Standortwettbewerb Europas Finanzmetropolen wollen Vormachtstellung bei grünen Geldanlagen

Am 8. Juli 2022 werden die Ergebnisse des Klimastresstests erwartet.
Paris/Frankfurt Mitte August zogen die Klimaaktivisten von Fridays for Future durch das Frankfurter Bankenviertel. Die Demonstranten prangerten einen „fossilen Finanzsektor“ an, der mit seinen Investitionen die Klimakrise weiter befeuere.
Einige Wochen zuvor präsentierte Frankreichs Finanzminister Bruno Le Maire eine andere Sichtweise: „Die Finanzbranche ist nicht unser Feind“, sagte Le Maire bei einer Konferenz zu Nachhaltigkeit im Finanzwesen in Paris. „Sie ist ein Grundstein in unserem Kampf gegen den Klimawandel.“
Auch die deutsche Politik sieht die Banken und andere Finanzdienstleister längst als Teil der Lösung beim Kampf gegen den Klimawandel, und das deckt sich mit der Selbstwahrnehmung der Branche. Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing hat das Thema zu einem Schwerpunkt seiner Amtszeit als Präsident des Bundesverbandes deutscher Banken gemacht.
Beim Thema Klimawandel geht es für Finanzfirmen und Politik aber nicht nur um die Rettung des Planeten, sondern auch um harte Geschäftsinteressen. Welche Stadt wird Europas führendes Zentrum für nachhaltige Finanzierungen? Gigantische Summen sind im Spiel: Bloomberg Intelligence bezifferte das nach Nachhaltigkeitskriterien verwaltete Vermögen Ende vergangenen Jahres auf weltweit 38 Billionen Dollar und erwartet innerhalb von vier Jahren einen Anstieg auf 53 Billionen Dollar.
Paris sieht sich gut positioniert im Kampf um die europäische Nachhaltigkeitskrone, Frankfurt kämpft ebenfalls um die Pole-Position. Aber eine Umfrage unter Finanzprofis sieht eine dritte Stadt vorn: Amsterdam.
Banken und Vermögensverwalter spielen beim Green Deal der EU, dem Masterplan zur Bekämpfung des Klimawandels, eine Schlüsselrolle, weil sie kontrollieren, welche Unternehmen sich zu welchen Konditionen finanzieren können. „Geld hat das Potenzial, die Welt zu retten“, bestätigt Christian Klein, der seit über zehn Jahren an der Universität Kassel zur nachhaltigen Finanzwirtschaft forscht.
Amsterdam liegt vorn
Die französische Regierung hat dem Wandel hin zu einer klimafreundlichen Finanzwirtschaft Priorität eingeräumt – und sie versteht es, diese Position offensiv zu verkaufen. Paris sei bei der Nachhaltigkeit der Finanzbranche „Vorreiter“, gab sich Le Maire überzeugt.
An der Entschlossenheit der Franzosen gibt es keinen Zweifel. Das zeigte sich schon beim Ringen um den Standort für die paneuropäische Bankenaufsicht Eba, die wegen des Brexits aus London wegziehen musste. Dass Frankfurt 2017 gegen Paris verloren hat, sorgt noch heute für Bitterkeit in der deutschen Finanzmetropole.
Wer sich heute in der Frankfurter Szene umhört, der bekommt im Prinzip zwei Reaktionen auf das französische Selbstbewusstsein in Sachen Green Finance. Die erste: Was aus Paris in diesen Tagen zu hören ist, sei sehr viel Marketing-Geklingel.
Es gibt aber auch selbstkritischere Stimmen am wichtigsten deutschen Finanzplatz. „Wenn wir ehrlich sind, dann haben Frankreich und die Niederlande etwa ein Jahr Vorsprung in Sachen Nachhaltigkeit, auch weil der Staat sich in beiden Ländern das Thema früher zu eigen gemacht hat“, räumt ein Frankfurter Spitzenbanker ein.
Die britische Beratung Z/Yen veröffentlicht regelmäßig Umfragen unter Kapitalmarkt- und Bankenprofis zur Qualität der internationalen Finanzzentren in Sachen Nachhaltigkeit. In der jüngsten Rangliste liegt weltweit Amsterdam an der Spitze, gefolgt von Zürich und London. Paris folgt auf Rang elf. Frankfurt ist unter den Top-20-Städten für nachhaltiges Banking und grüne Investments nicht vertreten.
Der weltweite Nachhaltigkeitsatlas der Research-Firma Morningstar kommt zu einem ähnlichen Ergebnis. In seiner neuesten Auflage liegen erneut die Niederlande auf dem ersten Platz der Länder mit den „grünsten“ Unternehmen in ihren Aktienindizes. Deutschland belegt den achten Rang. Die größten Fortschritte hat laut Morningstar im vergangenen Jahr Frankreich gemacht und sich an Finnland und Schweden vorbei auf den zweiten Rang vorgearbeitet.
In Paris hat das größte Geldhaus der Euro-Zone seinen Sitz: die BNP Paribas, die sich auffällig um ein grünes Antlitz bemüht. Antoine Sire, der sich im Vorstand der Bank um das Thema Nachhaltigkeit kümmert, sieht zwei große Veränderungen. „Zunächst geht es darum, unsere Beteiligungen an den schmutzigsten Energieformen zu reduzieren und unsere Finanzierung jenen Akteuren des Energiesektors vorzubehalten, die sich wirklich für die Transformation ihres Modells einsetzen“, sagte Sire dem Handelsblatt.
Zweitens gelte es, über grüne Anleihen oder an Nachhaltigkeitsziele gekoppelte Kredite die gesamte Wirtschaft bei der Umstellung zu unterstützen. Sire kann sich auch vorstellen, dass der Klimaschutz in naher Zukunft ebenfalls bei Privatkrediten eine Rolle spielt – etwa bei der Frage, ob der Kauf eines E-Autos oder eines Benziners finanziert werden soll.
Frankreich handelt früh
Pauline Becquey, Geschäftsführerin der von der Pariser Finanzbranche getragenen Initiative Finance for Tomorrow, macht für den Wandel vor allem die „ambitionierten“ Gesetze der französischen Regierungen verantwortlich. „Frankreich hat bei der Regulierung einen Vorsprung vor anderen europäischen Ländern“, sagt sie. Außerdem habe Frankreich als einziges Land staatliche Label für nachhaltige Anlagen eingeführt – in anderen Ländern sei auf Selbstverpflichtungen der Branche gesetzt worden.
Aus dem Pariser Finanzministerium hieß es, man habe einerseits auf einen rechtlichen Rahmen gesetzt, andererseits aber auch auf Vereinbarungen mit der Finanzbranche und Nichtregierungsorganisationen. So hätten sich alle großen französischen Finanzinstitutionen 2019 verpflichtet, aus dem Kohlesektor auszusteigen.
Frankreich hatte bereits 2001 allen in Paris börsennotierten Unternehmen eine Berichtpflicht über die Auswirkungen ihrer Aktivitäten auf Umwelt und Klima auferlegt, die Regeln wurden 2010 noch einmal verschärft. Die größten Veränderungen kamen dann nach der UN-Klimakonferenz in Paris 2015, als die französische Regierung Transparenzregeln für institutionelle Investoren einführte.

Laut Umfragen und Untersuchungen belegt Deutschland noch keinen Spitzenplatz bei grünen Finanzierungen.
Die Bundesregierung hat ebenfalls das Ziel ausgegeben, Deutschland zu einem führenden Standort für nachhaltige Finanzen zu machen. Der Bundesrechnungshof stellte der von der Großen Koalition verabschiedeten Strategie Anfang des Jahres aber ein eher schlechtes Zeugnis aus. So bleibe unklar, welche konkreten Zielvorgaben und messbaren Kriterien es geben soll.
Experte Klein sieht allerdings durchaus Fortschritte: „Mein Eindruck ist: Es geht so langsam los, dass die Finanzstandorte das Thema für sich erkennen und besetzen. Und in den vergangenen drei Jahren hat sich wirklich schon viel getan.“ Frankfurt mache in diesem Bereich als Stadt schon einiges richtig. Zum Beispiel, wenn es darum gehe, wie man Renten und Pensionen anlegt, und dass Rückstellungen nicht in Kohle und Öl investiert werden sollten.“
Das Bewusstsein in der Bundesrepublik ist jedenfalls da. „Die Bedeutung der Nachhaltigkeit für den Finanzplatz kann nicht hoch genug eingeschätzt werden“, sagt Hubertus Väth, Geschäftsführer der Standortinitiative Frankfurt Main Finance.
Ein wichtiger Pfeiler in der Nachhaltigkeitsinitiative der Frankfurter ist das Green and Sustainable Finance Cluster Germany (GSFCG), in dem 2018 Initiativen der Deutschen Börse und des Landes Hessen zur Förderung nachhaltiger Finanzservices aufgegangen sind.
Das Cluster bringt Banken, Vermögensverwalter, Versicherer und andere Finanzfirmen mit der Wissenschaft und der Politik zusammen. Erklärtes Ziel ist es, Deutschland auf dem Weg zu einem nachhaltigen und damit zukunftsfähigen Finanzsystem voranzubringen, das die Unternehmen bei der Transformation in der Klimakrise unterstützt.
Deutschland setzt auf 31 Empfehlungen
Das Cluster unterstützt auch die sieben deutschen Banken, die die Net Zero Banking Alliance Germany bilden. In diesem Rahmen haben sich Commerzbank, Deutsche Bank, DKB, DZ Bank, LBBW und die deutschen Ableger von ING und BNP Paribas verpflichtet, bis spätestens 2050 die CO2-Bilanz ihres gesamten Kredit- und Investmentportfolios auf null zu senken.
Aus Sicht von Karsten Löffler, Co-Chef des GSFCG, kommt es bei der praktischen Umsetzung der deutschen Nachhaltigkeitsstrategie vor allem auf die 31 Empfehlungen des Sustainable-Finance-Beirats der Bundesregierung an. Die reichen von staatlichen Rahmenbedingungen, wie der Anlage öffentlichen Kapitals oder Kreditgarantien, über Berichtspflichten für die Unternehmen bis hin zur Ausgestaltung der Finanzprodukte. Mit diesem Katalog sieht Löffler Deutschland „sehr gut und systematisch“ aufgestellt, um sich im internationalen Wettbewerb erfolgreich zu positionieren.
Löffler verweist auf einen Bericht von FC4S, einer Vereinigung von Finanzzentren, die sich dem Thema Nachhaltigkeit verschrieben haben, in dem Frankfurt ein „führendes Niveau“ attestiert wird. Der Experte betont aber auch, dass die europäischen Standorte bei der grünen Transformation nicht gegeneinander arbeiten und lobt das „gute und konstruktive Verhältnis“ zu Finance for Tomorrow in Paris.
Dem Experten, der auch dem Sustainable-Finance-Beirat der Regierung vorsitzt, ist es wichtig, dass sich die europäischen Finanzplätze gegenseitig befruchten, um optimale Lösungen zu entwickeln. Aus seiner Sicht ist der Umbau hin zu einer nachhaltigeren Wirtschaft eine so gewaltige Aufgabe, dass sie auch gesamteuropäisch angegangen werden muss.
EU-Kommission plant gemeinsamen Standard für grüne Anleihen
Die EU arbeitet gerade an der Vereinheitlichung der Regeln für nachhaltige Investments. Auf Grundlage eines Kriterienkatalogs, der sogenannten Taxonomie, müssen Informationen zur Nachhaltigkeit der Tätigkeiten von Finanz- und Nicht-Finanzunternehmen offengelegt werden. Die EU-Kommission plant auch einen gemeinsamen Standard für grüne Anleihen. Experte Klein sagt: „Mittelfristig werden die europäischen Finanzstandorte nicht an der Taxonomie vorbeikommen. Wer also noch keine Strategie hat, muss sie nun entwickeln.“
In Paris sieht man sich gut aufgestellt. Schließlich sei das wachsende europäische Regelwerk von den Gesetzen in Frankreich „inspiriert“ worden, heißt es aus dem Finanzministerium. Beim Finanzsektor in der französischen Hauptstadt stoßen die Pläne aus Brüssel auf Zustimmung.
Béatrice Verger, die im Asset-Management der BNP für die Nachhaltigkeit von Investments zuständig ist, sagt: „Wir begrüßen eine gemeinsame Regulierung auf der Ebene der Europäischen Union. Denn es ist für die international tätigen Banken sehr kompliziert, wenn jedes Land seine eigenen Regeln macht.“
Für Finanzmetropolen sei es wichtig, für die Institutionen attraktiv zu sein, die künftig die internationalen Standards in Sachen Nachhaltigkeit setzen werden, meint Frankfurt-Main-Finance-Chef Väth. Und hier könnte schon bald die nächste Entscheidung fallen. Die Bewerbungsfrist für den Standort, an dem das künftige International Sustainability Standards Board die Standards für die Nachhaltigkeitsberichterstattung setzen soll, läuft.
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