Reaktion auf Wirecard-Skandal Finanzaufsicht Bafin prüft strengere Überwachung der Deutschen Börse

Für die deutsche Finanzaufsicht ist es laut einer internen E-Mail schwierig, Banken zu kontrollieren, die Teil eines größeren Firmenkonglomerats sind.
Frankfurt Dass die Finanzaufsicht Bafin den Betrugsskandal bei Wirecard nicht aufgedeckt hat, liegt nach eigener Darstellung auch daran, dass der Konzern in einer bestimmten Schublade eingeordnet war: Der im vergangenen Sommer zusammengebrochene Zahlungsdienstleister wurde offiziell als Technologiekonzern eingestuft und nicht etwa als Finanzholding. Seine Behörde habe deshalb nur begrenzten Zugriff gehabt, argumentiert Bafin-Chef Felix Hufeld. Direkt beaufsichtigt habe die Finanzaufsicht nur die Tochter Wirecard Bank.
Als Reaktion auf den größten Bilanzskandal der deutschen Nachkriegsgeschichte nimmt die Bafin nun zahlreiche andere Firmengruppen unter die Lupe, die eine ähnliche Struktur wie Wirecard haben. Es geht also um Firmenkonglomerate, die eine oder mehrere regulierte Banktöchter haben, die aber als Ganzes bisher nicht als Finanzholding eingestuft wurden. Das geht aus Unterlagen hervor, die dem Handelsblatt vorliegen.
Interne E-Mails der Bafin zeigen, dass zu den überprüften Unternehmen auch der wertvollste Frankfurter Finanzkonzern zählt: die Deutsche Börse. Das 25 Milliarden Euro schwere Unternehmen ist zwar per se unvergleichbar mit dem intransparenten Wirecard-Konzern. Aber die Deutsche Börse wird von der Bafin bisher nicht als Finanzholding eingestuft – und folglich auch nicht intensiv überwacht. Primär zuständig für die Kontrolle ist – wie bei allen deutschen Börsen – die jeweilige Landesregierung.
Aus Sicht von Experten ist dieses System nicht mehr zeitgemäß. „Es wäre sinnvoll, die Börsenaufsicht zentral zu bündeln: In einem ersten Schritt deutschlandweit bei der Bafin, in einem zweiten Schritt langfristig europaweit bei der Esma“, sagt Michael Zollweg. Er war von 2000 bis Ende 2019 Leiter der Handelsüberwachungsstelle der Deutschen Börse und berät seit diesem Jahr als Anwalt Finanzkonzerne bei regulatorischen Themen.
Laut Zollweg haben die Aufsichtsabteilungen in den Landesregierungen zu wenig Ressourcen, um global bedeutsame Handelsplätze wie die Derivatebörse Eurex und die Frankfurter Wertpapierbörse zu kontrollieren. „Die Bundesländer sind mit der Aufsicht über die Börsen und der Umsetzung der zunehmenden europarechtlichen Aufsichtsregularien überfordert.“
Bafin überprüft 16 Firmengruppen
Die Deutsche Börse wollte sich zu dem Thema nicht äußern. Sie ist nicht das einzige Unternehmen, dessen Einstufung sich die Bafin als Reaktion auf den Wirecard-Skandal noch einmal anschaut. Das geht aus einer Antwort des Finanzministeriums auf eine Anfrage des Grünen-Bundestagsabgeordneten Danyal Bayaz hervor: „Im Jahr 2020 wurde in 16 Fällen die Prüfung der Finanzholdingeigenschaft des jeweiligen Konzerns eingeleitet“, schreibt das Finanzministerium. Drei Konzerne habe die Bafin dabei bislang als Finanzholding eingestuft, vier Unternehmen nicht. „Neun Fälle befinden sich derzeit noch in der Prüfung.“
Darüber hinaus, erklärt das Finanzministerium, habe es Anfang des Jahres 26 Firmengruppen gegeben, zu denen ein Kreditinstitute gehört, die als Ganzes jedoch nicht als Finanzholding im Sinne des Kreditwesengesetzes eingestuft sind. Finanzpolitiker Bayaz findet das bedenklich: „Die Tatsache, dass es viele andere Firmenkonglomerate mit einer ähnlichen Struktur wie Wirecard gibt, die aktuell nicht umfassend beaufsichtigt werden, ist besorgniserregend.“

Der ehemalige Präsident der Finanzaufsicht Bafin darf ein Jahr nach seinem Rückzug wieder neue Aufgaben übernehmen.
Grundsätzlich findet es Bayaz jedoch gut, „dass die Bafin aus Fehlern lernt und nun prüft, ob sie solche Konzerne anders einstufen und in der Folge enger überwachen kann. Eine solche positive Fehlerkultur würde ich mir auch im Fall Wirecard wünschen“, sagt der Grünen-Abgeordnete. „Dass Bafin-Chef Felix Hufeld mehrfach gesagt hat, die Behörde würde bei der Einstufung von Wirecard heute wieder alles genauso machen, ist verstörend.“
Die Bafin erklärte, sie nehme gemeinsam mit der Bundesbank regelmäßig bei bestimmten Anlässen eine sehr intensive Prüfung der Finanzholdingeigenschaft vor, die klaren Kriterien folge. „Dies ist auch im Falle von Wirecard geschehen“, teilte die Behörde mit. „Zunächst obliegt die Prüfung der Finanzholdingeigenschaft aber den Instituten selbst beziehungsweise den Wirtschaftsprüfern.“
Zu den Namen der Unternehmen, die Bankgeschäfte machen, aber bisher nicht als Finanzholding eingestuft werden, äußert sich die Bafin nicht. Sicherlich dazu gehören Konzerne wie BMW, Volkswagen und Siemens, die eine Banktochter haben, aber nicht vorwiegend Finanzgeschäfte machen. In anderen Fällen ist die Klassifizierung offenbar weniger eindeutig, wie die Neueinstufung von drei Konzernen im vergangenen Jahr zeigt.
Löchrige Aufsicht von Konglomeraten
Wie groß die Konsequenzen von derartigen Einordnungen sind, geht aus einer E-Mail der Bafin ans Finanzministerium im Juli 2020 hervor. Darin beschreibt eine Bafin-Mitarbeiterin anschaulich, wie schwierig es für die Behörde ist, Banken zu beaufsichtigen, die Teil eines größeren Firmenkonglomerats sind, zu dem auch Töchter außerhalb der EU gehören: „Für die Aufsicht ist es nur bedingt möglich, alle Risiken der beaufsichtigten Einheiten der Gruppe zu bewerten, da aus der Verflechtung mit der Mutterholding sowie deren Verbindung in das Nicht-EU-Ausland weitere Risiken entstehen können, die außerhalb des aufsichtlichen Fokus liegen“, heißt es in dem Schreiben.
Wenn eine Banktochter allein operativ nicht überlebensfähig sei, könne sie bei wirtschaftlichen Problemen des Mutterkonzerns mit in den Abgrund gerissen werden, betont die Bafin-Mitarbeiterin. Zudem gebe es Solvenzrisiken, wenn Kredite an den Mutterkonzern ausfallen, und Governance-Probleme, „wenn Funktionsträger in Personalunion sowohl für die Mutter als auch die beaufsichtigte Einheit zuständig sind und jeweils andere Interessen vertreten sollen“.
Darüber hinaus warnt die Mitarbeiterin, dass Unternehmen Holdingstrukturen gezielt ausnutzen können, um aufsichtliche Anforderungen zu umgehen und sich so einen Wettbewerbsvorteil zu verschaffen. „Ein level-playing field kann so unter Umständen nicht gewährleistet werden, wenn einige Unternehmen unter die Aufsicht fallen und andere wiederum nicht.“
Nach aktueller Rechtslage müsse sich die Bafin darauf verlassen, dass eine Bank die aus der Kooperation mit ihrem Mutterkonzern entstehenden Risiken bei ihren geschäftspolitischen Entscheidungen angemessen berücksichtige, heißt es in der E-Mail. Mehr könne die Behörde „aufgrund der eingeschränkten Kompetenzen der Aufsicht im Hinblick auf Holdinggesellschaften“ nicht tun.

Deutschlands größter Börsenbetreiber hat insgesamt vier Töchter mit Banklizenz – drei davon sind in Deutschland angesiedelt, eine in Luxemburg.
Die Bafin-Mitarbeiterin weist in dem Schreiben darauf hin, dass von dieser Problematik nicht nur Unternehmen im Bereich Bankenaufsicht betroffen sind, sondern auch in der Wertpapieraufsicht (WA). „Der wichtigste Fall WA-übergreifend ist die Deutsche Börse AG.“
Deutschlands größter Börsenbetreiber hat insgesamt vier Töchter mit Banklizenz – drei davon sind in Deutschland angesiedelt, eine in Luxemburg. Für große Teile seines Geschäfts – beispielsweise den Betrieb von Börsen und den Verkauf von Daten und Technologie – benötigt das Unternehmen jedoch keine Lizenz nach dem Kreditwesengesetz.
„Aus der Kuriositätensammlung des Föderalismus“
Aus Sicht des Linken-Abgeordneten Fabio De Masi zeigen die Unterlagen, dass die Überwachung von Firmenkonglomeraten dringend verschärft werden muss. „Sowohl die klassische Industrie wie auch die Nutzung von Datentechnologie im Finanzwesen schaffen immer mehr Mischunternehmen, die nicht hinreichend beaufsichtigt werden oder wo die Aufsicht zersplittert ist“, sagt De Masi.
Konzerne, die auch Bankgeschäfte betreiben, müssen aus Sicht der Linken deshalb künftig als Ganzes der Finanzaufsicht unterworfen werden. „Wir sollten je nach Größe und internationaler Ausrichtung von Unternehmen, die Finanzgeschäfte machen, eine einheitliche Aufsicht auf europäischer beziehungsweise nationaler Ebene schaffen“, fordert De Masi. „Dafür muss die Aufsicht aber auch qualifiziert und technologisch befähigt sein.“
Eine Zentralisierung der Börsenaufsicht hält De Masi ebenfalls für „eine denkbare Option“. Gerhard Schick, Vorstand der Bürgerbewegung Finanzwende, fordert dies schon länger. Dass die Bundesländer für die Börsenaufsicht zuständig sind, gehe auf das erste deutsche Börsengesetz von 1896 zurück und gehöre „in die historische Kuriositätensammlung des Föderalismus“, findet Schick.

Der Linken-Bundestagsabgeordnete fordert, dass Konzerne, die auch Bankgeschäfte betreiben, künftig als Ganzes der Finanzaufsicht unterworfen werden.
Das föderale Aufsichtssystem sei ineffektiv in der Bekämpfung von Finanzmarktkriminalität und könne zu Wettbewerbsverzerrung führen, kritisiert der langjährige Grünen-Abgeordnete. „Gerade Landesministerien von kleineren Börsen haben und werden den gesetzlichen Spielraum nutzen, um durch eine möglichst laxe Auslegung Marktteilnehmer zu sich zu locken.“
Schick fordert deshalb eine Bündelung der Börsenaufsicht bei der Bafin, deren Vertreter Deutschland dann auch effektiver in wichtigen Gremien vertreten könnten – etwa bei der europäischen Finanzmarktaufsicht Esma und der Internationalen Organisation der Wertpapieraufsichtsbehörden (IOSCO). Aktuell ist dies mitunter schwierig, weil die Bafin-Vertreter ihr Wissen oft nur aus zweiter Hand haben.
Interessenkonflikt in Wiesbaden?
Nach Einschätzung von Experte Zollweg könnten durch eine Zentralisierung der Börsenaufsicht auch andere Ineffizienzen behoben werden. „Die Bafin hat aktuell keinen direkten Zugriff auf alle Handelsdaten und muss diese immer extra bei den Handelsüberwachungsstellen anfordern“, berichtet er. „Wenn die Bafin Handelsdaten und ihre anderen Informationen, zum Beispiel die Daten über außerbörsliche Geschäfte, zusammen analysieren könnte, hätte sie bessere Chancen, illegale Geschäfte aufzuspüren.“
Für die Börsenaufsicht sind in den Bundesländern entweder das Finanz- oder das Wirtschaftsministerium zuständig. Die Personalausstattung der entsprechenden Abteilungen ist jedoch überschaubar. In der Hamburger Finanzbehörde kümmern sich zwei Mitarbeiter um die Börsenaufsicht, im baden-württembergischen Wirtschaftsministerium sind es drei Beschäftigte.
Die meisten Ressourcen gibt es im hessischen Wirtschaftsministerium, wo sich zehn Mitarbeiter um die Kontrolle der Deutschen Börse kümmern. Experte Zollweg sieht hier jedoch einen potenziellen Interessenkonflikt, schließlich setzt sich das Ministerium auch für die Weiterentwicklung des Finanzplatzes Frankfurt ein.

Kritiker finden es problematisch, dass das hessische Wirtschaftsministerium die Deutsche Börse kontrolliert und sich gleichzeitig für die Stärkung des Finanzplatzes Frankfurt einsetzt.
„Ich finde es problematisch, dass Vertreter der hessischen Landesregierung aus demselben Ministerium in Arbeitskreisen mit Managern aus der Branche über die Stärkung des Finanzplatzes sprechen und auf der anderen Seite mit der Frankfurter Wertpapierbörse, der Eurex und deren Träger – der Deutschen Börse – einige der wesentlichen Akteure beaufsichtigen“, sagt Zollweg.
In Wiesbaden will man von einem Interessenkonflikt dagegen nichts wissen. Die Börsenaufsicht arbeite ausschließlich auf der Grundlage des Börsengesetzes und weiterer Gesetze und Verordnungen, erklärte das Wirtschaftsministerium. Die Finanzplatzförderung befasse sich mit anderen Themen, „die in keiner Berührung mit den Themen des Börsengesetzes stehen“.
Widerspruch aus den Bundesländern
Eine Verlagerung der Börsenaufsicht auf die Bafin lehnen die zuständigen Ministerien in Wiesbaden, Stuttgart, Hamburg und Düsseldorf unisono ab. Die föderale Struktur und die Aufsicht nah am Handelsplatz habe sich bewährt und ermögliche es, den Besonderheiten des jeweiligen Börsenplatzes Rechnung zu tragen, argumentieren die Ministerien. Zudem gebe es einen regen Austausch mit der Bafin.
Offen zeigt sich das hessische Wirtschaftsministerium allerdings für Zollwegs Forderung, das Börsengesetz zu ändern. Konkret plädiert der langjährige Chef der Handelsüberwachung für eine Streichung des Paragrafen 10, Absatz 3 des Börsengesetzes. „Er verbietet den Mitarbeitern der Börsen, den Steuerbehörden potenzielle Verdachtsfälle für Steuervergehen oder Steuerstraftaten zu melden“, berichtet Zollweg.
Begründet worden sei dies einst damit, dass das Vertrauensverhältnis zwischen der Handelsaufsicht und den Marktteilnehmern nicht beschädigt werden dürfe. Doch Zollweg überzeugt diese Argumentation nicht. „Verstöße gegen das Steuerrecht müssen genauso intensiv verfolgt werden wie Marktmanipulation und Insiderhandel.“
Die hessische Landesregierung sieht das inzwischen ähnlich und fordert einen besseren Austausch zwischen Kapitalmarktaufsichten und Steuerbehörden. Aus diesem Grund habe sich die hessische Börsenaufsicht in der Diskussion über das Gesetz zur Stärkung der Finanzmarktintegrität für eine Streichung von Paragraf 10, Absatz 3 des Börsengesetzes ausgesprochen, erklärte das Wirtschaftsministerium.
Mehr: Der oberste Bankenaufseher der Bafin räumt Fehler im Wirecard-Skandal ein.
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