Lehman-Richter James Peck: „Ich hoffe, ich lebe noch, wenn Lehman abgewickelt wird“
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Lehman-Richter James Peck„Ich hoffe, ich lebe noch, wenn Lehman abgewickelt wird“
James Peck urteilte als Richter über die Insolvenz von Lehman Brothers. Im Interview erinnert er sich an den spektakulären Fall, eine dramatische Sitzung – und erklärt, warum er das Finanzsystem für krisenfester hält.
Der Fall der amerikanischen Großbank steht bis heute als Synonym für die Finanzkrise.
(Foto: action press)
FrankfurtJames Peck aus der Reserve zu locken, ist gar nicht so einfach: Der Mann war schließlich Richter in New York. Die richtigen Fragen zu stellen, war sein Job. Im September 2008 wurde Peck ein Fall zugeteilt, dessen Name bis heute für die Finanzkrise steht: Lehman Brothers. Die amerikanische Großbank hatte die Insolvenz beantragt – und stand mit mehr als 600 Milliarden Dollar bei ihren Gläubigern in der Kreide. Während der Kollaps von Lehman eine globale Finanzkrise auslöste, sollte Peck als Insolvenzrichter dafür sorgen, dass Gläubiger etwas von ihrem Geld wiedersehen. Fünfeinhalb Jahre lang beschäftigte Peck sich mit dem Fall. Er brachte einen Insolvenzplan auf den Weg, mit dem Lehman-Gläubiger rund 80 Milliarden Dollar erhalten sollen.
Heute arbeitet der Jurist als Experte für Insolvenzen und Restrukturierungen für die internationale Großkanzlei Morrison Foerster (MoFo). Im Gespräch mit dem Handelsblatt erinnert er sich an seinen spektakulärsten Fall – und erklärt, wo er die größten Risiken für das Finanzsystem sieht.
Herr Peck, die Lehman-Pleite gilt als Ausgangspunkt der Finanzkrise. Warum musste Lehman scheitern? Ich bin mir nicht sicher, ob Lehman überhaupt hätte scheitern müssen. In die Entscheidung zum Insolvenzantrag war ich nicht eingebunden. Ich war für die Konsequenzen zuständig. Und mein Eindruck ist, dass die besonders hart ausfielen, weil niemand damit gerechnet hatte. Deshalb gab es kaum Pläne für die Insolvenz. Alles war sehr chaotisch, weil es so abrupt geschah.
Lehman-Richter Peck
„Alles war sehr chaotisch, weil es so abrupt geschah.“
(Foto: PR)
Manche Menschen sagen, dass man die Insolvenz von Lehman hätte verhindern sollen. Dass der Staat Lehman hätte retten sollen ... Wenn Lehman gerettet worden wäre, hätte es die Insolvenz nicht gegeben. Und wenn es die Insolvenz nicht gegeben hätte, wie sähe die Welt dann heute aus? Ich weiß es nicht.
Aber Sie haben doch sicher darüber nachgedacht!? Oh ja, das habe ich.
Und was denken Sie? Vielleicht wären wir heute in größerer Gefahr, wenn Lehman nicht gefallen wäre. Der Untergang von Lehman – und die Konsequenzen daraus – führten zu festen Regeln, die die Stabilität des Finanzsystems sichern sollen. Womöglich war die Lehman-Pleite das Beste, was uns passieren konnte.
Wir sind also besser vorbereitet. Aber doch nur, wenn wir davon ausgehen, dass das nächste „Lehman“ wie das Letzte aussehen wird. Was, wenn das systemische Risiko irgendwo lauert, wo wir es nicht vermuten? Das Problem mit Plänen für die Zukunft ist, dass sie stets auf der Vergangenheit beruhen. Ich glaube, dass die heutigen Risiken für das Finanzsystem nichts mit dem Derivatemarkt zu tun haben, der zum Scheitern von Lehman beigetragen haben dürfte. Sie haben wahrscheinlich auch nichts mit der Kapitalausstattung von Banken zu tun. Denn es wurden Schritte getroffen, um das Kernkapital für große Finanzinstitute zu erhöhen.
Wo sehen Sie dann das größte Risiko für die Finanzstabilität? Wer weiß das schon? Es könnte Cyber-Terrorismus sein, nur um mal ein Thema aus den Nachrichten aufzugreifen. Jeden Tag werden private Kundendaten von Hackern gestohlen. Terroristen könnten versuchen, das Banksystem ins Chaos zu stürzen. Risiken gibt es zweifelsohne. Manche sind nur imaginär, manche sind real, und manche können wir uns noch gar nicht vorstellen.
Vita James Peck
James Peck wurde 2006 Insolvenzrichter in New York. Er war für die größte Pleite in der Geschichte der USA zuständig: Lehman Brothers. Seit 2014 arbeitet Peck für die internationale Großkanzlei Morrison Foerster.
Lehman gilt bis heute als Auslöser der Finanzkrise: Lehman – damals die viertgrößte Investmentbank in den USA – ging im September 2008 in die Insolvenz. Die Pleite löste eine verheerende Kettenreaktion aus, die das weltweite Finanzsystem ins Wanken brachte. Auch deutsche Anleger, die in Lehman-Zertifikate investiert hatten, verloren ihre Ersparnisse.
Würden Sie sagen, dass das Finanzsystem heute stabiler ist als früher? Ich denke, auf das Scheitern eines großen Instituts sind wir heute besser vorbereitet als vor der Lehman-Pleite. Wir haben verstanden, dass wir einen Fall wie Lehman, bei dem überall auf der Welt Tochtergesellschaften in die Insolvenz gehen, nicht mehr zulassen dürfen. Wir haben verstanden, dass es wichtig ist, dass die operativen Einheiten einer Bank im Geschäft bleiben und über das nötige Kapital verfügen. Außerdem haben wir die so genannte Single Point of Entry-Abwicklung (SPE).
Das müssen Sie erklären. Heute geht man davon aus, dass in Notlage geratene Banken Verluste absorbieren können. Und wenn die Verluste auf Konzernebene ausgeglichen werden – idealerweise von den Geldgebern der Bank, und nicht vom Steuerzahler – bleiben die operativen Geschäftseinheiten intakt. Das ist wie mit Stoßdämpfern am Auto: Selbst wenn die Straße holprig wird, werden die Passagiere nicht durchgeschüttelt. Hoffentlich klappt das. Es wurde bislang einfach noch nicht ausprobiert.
In der Zwischenzeit ist Lehman noch immer nicht abgewickelt. Das stimmt. Aber die größten Herausforderungen sind bewältigt. Seit im Dezember 2011 der Lehman-Plan in Kraft trat, gab es sieben Ausschüttungen an die Geldgeber. Ein zweistelliger Milliardenbetrag wurden an Gläubiger ausgeschüttet – und es wird noch mehr dazukommen.
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