Kriselnde Großbank Wie die Credit Suisse verhindern will, zum Übernahmekandidaten zu werden

Experten erwarten, dass sich die Bank stärker auf die Vermögensverwaltung fokussieren wird.
Zürich Die Ruhe am Züricher Paradeplatz täuscht. Erst am Montag gab es wieder eine dieser Personalien, die kurz aufhorchen und erahnen lassen, dass die Aufräumarbeiten bei der Credit Suisse in vollem Gange sind: Die für den Heimatmarkt Schweiz zuständige Compliance-Chefin Floriana Scarlato verlässt die Bank mit sofortiger Wirkung.
Es gab schon andere hochrangige Abgänge, seit der neue Verwaltungsratschef António Horta Osório im Mai angetreten ist. Zur künftigen Strategie der zweitgrößten Schweizer Bank hält er sich noch bedeckt. Doch das wahrscheinlichste Szenario ist, dass er die Credit Suisse nach dem Vorbild der größeren heimischen Rivalin UBS umbaut: mehr Vermögensverwaltung, weniger Investmentbanking.
Das Ziel jedenfalls ist klar: Horta Osório will verhindern, dass das angeschlagene Institut zum Ziel eines aktivistischen Investors oder gar einer feindlichen Übernahme wird.
Genau darüber wird am Finanzplatz Zürich und in den Medien seit einiger Zeit spekuliert. Denn drei Wochen im März 2021 reichten aus, um die einst so stolze Credit Suisse in ihren Grundfesten zu erschüttern. Zunächst musste die Bank mehrere Fonds mit strukturierten Zinsprodukten abwickeln, die sie mit dem Pleite-Fintech Greensill aufgelegt hatte. Bis heute bangen Profikunden der Bank um mehr als drei Milliarden Dollar.
Nur wenig später brach der Hedgefonds Archegos zusammen – und verbrannte mehr als fünf Milliarden Dollar Kapital der Credit Suisse. Der Aktienkurs der Bank befindet sich seither im Sinkflug. Allein seit Ende Februar büßte die Bank mehr als sieben Milliarden Schweizer Euro an Marktwert ein. Inzwischen wird das Institut mit umgerechnet rund 22 Milliarden Euro bewertet, Hauptkonkurrentin UBS ist mit 46 Milliarden Euro mehr als doppelt so viel wert.
Die Bank musste zusätzliches Kapital einsammeln, Aktionäre und Kunden zürnten, Mitarbeiter sprangen ab. Bei vielen, die geblieben sind, herrscht Unsicherheit. Manch einer befürchtet, dass die Marke derart gelitten hat, dass der Name Credit Suisse im Lebenslauf bei Bewerbungen zur Last wird. Ein hochrangiger Banker sagt: „Natürlich belasten uns die Schwierigkeiten der vergangenen sechs Monate.“ Die Unsicherheit sei auch unter den Führungskräften groß. „Jeder analysiert die Lage.“
Horta Osório bat kürzlich im Gespräch mit der „Neuen Zürcher Zeitung“ um Geduld. Für die neue Strategie brauche er bis Ende des Jahres Zeit. „Niemand sollte Wunder erwarten“, sagte er. Intern verweist er aber auf sein Erfolgsrezept für die Rettung der britischen Lloyds Bank, die er bis April 2021 leitete: Mit einem klaren Fokus auf das Kerngeschäft schaffte er dort die Wende. Bei Lloyds war es das Privatkundengeschäft – bei der Credit Suisse ist es die Vermögensverwaltung und das Schweiz-Geschäft.

Der neue Verwaltungsratschef muss die Strategie der Bank neu ausrichten.
Als wahrscheinlich gilt daher auch bei externen Beobachtern, dass der neue Chefaufseher das Investmentbanking eindampft. „Im Grunde wäre das das Modell UBS 2.0“, sagt Michael Kunz, Chefanalyst für die Finanzbranche bei der Zürcher Kantonalbank. Ähnlich sieht es Berenberg-Analyst Eoin Mullany: „Es scheint klar, dass die Vermögensverwaltung der Kern der Wachstumsambitionen der Credit Suisse bleibt.“ Im Investmentbanking stünden dagegen Veränderungen an.
In der Vermögensverwaltung der Bank arbeiten derzeit knapp 10.000 Mitarbeiter, im Investmentbanking waren es Ende 2020 etwa 17.500. Beide sind Kernbestandteile der sogenannten „One-Bank-Strategie“. Sie sieht vor, dass Topkunden möglichst umfassend betreut werden: im Investmentbanking, der Vermögensverwaltung und im Geschäft mit Unternehmenskrediten.
Dabei warnt etwa Analyst Kunz: „Einem wichtigen Kunden in der Vermögensverwaltung kann ich vielleicht schwerer einen Kredit für sein Unternehmen verwehren.“ Es gebe potenzielle Interessenkonflikte. Kritiker wagen sogar die Behauptung, genau diese Vermischung der Geschäftsbereiche habe die jüngsten Skandale überhaupt erst möglich gemacht.
Erst kürzlich hatte die Bank eine neue Finanzkennziffer eingeführt, die den Erfolg der „One-Bank-Strategie“ in einer Zahl zusammenfasst: „Client Business Volume“, auf Deutsch etwa Geschäftsvolumen pro Kunde. Diese Kennzahl sei viel aussagekräftiger für den Erfolg der Vermögensverwaltung als etwa Nettoneugelder, sagte Vorstandschef Thomas Gottstein bei der Bilanzpressekonferenz im April. Anders als die Mittelzuflüsse steigt das Geschäftsvolumen pro Kunde beispielsweise auch, wenn die Bank einen Kredit vermittelt hat.
Zwar verfolgt die UBS eine ähnliche Strategie, doch sie geht seit Jahren deutlich weniger Risiko ein. Das Investmentbanking ist darauf ausgerichtet, die Risikovorsorge der Bank zu schonen, und beschränkt sich weitgehend auf die Fusionsberatung sowie Aktienemissionen und -handel.
Die Credit Suisse dagegen hat die „One-Bank-Strategie“ mit einer ausgeprägten Bonuskultur kombiniert: Lange Zeit gab es die sogenannte „Single Global Currency“, eine Art internes Provisionssystem, das die Weitervermittlung von Kunden zwischen den einzelnen Geschäftsbereichen honorierte. Es wurde 2006 unter dem damaligen Konzernchef Oswald Grübel eingeführt.
Welche Klumpenrisiken das Geschäftsmodell mit sich bringen kann, zeigte sich beispielhaft am Fall Greensill. Die Entscheidung, die hauseigenen Lieferkettenfinanzierungsfonds einzufrieren, hatte weitreichende Folgen: Sie stürzte das australisch-britische Fintech Greensill in die Pleite, mit dem die Bank die Zinspapiere auflegte, die in den Fonds enthalten waren.
Und sie verschärfte die Krise des Stahlkonglomerats von Sanjeev Gupta, dessen Forderungen die Grundlage für einen großen Teil der Zinspapiere waren. Die verheerende Bilanz für die Credit Suisse: Milliardenschäden bei Topkunden sowie Abschreibungen auf Firmenkredite an Greensill und Gupta. Dazu kommt der geplatzte Traum, mit Greensill ein Einhorn an die Börse bringen zu können.
„Opake Investmentstrategie“
Der Kollaps von Archegos legte eine weitere Schwäche der Bank offen: dass mancher Banker sich über den hauseigenen Regeln wähnte. Öffentlich hat die Credit Suisse nie den Namen Archegos bestätigt. Die Bank spricht immer von einem „US-Hedgefonds“, wenn es um das Investmentvehikel des Investors Bill Hwang geht, das dem Institut einen Verlust von über fünf Milliarden Dollar einbrockte.
Die Sprachregelung ist ein Hinweis darauf, wie die Bank Archegos intern eingeordnet hat. Dem Handelsblatt liegt eine interne Richtlinie der Credit Suisse für den Umgang mit Hedgefonds vor. Diese „Mindeststandards“ gelten für die gesamte Bank. Darin heißt es, dass Hedgefonds umfangreich geprüft werden müssen, etwa durch Interviews mit dem Manager und die Dokumentation der wichtigsten Dienstleister, wie der Prime-Broker. Eine erweiterte Prüfung werde nötig, wenn „negative Informationen aus Hintergrund-Checks“ bekannt werden, oder der Fonds eine „opake“ Investmentstrategie habe.
Eine solche Prüfung hätte eigentlich zutage fördern müssen, dass Archegos Kunde zahlreicher Wall-Street-Banken war. Auch dass Bill Hwang sich 2012 wegen Insiderhandels schuldig bekannt hatte, war hinlänglich bekannt. Und seine Strategie, Positionen mit sogenannten Aktienswaps aufzubauen, um Pflichtmeldungen an die Börsenaufsicht zu vermeiden, dürfte in die Kategorie „opak“ fallen. Ob zu Archegos eine erweiterte Prüfung durchgeführt wurde und ob diese – wie von der Richtlinie vorgesehen – vom Management abgesegnet wurde, wollte die Credit Suisse mit Verweis auf die laufenden Untersuchungen nicht beantworten.
Externe Prüfer sollen im Auftrag der Finanzaufsicht Finma klären, wie Hwang mit Milliardenkrediten der Bank an der Börse zocken durfte. Eine erste Konsequenz aus dem Desaster hat die Bank bereits gezogen: Das Handelsgeschäft mit Hedgefonds, das sogenannte Prime Brokerage, wird zurückgefahren.
Investmentbanking auf Schrumpfkurs
Beobachter erwarten, dass es nun weitere Teile des Investmentbankings trifft. Etwa das profitable, aber riskante Geschäft mit hochverzinsten Unternehmensanleihen und strukturierten Zinsprodukten, seit Jahren eine Spezialität der CS-Banker. „Wenn es dort kracht, dann richtig“, beschreibt ein Branchenexperte die Risiken des Geschäfts. Der Sparkurs deutet sich schon jetzt an: Eine aktuelle Studie von Morgan Stanley zeigt, dass die Credit Suisse im zweiten Quartal im Anleihehandel in einem schrumpfenden Markt deutlich stärker eingebüßt hat als die meisten Konkurrenten.
Einige CS-Banker an der Wall Street sind ebenfalls bereits zur Konkurrenz gewechselt, bestätigt Paul Webster von der US-Personalberatung Page Executive, der sich auf Investmentbanker spezialisiert hat: „In den vergangenen Wochen hatten wir eine ganze Reihe von neuen Bewerbern.“ Das sei ungewöhnlich, denn: „Die Mitarbeiter der Credit Suisse gehören eigentlich zu jenen, die nicht besonders wechselwillig sind im Vergleich zu anderen Wall-Street-Häusern.“
Komplett verabschieden wird sich die Bank vom Investmentbanking jedoch nicht. „Die Credit Suisse ist eine große Maschine und wäre eine schlechtere Privatbank ohne das Investmentbanking. Die Kunden auf der Private-Wealth-Seite brauchen das, denen kann man nicht mit standardisierten Produkten kommen“, sagt ein Insider.
Auch ein Verkauf des Geschäfts mit Profiinvestoren (Asset-Management), über den am Finanzplatz immer wieder spekuliert wird, gilt in Finanzkreisen als unwahrscheinlich. Das wäre eine Option gewesen, falls andere Kapitalquellen in der Krise versiegt wären. Doch die erfolgreiche Kapitalerhöhung hat etwas Druck von der Bank genommen. Undenkbar scheint es, dass etwa Family Offices künftig nicht mehr Kunde bei der Nummer zwei der Schweiz sein können. Berenberg-Analyst Mullany hält daher auch einen Börsengang eines Minderheitsanteils nach dem Vorbild von Deutscher Bank und DWS für möglich.

Der CEO verantwortet das Tagesgeschäft, der Verwaltungsratschef Horta Osório gibt die Leitlinien vor.
Die Fusionsgerüchte, die immer wieder aufflammen, haben sich bislang nicht erhärtet. Auch wenn ein Statement von Hamad bin Jassim Al Thani, Mitglied der Herrscherfamilie von Katar, jüngst Aufsehen erregte. Al Thani forderte Tempo bei der Konsolidierung im europäischen Bankensektor. „Fusionen sind unausweichlich“, sagte er im Gespräch mit der Nachrichtenagentur Bloomberg. Sein Wort hat Gewicht: Die Katarer sind sowohl bei der Deutschen Bank als auch bei der Credit Suisse Großaktionäre.
Eine Fusion der beiden Banken gilt jedoch als äußerst unwahrscheinlich, solange die Bankenunion in Europa noch nicht umgesetzt ist. Und auch die Hürden für eine Fusion von UBS und Credit Suisse sind gewaltig: Beide Institute werden von der Schweizer Aufsicht als systemrelevant und „zu groß zum Scheitern“ eingestuft. Eine fusionierte Bank wäre für das Land ein unkalkulierbares Risiko.
Hinzu kommen wettbewerbsrechtliche Bedenken, die Credit Suisse müsste unter Umständen Teile des Schweiz-Geschäfts veräußern. Einen solchen Strategieschwenk erwartet in Zürich kaum jemand. Auch wenn die Details der neuen Strategie noch unbekannt sind, so wird die Arbeitsteilung deutlich: CEO Gottstein verantwortet das Tagesgeschäft, der Verwaltungsratschef Horta Osório gibt die Leitlinien vor.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.