Pressestimmen zur Deutschen Bank „Cryan setzt auf Risiko“

Die größte Privatbank des Landes will Handlungsfähigkeit zurückgewinnen – und wird genau beobachtet.
Düsseldorf Die Deutsche Bank baut um – und wirft ihre bisherige strategische Planung über den Haufen. Wie bei der sonntäglichen Aufsichtsratssitzung in Frankfurt bestätigt wurde, packt die Bank eine erneute Kapitalerhöhung an: 8 Milliarden Euro hofft Bankchef John Cryan durch die Ausgabe neuer Aktien einzunehmen. Dafür nimmt er deutliche Kursabschläge in Kauf. Außerdem will die Bank ihre Struktur vereinfachen und besteht in Zukunft nur noch aus drei Bereichen. Die Einschätzung von Analysten fällt ernüchternd aus. Auch die deutsche und internationale Presse kommentiert das Vorhaben zurückhaltend.
Viele Kommentatoren sind der Ansicht, dass die Entscheidung für den Strategieschwenk reichlich spät kommt. Die Süddeutsche Zeitung aus München sieht Bankchef John Cryan als Hauptverantwortlichen für den „Zickzackkurs“ der größten deutschen Bank: „Cryans Problem aber ist: Er hat bei seinem Amtsantritt vor zwei Jahren zunächst voreilig die Strategie seiner Vorgänger übernommen und dadurch nicht nur Zeit verloren, sondern viel Geld verbrannt. Sein Vertrag läuft im Jahr 2020 aus; dass er verlängert wird, ist unwahrscheinlich.“
Die Frankfurter Rundschau sieht die Zukunft des Briten seit der gestrigen Entscheidung etwas weniger düster: „Als Revolutionär in Nadelstreifen ist Deutsche-Bank-Chef John Cryan bisher nicht aufgefallen. Vielmehr erwarb sich der Mann der vielen kleinen Schritte den Ruf, jede Menge Langeweile und Biederkeit statt Visionen und Fantasie zu verbreiten. Nun schwenkt der Brite um und verabschiedet sich vom Klein-Klein.“ Die Kapitalerhöhung komme zur rechten Zeit, angesichts der Hochstimmung an den Börsen: „Die Entspannung an den Finanzmärkten bietet der Deutschen Bank neue Möglichkeiten. Dem Geldhaus mangelte es lange an finanziellen Reserven, um etwas Neues zu wagen und die eigene Zukunft aktiv zu gestalten. Cryan setzt auf Risiko, um in schwierigen Zeiten die Handlungsfähigkeit zurückzugewinnen.“
Die Rheinische Post aus Düsseldorf sieht die Nachteile der Kapitalerhöhung für die Alt-Aktionäre: „Die Deutsche Bank hat eine Dividende von 19 Cent angekündigt – ein Mini-Trostpflaster für die Aktionäre, deren Gewinnbeteiligung durch die neue Kapitalerhöhung verwässert wird. Aber so schmerzhaft das für Alt-Anteilseigner auch sein mag – die Kapitalerhöhung muss sein. Denn die Deutsche Bank liegt bei ihren Kapitalreserven weit hinter der internationalen Konkurrenz zurück.“
Positiv bewertet die Frankfurter Allgemeine Zeitung die Neuaufstellung der Deutschen Bank in drei Hauptbereiche. „Die Maßnahmen gehen in die richtige Richtung. Ob sie ausreichen, um eine nachhaltige Profatibilität zu erzielen, hängt nicht zuletzt von der Fähigkeit des Vorstands ab, mit seinen zuletzt etwas irritiert wirkenden Truppen eine geschäftliche Offensive zu entfalten und gleichzeitig strenge Kostendisziplin zu wahren.“ Die Bank solle mit der Neuaufstellung „wieder deutscher“ werden – was die F.A.Z. begrüßt: Die „meisten internationalen Banken stützen sich auf ein starkes Fundament in ihrem Heimatland – vor allem, wenn dieses Heimatland zu den größten Volkswirtschaften der Welt zählt. In früheren Jahren, als manche in der Führung der Bank dachten, über Wasser gehen zu können, war diese simple Erkenntnis verdrängt worden.“
Lohnt sich ein Einstieg bei der Deutschen Bank für Neuanleger? Das ARD-Börsenstudio in Frankfurt rät davon ab: „Privatanlegern können die Papiere eigentlich nicht empfohlen werden. Bisher hat sich noch jede der drei vorausgegangen Kapitalerhöhungen seit 2010 als Wertvernichter erwiesen.“ Vertrauensbildend sei der neue Plan auch nicht: „Im Gegenteil. In den vergangenen Wochen und Monaten hatten sowohl Bankchef John Cryan als auch Finanzvorstand Marcus Schenck die Perspektive einer Kapitalerhöhung immer wieder von sich gewiesen und den Eindruck erweckt, die Bank könne ihre Kapitalbasis aus eigener Kraft schaffen.“ Der Bank sei es „auch im vergangenen Jahr nicht gelungen, aus den Erlösen von 30 Milliarden Euro einen Gewinn zu erwirtschaften. Im Gegenteil. Das Jahr 2016 hat die Deutsche Bank mit einem Verlust von 1,4 Milliarden Euro abgeschlossen.“
Klar ist für viele Kommentatoren: Der neue Plan bildet erst den Auftakt zur Neuausrichtung der Bank. „Die Entlassung Tausender Mitarbeiter und die Schließung etlicher Filialen waren erkennbar erst der Anfang eines langwierigen und schmerzhaften Umbauprozesses“, heißt es im Handelsblatt-Kommentar. „Der aber alternativlos ist, wenn Deutschlands wichtigste Bank nicht weiter an globaler Bedeutung verlieren will. Dazu muss Bankchef Cryan vor allem beweisen, dass er mit dem künftigen Geschäftsmodell ausreichend Geld verdienen kann. Andernfalls sind die Chancen durch die Kapitalerhöhung schnell wieder verspielt.“
In dieselbe Kerbe schlägt der Finanznachrichten-Dienst Bloomberg aus New York: „Im Moment setzt man zu sehr auf den Glauben, dass ein Marktaufschwung den Schlag [der Kapitalerhöhung] abfedern wird. Das Gewinnziel der Deutschen Bank sieht besonders unscharf aus. Restrukturierung und Kostensenkung wird die Bank auf Jahre hinaus beschäftigen, und gleichzeitig muss die Deutsche Bank ihren Marktanteil erhöhen, um mit aggressiveren Rivalen Schritt zu halten und den Umsatz zu steigern. Schrumpfen, Wachsen, Umstrukturierung: Das wäre eine harte Aufgabe für jedes Team, geschweige denn das gleiche Team wie zuvor.“
Die Londoner Financial Times befasst sich ebenfalls mit der bekannten Führungsmannschaft und wirft bereits einen Blick auf die Zeit nach Vorstandschef John Cryan: „Finanzvorstand Marcus Schenck and der Chef der Privatkundensparte, Christian Sewing, werden zu stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden ernannt. Die Deutschen erhalten damit die Pole Position in der Nachfolge von Herrn Cryan, wenn dieser zurücktritt.“
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