Londons Banken und die Brexit-Folgen Betteln und drohen

London ist grundsätzlich ein teurer Standort.
In Westminster sind die Banker gescheitert. Der Londoner Finanzbranche ist es nicht gelungen, die britische Regierung von ihrer enormen ökonomischen Bedeutung zu überzeugen, um schmerzliche Brexit-Folgen abzuwenden. Premierministerin Theresa May hat andere Prioritäten. Sie nimmt in Kauf, dass die Geldhäuser die Rechtsgrundlage verlieren, um von London aus in ganz Europa Geschäfte machen zu können: das sogenannte Passporting.
Jetzt folgt der nächste Versuch der Branche, Politiker und Beamte zu umgarnen – diesmal nicht nur in Großbritannien, sondern in ganz Europa. Diese Charmeoffensive ist ausgefeilter und mit einem guten Argument unterlegt, viel erfolgreicher wird sie aber wohl nicht sein.
Das Kernargument lautet: Es ist im ökonomischen Interesse von ganz Europa, London als Finanzhauptstadt möglichst intakt zu lassen. Das ginge, wenn Großbritannien und der Rest der EU gegenseitig anerkennen, dass ihre Regulierungsvorgaben für Banken und Vermögensverwalter gleichwertig sind. Das wäre eine clevere Alternative zum Passporting. Die Brexit-Folgen vor allem für die US-amerikanischen Investmentbanken, die seit Jahren von der Insel aus Kunden in allen EU-Ländern bedienen, wären recht überschaubar.
Die Branche hat eine überzeugende Begründung auf ihrer Seite: Sollte der Finanzplatz London im Zuge des Brexits zerbröseln, würden die 27 verbliebenen EU-Länder einen hohen Preis bezahlen. Wenn die Institute große Teile ihres Geschäfts aus der britischen Hauptstadt abziehen müssten, käme es zu einer Fragmentierung des europäischen Finanzmarkts. Die Folge: Überall auf dem Kontinent würden Bankdienstleistungen für Unternehmen teurer.
Tatsächlich spielen Clustereffekte im Finanzsektor eine erhebliche Rolle. Wissenschaftlern zufolge fallen sie fünfmal höher ins Gewicht als im Rest der Wirtschaft. Das hat dazu beigetragen, dass London zu einer der weltweit führenden Finanzmetropolen aufgestiegen ist, Großbritannien aber nur die weltweit fünftgrößte Volkswirtschaft ist.
Dennoch werden sich europäische Politiker schwer damit tun, das Londoner Ökosystem, wie es die Banker nennen, zu retten. Ökonomische Argumente haben in der Debatte über Großbritanniens Abkehr von der EU schon immer eine untergeordnete Rolle gespielt – ansonsten wäre es gar nicht erst zu dem Brexit-Votum gekommen.
Fragmentierte Märkte mögen die Kosten erhöhen, die Liquidität verknappen und die Effizienz senken. Doch Banken haben Möglichkeiten, dies an anderer Stelle zu kompensieren. London ist grundsätzlich ein teurer Standort. Die Geldhäuser haben bereits vor Jahren damit angefangen, Geschäftsteile in günstigere Städte Englands zu verlagern wie Bournemouth oder Birmingham oder gleich in andere Länder wie Polen, wo die Kosten noch niedriger sind. Die Brexit-Folgen werden diesen Trend verstärken und so helfen, höhere Ausgaben anderswo auszugleichen.
Hinzu kommt: Vieles, was die Banken mit großem Aufwand entwickeln, ist unnötig und am Ende schädlich, wie die Erfahrungen in der Finanzkrise gezeigt haben. Komplexe Finanzprodukte hatten nur den Zweck, dass der Erfinder mehr verdient – auf Kosten anderer Marktteilnehmer oder auf Kosten der Kunden.
„Viele Dinge, die in der Londoner City geschehen, sind sozial nutzlos“, sagte der ehemalige oberste Londoner Finanzaufseher Adair Turner damals. Es würden oft keine realen, für die Gesellschaft nützlichen Werte geschaffen. Einst versorgten die Banken die Wirtschaft nur mit Geld, sie waren Dienstleister, eine Art Energieversorger. Sich darauf wieder stärker zu besinnen wäre gar kein so schlechter Nebeneffekt der britischen Scheidung von der EU.
Die Krise vor gut acht Jahren hat ebenfalls gezeigt: Ein aufgeblähter Finanzsektor in einem Land hat mehr Nach- als Vorteile. Er fördert Exzesse, er kann einen Staat an den Rand des Abgrunds bringen. Die Konzentration von Banken und ihren Dienstleistern an einem Ort hat also auch eine Kehrseite.
All diese Abwägungen werden aber in den Verhandlungen zwischen London und Brüssel letztlich eine untergeordnete Rolle spielen. Banken haben schlicht in den vergangenen Jahren das in sie gesetzte Vertrauen verspielt und massiv an Glaubwürdigkeit verloren – beispielsweise durch frühere Drohungen: Zu strenge Regulierung als Reaktion auf die Krise würde die Branche schädigen und am Ende große Nachteile für die Kunden mit sich bringen. Das ist nicht eingetreten. Stattdessen kehrten vor allem bei US-Instituten üppige Boni zurück.
Am Ende wird sich die Finanzbranche auch an die durch den Brexit eingeleiteten Veränderungen anpassen. Es wird dauern, aber wenn es nötig ist, werden sich auch an anderen Finanzstandorten Clustereffekte herausbilden – wenn auch im kleineren Stil als in London.
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