Sanjay Shah Europas größter Steuertrickser droht Finanzbehörden mit Milliardenklage

Der Finanzmanager hält seine Steuergeschäfte für legal.
Düsseldorf Lange sah es nicht gut aus für Sanjay Shah. Ermittler aus ganz Europa sind dem ehemaligen Hedgefonds-Manager auf der Spur, in den USA Dutzende von Klagen anhängig. Shah gilt als derjenige, der den Steuerraub mit fingierten Aktiengeschäften auf die Spitze trieb.
Allein Dänemark beziffert den Schaden durch die unter dem Stichwort Cum-Ex bekannte Erschleichung von Ertragsteuern auf 1,65 Milliarden Euro, auch in Belgien und Deutschland fehlen viele Millionen in der Steuerkasse. Die Staatsanwaltschaft Hamburg verdächtigt Shah, über die örtliche Varengold Bank 220 Millionen Euro gewaschen zu haben.
Die Überführung von Shah hätte zum Paradebeispiel der internationalen Kooperation gegen Wirtschaftskriminalität werden können.
Hochkarätige Beamte aus den betroffenen Ländern pilgern regelmäßig ins niederländische Den Haag. In den ultra-modernen Räumen der Europäischen Justizbehörde Eurojust treffen sie sich, um über Fortschritte zu berichten. Das Problem: Es gibt keine.
Die Ermittlungen gegen Europas mutmaßlich abgebrühtesten Steuersünder stecken fest. Vor allem in Dänemark ist das nicht nur eine finanzielle Katastrophe, sondern eine politische.
Seit fast vier Jahren ist bekannt, dass der Brite mit indischen Wurzeln den Staat um fast 1,7 Milliarden Euro geschädigt haben soll. Das Verfahren erregte weltweite Aufmerksamkeit, zumal Shah keinerlei Anzeichen von Reue zeigte.
2017 gab er ein Interview, in dem er seinen Lebensstil beschrieb. „Ich fliege lieber erste Klasse als Economy“, sagte Shah. An einem Freitagnachmittag könne er schon mal seine Kinder zu einem Helikopterflug für 1000 Dollar einladen, seiner Frau schenkte er zum Geburtstag eine Handtasche für 125.000 Euro.
Dänische Politik schäumt
Das sind Details, die aufreizen. „Der Kerl lebt von ergaunertem Geld, es macht mich rasend“, sagte der dänische Politiker Joachim Olsen der „New York Times“ im Oktober 2018. „Das dänische Volk erwartet, dass wir ihm nachstellen. Koste es, was es wolle.“ An Kosten herrscht kein Mangel. Die Dänen haben fast 500 Geschäftspartner Shahs in fünf Ländern verklagt. Die beauftragten Anwälte arbeiten für Stundensätze von bis zu 1 000 Euro und mehr. Für die Gesamtdauer der Verfahren veranschlagen die Behörden mehr als 317 Millionen Euro – auch sie werden natürlich aus dem Steuersäckel gezahlt.
Die Chancen, das viele Geld je wiederzusehen, liegen niedrig. Bei den Beklagten handelt es sich meist um die Betreiber von Briefkastenfirmen ohne Kapitalausstattung. Die regelmäßigen Treffen in der europäischen Justizbehörde Eurojust werden damit immer peinlicher, vor allem das jüngste Meeting hatte geradezu Slapstick-Charakter.
Artig saßen Vertreter aus Belgien, Dänemark, Deutschland und Großbritannien um einen Konferenztisch. Videobildschirme fuhren aus ihren Versenkungen, die Kollegen aus den USA sollten zugeschaltet werden. Sie schalteten aber nicht. Eine Stunde lang warteten drei Dutzend Topermittler, spielten mit ihren Mobiltelefonen.
Als endlich zwei Amerikaner auf den Monitoren auftauchten, wurde es auch nicht besser. Einer hatte eine überdimensionierte Brauseflasche in der Hand, beide plauderten in den nächsten 60 Minuten über Belanglosigkeiten, die den anderen längst bekannt waren. Als die Europäer ihre Bildschirme wieder abschalteten, wussten sie nicht, warum sie sie angeschaltet hatten.
Das Armutszeugnis beschränkt sich nicht auf gescheiterte Konferenzen. Seit Jahren beklagt sich Shah, niemand aus Dänemark habe ihm auch nur eine Frage zur angeblichen Steuerhinterziehung gestellt. Tatsächlich gaben die Dänen die Ermittlungen weitgehend nach Großbritannien ab – dort saß Shahs Firma Solo Capital. Er selbst lebt seit Jahren auf der Palmeninsel in Dubai.
Solo Capital wurde 2016 geschlossen, Shahs Konten eingefroren. Eine Klageschrift oder auch nur eine Spur davon gibt es seither nicht. Ende 2018 gaben die Briten Teile des Vermögens wieder frei. Mit der endlichen Aufarbeitung wurde jüngst die Wirtschaftsprüfungsgesellschaft EY mandatiert. Aus Ermittlerkreisen ist zu hören, die Briten hätten eigentlich kein Interesse mehr an dem Fall.
In Dänemark ist das ein Desaster. Wahlen stehen an. Das Versprechen, gegen Shah mit aller Härte des Gesetzes vorzugehen, bleibt uneingelöst. Nach vier Jahren Ermittlungen können die Behörden als Ausweis ihrer Tätigkeit nur millionenschwere Rechnungen vorweisen.
Keine Klageschrift
Shah lästert über das Unvermögen aus der Ferne. „Dänemark kann einfach nicht mit Geld umgehen“, sagt Jack Irvine, ein PR-Experte, der für den in vier Ländern Verdächtigten spricht. „Aber so langsam dämmert es den Politikern, dass es sich nicht um ein Verbrechen handelt, sondern um einen Systemfehler.“
Die dänische Steuergesetzgebung, so meint Shah, hatte ein Loch so groß wie ein Scheunentor. Die mehrfache Erstattung von Kapitalertragsteuer war hier noch leichter zu provozieren als in Deutschland. Shah griff mit beiden Händen zu, direkt in die Steuerkasse.
Warum? Weil es nicht verboten war, sagt sein Sprecher. Eigentlich sei Shah ein bescheidener Mensch. Auf seinen Webseiten stellt er sich als Gutmensch und Philanthrop dar. Doch als Kind der Londoner Finanzszene halte er sich an das dort geltende erste Gebot: Man kann nie reich genug sein. Welche Rolle spielt für ihn die Moral? „Wir lassen uns auf moralische Diskussionen nicht ein“, sagt Irvine. „So funktioniert die Finanzwelt nicht.“
Wie sie funktioniert, will Shah demnächst den Ländern vorführen, die gegen ihn ermitteln. Im Mai werde der Investmentbanker einem englischen Gericht eine Fülle von Beweisen vorlegen, sagt Irvine. Sie würden lückenlos darlegen, warum seine Steuergeschäfte legal waren. Anschließend werde eine gewaltige Schadensersatzklage folgen.
„Sanjay Shahs Firma wurde geschlossen, und in mehr als vier Jahren konnte niemand einen Grund dafür liefern“, erläutert Irvine. Shah werde deshalb jeden Cent geltend machen, der ihm entging, plus Anwaltskosten. Wie hoch wird seine Forderung? Das lasse sich nicht genau beziffern, sagt Irvine. „In jedem Fall wird sie höher sein als die Summe, die man von ihm fordert. Wir sprechen hier von weit mehr als eine Milliarde Euro.“
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