Nach Brexit-Votum Börsenfusion anpassen oder begraben?

Die Börsen von Frankfurt und London wollten eigentlich fusionieren. Nach dem Brexit-Votum steht der Deal in Frage.
Frankfurt Aktionäre der Deutschen Börse fordern nach der Brexit-Entscheidung Änderungen beim geplanten Zusammenschluss mit der London Stock Exchange (LSE). Die fusionierte Mega-Börse könne nach einem Austritts Großbritanniens aus der EU nicht wie geplant in London angesiedelt werden, erklärten mehrere Investoren am Montag. „Die Führung der Deutschen Börse sollte ihre bisherigen Fusionspläne nochmals kritisch hinterfragen und massiv anpassen oder ganz begraben“, sagte Klaus Nieding, Vizepräsident der Aktionärsvereinigung DSW. Ohne eine Verlagerung des Firmensitzes nach Frankfurt werde die hessische Börsenaufsicht den rund 25 Milliarden Euro schweren Zusammenschluss untersagen.
Neben einer Verschiebung des Firmensitzes müsse sich das Unternehmen auch über das Umtauschverhältnis noch mal Gedanken machen, sagte einer der 20 größten Aktionäre der Deutschen Börse der Nachrichtenagentur Reuters. Die Unternehmen hatten im Februar festgelegt, dass Deutsche-Börse-Aktionäre gut 54 Prozent am fusionierten Unternehmen halten sollen und LSE-Eigner knapp 46 Prozent. Wegen des Absturzes der LSE-Aktie und des Pfunds müsse dieses Verhältnis nun zugunsten der Frankfurter angepasst werden, sagte der Investor. „Ansonsten ist der Deal nicht vorteilhaft für die Aktionäre der Deutschen Börse.“
Die LSE-Eigner sollen am 4. Juli auf einer außerordentlichen Hauptversammlung grünes Licht für die Börsen-Hochzeit geben. Die Deutsche-Börse-Aktionäre haben Zeit bis zum 12. Juli, um das Fusionsangebot anzunehmen. Der Top-20-Investor ist – wie viele andere Großaktionäre – sowohl an der LSE auch als auch an der Deutschen Börse beteiligt. Auf der LSE-Hauptversammlung will er auf jeden Fall für die Fusion votieren. Ob er auch seine Deutsche-Börse-Aktien andient, hat er noch nicht entschieden. „Strategisch ist die Fusion aus unserer Sicht nach wie vor sinnvoll. Wir hoffen aber noch auf Nachbesserungen, damit wir ohne Bauchschmerzen zustimmen können.“ Deutschlands größter Börsenbetreiber wollte sich dazu nicht äußern.
Deutsche Börse und LSE wollen ihre Fusion trotz Brexit durchziehen. Ein Referendums-Komitee beider Konzerne soll sich in den kommenden Wochen mit Reaktionen auf den Austritt Großbritanniens befassen. Auch die Entscheidung für London als „alleinigem Sitz“ des fusionierten Konzerns werde dabei überprüft, hat Deutsche-Börse-Aufsichtsratschef Joachim Faber angekündigt. Eine Verlagerung der Holding-Gesellschaft nach Frankfurt oder die Schaffung von zwei Firmensitzen könnte Insidern zufolge aber erst nach dem Abschluss der Fusion in Angriff genommen werden. Am Umtauschverhältnis und anderen Eckdaten des Zusammenschlusses will die Deutsche Börse nicht rütteln, wie Vorstandschef Carsten Kengeter am Freitag betonte. „Diese Vertragsunterlagen lassen sich nicht verändern.“
Bei der Hauptversammlung der LSE kommende Woche erwarten Insider eine deutliche Zustimmung. Dass im Anschluss auch mindestens 75 Prozent der Deutsche-Börse-Aktionäre grünes Licht geben, sei wahrscheinlich, aber nicht sicher, sagten mehrere mit dem Vorgang vertraute Personen. Kengeter lege sich ins Zeug und werbe bei vielen Großinvestoren persönlich für die Fusion.
Die größte Hürde für den Zusammenschluss ist aus Sicht von Experten die Zustimmung der Aufsichtsbehörden in Brüssel und Wiesbaden. Die Bedenken der hessischen Börsenaufsicht gegen die Ansiedlung der Mega-Börse in London haben sich Insidern zufolge wegen des erwarteten Austritts Großbritanniens aus der EU verstärkt. Nach Ansicht von Neil Smith vom Bankhaus Lampe ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Fusion zustande kommt, wegen des Brexit auf 20 Prozent gesunken.