Benachrichtigung aktivieren Dürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafft Erlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviert Wir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke

Untersuchungsausschuss Finanzstaatssekretär Kukies: „Es gab keine Vorzugsbehandlung für Wirecard“

Der Vertraute von Vizekanzler Scholz verteidigt sein Agieren im Fall Wirecard – und das seines Chefs. Es habe keine Privilegierung für den Konzern gegeben. Die „Bilanzpolizei“ DPR habe geschlafen.
21.04.2021 Update: 22.04.2021 - 01:40 Uhr 1 Kommentar
„Ich persönlich habe niemals zugunsten der Wirecard AG agiert oder interveniert“, sagt der Staatssekretär im Finanzministerium. Quelle: via REUTERS
Jörg Kukies vor dem Wirecard-Untersuchungsausschuss

„Ich persönlich habe niemals zugunsten der Wirecard AG agiert oder interveniert“, sagt der Staatssekretär im Finanzministerium.

(Foto: via REUTERS)

Berlin Während Union und Opposition bereits Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) ins Visier nehmen, hat sein Staatssekretär Jörg Kukies das Handeln des Finanzministeriums im Bilanzskandal um Wirecard verteidigt. Im Untersuchungsausschuss des Bundestags wies Kukies am Mittwochabend Vorwürfe zurück, man habe den damals aufstrebenden Tech-Konzern mit Samthandschuhen angefasst.

„Es gab zu keinem Zeitpunkt eine besondere Privilegierung der Wirecard AG“, betonte er. Im Finanzministerium habe es „kein besonderes Interesse an der Verteidigung eines sogenannten nationalen Champions Wirecard gegeben“.

Scholz' Strippenzieher gilt als einer der Schlüsselzeugen zur Aufklärung des wohl größten Bilanzskandals der deutschen Nachkriegsgeschichte. „Ich persönlich habe niemals zugunsten der Wirecard AG agiert oder interveniert“, betonte er. Zugleich äußerte Kukies sein großes Bedauern, dass viele Kleinanleger im Zuge der Wirecard-Pleite viel Geld verloren hätten, „manchmal die gesamte Altersvorsorge“.

Sein einziges persönliches Treffen mit Konzernchef Markus Braun an dessen 50. Geburtstag am 5. November 2019, von dem er nichts gewusst habe, sei kurz gewesen. Er habe Braun zu den Vorwürfen gegen den Konzern befragt, jedoch nichts erfahren, was über die Inhalte von Brauns vorangegangenem Interview mit dem Handelsblatt hinausgegangen wäre. Im Anschluss habe man über Cloud-Lösungen und Kryptowährungen diskutiert, dann seien weitere Termine angestanden.

„Es gab keinen Raum für die Teilnahme an irgendwelchen Geburtstagsfeiern von Herrn Braun. Das Treffen hat auch nicht dazu geführt, dass das BMF (Bundesfinanzministerium, Anm. d. Red.) oder ich nachsichtiger mit Wirecard gewesen sind“, sagte Kukies. „Die Tatsache, dass es weder vor noch nach dem 05.11. ein Treffen mit Braun gab, zeigt, dass es kein besonderes Interesse gab. Es gab auch keinen Kontakt per Handy oder SMS.“

Die Abgeordneten im Untersuchungsausschuss gehen davon aus, dass durch die Wirecard-Pleite im Zuge des großen Bilanzbetrugs ein wirtschaftlicher Schaden von mehr als 20 Milliarden Euro entstand. Im Untersuchungsausschuss geht es vor allem um die politische Verantwortung für den Skandal. Die Opposition und auch die CDU/CSU sind überzeugt, dass Finanzminister Scholz eine maßgebliche Verantwortung trägt.

Kukies: Aufsicht nach Vorschrift wahrgenommen

Scholz' Haus ist zuständig für die Finanzaufsicht Bafin, der schwere Fehler im Fall Wirecard vorgeworfen werden. So hatte die Bafin zwei kritische Journalisten der „Financial Times“ angezeigt und ein historisch einzigartiges Leerverkaufsverbot für Wirecard-Aktien erlassen, also eine Spekulation gegen den Konzern verboten. Beides zusammen hatte viele Kleinanleger fälschlicherweise in Sicherheit gewogen.

Kukies betonte, die Bafin agiere eigenverantwortlich, auch bei der Verhängung des umstrittenen Leerverkaufsverbots. Das Ministerium habe seine Rechts- und Fachaufsicht nach Vorschrift wahrgenommen und keinerlei Druck auf die Bafin ausgeübt. Kritisch kommentierte Kukies die Rolle der Staatsanwaltschaft München: Diese habe praktisch keine belastbaren Belege für die vermutete Verschwörung von Leerverkäufern gegen Wirecard vorgelegt.

Hätten seine Beamten im Frühjahr 2020 von der dünnen Beleglage im Hinblick auf die angeblich drohende Manipulation der Wirecard-Aktie gewusst, dann wäre das Ministerium eingeschritten, so Kukies. Womöglich hätte die Bafin dann aber auch gar kein Leerverkaufsverbot erlassen.

Das Finanzministerium habe heute wichtige Lehren aus dem Fall gezogen. Die bisherigen Gesetze, Regeln und Institutionen hätten den Fall nicht verhindern können. Nun solle unter anderem die Bilanzkontrolle grundlegend reformiert und die Bafin gestärkt werden. Kukies, der als Schlüsselzeuge gilt, sagte in einem rund 100-minütigen Eingangsstatement, das geplante Reformgesetz FISG werde hoffentlich zügig im Bundestag verabschiedet. Die Finanzaufsicht bekomme mehr Befugnisse und der designierte Behördenchef Mark Branson stehe für den angestrebten Kulturwandel.

Die Bafin werde die nötigen zusätzlichen Finanzmittel bekommen und auch mehr Eingriffsrechte, um die Bilanzprüfung in Deutschland zu stärken. Die Prüfung der Wirecard-Bilanzen durch die „Bilanzpolizei“ DPR im kritisierte Kukies, sie sei nicht richtig vorangekommen: „Da hat die Dringlichkeit gefehlt.“

Die politische Schützenhilfe für Wirecards China-Expansion durch das Bundesfinanzministerium wollte Kukies mit Verweis auf die Zuständigkeit seines Staatssekretärskollegen Wolfgang Schmidt nicht tiefer kommentieren. Er bestätigte aber die Intervention eines Beraters aus der Agentur von Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU). Der frühere Bundesverteidigungsminister war von Wirecard als Berater engagiert worden.

Nach der Insolvenz am 25. Juni 2020 wurden laut Kukies alle Optionen geprüft, auch eine Rettung von Wirecard. Es seien aber keine entsprechenden Schritte unternommen worden.

Kritik und Lob im Untersuchungsausschuss

Im Bundestag kamen die Ausführungen des Staatssekretärs je nach politischer Couleur unterschiedlich an. „Kukies kann nicht schlüssig erklären, warum er nicht rechtzeitig auf ein härteres Vorgehen gegen Wirecard gedrungen hat“, sagte der FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar. „Das ist aber der Knackpunkt, um den sich alles dreht.“ Es habe genug Warnungen gegeben, Wirecard sei keine unabwendbare Naturkatastrophe gewesen.

Ganz anders die Bewertung der SPD: „Zahlreiche Akten belegen die kritische Grundhaltung im Finanzministerium“, sagte Jens Zimmermann von den Sozialdemokraten. Kukies - ein früherer Investmentbanker von Goldman Sachs mit SPD-Parteibuch - habe die Bafin und die „Bilanzpolizei“ DPR zur Aufklärung gedrängt. „Die heutige Vernehmung hat deutlich gezeigt, dass von den Vorwürfen gegen Minister Scholz nichts übriggeblieben ist.“

Matthias Hauer (CDU) kritisierte Kukies für die „Brandmauer“, die dieser um Minister Scholz ziehe. Er sieht „eine erschreckende Tatenlosigkeit des Bundesfinanzministeriums bei den Themen Bilanzkontrolle, Finanz- und Geldwäsche sowie Mitarbeitergeschäfte.“ Kukies habe ausgeführt, beim Leerverkaufsverbot keine Eingriffsmöglichkeiten gehabt zu haben. „Seine zahlreichen ,Bitten' an die Bafin bezüglich Wirecard ab Mai 2020, die von der Finanzaufsicht stets zügig bearbeitet wurden, zeigen jedoch, dass er sehr wohl Einfluss auf Entscheidungen nehmen konnte. Hier offenbart sich ein klarer Widerspruch“, so Hauer.

Die Grünen-Politikerin Lisa Paus sagte, bei Kukies liefen fast alle Fäden zusammen. „Er ist die Spinne im Netz.“ Er habe zu wenig Fehler eingeräumt. „Wir wissen, wie zentral diese Fehlentscheidung zum Leerverkaufsverbot gewesen ist“, sagte die Grünen-Obfrau. Nicht nur Kukies, sondern auch Scholz seien darüber informiert gewesen. Paus warf Scholz eine scheibchenweise Informationspolitik vor. Dies nähre den Verdacht, dass der Minister „persönlich viel tiefer im Wirecard-Sumpf steckt, als bisher angenommen“.

Justizministerin Lambrecht: „Konnte nicht eingreifen“

Am Mittwoch sagte vor Kukies auch Justizministerin Christine Lambrecht (SPD) vor dem Ausschuss aus. Ihr Ministerium ist für die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung (DPR) zuständig, die im Staatsauftrag Bilanzen kontrolliert und auch im Fall Wirecard aktiv war. Das Justizministerium habe bei der DPR keinen Zugriff auf Einzelfälle und übe keinerlei Aufsicht aus, sagte Lambrecht.

Das Ressort habe kein Weisungs- und Informationsrecht. Das könne man kritisieren mit dem Wissen von heute, aber so sei das Konstrukt gewesen, so Lambrecht. Damit wollte sie offenbar deutlich machen, dass das Ministerium bei dem Betrugsskandal aus gesetzlichen Gründen nicht habe eingreifen können.

Die langjährige Kritik an der Aufstellung der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung sei ihr bekannt gewesen, so die Bundesjustizministerin. Allerdings: „Dass dieses System insgesamt infrage gestellt worden ist, habe ich so nicht empfunden.“ Quelle: dpa
Christine Lambrecht als Zeugin im Wirecard-Untersuchungsausschuss

Die langjährige Kritik an der Aufstellung der Deutschen Prüfstelle für Rechnungslegung sei ihr bekannt gewesen, so die Bundesjustizministerin. Allerdings: „Dass dieses System insgesamt infrage gestellt worden ist, habe ich so nicht empfunden.“

(Foto: dpa)

Die DPR ist ein privatrechtlicher Verein und nimmt im System der zweistufigen Bilanzprüfung die Bilanzierung von Unternehmen unter die Lupe. Im Fall Wirecard hatte die Finanzaufsicht Bafin die DPR im Februar 2019, nach den ersten schweren Vorwürfen der „Financial Times“, mit der Prüfung der Wirecard-Zahlen beauftragt und auf Ungereimtheiten in der Halbjahresbilanz 2018 hingewiesen.

Danach passierte wenig. Gut 15 Monate dauerte die DPR-Prüfung, selbst bei der Insolvenz des Konzerns lag immer noch kein Abschlussbericht vor.

Am 29. Juni 2020 hat die Bundesregierung den Vertrag mit der DPR zu Ende 2021 gekündigt: „Ich bin froh, dass wir das gemacht haben“, sagte die Ministerin im Bundestag. Gespräche habe es im Vorfeld mit der DPR nicht gegeben.

Problematische Aufsichtsratsmandate

Im Fokus der Abgeordneten stand auch die Tätigkeit von DPR-Präsident Edgar Ernst, der im Februar angekündigt hatte, sein Amt Ende 2021 niederzulegen. Er war wegen mehrerer Aufsichtsratsmandate parallel zu seinem DPR-Chefposten schon seit Jahren in der Kritik. Noch 2017 nahm Ernst ein weiteres Aufsichtsratsmandat an, obwohl interne Regeln das bereits seit 2016 untersagten. Das Bundesjustizministerium bekam davon Wind, schritt aber nicht ein, wie die Antwort auf eine Anfrage des FDP-Parlamentariers Frank Schäffler zeigt.

Bereits 2014 war es zu einem offenen Konflikt innerhalb der DPR gekommen – rund um die vielen Aufsichtsratsmandate des Präsidenten. Drei hochkarätige Mitglieder zogen sich aus den Organen der „Bilanzpolizei“ zurück.

Die langjährige Kritik an der Aufstellung der DPR sei ihr bekannt gewesen, sagte Lambrecht. Allerdings: „Dass dieses System insgesamt infrage gestellt worden ist, habe ich so nicht empfunden.“ Mit Ernst, der sein Amt zum Jahresende niederlegen will, habe sie keinen Kontakt: „Ich habe noch nie mit Professor Ernst gesprochen, auch nicht über Aufsichtsratsmandate.“

Auf Nachfrage unter anderem von Lisa Paus (Grüne) und Fabio De Masi (Die Linke) verwies die Ministerin erneut auf die einst politisch beschlossenen Verschwiegenheitspflichten der Stelle, die ihrem Haus ein Eingreifen unmöglich gemacht hätte: „Es gibt keine Rechts- und Fachaufsicht des Justizministeriums gegenüber der DPR. Über einzelne Unternehmen hätte sowieso nicht informiert werden dürfen, das wäre strafbewehrt gewesen.“

Laxer Zeitgeist

Von einer kritischen Haltung der Bafin zur DPR sei ihr vor dem Untergang nichts zu Ohren gekommen, sagte die Ministerin. Wie das Handelsblatt berichtete, hatte Bafin-Chef Felix Hufeld im Mai 2020 an seinen Staatssekretär Jörg Kukies mit Bezug auf das Bundesjustizministerium (BMJV) geschrieben: „Da die DPR dem Geschäftsbereich des BMJV zugeordnet ist und privatrechtlich strukturiert ist, müssen wir hier offensichtlich zu härteren Mitteln greifen, um den gebotenen Fortschritt zu erreichen. (...) Reaktionen des BMJV aus früheren Fällen, in denen wir (angeblich) die Autarkie der DPR angetastet haben, sprechen für eine hohe Sensibilität.“

Lambrecht verwies auf die unabhängige rechtliche Aufstellung der DPR: 2004 sei das zweistufige Bilanzkontrollverfahren einstimmig vom Bundestag beschlossen worden, auch mit den Stimmen von CDU/CSU und FDP. „Der damalige Zeitgeist war, dass die Wirtschaft kooperiert und sich selbst beaufsichtigt. Deswegen gibt es weder Rechts- noch Fachaufsicht oder ein Weisungsrecht“, so die Ministerin.

Der Zeitgeist sei heute ein anderer, daher sei es folgerichtig, Aufgaben der DPR wie nun geplant auf die Bafin zu übertragen – etwa die Durchführung von Stichprobenprüfungen, so Lambrecht.

Bei der Befragung ging es auch um die Rolle der langjährigen Wirtschaftsprüfer von EY. Eine der Amtsvorgängerinnen Lambrechts, Brigitte Zypries (SPD), soll EY nun bei der Neuaufstellung beraten, wie Ende Februar bekannt wurde. Zu diesem Engagement wollte sich Lambrecht auf Nachfrage von Florian Toncar (FDP) nicht äußern. Auch zur Verpflichtung des Vorsitzenden des EY-Expertengremiums, des früheren Bundesfinanzministers Theo Waigel (CSU), wollte sie nicht Stellung nehmen.

Die inzwischen insolvente Wirecard AG hatte im Juni 2020 eingestanden, dass in der Bilanz aufgeführte 1,9 Milliarden Euro, die angeblich auf asiatischen Bankkonten lagen, nicht auffindbar sind. Die Staatsanwaltschaft geht von einem gewerbsmäßigen Bandenbetrug aus – und zwar mindestens seit dem Jahr 2015. Der Untersuchungsausschuss soll die politische Verantwortung für den Skandal aufklären.

Mit Material von dpa und Reuters.

Mehr: Die entscheidenden Tage im Wirecard-Untersuchungsausschuss stehen bevor.

Startseite
Mehr zu: Untersuchungsausschuss - Finanzstaatssekretär Kukies: „Es gab keine Vorzugsbehandlung für Wirecard“
1 Kommentar zu "Untersuchungsausschuss: Finanzstaatssekretär Kukies: „Es gab keine Vorzugsbehandlung für Wirecard“"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

  • ............nicht agiert................
    mit anderen Worten: NICHTS dagegen unternommen und nichts getan. Ein Finanzstaatsekretär erhält also seine Bezüge für`s wegschauen, oder?
    Ein Zitat:
    Ich finde solche, die von ihrem Geld erzählen, und solche die mit ihrem Geiste protzen,
    und solche, die erst beten und dann stehlen, ich finde solche,
    Sie verzeihen, zum Kotzen.
    Heinz Erhardt

Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%