der unspektakulären Note 2,4, hatte mit 19 Jahren vor allem Tennis im Kopf und wollte Sportjournalist werden. Aber sein Vater funkte dazwischen, also macht der Sohn eine Lehre bei der Deutschen Bank – und verbrachte dort fast sein gesamtes Berufsleben. Ein harter Kontrast zum typischen Investmentbanker in London oder New York.
Sewing hat einmal gesagt: „Westfalen sind nicht nur auf die Scholle fixiert, sondern nachhaltig und konsequent.“ Er ist vielleicht der deutscheste Deutsche-Bank-Chef der vergangenen Jahrzehnte, und er glänzt mit den klassischen deutschen Tugenden Fleiß, Disziplin, Selbstbeherrschung und Durchhaltevermögen. Dazu kommt eine weitere Qualität: Der Vorstandschef ist konsequent. Wenn er einmal etwas als richtig erkannt hat, dann zieht er es durch. Man könnte das auch Sturheit nennen.
Trotzdem ist es nicht selbstverständlich, dass der Mann den Mut aufbringt, die Ambitionen der Deutschen Bank im globalen Investmentbanking zu beschneiden, die vor 20 Jahren mit der Übernahme des Wall-Street-Hauses Bankers Trust begannen. Damals feierten die Frankfurter mit Hamburgern, amerikanischem Bier und bunten Ballons. Doch die Träume von der ebenso glamouräsen wie gewinnträchtigen Welt des Investmentbankings sind längst geplatzt. Andere Geldhäuser haben sehr viel schneller begriffen, dass die neue und strengere Regulierung einen Strukturbruch bedeutet.
7,4 Milliarden Euro wird der Umbau kosten, die Hälfte dessen, was die Deutsche Bank an der Börse noch wert ist. Kein Wunder, dass Analysten und Investoren erst einmal tief schlucken müssen. Am Ende des ersten Börsentages nach der Verkündigung liegt der Aktienkurs der Deutschen Bank mit 5,4 Prozent im Minus.
Eine ernüchternde Bilanz, denn für den Vorstandschef ist klar: Dieses Projekt ist sein Projekt. Nicht nur den Umbauplan, auch den Vorstand und die Führungsstruktur hat er ganz nach seinen Vorstellungen geschneidert. Scheitert sein Plan, ist auch Sewing gescheitert.
Unsicherheit in der Belegschaft
7.30 Uhr Montagmorgen: Im Londoner Hauptquartier der Bank in der Great Winchester Street im Herzen der City findet eine Konferenz statt – für die Mitarbeiter, die bleiben, aber in der neuen Bad Bank arbeiten werden. Um acht Uhr folgt das nächste Meeting mit rund 100 Mitarbeitern, die „at risk“ sind. Die Ansage an die Geschassten ist von brutaler Klarheit: Bis elf Uhr hätten sie Zeit, das Gebäude zu verlassen. Dann würden ihre Zugangskarten nicht mehr funktionieren. Es fließen Tränen, dann geht es für viele in den nächsten Pub auf ein Abschiedsbier.
Doch nicht jeder, der an jenem Morgen mit Taschen aus dem Haus lief, war ein entlassener Deutschbanker. Zwei elegant gekleidete Herren outeten sich später als Herrenschneider von Fielding & Nicholson. Sie waren just an diesem Vormittag von einigen hochrangigen Bankern einbestellt worden, um Maßanzüge anzupassen. Als Sewing später davon hört, wird er ernsthaft böse: „Das ist respektlos“, schimpft er, und er will mit den modebewussten Bankern reden: „Ich gehe davon aus, dass die beiden Kollegen meinen Anruf nicht vergessen werden.“

Der Umbau der Deutschen Bank begann am Montag in den USA.
Während die einen auf die Straße gesetzt werden und sich die anderen edlen Zwirn anpassen lassen, erklärt der Vorstandschef im großen Auditorium des Londoner Hauptquartiers beinahe drei Stunden lang der versammelten Analystengemeinde, warum dieses Mal wirklich alles anders ist. Warum die fünfte neue Strategie in sieben Jahren die angeschlagene Bank jetzt wirklich stabilisieren wird. Später, bei Kaffee und Tee, versichern einige Stars der Analystenzunft Sewing, wie bitter notwendig sein Plan ist.
Am Donnerstag folgte die große Informationsveranstaltung für die Mitarbeiter. Sewing war zurück in Frankfurt, die weltweiten Standorte von Mumbai bis Bukarest waren zugeschaltet. Die wichtigste Botschaft des Vorstandschefs: Trotz der Schrumpfkur wird die Deutsche Bank ein globales Geldhaus bleiben.
Auch die deutschen Arbeitnehmervertreter haben den Umbauplan abgesegnet. Sie hoffen, dass ein Großteil der 18.000 Stellen in Asien, den USA und Großbritannien wegfällt. Sie setzen darauf, dass die Deutsche Bank im Heimatland weiter auf betriebsbedingte Kündigungen verzichtet. 42.000 der derzeit noch 91.000 Mitarbeiter sind hierzulande angestellt. Doch Gewerkschafter und Betriebsräte wissen, dass am Ende auch in Deutschland zahlreiche Stellen in der Zentrale und den Infrastrukturbereichen verschwinden werden.
Die Unsicherheit in der Belegschaft ist groß, denn bisher hat der Vorstand nicht verraten, welche Bereiche wie stark vom Stellenabbau betroffen sein sollen. Manche fürchten, dass die Bankspitze nach dem Rasenmäherprinzip vorgeht – und dann am Ende auch in Bereichen Personal fehlt, in denen die Bank eigentlich wachsen will. Bis 2022 will der Vorstandschef eine Rendite von acht Prozent auf das Eigenkapital erzielen.
Das wäre zwar noch immer weniger als die Kapitalkosten, aber gegenüber den 0,5 Prozent des vergangenen Jahres ein gewaltiger Fortschritt. Damit das gelingt, soll der Vorsteuergewinn auf mehr als sechs Milliarden Euro klettern. Die neue Unternehmenskundenbank, die geschrumpfte Investmentbank und die Privatkundenbank sollen dazu je zwei Milliarden Euro beisteuern, das Asset-Management rund 700 Millionen Euro.
Doch viele Analysten halten das für mehr als ambitioniert. Die Deutsche Bank kalkuliert, dass sie 2022 wie im vergangenen Jahr Erträge von rund 25 Milliarden Euro einfährt. Um dieses Ziel zu erreichen, müsste die Bank in den Kerngeschäftsfeldern trotz schwieriger Rahmenbedingungen wachsen. Denn die Erträge aus dem Aktienhandel und vielen anderen Geschäften, die heruntergefahren oder verkauft werden sollen, fallen schrittweise weg.
Aber nicht nur Analysten und Fondsmanager zweifeln, auch viele Mitarbeiter glauben nicht, dass man die Bank schrumpfen und gleichzeitig die Erträge steigern kann. „Wir werden doch jetzt wieder auf Monate, wenn nicht auf Jahre mit uns selbst beschäftigt sein, während die Konkurrenz versucht, uns die Kunden abzujagen“, klagt ein Deutschbanker.
Die neue Führung
Sewing ist sich sicher, dass die Ziele erreichbar sind. Schließlich hat er Hunderte Mitarbeiter wochenlang rechnen lassen, Annahmen und Ergebnisse immer wieder überprüft. Seine engsten Vertrauten sollen helfen, die Kritiker zu überzeugen.
Drei Topmanager mussten gehen, Chefinvestmentbanker Garth Ritchie und Regulierungsvorständin Sylvie Matherat waren schon vor Monaten in Ungnade gefallen.
Der eine wegen Erfolglosigkeit bei gleichzeitigem Spitzengehalt, die andere, weil sie nicht schnell und entschieden genug auf neue Geldwäscheaffären reagierte. Überraschend kam der Abgang von Frank Strauß. Der Privatkundenchef galt als Vertrauter von Sewing, doch bereits während der Verhandlungen mit der Commerzbank zeigten sich Risse in der Beziehung. Am Ende sei Strauß nicht bereit gewesen, die neue Strategie zu akzeptieren, vor allem die Herauslösung des Firmenkundengeschäfts aus der Postbank, heißt es in Finanzkreisen.
![„Wir werden zwar insgesamt etwas kleiner, aber wir werden viel effizienter und profitabler.“ Quelle: Daniel Hofer/laif [M]](/images/christian-sewing/24583538/5-format2020.jpg)
„Wir werden zwar insgesamt etwas kleiner, aber wir werden viel effizienter und profitabler.“
Vor Beginn der entscheidenden Aufsichtsratssitzung stellten sich kurz die drei Nachrücker für den Vorstand vor. Der Jurist Stefan Simon wechselt aus dem Aufsichtsrat als Chief Administrative Officer in den Vorstand und wird dort für das Verhältnis zu den Regulatoren zuständig sein. Die hatten darauf gedrängt, auch nach Matherats Abgang einen Ansprechpartner in der obersten Führungsebene zu haben. Mit Christiana Riley wird auch künftig eine Frau in der Topetage sitzen.
Die bisherige Finanzchefin der Investmentbank übernimmt die Verantwortung für das Amerikageschäft. Auf einen Neuzugang ist Sewing besonders stolz: Ex-SAP-Vorstand Bernd Leukert. Wochenlang verhandelte der Banker, um den Technologieexperten nach Frankfurt zu locken. Ein Argument: Sewing will 13 Milliarden Euro für IT-Investitionen bereitstellen. Eine Schlüsselrolle wird auch Frank Kuhnke spielen. Der Chief Operating Officer sitzt seit Januar im Vorstand und gilt als einer der wichtigsten Adjutanten von Sewing. Er muss dafür sorgen, dass die Kosten bis 2022 wirklich um sechs Milliarden Euro sinken.
Unterhalb des Vorstands etabliert Sewing eine zweite Führungsebene, das sogenannte Group Management Committee, in dem die operativ Verantwortlichen für die Geschäftsbereiche sitzen. Ziel der neuen Struktur: Die Manager sollen sich auf ihr Geschäft und ihre Kunden konzentrieren. Einige in der Bank fühlen sich allerdings an das Group Executive Committee (GEC) erinnert, das der damalige Vorstandschef Ackermann 2002 einführte und in dem ebenfalls die operative Führung der Bank versammelt war.
Das GEC galt damals als heimliches Machtzentrum, das den Vorstand unterminierte. Künftig sollen die GMC-Mitglieder nach Informationen aus Finanzkreisen bei jeder zweiten Vorstandssitzung, also alle zwei Wochen, mit dabei sein. In den anderen Wochen will sich der Vorstand dann mit den Themen jenseits des Tagesgeschäfts beschäftigen, zum Beispiel mit der Strategie.
Eine Schlüsselposition im GMC wird Stefan Hoops zukommen. Er trägt die Verantwortung für den neuen Kern des Geldhauses, die Corporate Bank. Bislang hat der 39-Jährige das Transaction Banking geleitet. Der Bereich, in dem Zahlungsverkehr, Handelsfinanzierung und Wertpapierdienste gebündelt sind, ist eines von Sewings Lieblingsgeschäften. Hier zählt die Deutsche Bank noch zur Weltspitze. In Hoops Büro hängt nicht nur ein Poster von Muhammad Ali, der Manager boxt auch selbst. Diesen Kampfgeist wird er brauchen, denn die Corporate Bank soll ihre Eigenkapitalrendite bis 2022 von neun auf 15 Prozent steigern.
Keine leichte Aufgabe, zumindest nicht auf dem Heimatmarkt. Der galt in den Jahren, als die Bank die Wall Street und die Londoner City erobern wollte, wenig bei der Deutschen Bank. Während sich Josef Ackermann im Smoking bei Preisverleihungen in Londoner Luxushotels als „Banker of the Year“ feiern ließ, erodierte in Deutschland das Vertrauen.
Beispielsweise bei Robert Köhler. Der inzwischen verstorbene Chef von SGL Carbon machte vor rund zehn Jahren ein Geschäft mit den Bankern aus Frankfurt. Als der mittelständische Grafithersteller eine Anleihe platzieren wollte, versprachen ihm die Deutschbanker einen guten Preis. „Eine für uns niedrige und damit gute Verzinsung hatten sie uns zugesagt“, erinnerte sich Köhler später.
Doch es kam anders. Der Bond wurde für SGL Carbon Millionen Euro teurer als erwartet. „Nach unserem Gespräch konnte ich durch die Glastür erkennen, wie sich die Deutschbanker abgeklatscht haben“, so Köhler. Da habe er gewusst, dass das Geldhaus den Käufern der Anleihe einen guten Deal verschafft hatte – auf Kosten von SGL Carbon.
Ganz anders habe sich Morgen Stanley verhalten, die als Juniorpartner an dem Anleiheverkauf beteiligt gewesen war. Deren Mitarbeiter hätten sich entschuldigt und angeboten, auf ihre Provision zu verzichten. Die US-Banker machten damit letztlich das bessere Geschäft. Denn Köhler war bis zu seinem Ableben in vielen Aufsichtsräten vertreten, viele erfuhren von seinen schlechten Erfahrungen mit der Deutschen Bank.
Krise bei den Kunden
Deutsche Unternehmen verzichten immer öfter auf die Dienste der Frankfurter. Dazu sollen Branchenkreisen zufolge Schwergewichte wie Daimler, Bayer und auch Volkswagen gehören. Als der Wolfsburger Autobauer sich nach der Dieselkrise erstmals Geld besorgen wollte, da stemmten gleich 13 Banken das Kreditvolumen in Höhe von 20 Milliarden Euro.
Die Deutsche Bank war nicht dabei. Angeblich berge das Geschäft ein zu hohes Risiko, lautete damals die Begründung. Kein Wunder, dass VW die Deutsche Bank außen vor lassen wollte, als es um das prestigeträchtige Mandat für den Börsengang seiner Lkw-Sparte Traton ging. Erst auf Druck der Bundesregierung wurde die Bank in das Konsortium aufgenommen, als Juniorpartner.
Stattdessen setzen die deutschen Konzerne im Investmentbanking stärker auf ausländische Banken, vor allem auf US-Häuser. „Die haben einfach die besseren Leute“, sagt ein Vorstand aus dem MDax. Auch wenn es um klassische Finanzierungslösungen geht, wird die Konkurrenz durch die internationalen Wettbewerber immer härter.
Ich hoffe, dass den Ankündigungen nun auch Taten folgen. Christian Berner (Vorstandschef Berner Group)
„Die Franzosen mit BNP Paribas oder UBS aus der Schweiz sind hier sehr aktiv und haben viele Mandate gewonnen“, meint ein Dax-Vorstand. In der Industrie regt sich angesichts dieser Entwicklung längst eher Mitleid als Häme. Deutschland brauche eine Bank, die auf internationalem Parkett mitspielen kann, meint der Chef eines MDax-Konzerns. Bei einigen Deals dränge er deshalb darauf, dass die Deutsche Bank irgendwie eingebunden werde.
Auch im Mittelstand, dem Herz der deutschen Wirtschaft, rumort es. „Die Deutsche Bank hat sich seit Jahren unterschiedlich stark um Unternehmen wie uns gekümmert“, sagt Christian Berner, Vorstandschef der Berner Group, eines Familienunternehmens, das mit Verbrauchsmaterialien, Werkzeugen und Werkstattausstattung mehr als eine Milliarde Euro umsetzt. Man brauche „Verlässlichkeit“. Berner: „Die Neuausrichtung der Deutschen Bank begrüße ich, aber ich hoffe, dass den Ankündigungen nun auch Taten folgen.“
Sewing bleibt zumindest ein Trost. Ihm persönlich wird der Vertrauensverlust kaum angelastet. „Er hat das Problem als Vorstandsvorsitzender ja geerbt“, meint der Vorstandschef eines großen Industriegüterkonzerns. Man müsse dem Banker und der Bank eine Chance geben, um nicht in die Abhängigkeit der Amerikaner zu geraten.
„Die diktieren uns sonst noch, mit wem wir welche Geschäfte zu machen haben“, warnt der Topmanager. Er selbst sei mit der Leistung der Deutschen Bank durchaus zufrieden. Sein Unternehmen werde von einem grundsoliden Berater betreut. Der sei erst vor Kurzem mit Sewing zu Besuch gewesen.
Und es gibt noch echte Fans der Deutschen Bank. Fans wie Dirk Roßmann. „ Wir arbeiten seit vielen Jahren zu unserer vollsten Zufriedenheit mit der Deutschen Bank zusammen“, sagt der Chef und Gründer der gleichnamigen Drogeriekette. „Soweit ich es beurteilen kann, gilt dies für alle Unternehmen und Unternehmer, die ich kenne.“
Worte, die Sewing Mut machen werden. Davon braucht der Westfale in den kommenden Monaten jede Menge. Denn manchmal gibt es Situationen, räumt er im Interview ein, da möchte er einfach nur seinen „Unmut rauslassen“.
Mitarbeit: Lazar Backovic, Martin Buchenau, Astrid Dörner, Thomas Jahn, Anja Müller, Corinna Nohn, Yasmin Osman, Carsten Volkery
- Die Schrumpfung der Deutschen Bank wird international genau beobachtet. Offiziell gibt man sich besorgt – doch einige Banken wollen auch profitieren.
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- Nach Verkündung der Umbaupläne sinkt die Aktie der Deutschen Bank weiter. Doch Vorstandschef Christian Sewing vertraut den Papieren und setzt ein Zeichen.
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