Skandalkonzern Verkauf des Wirecard-Kerngeschäfts: Das sind die Vor- und Nachteile der potenziellen Käufer

Im November soll das europäische Kerngeschäft verkauft werden.
Frankfurt Rund 1600 Mitarbeiter arbeiteten Ende Juni in der Wirecard-Zentrale, weniger als 580 sind noch übrig. Für sie beginnt nun die entscheidende Phase im Ringen um die Zukunft des insolventen Zahlungsdienstleisters. Im November soll das europäische Kerngeschäft verkauft werden. Die Gespräche stehen nach Handelsblatt-Informationen in der entscheidenden Phase.
Mit der spanischen Großbank Santander und dem britischen Telekommunikationskonzern Lycamobile sind nur noch zwei Interessenten von ursprünglich knapp 80 übrig. Das Problem: Beide Kaufwilligen haben jeweils Vor- und Nachteile.
Schon mehrmals wurde gemeldet, dass der Verkauf kurz bevorstehe. Doch wie fast alles im Fall Wirecard ist auch die Verwertung mit Überraschungen behaftet. Der Konzern war Ende Juni im Zuge eines milliardenscheren Bilanzbetrugs zusammengebrochen, was die Verkaufsverhandlungen deutlich erschwert.
Zwar hat Insolvenzverwalter Michael Jaffé bereits Erfolge erzielt: Konzerntöchter, das Brasiliengeschäft und die profitable US-Einheit wechselten den Besitzer, was Geld für die Gläubiger einbrachte. Doch der Verkauf des europäischen Kerngeschäfts inklusive der Wirecard Bank stockte wiederholt.
Für Unsicherheit sorgten etwa neue Durchsuchungen der Staatsanwaltschaft. Und die Attraktivität des Kaufobjekts schwindet: Zwar waren einige namhafte Kunden vor Kurzem noch an Bord, etwa das Portal Check24 und das Luxuskaufhaus KaDeWe. Aber wöchentlich springen Mitarbeiter und Händler ab. „Es sind vor allem noch die Kunden da, die technisch so tief integriert sind, dass ein Abschied schwerfällt“, sagt ein Insider.
Beide Interessenten bringen Probleme mit sich
Die finale Entscheidung soll laut mehreren mit dem Vorgang vertrauten Personen noch im November fallen. Santander interessiert sich Finanzkreisen zufolge dabei nur für die Technologie und die Kunden der Wirecard Bank, will das Institut jedoch nicht als Ganzes übernehmen. Schließlich sind die Spanier in Deutschland seit Jahren mit einer eigenen Bank vertreten. Sollte Santander den Zuschlag bekommen, müsste die Wirecard Bank kontrolliert abgewickelt werden.
Das Institut ist seit der Insolvenz bereits deutlich geschrumpft. Möglich, aber nicht sicher ist, dass im Liquidationsfall Aktivvermögen der Bank für die Gläubiger verwertet werden kann. Rund 80 Mitarbeiter verlören jedoch ihren Job. Und auch die Abwicklung wäre mit Risiken behaftet.
Im Gegensatz zu Santander will Lycamobile auch die Wirecard Bank übernehmen. Falls die Briten den Zuschlag bekommen, würde entsprechend mehr Geld fließen: Das Angebot von Lycamobile soll bei etwa 150 Millionen Euro liegen. Darüber hinaus sollen auch mehr Arbeitsplätze erhalten bleiben.
Doch auch ein Zuschlag für Lycamobile birgt Risiken: Die Finanzaufsicht Bafin müsste einem solchen Deal zustimmen. Dabei würde die Behörde zunächst in einem Inhaberkontrollverfahren prüfen, ob die Briten alle Voraussetzungen erfüllen, um Eigentümer der Bank zu werden. Da es sich bei Lycamobile um ein branchenfremdes Unternehmen handelt, dürfte dieses Verfahren einige Zeit dauern. „Das wäre kein Selbstläufer“, sagt ein Insider.
Lycamobile wurde 2006 gegründet, macht rund 1,5 Milliarden Euro Umsatz und zählt laut eigenen Angaben rund 15 Millionen Kunden. Das Unternehmen bietet Migranten günstige Ferngespräche in ihre Heimatländer. Außerdem betreibt es Finanz- und Reisedienstleistungen, darunter eine Flugsuchmaschine. Hinter Lyca steht der britisch-sri-lankische Unternehmer Subaskaran Allirajah.
Intensive Gespräche
Laut Handelsblatt-Informationen laufen bereits seit Wochen intensive Vorgespräche und Rahmenverhandlungen mit der Bafin. Darin forderten die Finanzaufseher immer wieder neue Unterlagen an, um sich ein Bild davon zu machen, ob Lycamobile ein geeigneter Käufer ist.
Die Gespräche sollen sich auch deshalb hinziehen, weil Lyca sehr verschachtelte Strukturen aufweist und in zahlreichen Ländern aktiv ist. Zuletzt soll die Bafin einen neuen Katalog an Unterlagen angefordert haben. Die Briten sollen sich laut Finanzkreisen auf einem guten Weg sehen, über den Umfang der Nachfragen aber erstaunt gewesen sein.
Das Hauptproblem: Lyca kann keinen den hiesigen Maßstäben entsprechenden Konzernabschluss für die vergangenen drei Jahre präsentieren. Die Bafin muss nun darüber befinden, ob das vorgelegte Zahlenwerk ausreichend ist. Auch standen immer wieder Vorwürfe gegen Lyca im Raum, unter anderem auf Geldwäsche und Steuerhinterziehung in Großbritannien und Frankreich. Vor dem Hintergrund der zahlreichen dubiosen Machenschaften im Wirecard-Reich dürften diese Vorwürfe auf wenig Begeisterung stoßen.
Laut Presseberichten soll auch die Bundesregierung Lycamobile im Auge gehabt haben, nachdem Drogenhändler und die Attentäter der Anschläge von Paris 2015 sich Lyca-Angeboten bedient haben sollen, um anonym zu telefonieren.
„Kein Abenteuer eingehen“
Offiziell kommentieren wollten Jaffé, Santander und Lycamobile den Verkaufsprozess nicht. Der Insolvenzverwalter agiert vorsichtig: Jaffé könne kein Abenteuer eingehen, heißt es in München. Es müsse ausgeschlossen werden, dass Lyca im Nachgang zu Verkaufsgesprächen von der Bafin angeforderte Unterlagen doch nicht einbringe – und der Verkauf daran scheitere.
Klar ist: Sollte Lyca alle Anforderungen der Bafin erfüllen und mehr Geld als Santander bieten, könnten die Briten noch vorbeiziehen. Doch danach sieht es derzeit nicht aus. Man habe sich noch auf keinen Bieter festgelegt, heißt es zwar aus Finanzkreisen. Aber Santander ist in der Poleposition, insbesondere wenn es Lycamobile nicht gelingt, die offenen Fragen schnell zu klären.
Die Gespräche mit den Spaniern seien bereits „sehr eng und weit fortgeschritten“, so ein Wirecard-Insider. Ein mit den Verkaufsverhandlungen befasster Berater sieht diese ebenfalls auf der Zielgeraden. „Wir sind sehr optimistisch, dass der Deal in Kürze unter Dach und Fach ist. Wir arbeiten sehr intensiv. Es ist gut möglich, dass wir nun auch eine Nacht durcharbeiten.“
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