Schweizer Großbank Credit Suisse nach der Archegos-Krise: Rätselraten um zwei Milliarden Franken

Die Geduld vieler Investoren ist mittlerweile aufgebraucht.
Zürich Die nackten Zahlen lassen erahnen, wie knapp die Credit Suisse (CS) an einer Katastrophe vorbeigeschrammt ist. Ein Verlust von 4,4 Milliarden Franken (rund vier Milliarden Euro) aus der Pleite des Hedgefonds Archegos Capital ließ die Eigenkapitalquote auf zwölf Prozent fallen. Zwischenzeitlich habe es am Markt die Spekulation gegeben, ob die Bank Zinszahlungen auf nachrangige Anleihen aussetzen muss, heißt es in Investorenkreisen. Das zweitgrößte Geldhaus der Schweiz als säumiger Schuldner – bis vor Kurzem noch undenkbar.
Der Hedgefonds Archegos des prominenten Investors Bill Hwang hatte sich bei verschiedenen Banken Kreditlinien einräumen lassen und war damit komplexe Wetten auf Aktien eingegangen. Ende März brach der Fonds jedoch zusammen.
Dass die Katastrophe bei der CS ausblieb, liegt auch an einem außergewöhnlich starken ersten Quartal, zu dem die Bank am Donnerstag detaillierte Zahlen vorlegen wird. Ein Gewinn vor Steuern von rund 3,5 Milliarden Franken sorgte dafür, dass die Bank den Löwenanteil der Verluste abfedern konnte, wie die CS bereits bekanntgegeben hat. Das wäre der höchste Vorsteuergewinn seit mindestens zehn Jahren.
Doch die Skepsis bei Investoren und Analysten bleibt. Es sei fraglich, wie die Bank ein derart starkes Quartal eingefahren habe, heißt es in Analystenkreisen. Auch die Experten von JP Morgan bemängeln in einer Studie das „Fehlen numerischer Details“, sodass nicht davon auszugehen sei, dass sich die starken Quartalszahlen wiederholen lassen. Die Börse ist ebenfalls nicht überzeugt: Am Montag hat die Aktie ihre Talfahrt fortgesetzt. Sie notiert derzeit rund 20 Prozent unterhalb des Niveaus von Ende März.
Noch im Februar hatten die Analysten im Schnitt mit einem Vorsteuergewinn von 1,4 Milliarden Franken für das erste Quartal gerechnet. Woher also kommen die zusätzlichen zwei Milliarden Franken?
Bankchef Thomas Gottstein hat bereits im März – vor der Archegos-Krise – ein starkes Quartal im Investmentbanking in Aussicht gestellt. Auch die Analysten von JP Morgan erwarten eine „starke Performance im Investmentbanking, getrieben durch Spacs“ – Börsenmäntel, die derzeit an der Wall Street die Aktienrally weiter anheizen.
Daten von unabhängigen Analysehäusern untermauern zudem, dass die Credit Suisse stärker als viele Konkurrenten gewachsen ist. So legten die Gebühreneinnahmen im Investmentbanking dem Finanzdatendienst Refinitiv zufolge um über 100 Prozent auf knapp 1,7 Milliarden Dollar zu.
Die Experten überzeugt das nicht. Das starke Investmentbanking könne den Rekordgewinn nur zum Teil erklären, so die Analysten von JP Morgan weiter. Denkbar sei auch, dass die Bank ihre in der Coronakrise aufgebaute Risikovorsorge für faule Kredite abschmilzt und so stille Reserven hebt.
2020 hatte die Credit Suisse in der Coronakrise rund eine Milliarde Franken für faule Kredite zurückgestellt. Angesichts der Fortschritte bei den weltweiten Impfungen und der Aussicht auf starkes Wirtschaftswachstum vor allem in den USA und Asien ließen sich Argumente finden, mit dem das CS-Management den Abbau der Risikovorsorge begründen könnte. Doch fest steht: Solche Einmaleffekte lassen sich nicht wiederholen.
Credit Suisse fährt riskanten Sparkurs
Ein weiterer Hebel ist die variable Vergütung hochrangiger Banker: Das Topmanagement hatte bereits angekündigt, auf rund 40 Millionen Franken an Boni zu verzichten. Zudem berichtete die „Financial Times“ kürzlich, dass die CS Boni im Investmentbanking radikal zusammenstreichen und damit mehrere Hundert Millionen Franken einsparen will. Doch die Strategie ist riskant: Damit droht die Bank jene Mitarbeiter zu verprellen, die maßgeblich für das starke erste Quartal verantwortlich sind.
Zudem hat sich die Bank bislang nicht zu möglichen Belastung aus dem Greensill-Skandal geäußert. Credit-Suisse-Kunden hatten Milliarden in Lieferkettenfinazierungs-Fonds gesteckt, die die Bank zusammen mit dem in die Insolvenz gerutschten Fintech Greensill aufgelegt hatte. Daher muss sich die CS auf Mittelabflüsse und Klagen von Kunden einstellen.
Die JP-Morgan-Analysten erwarten, dass die beiden Affären die CS bis 2023 die gewaltige Summe von 8,7 Milliarden Franken kosten könnten. Darin eingerechnet sind zwei Milliarden Franken für Rückstellungen für Rechtstreitigkeiten rund um die Lieferkettenfonds sowie weitere zwei Milliarden für Maßnahmen zur Stärkung der Eigenkapitaldecke.
Höhere Finanzierungskosten im Vergleich zur UBS
Gegenüber Wettbewerbern wie der UBS ist die CS schon jetzt im Hintertreffen – nicht nur was den Aktienkurs und die Dividende angeht. Auch die Finanzierungskosten haben sich für die Bank deutlich erhöht.
Die Risikoaufschläge für Anleihen der CS etwa liegen über denen für Zinspapiere der UBS. Damit hat die Bank beispielsweise im Kreditgeschäft einen Wettbewerbsnachteil. Und Besserung ist nach Ansicht von Corinna Dröse, Analystin der DZ-Bank, kaum in Sicht: „Wir erwarten, dass die Risikoaufschläge der Anleihen weiterhin über denen der Anleihen der UBS liegen werden.“
Die Geduld vieler Investoren ist nach der jüngsten Skandalserie aufgebraucht: „Die Vorfälle Greensill und Archegos zeigen, dass die Bank Probleme mit ihrer Risikokultur hat“, kritisiert DZ-Bank-Analystin Dröse. Die Bank sei nach wie vor zu stark abhängig von einem gut laufenden Kapitalmarktgeschäft. Daher helfe eine Neuordnung des Risikomanagements, etwa die Demission von Risikovorständin Lara Warner, nur bedingt. „Die grundsätzlichen Risiken des Kapitalmarktgeschäfts lassen sich jedoch nicht vermeiden.“
Mit Spannung erwarten die Märkte daher den Antritt des neuen Verwaltungsratschefs António Horta-Osório nach der Hauptversammlung Ende April. Horta-Osório hat sich mit der Sanierung der britischen Lloyds-Bank einen Namen gemacht – und nun muss er die Credit Suisse neu ausrichten.
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