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Langfristige Sparverträge „Änderungen nach Gutsherrenart“ – BGH öffnet Tor für hohe Zinsnachzahlungen an Sparer

Verbraucherschützer sehen sich durch ein Urteil des Bundesgerichtshofs in großen Teilen bestätigt. Demnach sind viele nachträgliche Zinssenkungen in Sparverträgen unwirksam.
06.10.2021 Update: 06.10.2021 - 16:42 Uhr 1 Kommentar
Das oberste deutsche Zivilgericht verhandelt über eine Musterfeststellungsklage der Verbraucherzentrale Sachsen. Die Verbraucherschützer werfen der Sparkasse Leipzig vor, Inhaberinnen und Inhabern von Sparverträgen zu wenig Zinsen gezahlt zu haben. Quelle: action press
Bundesgerichtshof

Das oberste deutsche Zivilgericht verhandelt über eine Musterfeststellungsklage der Verbraucherzentrale Sachsen. Die Verbraucherschützer werfen der Sparkasse Leipzig vor, Inhaberinnen und Inhabern von Sparverträgen zu wenig Zinsen gezahlt zu haben.

(Foto: action press)

Karlsruhe Der Bundesgerichtshof (BGH) hat im Streit um die korrekte Zinsberechnung die Rechte von Sparerinnen und Sparern gestärkt. Er urteilte in einem Musterfeststellungsverfahren am Mittwoch, dass Banken und Sparkassen Zinsen in Sparverträgen nur nach klaren Kriterien anpassen dürfen (Az. XI ZR 234/20). Konkret ging es um langfristige Sparverträge mit variablem Zinssatz, die gerade angesichts der niedrigen Zinsen deutlich gesenkt wurden – in vielen Fällen viel zu stark.

Geklagt hatte die Verbraucherzentrale Sachsen über eine sogenannte Musterfeststellungsklage. Sie wirft der Sparkasse Leipzig vor, Kundinnen und Kunden über Jahre hinweg zu wenig Zinsen in Prämiensparverträgen gezahlt zu haben.

Der BGH entschied, dass die Zinsanpassungsklausel der Sparkasse unwirksam war. Sie weise nicht das „erforderliche Mindestmaß an Kalkulierbarkeit möglicher Zinsänderungen“ auf, erklärte der elfte Zivilsenat des BGH. Die Sparkasse habe sich „Änderungen nach Gutsherrenart“ im Schalterraum ausbedungen, sagte der Vorsitzende Richter Jürgen Ellenberger. „Das ist unzulässig.“

Zwar legte der BGH keinen neuen Referenzzins fest, an dem sich die Sparkasse orientieren muss. Er stellte aber klar, dass es sich bei den auf langfristiges Sparen angelegten Verträgen auch um einen Referenzzins für langfristige Anlagen handeln müsse. Das dürfte letztlich dazu führen, dass Sparern Nachzahlungen zustehen.

Verbraucherzentrale zeigt sich „sehr zufrieden“

Das Urteil gilt zwar unmittelbar nur für die Sparkasse Leipzig. Da viele Sparkassen und Banken ähnliche Sparverträge angeboten haben, hat es dennoch Signalwirkung für die Branche. Ob Geldhäuser von sich aus Zinsen zurückzahlen, hängt auch davon ab, ob die Finanzaufsicht Bafin sie nun noch stärker dazu drängt.

Der Rechtsexperte der Verbraucherzentrale Sachsen, Michael Hummel, zeigte sich nach der BGH-Verhandlung „sehr zufrieden“. „Es ist ein großer Erfolg für die betroffenen Verbraucher“, sagte er.

Es ist das zweite BGH-Urteil binnen kurzer Zeit, das Banken und Sparkassen letztlich viel Geld kosten könnte. Laut einer BGH-Entscheidung von April sind die jüngsten Gebührenerhöhungen der meisten Geldhäuser unwirksam. Sie müssen ihre Kundinnen und Kunden nun explizit um Zustimmung zu den aktuellen Allgemeinen Geschäftsbedingungen bitten. Preisanhebungen sind auch nur mit Einwilligung der Kunden möglich, die zuvor stillschweigende Zustimmung greift nicht mehr.

In dem aktuellen Verfahren wollte die Verbraucherzentrale feststellen lassen, dass die Sparkasse Leipzig in Prämiensparverträgen keine wirksame Klausel für die Zinsanpassung verwendet und sie Kunden daher jahrelang zu wenig Zinsen gezahlt habe. Die Verbraucherzentrale hält einen bestimmten Referenzzins der Bundesbank (WX4260) für angemessen. Laut ihren Berechnungen geht es bei der Sparkasse Leipzig im Schnitt um 3100 Euro, die Kunden eigentlich zustehen. Der Musterfeststellungsklage haben sich rund 1300 Verbraucherinnen und Verbraucher angeschlossen.

Der BGH erklärte weiter, dass die Sparkasse die variablen Zinsen mit einem relativen Abstand zum Referenzzins verändern müsse. Auch das hatten die Verbraucherschützer gefordert.

Vorgabe des BGH stößt bei Sparkassen auf Kritik

Wie genau der somit höhere Referenzzins aussieht, soll die Vorinstanz, das Oberlandesgericht (OLG) Dresden, ermitteln. Dafür dürfte das OLG wahrscheinlich auf die Expertise von Sachverständigen zurückgreifen.

Der Fall hat laut Hummel aber „Bedeutung für die gesamte Branche“. Viele Geldhäuser, vor allem Sparkassen, haben ganz ähnliche Sparverträge vertrieben. Sie heißen bei den Sparkassen in der Regel „S-Prämiensparen flexibel“ und stammen meist aus den Jahren 1990 bis 2010. Es dürfte weit mehr als eine Million Stück davon geben. Der BGH hat bereits in der Vergangenheit über Zinsanpassungsklauseln geurteilt, nicht aber bei Prämiensparverträgen.

Der Deutsche Sparkassen- und Giroverband (DSGV) äußerte sich kritisch dazu, dass der BGH den relativen Zinsabstand für angemessen hält. „Das weicht von der bisher allseits verwendeten Zinsberechnung ab.“ In anderen EU-Ländern werde eine solche Berechnungsmethode als nicht ausreichend verbraucherfreundlich ausdrücklich abgelehnt. Der relative Zinsabstand ist aus Sicht des DSGV „je nach Zinssituation für Verbraucher vorteilhaft oder auch nachteilig gegenüber dem heute verwendeten absoluten Abstand“.

Die BGH-Entscheidung hat unmittelbar Folgen für die 1300 Verbraucher, die sich der Klage angeschlossen haben. Sie können darauf hoffen, dass das OLG Dresden einen für sie sehr viel günstigeren Zins festlegt.

Zudem laufen Hummel zufolge bundesweit acht weitere solcher Musterfeststellungsklagen, die Verbraucherzentrale habe Kenntnis von mehr als 100 Individualklagen - und sie rechnet nun mit einer erhöhten Zahl neuer Klagen. Die Kläger und Klägerinnen können sich angesichts des aktuellen BGH-Urteils schließlich Hoffnung auf Rückzahlungen machen.

Die Gerichte, bei denen diese Verfahren anhängig sind, dürften nun darauf warten, wie das OLG Dresden über einen Referenzzins entscheidet. Möglicherweise landet auch dieser Teil des Streits wieder vor dem BGH.

Die Sparkasse Leipzig wies darauf hin, dass das aktuelle Urteil noch nicht zu einer abschließenden Klärung möglicher Ansprüche von Verbrauchern führe und „demzufolge auch nicht zu Zahlungsansprüchen im Einzelfall“.

Finanzaufsicht Bafin hat sich ebenfalls in den Streit eingeschaltet

Ob alle Verbraucher und Verbraucherinnen, die Prämiensparverträge haben oder hatten, nun selbst vor Gericht ziehen müssen, ist noch unklar. Denn auch die Bafin hat sich bereits in den Streit eingeschaltet und Geldhäuser zu Nachzahlungen aufgefordert.

Die Bafin will die Kreditinstitute über eine sogenannte Allgemeinverfügung dazu zwingen, Inhaberinnen und Inhaber von Prämiensparverträgen über unwirksame Zinsklauseln zu informieren und im Fall falscher Zinsklauseln Nachzahlungen zuzusagen. Die Branche wehrt sich dagegen. Mehr als 1000 Kreditinstitute legten Widerspruch ein.

Die Bürgerbewegung „Finanzwende“ forderte die Kreditinstitute auf, jetzt von sich aus auf alle betroffenen Kunden zuzugehen. Verbraucherschutzexperte Julian Merzbacher sagte: „Es wäre unangemessen, um nicht zu sagen verwerflich, weiter auf die Trägheit der Kundschaft zu setzen.“ Einige Banken und Sparkassen hätten hier illegalerweise Menschen zu wenig Zinsen gezahlt. „Sie müssen nun auch die Konsequenzen tragen.“

Bei Prämiensparverträgen erhalten Verbraucher neben einem steigenden Bonus einen variablen Grundzins. Der höchste Bonus beläuft sich oft auf die in dem Jahr eingezahlte Sparsumme oder auf die Hälfte davon. Angesichts der Null- und Negativzinsen sind die Verträge für Verbraucher sehr attraktiv, für Sparkassen aber ein Verlustgeschäft.

Sparkassen haben Prämiensparverträge daher in großem Stil gekündigt. Der BGH entschied 2019, dass das nach Erreichen der höchsten Prämienstufe, meist nach 15 Jahren, zulässig ist. Auch hier hatten Verbraucherschützer geklagt – und wurden dadurch erst auf die aus ihrer Sicht unwirksamen Zinsklauseln aufmerksam.

Musterfeststellungsklagen sind seit 2018 möglich und somit ein relativ neues Instrument, auch deshalb war die BGH-Verhandlung zum Zinsstreit mit Spannung erwartet worden. Mit ihrer Hilfe können Verbraucherschützer stellvertretend für viele Betroffene gegen ein Unternehmen klagen. Die Verbraucher selbst tragen dabei zunächst kein finanzielles Risiko. Sie können sich, nachdem die Klage eingereicht und durch das Gericht geprüft worden ist, dieser anschließen.

Mehr: Streit um Sparverträge eskaliert: Mehr als 1000 Kreditinstitute legen Widerspruch gegen Bafin-Entscheidung ein

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1 Kommentar zu "Langfristige Sparverträge: „Änderungen nach Gutsherrenart“ – BGH öffnet Tor für hohe Zinsnachzahlungen an Sparer"

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  • Es geht in die korrekte Richtung! Top für die Kunden, nur ob das vielen Kunden hilft, ihre Ansprüche auch durchzusetzen?!

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