Unterlagen dokumentieren Versagen Wie die Bankenaufseher die drohende Finanzkrise ignorierten

Die Düsseldorfer Bank musste im Sommer 2007 mit rund zehn Milliarden Euro vom Staat gerettet werden.
Frankfurt Für die Rettung notleidender Banken hat Deutschland nach der Finanzkrise viele Milliarden Euro an Steuergeldern ausgegeben. Alleine die HSH Nordbank, die am Mittwoch an Finanzinvestoren verkauft wurde, kostete die beteiligten Bundesländer elf Milliarden Euro.
Auch die staatlichen Bankenaufseher haben die teils sehr riskanten Geschäfte der Geldhäuser nicht ausgebremst – dabei erahnten sie zum Teil schon früh, wo bei späteren Kriseninstituten etwas im Argen lag.
Das legen zumindest Antworten der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Gerhard Schick (Grüne) nahe, die dem Handelsblatt vorliegen. Diese Fragen musste die Bundesregierung beantworten, nachdem das Bundesverfassungsgericht sie im November 2017 dazu gezwungen hatte. Schick hatte Details zur Arbeit der Aufsicht bei den Banken erfragt, die während der Krise Staatshilfen erhielten.
Jede einzelne Information stelle kein großes Geheimnis dar und hätte problemlos schon vor Jahren veröffentlicht werden können. „Aber in der Gesamtheit zeigen die Unterlagen, wo die Aufsicht versagt hat“, sagt er.
Die IKB etwa, die im Sommer 2007 mit rund zehn Milliarden Euro gerettet werden musste, war über außerbilanzielle Finanzvehikel gestolpert, sogenannte Conduits, die in US-Schrotthypotheken investiert hatten. Diese Finanzkonstrukte jenseits der IKB-Bilanz, die für ein Institut dieser Größenordnung ungewöhnlich umfangreich waren, waren der Bankenaufsicht seit Jahren bekannt.
Schweigen im Aufsichtsrat
Bereits im November 2004 sprachen die Finanzaufsicht Bafin und die für Bankenaufsicht ebenfalls zuständige Bundesbank mit der IKB. „In dem Gespräch erfolgte eine eingehende Erörterung des Conduits „Rhineland Funding“ unter Risikogesichtspunkten“, schreibt die Bundesregierung.
Weitere Gespräche folgten im Februar und November 2005. Auch die verhängnisvolle Liquiditätslinie, mit der sich die IKB verpflichtet hatte, das Conduit bei Problemen zu stützen, war schon ein Thema.
Das Fatale: Getan hatte sich danach nichts. Die IKB verwies auf die guten Ratings der US-Schrottpapiere und stufte die Wahrscheinlichkeit, dass die Liquiditätslinie zum Einsatz kommen müsste, als gering ein. Damit gaben sich die Aufseher zufrieden: In Aufsichtsratssitzungen tauchten sie erst nach der Rettungsaktion auf. Auch eine Sonderprüfung gab es nur im Jahr 2005.
Bei der Überwachung der HSH Nordbank kamen die Bankenwächter ebenso wenig ihren Aufgaben nach – obwohl sie regelmäßig im Aufsichtsrat und dessen Unterausschüssen zu Gast waren. Dass die HSH Nordbank das Kreditinvestmentgeschäft „intensiv“ betrieb, also fleißig Wertpapiere kaufte, die mit Kreditbündeln unterlegt waren, wussten die Aufseher. Doch dass die Bank mit der Zeit immer riskantere Investitionen tätigte, „war der Aufsicht nicht bekannt“, so die Bundesregierung.
Das sei weder aus den von der Bank verschickten Unterlagen hervorgegangen noch aus denen des Verwaltungsrats. Eigenständig aktiv wurden die Beamten nicht. Anlass zu Misstrauen hätte es gegeben: Im Jahr 2005 etwa führte die Bank „Schnellankaufverfahren“ für zwei Wertpapiertypen ein, darunter amerikanische „Home Equity Loans“, also nachrangige, riskantere Immobilienkredite. Für die Aufsicht kein Anlass für eine „vertiefende bankaufsichtliche Sachverhaltsanalyse“.
Dass die Aufseher schon vor der Krise „an diversen Stellen Probleme bei den bankinternen Risikokontrollsystemen“ der Bank bemängelt und diese „wiederholt kritisch kommentiert“ hatten, machte sie wohl nicht misstrauisch. So erfuhren sie erst durch einen Prüfbericht der KPMG im März 2009, dass die internen Regeln der Schnellverfahren nicht richtig beachtet wurden. In dem KPMG-Bericht hatte die Aufsicht erstmals als Prüfungsschwerpunkt das Kreditinvestment-Portfolio der HSH kritisch durchleuchten lassen.
„Die Aufsicht war bei Problembanken häufig im Bilde, ihr fehlte aber offenbar der Mut einzuschreiten“, urteilt Hans-Peter Burghof, Bankprofessor an der Universität Hohenheim. Häufig hätten Banken sehr lange Fristen bekommen, um Defizite abzustellen. Für ihn liegt das auch daran, dass die Sachverhalte zu sehr juristisch, nicht ökonomisch beurteilt worden seien.
„In den Jahren vor der Finanzkrise entsprach Deregulierung dem Zeitgeist“
Ähnlich äußert sich der Grünen-Finanzexperte Schick: „Die Bankenaufseher haben häufig die richtigen Fragen gestellt, aber trotzdem die Probleme nicht abgestellt“, sagt er. Bei Banken wie der HSH Nordbank oder der IKB saßen die Aufseher in den Aufsichts- und Verwaltungsratssitzungen, ergriffen vor Ausbruch der Krise dort aber nie das Wort.
Bei der später verstaatlichten HRE tauchten sie in solchen Sitzungen gar nicht auf. „Deutliche Hinweise auf die Probleme bei diesen Sitzungen hätten rechtzeitig Druck auf die Aufsichtsratsmitglieder ausgeübt, das riskante Geschäftsmodell zu ändern.“
Die Zurückhaltung der Aufsicht hat aus Sicht von Thomas Hartmann-Wendels, Professor für Bankbetriebslehre an der Universität Köln, aber auch politische Gründe: „In den Jahren vor der Finanzkrise entsprach Deregulierung dem Zeitgeist“, sagt er. „Der Aufsicht fehlte die politische Rückendeckung, hart bei Banken durchzugreifen. Sie hatte eine schwache Position“, so der Wissenschaftler.
Ihm ist der Fall einer größeren Sparkasse bekannt, die in der Zeit vor der Finanzkrise in Problemen steckte und die von der Aufsicht deshalb erneut geprüft werden sollte. „Von politischer Seite kam dann schnell ein Anruf mit der Frage, warum der Sparkasse schon wieder eine Prüfung zugemutet werden sollte“, erzählt Hartmann-Wendels.
Bafin und Bundesbank wollten sich zu Fragen zu einzelnen Banken nicht äußern. Sie verwiesen darauf, dass sich Aufsicht und Regulierung seit der Finanzkrise erheblich weiterentwickelt hätten. „Die Aufsicht ist im Ergebnis heute eindeutig besser gerüstet als vor zehn Jahren, gerade um auf länderübergreifende Krisen zu reagieren“, heißt es in den wortgleichen Stellungnahmen.
„Wir verlangen mehr und besseres Eigenkapital und überwachen das Risikomanagement der Banken sehr viel selbstbewusster und strenger“, ergänzte der für Bankenaufsicht zuständige Bundesbank-Vorstand Andreas Dombret. „Fehler und Betrugsfälle, die von der Aufsicht nicht oder zu spät gesehen werden, wird man leider nie komplett ausschließen können, aber insgesamt kann man ganz klar sagen, dass das Netz der Aufsicht sehr viel enger geworden ist und sich auf sehr viel detailliertere Daten stützen kann – das ist gewollt und gut so“, sagte Dombret.
Auch Hartmann-Wendels findet, dass die Bankenaufsicht heute stärker ist. Aber ob das auf Dauer so sein werde, sei damit nicht gesagt. „Wenn sich die politische Stimmung wieder dreht, kann das Pendel auch wieder in die andere Richtung ausschlagen.“
Das macht das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, das die Regierung zu Transparenz zwingt, für Schick so relevant: „Dass hinterher Fehler aufgearbeitet werden können, verändert das Verhalten einer Behörde schon im Vorhinein“, sagt er.
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