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Untersuchungsausschuss Ex-Wirecard-Chef Braun schweigt – so droht ihm eine zweite, härtere Runde

Angespannte Stimmung im Wirecard-Untersuchungsausschuss: Markus Braun weigert sich, die Fragen der Abgeordneten zu beantworten. Doch die geben nicht klein bei.
19.11.2020 Update: 19.11.2020 - 17:52 Uhr 1 Kommentar
Der Untersuchungsausschuss soll vor allem aufklären, welche Versäumnisse es bei staatlichen Behörden wie der Finanzaufsicht und bei der Bundesregierung gab. Quelle: AP
Markus Braun

Der Untersuchungsausschuss soll vor allem aufklären, welche Versäumnisse es bei staatlichen Behörden wie der Finanzaufsicht und bei der Bundesregierung gab.

(Foto: AP)

Berlin Markus Braun kommt durch die Hintertür. Drei Sekunden dauert es, dann ist der frühere Wirecard-Chef an den Kameras vorbeigehuscht in den Saal 2.600 im Paul-Löbe-Haus des Bundestages. Handschellen sind ihm nicht angelegt, er wird aber von Polizisten begleitet.

„Ich wohne derzeit in der Justizvollzugsanstalt Augsburg“, stellt sich Braun dem Gremium vor. Nachdem er in der Mitte des Saals Platz genommen hat, nimmt er seinen weißen Mund-Nasen-Schutz ab. Eine Plastikflasche mit Wasser hat er dabei, einen Kugelschreiber und ein Din-A4-Blatt.

Brauns Auftritt im Untersuchungsausschuss am Donnerstagnachmittag ist der erste Höhepunkt bei der parlamentarischen Aufarbeitung des milliardenschweren Wirecard-Skandals. Die Abgeordneten hatten die Befragung von Braun im Bundestag gerichtlich erzwungen.

Ein Zeuge aus dem Gefängnis in einem Untersuchungsausschuss des Bundestages – das gab es wohl noch nie. Die Erwartungen an diesen besonderen Auftritt waren hoch, doch es war schon vorab recht klar, dass sie enttäuscht werden mussten.

Braun verlas zunächst ein knappes Statement. Der frühere Wirecard-Chef verwies auf ein umfangreiches Verfahren der Staatsanwaltschaft München I. Er habe Vertrauen in die Ermittlungsbehörden. Sie sollten nun umfassend aufklären, vor allem was den Verbleib der veruntreuten Unternehmensgelder angeht.

Mehr: Der Podcast Handelsblatt Crime beleuchtet das System hinter dem größten Wirtschaftsskandal der Nachkriegszeit.

Der Zahlungsdienstleister hatte im Juni Insolvenz anmelden müssen, nachdem er zugeben musste, dass Konzernvermögen über 1,9 Milliarden Euro höchstwahrscheinlich nicht existierte. Es ist einer der größten Betrugsfälle der deutschen Wirtschaftsgeschichte.

Und aus Sicht des Abgeordneten im Untersuchungsausschuss spielt Braun bei der Aufklärung der Frage, wie es so weit kommen konnte, eine zentrale Rolle. „Markus Braun war Wirecard“, sagte der FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar im Vorfeld.

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Der Konzern soll über Jahre hinweg Scheingeschäfte in Milliardenhöhe verbucht und ein entsprechend überhöhtes Konzernvermögen ausgewiesen haben. Ende Juni stellte sich ein Viertel der Bilanzsumme, die auf Treuhandkonten in Ostasien liegen sollten, als höchstwahrscheinlich nicht existent heraus.

Der Untersuchungsausschuss soll vor allem aufklären, welche Versäumnisse es bei staatlichen Behörden wie der Finanzaufsicht und bei der Bundesregierung gab. Braun äußerte sich nun erstmals öffentlich – und nahm die Behörden in Schutz.

„Ich kann sagen, dass ich zu keiner Zeit Feststellungen getroffen oder Hinweise dazu erhalten habe, dass sich Behörden, Aufsichtsstellen oder Politiker nicht korrekt, pflichtwidrig oder in irgendeiner Form unrechtmäßig verhalten hätten“, sagte Braun.

Das gelte auch für den Aufsichtsrat und die Wirtschaftsprüfer, die im Rahmen der Abschlussprüfung umfassend getäuscht worden seien. Für ihn sei es deshalb „nicht nachvollziehbar“, wieso externe Aufsichtsstellen, die viel weiter weg seien, Versäumnisse zu verantworten haben sollten, so der frühere Wirecard-Chef.

Kritik der Abgeordneten

Die Abgeordneten messen der Aussage wenig Bedeutung zu. „Was nutzt der Freispruch von einer Person wie Markus Braun, die völlig unglaubewürdig ist?“, fragte Linke-Finanzpolitiker Fabio De Masi nach der Sitzung.

Vor allem die Opposition kritisiert, dass die Behörden trotz Hinweisen auf Betrügereien nicht energischer eingeschritten sind. Insofern hatten sie noch viele Fragen an Braun, erhielten aber keine Antworten.

Er habe sich noch nicht persönlich gegenüber der Staatsanwaltschaft geäußert, erklärte Braun, habe den Ermittlern aber zugleich seine Kooperation zugesagt. Das wolle er einhalten. „Ich bitte um Verständnis, dass ich meine Angaben gegenüber der Staatsanwaltschaft nicht vorwegnehmen kann und will“, sagte er. „Zu weiteren Details will und kann ich mich heute nicht äußern und berufe mich auf mein umfassendes Aussageverweigerungsrecht“, kündigte Braun schon in seinem Statement an. Und er hielt es eisern durch.

Die Abgeordneten des Untersuchungsausschusses löcherten Braun mit Fragen. In fast allen Fällen erhielten sie jedoch die immer gleiche Antwort – in verschiedenen Variationen. Wie lautet der Titel Ihrer Doktorarbeit? „Zu dieser Frage möchte ich mich nicht äußern.“ Haben Sie konstruktiv mit dem Aufsichtsrat zusammengearbeitet? „Ich werde über meine Erklärung hinaus keine weiteren Einlassungen bekanntgeben.“ Haben Sie als CEO in Ihrer Zeit bei Wirecard Fehler gemacht? „Ich berufe mich auf mein Auskunftsverweigerungsrecht.“

Der Ex-Wirecard-CEO gilt als einer der Hauptverantwortlichen für den mutmaßlichen Betrugsskandal. Quelle: Reuters
Markus Braun vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestags

Der Ex-Wirecard-CEO gilt als einer der Hauptverantwortlichen für den mutmaßlichen Betrugsskandal.

(Foto: Reuters)

Braun ist Braun, auch vor dem Untersuchungsausschuss. Er ist blasser geworden, etwas dünner, ansonsten tritt der Ex-Vorstandschef auf wie immer: im schwarzen Rollkragenpullover, mit Sakko und ohne Krawatte. Auf dem Tisch liegt das Manuskript seines Eingangsstatements, an seiner Seite sitzt Anwalt Alfred Dierlamm, der schweigen muss.

Die Abgeordneten versuchen, Braun durch wiederholte Nachfragen aus der Reserve zu locken. Der Prozess ist für die Zuhörer quälend, aber aufschlussreich. Cansel Kiziltepe (SPD) sagt, Braun sei ja österreichischer Staatsbürger: „Ist Ihnen bewusst, dass Sie unserem Wirtschaftsstandort einen großen Schaden zugefügt haben? Ist Ihnen bewusst, dass Ihr Schweigen auch Menschen in den Abgrund zieht? Halten Sie Ihr Geschäftsmodell für moralisch, sittlich richtig?“ Auch darauf spult Braun seinen Standardsatz ab, nichts aussagen zu wollen.

Regelmäßig blitzt das steife, statusbewusste Wesen des Ex-Vorstandschefs durch, dem anzumerken ist, dass er die Befragung durch die Abgeordneten nur mit größtem Widerwillen über sich ergehen lässt.

Auf die Frage, wie das Drittpartnergeschäft ganz allgemein funktioniert, erklärt Braun: „Ich glaube, dass die Staatsanwaltschaft die richtige Instanz ist, gegenüber der ich mich äußern werde. Es handelt sich alles um verfahrensbezogene Sachverhalte, da läuft ein Ermittlungsverfahren. Daher sehe ich ein Hoheitsrecht bei der Staatsanwaltschaft.“

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Immer mal wieder belehrt Braun die Abgeordneten, dass diese die eine oder andere Frage schon gestellt hätten. Dann wiederholt er seine Antwort: Er werde nicht über sein Statement hinausgehen. Auf die simple Frage von Linke-Finanzpolitiker De Masi, ob er eine Tochter habe, antwortet Braun: „Ich finde, das ist heute nicht der Verfahrensgegenstand.“

De Masi reagiert scharf: „Das entscheide immer noch ich als gewählter Abgeordneter, und nicht jemand, der von der JVA überstellt worden ist.“ Auf seine Frage, ob Braun bestätigen könne, dass innerhalb des Wirecard-Vorstands darüber diskutiert worden sei, ob der Konzern Zahlungen für Kinderpornographie abwickle, schweigt der Ex-CEO.

Braun liest vom Manuskript ab

Nur ganz selten äußert sich Braun inhaltlich. Auf die Frage von Danyal Bayaz (Grüne), ob er vor seiner Tätigkeit bei Wirecard bei KPMG war, antwortet Braun: „Das kann ich bestätigen, dass ich Beschäftigter bei KPMG war. Um es zu präzisieren: Ich war bei KPMG Consulting, nicht bei der Wirtschaftsprüfung.“

Zwischendurch lassen die Abgeordneten Braun spüren, was sie von seinem Auftritt und der Auskunftsverweigerung halten. Bayaz fragt Braun, ob er sein Eingangsstatement erneut vortragen könne. Das bejaht Braun – worauf er sein Manuskript noch mal vorlesen muss.

Innerhalb der Sitzung wird mehrfach diskutiert, wie weit das Auskunftsverweigerungsrecht reicht, auf das sich Braun wiederholt beruft. „Sie haben kein umfassendes Aussageverweigerungsrecht“, erklärte Matthias Hauer (CDU).

„Ich bitte Sie, den notwendigen Respekt gegenüber unserem Rechtsstaat zu wahren und gegenüber seinen demokratisch gewählten Vertretern. In Deutschland glauben wir an das Prinzip des ehrbaren Kaufmanns“, mahnte Hans Michelbach (CSU). „Merken Sie nicht, dass es Ihre Position weiter schwächt, wenn Sie sich nicht kooperativ gegenüber diesem U-Ausschuss verhalten?“

Doch auch darauf schweigt der Ex-CEO. Als Braun in anderem Zusammenhang antwortet: „Zu dieser Frage kann ich mich nicht äußern“, schimpft De Masi: „Sie können schon, Sie möchten nur nicht.“

Zweite Runde mit dem Ex-Wirecard-Boss möglich

Der Linke-Finanzpolitiker fügte an: „Ich möchte darauf hinweisen, dass ich die ganze Nacht Zeit habe.“ Die Abgeordneten unterbrachen dann die Sitzung, um sich zu beraten. Anschließend ging es mit der nächsten Fragerunde weiter.

Dass die Abgeordneten all ihre Fragen vortragen wollten, auch wenn sie keine Antworten zu erwarten hatten, hat einen Grund: Sie können später vor Gericht feststellen lassen, ob Braun überhaupt bei allen Fragen ein Auskunftsverweigerungsrecht hat. Der Ex-Manager müsste seine Sicht dann glaubhaft machen. Dazu müssen aber alle Fragen im Untersuchungsausschuss auch gestellt worden sein.

Wenn das Gericht zu der Entscheidung kommt, dass Braun eine Frage doch hätte beantworten müssen, kann er dazu mit einem Zwangsgeld oder gar Beugehaft bewegt werden. Die Abgeordneten glauben aber, dass Braun schon vorher schlussendlich doch ihre Fragen beantworten wird.

„Das war nicht der letzte Akt“, sagte FDP-Politiker Toncar nach der Sitzung. So könnte Braun erneut vorgeladen werden, nachdem er bei der Staatsanwaltschaft seine Aussage gemacht hat. Der Ex-Wirecard-Chef hat seine Bereitschaft dazu betont. Und so steht auch für Grünen-Finanzpolitiker Bayaz fest: „Es war nicht das letzte Mal, dass wir hier Markus Braun im Zeugenstand hatten.“

Das wird dann sein zweiter Auftritt im Untersuchungsausschuss werden.

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1 Kommentar zu "Untersuchungsausschuss: Ex-Wirecard-Chef Braun schweigt – so droht ihm eine zweite, härtere Runde"

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  • Der Systemfehler ist, dass Linke und Grüne durch das Verfahren in der Groko einen Schuldigen ausfindig machen wollen. Das ist unschön und wird nicht greifen.

    Eine ehrliche Aufklärung des Vebrechens wird dadurch erschwert.

    Ich finde es auch falsch, wenn gefordert wird, dass die BaFin Mitarbeiter keine Aktien kaufen dürfen. Wenn BaFin Mitarbeiter short gegangen wäre, hätte das ein Geschmäckle, aber so lange BaFin Mitarbeiter long gehen, sehe ich keine Interessenskonflikte.

    Die BaFin Mitarbeiter haben, wie ich durch die Herausgabe von mehreren Wertpapierprospekten weiß, eh nur rudimentäre Kenntnisse über Aktien. Die wussten nach der Gründung nicht einmal was ein KGV ist und glaubten, dass kein Anleger was mit dem Fachwort anzufangen wisse. Ich habe Ihnen gerade mal selbst Aktienn zu kaufen, um auf einen Mindestmaß an Wissen zu kommen. Daher fände ich es unschön, wenn diese nun dafür bestraft würden.

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