Notenbankchef will Finanzregeln lockern Wird London zum Singapur an der Themse?

Führt der Brexit zu einer Deregulierungswelle?
London Es war eine dieser Aussagen, die in Brüssel den Puls schneller rasen lassen. Nach dem Brexit könnte Großbritannien einige Regeln im Finanzsektor abschaffen, erklärte der Gouverneur der Bank of England, Mark Carney, diese Woche. „Es gibt Dinge, die wir nicht für nötig halten.“
Für überflüssig hält er etwa die Bonus-Obergrenze für Banker. Die EU hatte sie 2014 eingeführt, um Gehaltsexzesse im Finanzsektor zu verhindern. Seitdem darf der Bonus nicht größer sein als das Gehalt. In London galt die Vorschrift von Anfang an als schlechte Idee. Die britische Regierung war damals sogar vor den Europäischen Gerichtshof gezogen – vergeblich.
Nach dem EU-Ausstieg gäbe es nun die Gelegenheit, die umstrittene Regel loszuwerden – und einige andere auch. Als weiteres Beispiel nannte Carney, dass EU-Vorschriften nicht für jede kleine Bank gelten müssen. Harte Kapitalvorgaben etwa seien berechtigt im Fall von international tätigen, systemrelevanten Instituten. Bei allen anderen könne man die Anforderungen senken. Auch bei der neuen Versicherungsrichtlinie Solvency II würde Großbritannien laut Carney wohl nachjustieren.
So mancher Hedgefonds-Manager in der Londoner City träumt bereits davon, dass der Brexit am Ende zu einer Deregulierungswelle führt. So wie der Big Bang in den 80er-Jahren die alte Bankenwelt aufgebrochen hat, könnte der EU-Ausstieg die zuletzt angezogenen Fesseln des Finanzsektors wieder lockern. Als Vorbild gilt in diesen Kreisen Singapur, der reiche Stadtstaat mit den niedrigen Steuern.

Der britische Notenbankchef hält die Bonus-Obergrenze für kontraproduktiv.
Experten halten dies jedoch für unrealistisch. „Natürlich gibt es Banker, die für den Brexit sind, weil sie sich eine schwächere Regulierung erhoffen“, sagt William Wright vom Thinktank New Financial. „Aber die 17,4 Millionen Wähler, die für den Brexit gestimmt haben, wollen mit Sicherheit keine Deregulierung des Finanzsektors.“
Auch Carney ist kein Deregulierer. Die Bank of England und die Finanzaufsicht FCA beteuern bei jeder Gelegenheit, dass es nach dem Brexit keinen Dumpingwettbewerb der Aufseher geben dürfe. Sie verweisen darauf, dass Großbritannien die Brüsseler Richtlinien mitgeschrieben und zum Teil auch angestoßen hat. Die Mifid-II-Richtlinie etwa, die 2018 in Kraft tritt und derzeit bei Investmentfirmen auf lauten Protest stößt, wurde von London entwickelt und vorangetrieben.
Er wolle nur die EU-Regeln hier und da ein bisschen anpassen, sagt Carney. Das Niveau der Regulierung werde aber nicht sinken. Im Gegenteil: Er erwartet, dass der Finanzsektor in den kommenden zwei Jahrzehnten auf das Zwanzigfache der britischen Wirtschaftsleistung anwächst. Strikte Regulierung sei daher im nationalen Interesse.
„London wird nicht zum Singapur an der Themse“, sagt Dan Crow von der auf Finanzdienstleister spezialisierten Unternehmensberatung zeb. „Carneys Haltung zur Bonus-Obergrenze war immer schon die Position der britischen Regierung.“
Die Bonus-Obergrenze gilt als kontraproduktiv, weil sie die Entlohnung im Finanzsektor nicht senkt, sondern nur anders strukturiert. Banken haben einfach die Festgehälter angehoben und andere Vergütungsarten erfunden, um sie zu umgehen. Anders als ein variabler Bonus kann dieses Geld nicht einfach zurückgefordert werden, wenn die Geschäfte eines Managers Jahre später in riesigen Verlusten resultieren.
„Die Bonus-Obergrenze macht inhaltlich keinen Sinn“, sagt Wright. Aber sie abzuschaffen sei politisch nicht einfach. Sie sei ein Symbol gegen alles, was in der Finanzkrise falsch gelaufen ist. „Carney muss aufpassen, dass er nicht die falschen Signale nach Brüssel sendet“, sagt Wright.
Der Spielraum für Deregulierung ist zudem beschränkt, weil die britischen Banken größtmöglichen Zugang zum Binnenmarkt behalten wollen. Die Lobbyverbände der City haben verschiedene Modelle vorgestellt, wie das künftige Handelsverhältnis aussehen könnte – von einem System gegenseitiger Anerkennung bis hin zu einem Freihandelsabkommen. Abweichende Regulierung dürfte eine der heikelsten Fragen in den Brexit-Verhandlungen werden. Bislang lehnt es die EU ab, ein Freihandelsabkommen über Finanzdienstleistungen zu schließen, um den Binnenmarkt nicht zu schwächen. Auf der anderen Seite beharren die Brexit-Befürworter darauf, dass
Großbritannien nach dem Ausstieg selbstverständlich seine eigenen Regeln machen können muss. Alles andere verstoße gegen die Idee der wiedergewonnenen Souveränität. „Großbritannien wird sich entscheiden müssen“, sagt Wright, „welche Regeln es für welchen Marktzugang in Kauf nimmt.“
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