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Steven van Rijswijk im Interview ING-Chef: „Ein Haus zu kaufen wird für junge Leute immer schwieriger – das kann nicht immer so weitergehen“

Der neue Chef der niederländischen Großbank fordert, dass die Politik auf dem Immobilienmarkt einschreitet. Im Interview kritisiert er die eigenen Banker für den Millionenkredit an Wirecard.
30.09.2021 - 13:19 Uhr 1 Kommentar
Der 51-Jährige führt die ING seit 2020. Quelle: ING Group / Marieke van der Velden
Steven van Rijswijk

Der 51-Jährige führt die ING seit 2020.

(Foto: ING Group / Marieke van der Velden)

Frankfurt Steven van Rijswijk glaubt zwar nicht richtig an länderübergreifende Fusionen, schließt Zukäufe in Deutschland aber nicht aus. „Sollte es eine Konsolidierung in einem wichtigen Markt geben, dann schauen wir uns das natürlich an“, sagt der neue Chef der niederländischen Großbank ING im Handelsblatt-Interview. Für den deutschen Markt gelte generell: „Wir wollen weiterhin wachsen, aber wir wollen profitabel wachsen.“ 

Das Privatkundengeschäft hierzulande ist das größte der in 40 Ländern agierenden ING-Gruppe, das Firmenkundengeschäft das drittgrößte. Zuletzt hatte sich der Frankfurter Ableger allerdings vom Ziel der zehn Millionen Kunden verabschiedet. In der Vergangenheit wurde der ING auch Interesse an der Commerzbank nachgesagt.

Hart ins Gericht geht van Rijswijk mit den eigenen Firmenkundenbankern, die Wirecard einen Kredit über 200 Millionen Euro gewährt hatten.

Lesen Sie hier das ganze Interview:

Herr van Rijswijk, seit Ihrem Amtsantritt haben wir viel über Corona gesprochen. Was hat Sie die Pandemie gelehrt?
Die Coronakrise hat uns gezeigt, dass die Finanzwelt eine andere geworden ist. Die Zinsen sind in vielen Ländern, in denen wir aktiv sind, negativ, und das wird unter anderem wegen der Pandemiefolgen auf absehbare Zeit so bleiben. Für uns bedeutet das einen Strategiewechsel: Wenn wir in kleineren Märkten nicht mehr profitabel wachsen, verlassen wir diese.

So wie in Österreich und Tschechien.
Ja, wir sind jetzt konsequent: Wenn die lokale Profitabilität nicht ausreicht und wir keine Wachstumschancen sehen, verschieben wir unsere Ressourcen lieber in andere Märkte, in denen wir wachsen, etwa nach Deutschland. Corona und die Negativzinsen haben diesen Trend verstärkt.

„Dass die Hauspreise so schnell gestiegen sind, ist ungesund für die wirtschaftliche Entwicklung“, sagt der ING-Chef. Quelle: Reuters
ING-Büros

„Dass die Hauspreise so schnell gestiegen sind, ist ungesund für die wirtschaftliche Entwicklung“, sagt der ING-Chef.

(Foto: Reuters)

Stichwort Deutschland: Die Bundesrepublik ist der wichtigste Markt für ING. Welche Pläne haben Sie hier? Vom Wachstumsziel zehn Millionen Kunden haben Sie sich verabschiedet.
Wir wollen weiterhin wachsen, aber wir wollen profitabel wachsen. Das heißt, dass wir nicht mehr nur Sparkonten anbieten wollen, mit denen verlieren Sie bei Negativzinsen Geld. Wir wollen Kunden, die mindestens zwei Produkte bei ING nutzen. Diese nennen wir Hausbankkunden, auf ihnen liegt unser Fokus.

Müssen künftig mehr Ihrer Privatkunden mit Negativzinsen rechnen?
Wir haben klar kommuniziert, dass es für Guthaben, die über dem Freibetrag von 50.000 Euro liegen, Verwahrgebühren gibt.

Andere Banken trauen sich erst ab 100.000 Euro, Negativzinsen zu erheben. Wird Ihr Freibetrag in Zukunft weiter sinken ?
Ich kann die Zukunft nicht vorhersagen. Wir müssen uns immer fragen: Wie groß ist der Puffer an nicht bepreisten Sparsummen, den wir unseren Kunden bieten können? Das aktuelle Zinsumfeld ist nicht gesund, weder für Sparer noch für Banken oder Pensionskassen. Ein positives Zinsumfeld mit einer Kurve, die perspektivisch nach oben geht, würde der gesamten Wirtschaft nutzen. Schauen Sie die Immobilienpreise an, die steigen steil an. Für junge Leute wird es immer schwieriger, ein Haus zu kaufen. Das kann nicht immer so weitergehen.

Befürchten Sie eine Hauspreisblase, die platzt, wenn die Zinsen wieder steigen?
Die Situation ist von Land zu Land sehr unterschiedlich. Doch klar ist: Dass die Hauspreise so schnell gestiegen sind, ist ungesund für die wirtschaftliche Entwicklung. Die mittleren Einkommen, Lehrer, Polizisten, Krankenschwestern, können sich kaum noch ein Haus leisten. Hier muss die Politik einschreiten.

Nicht nur die Hauspreise steigen. Fürchten Sie eine länger anhaltende Phase mit deutlich höheren Inflationsraten?
Ich bin mir nicht sicher, ob wir dauerhaft höhere Preissteigerungsraten sehen werden. Die EZB erwartet für dieses Jahr eine Inflationsrate von 2,2 Prozent und 1,7 Prozent für 2022. Die anziehende Nachfrage nach der Pandemie könnte zwar zu etwas höheren Preisen führen, aber es kann sehr gut sein, dass sich die Nachfrage relativ schnell wieder normalisieren wird. Die Gefahr von Zweitrundeneffekten durch steigende Löhne ist zudem in Europa geringer als in den USA. Die Hilfsprogramme in Europa haben dafür gesorgt, dass viele Menschen ihre Jobs behalten haben. In den USA müssen die Firmen jetzt Menschen, die ihre Arbeit verloren haben, häufig mit höheren Gehältern wieder einstellen.

„Der Fall Wirecard lehrt uns, noch genauer hinzuschauen“

Kommen wir zurück zu Ihrer Strategie. Sind Sie zufrieden mit der Entwicklung im deutschen Firmenkundengeschäft? Bei der Wirecard-Pleite hat ING rund 200 Millionen Euro verloren.
Der Fakt, dass wir so einen großen Verlust beim Untergang der Betrugsfirma Wirecard verzeichneten, war für mich eine große Enttäuschung. Wir äußern uns grundsätzlich nicht zu einzelnen Kundenbeziehungen. Aber der Fall lehrt uns, dass man gerade in einer wirtschaftlichen Boomphase noch genauer hinschauen muss, wenn Kredite in neuen Sektoren vergeben werden. Kredite auszureichen ist immer mit einem Risiko verbunden, das eingeschätzt werden muss. Die erste Frage muss lauten: Verstehen wir den Sektor? Und verstehen wir, wie das Unternehmen sein Geld verdient? Wenn das nicht der Fall ist, soll man die Finger davon lassen. Um es klar zu sagen: Der Fall Wirecard ist ein deutliches Negativbeispiel, bei dem Banken zu enthusiastisch bei der Kreditvergabe in einem neuen und aufsteigenden Sektor waren.

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Trotz des Rückschlags bei Wirecard wollen Sie im deutschen Firmenkundengeschäft wachsen: organisch, oder planen Sie auch Zukäufe?
Im Firmenkundengeschäft gilt im Unterschied zum Privatkundengeschäft: Je größer der Kunde, desto wichtiger ist die Frage, ob ING ihm sowohl lokal als auch international den Service bieten kann, den er braucht. Haben wir das richtige Netzwerk, die richtigen Produkte, die richtige Expertise? ING ist mit einer Präsenz in 40 Ländern gut aufgestellt. Das deutsche Firmenkundengeschäft ist schon heute, gemessen an Ertrag und Gewinn, unser drittgrößtes.

Also haben Sie kein Interesse an der Commerzbank mehr?
Wir haben das ja nie kommentiert (lacht). Wir fokussieren uns auf organisches Wachstum. Und wenn wir etwas kaufen wollen, dann vor allem technische Expertise. Sollte es eine Konsolidierung in einem wichtigen Markt geben, dann schauen wir uns das natürlich an. An internationale Fusionen glaube ich aber weniger, hierfür braucht es in Europa die Banken- und Kapitalmarktunion.

Glauben Sie denn noch daran? Seit Jahren bastelt die EU an den Projekten, ohne dass es wirklich vorangeht.
Der gute Wille ist zuletzt wieder größer geworden, aber noch immer gibt es Misstrauen in einzelnen Staaten – sowohl, was eine gemeinsame Einlagensicherung angeht, als auch, was den freien Transfer von Liquidität zwischen Standorten in unterschiedlichen EU-Ländern angeht. Ich fürchte, dass wir noch einige Jahre auf die Bankenunion werden warten müssen.

Im Privatkundengeschäft sind Skaleneffekte wichtiger, wie Sie sagen. Könnten Sie sich vorstellen, die DKB zu übernehmen? Die Direktbanktochter der Bayerischen Landesbank könnte früher oder später zum Verkauf stehen und hat einen ähnlichen Zuschnitt wie die ING Deutschland.
Generell gilt: Sehen wir Chancen in Märkten, in denen wir erfolgreich sind und in denen wir unseren Kunden dadurch einen echten Mehrwert bieten können, dann überlegen wir immer, wie wir unser Angebot erweitern können.

Lassen Sie uns ein wenig über das Thema Compliance reden. Wie laufen die Aufräumarbeiten, die Sie von Ihrem Vorgänger übernommen haben? In Italien hatten es die Behörden Ihrer Bank sogar untersagt, neue Kunden zu akquirieren.
Es ist interessant, dass Sie von Aufräumarbeiten sprechen. Gerade erst wurde ich in einer niederländischen Zeitung als Putzfrau abgebildet, ich fand das ganz lustig. Aber im Ernst: In Italien hat uns die Zentralbank bereits im vierten Quartal 2020 erlaubt, wieder neue Kunden an Bord zu holen. Das heißt, wir können unser italienisches Geschäft jetzt wie geplant weiter ausbauen.

Dann gibt es noch Ihren Zahlungsdienstleister Payvision, der Probleme bei der Bekämpfung der Geldwäsche hat. Es gibt Spekulationen, dass Sie die Tochter abwickeln wollen.
Zu Payvision will ich im Moment keinen Kommentar abgeben. Wir analysieren unsere Geschäftsfelder, und wir werden eine Entscheidung fällen, sobald wir uns sicher sind, dass wir sie umsetzen können. Mir ist es extrem wichtig, einmal gegebene Versprechen nicht zu brechen.

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Unabhängig von der Entscheidung zu Payvision müssen Sie im Kampf gegen die Geldwäsche aufrüsten.
Ich bin davon überzeugt, dass wir eine deutlich intensivere internationale Zusammenarbeit zwischen Regierungen und Banken brauchen, sonst werden wir den Kriminellen immer einen Schritt hinterherhinken. Deshalb finde ich zum Beispiel den Ansatz von Europol sehr gut, mit einer konzertierten Aktion systematisch die 400 schlimmsten Kriminellen in Europa zu verfolgen. Außerdem sollten wir den Austausch von Daten verbessern. Ich kann das Dilemma zwischen effektiver Verbrechensbekämpfung und Datenschutz verstehen. Aber wenn wir echte Fortschritte machen wollen, dann müssen wir mehr Informationsaustausch wagen.

Und was unternimmt ING selbst?
Wir haben zum Beispiel ein großes Programm gestartet, mit dem wir die Bekämpfung von Geldwäsche digitalisieren wollen. Damit können wir zwar nicht jeden einzelnen Zwischenfall verhindern, aber wir können verhindern, dass strukturelle Fehler passieren.

„Mitarbeiter können derzeit zur Hälfte von zu Hause aus arbeiten“

ING gilt in der europäischen Bankenbranche als einer der Vorreiter, wenn es um agiles Arbeiten geht. Funktioniert dieses Modell auch in der Pandemie?
Wir haben gedacht, dass agile Organisationsformen tatsächlich nur funktionieren, wenn man multidisziplinäre Teams physisch in einem Raum zusammenbringt. Aber die Coronakrise hat uns gezeigt, dass das auch aus dem Homeoffice heraus funktioniert. Das bedeutet, dass wir künftig auch international agile Teams aufsetzen können, was uns bei der Entwicklung unserer Organisation weiter voranbringen wird.

Wie werden Sie in Zukunft mit dem Thema Homeoffice umgehen?
Im Moment gibt es noch so viele Fragen, dass wir keine endgültige Antwort geben können, auch weil unklar ist, wie sich die Pandemie weiterentwickelt. Unsere globalen Richtlinien sehen derzeit vor, dass unsere Mitarbeiter zur Hälfte von zu Hause aus arbeiten können und zur Hälfte ins Büro kommen sollen. Die konkrete Umsetzung überlassen wir aber unseren lokalen Teams.

Wie so viele andere Banken hat sich die ING dem Thema nachhaltige Finanzen verschrieben. Umweltschützer werfen der Branche allerdings vor, dass sie den Kampf gegen den Klimawandel allenfalls halbherzig angeht. Müssten Sie nicht deutlich schneller aus „schmutzigen“ Finanzierungen aussteigen?
Das wäre nach meiner Meinung mit das Schlimmste, was wir tun könnten. Wir könnten unsere Bilanz sehr schnell „grüner“ machen, indem wir einfach die „schmutzigsten“ Teile unseres Portfolios verkaufen. Dann wäre ING die sauberste Bank der Welt, aber wir hätten keinerlei Beitrag im Kampf gegen die Erderwärmung geleistet. Unsere Verantwortung ist es, unsere Kunden auf dem Weg zu einer klimafreundlichen Wirtschaft zu begleiten.

Außerdem könnten Sie die „schmutzigen“ Teile Ihres Portfolios wahrscheinlich nur mit einem erheblichen Abschlag und entsprechenden Verlusten verkaufen…
Da wäre ich mir nicht so sicher, es gibt noch genügend Investoren, die sich dafür interessieren würden. Ich würde mir mehr Sorgen über unseren Beitrag zur Bekämpfung des Klimawandels machen, weil wir Kunden aus der Energiebranche, der Luftfahrt, der Schifffahrt und vielen anderen Bereichen nicht mehr auf ihrem Weg zu grüneren Geschäftsmodellen fördern und fordern könnten.
Herr van Rijswijk, vielen Dank für das Interview.

Mehr: Santander bekennt sich zur Doppelstrategie – ING setzt auf Nachhaltigkeit

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  • Mein Opa mütterlicherseits hat nach der Rückkehr aus der Kriegsgefangenschaft unser zerbombtes Elternhaus weitgehend EIGENHÄNDIGT (bzw. mit anderen Arbeitskollegen / Freunden, denen er dann wiederum geholfen hatte) wieder aufgebaut!!
    Das war möglich, weil nach dem Krieg der Wiederaufbau weitgehend noch DEREGULIERT war, sprich es gab noch keine überbordenden und irrsinnigen Behördenauflagen, die heute den Hausbau massiv verteuern und in Eigenregie de facto verunmöglichen. Dann gab es nach dem Krieg auch keine durch Zentralbank-Gelddruckerei ausgelöste Asset-Inflation am Immobilenmarkt wie heute, wodurch die Immobilienpreise künstlich aufgeblasen werden.
    Trotzdem war der Hausbau nach dem Krieg natürlich nicht ohne Kredit möglich, aber es war einem Durchschnittsverdiener (wie meinem Opa) möglich, den Kredit innnerhalb von ca. 10 Jahren vollständig zurückzuzahlen und damit schuldenfrei zu sein - und zusätzlich auch noch den "Lastenausgleich" (sprich Zwangshypothek nach der Währungsreform; so etwas Ähnliches dürfte demnächst auch wieder anstehen) vollständig zu entrichten.
    Wie lange benötigen potenzielle Häuslebauer mit Durchschnittsverdienst heute (auch mit Bausparvertrag usw.), um die Hypothek auf das Haus zurückzuzahlen?? Man versklavt sich heute also de facto LEBENSLÄNGLICH an die Bank!!

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