Uwe Tschäge Die brisante Doppelrolle des Commerzbank-Betriebsratschefs

Viele Mitarbeiter der Commerzbank würden gerne auch künftig mehr als 50 Prozent ihrer Arbeitszeit im Homeoffice verbringen.
Frankfurt Mehr Commerzbank als Uwe Tschäge geht nicht. Mit 16 Jahren hat er dort seine Ausbildung zum Bankkaufmann begonnen – und mit dem Institut seitdem wenige Höhen und viele Tiefen durchgemacht. Doch die aktuelle Situation ist auch für Tschäge Neuland. Seit vergangenem Mittwoch ist der 53-Jährige nämlich nicht mehr nur Betriebsratschef, sondern auch Aufsichtsratsvorsitzender der Commerzbank.
Die Konstellation ist brisant: Als Chefkontrolleur muss Tschäge den Vorstand überwachen und ist somit auch Vorgesetzter von CEO Manfred Knof. Gleichzeitig verhandelt er als Betriebsratsvorsitzender mit dem Management über den geplanten Abbau von 10.000 Stellen und will dabei das Maximum für die Mitarbeiter herausholen.
Gewünscht hat sich Tschäge diese Doppelrolle nicht. Doch als Aufsichtsratschef Hans-Jörg Vetter ihn diese Woche informierte, dass er aus gesundheitlichen Gründen zurücktritt, war für Stellvertreter Tschäge klar, dass er den Job bis auf Weiteres übernehmen wird. „Ich war immer darauf gefasst, dass das passieren kann, wenn der Vorsitzende ausfällt“, sagt er. „Jetzt ist dieser Fall leider eingetreten.“
Tschäge übernimmt den Posten in turbulenten Zeiten. Im vergangenen Jahr hat die Commerzbank fast drei Milliarden Euro Verlust gemacht. Auch 2021 sind rote Zahlen wegen des Konzernumbaus und Belastungen durch die Coronakrise nicht ausgeschlossen.
Die Erkrankung von Vetter und die schwierige Situation seines Arbeitgebers nehmen Tschäge mit. Der Kampf für eine zukunftsfähige Commerzbank ist für ihn nicht nur ein Job, sondern eine Herzensangelegenheit. Wenn der Betriebsratschef über die Entwicklung des Instituts spricht, klingt er pragmatisch und besonnen. Doch in ihm brodelt es oft gewaltig.

Der Betriebsratschef leitet den Commerzbank-Aufsichtsrat seit dem Ausscheiden von Hans-Jörg Vetter.
„Privat platzt mir schnell der Kragen, aber ich rege mich auch schnell wieder ab“, sagt Tschäge. „Beruflich bin ich schon so lange im Geschäft, dass ich gelernt habe, meine Gefühle zu kontrollieren.“
Tschäge ist im nordrhein-westfälischen Hilden aufgewachsen. Sein Vater ist Polizist, seine Mutter Hausfrau. Als sich seine Schulzeit dem Ende neigt, sagen ihm seine Eltern: „Geh doch zur Bank, das ist ein guter Job.“ Tschäge folgt dem Rat und ist überglücklich, als er einen Ausbildungsplatz bei der Commerzbank in Düsseldorf ergattert. „Wenn man nach dem Realschulabschluss bei einer Bank unterkommt, dann war man damals schon wer.“
Nach seiner Ausbildung arbeitet Tschäge als Privatkundenberater in einer Filiale in Düsseldorf-Holthausen. Er steht am Schalter, vergibt Kredite, verkauft Lebensversicherungen und Bausparverträge und berät im Wertpapiergeschäft.
Nebenher engagiert er sich für Arbeitnehmerinteressen – zunächst als Jugendvertreter, dann als Betriebsrat. Als er 1991 das Angebot bekommt, hauptberuflich als Betriebsrat zu arbeiten, hält er das zunächst für keine gute Idee. „Die Arbeit mit den Kunden machte mir schließlich Spaß.“
Auf der anderen Seite findet Tschäge auch die Betriebsratsthemen spannend – und lässt sich überreden. „Ich habe dann gesagt, ich mache das mal für drei Jahre. Inzwischen sind daraus 30 Jahre geworden.“
Seit 2002 ist Tschäge Vorsitzender des Gesamt- und Konzernbetriebsrats – und damit ein einflussreicher Mann. Denn bei der Commerzbank haben die Arbeitnehmer traditionell mehr Einfluss als beim Nachbarn Deutsche Bank, wo es in der Vergangenheit immer wieder Grabenkämpfe zwischen Arbeitnehmervertretern gab.
Was ist Tschäges Erfolgsrezept? „Es ist wichtig, auf die Betriebsräte vor Ort zu hören und einen Konsens in der Truppe herzustellen“, sagt der Rheinländer. „Das gelingt mir, glaube ich, ganz gut.“ Hilfreich sei zudem der enge Austausch mit der Gewerkschaft Verdi, bei der Tschäge und die allermeisten Commerzbank-Betriebsräte Mitglied sind.
Kampf gegen eine Fusion mit der Deutschen Bank
Mit Verdi-Gewerkschaftssekretär Stefan Wittmann, der im Aufsichtsrat der Commerzbank sitzt, tauscht sich Tschäge eng aus. „Verdi ist auch ein gutes Sprachrohr, das wir nutzen können, wenn wir uns mal etwas kerniger äußern wollen“, sagt der Betriebsratschef. Er unterliege schließlich der betrieblichen Friedenspflicht und müsse sich deshalb „politisch etwas ausgewogener äußern, als man das als Gewerkschafter kann“.
Wittmann bezeichnet Tschäge als engagierten, loyalen und pragmatischen Betriebsrat, der auch nach langer Zeit im Amt noch neue Impulse setzt. „Er ist ein toller Kollege, der mir mittlerweile zum Freund geworden ist.“
Zusammengeschweißt hat beide unter anderem der Kampf gegen eine Fusion mit der Deutschen Bank, gegen die sie vor zwei Jahren mächtig Stimmung machten. Am Ende war ihr erbitterter Widerstand ein Grund dafür, warum beide Institute ihre Fusionsgespräche beendeten.
Bei Tschäge war die Erleichterung nach der Absage der Großbankenhochzeit groß. „Ich bin überzeugt, dass von der Commerzbank als Juniorpartner dabei am Ende nicht mehr viel übrig geblieben wäre“, sagt er. „Deshalb werden wir uns auch in Zukunft dafür einsetzen, dass es nicht zu einem solchen Zusammenschluss kommt.“
Aktuell liegt Tschäges Fokus aber darauf, den anstehenden Umbau des Instituts zu begleiten. Vorstandschef Knof hat sich vorgenommen, mit den Arbeitnehmervertretern dabei vertrauensvoller zusammenzuarbeiten, als dies unter seinem Vorgänger Martin Zielke zuletzt der Fall war.
Von Tschäge hat Knof eine hohe Meinung. Er schätzt dessen tiefes Verständnis für die Situation der Bank und den bestehenden Veränderungsbedarf. Aus Sicht des Vorstandschefs agiert Tschäge konstruktiv und verhält sich auch in Konfliktsituationen fair.

„Es wäre besser für die Profitabilität des deutschen Bankensystems, wenn wir dieses Modell hinter uns lassen.“
Manche Investoren sehen den großen Einfluss der Arbeitnehmer bei der Commerzbank dagegen kritisch. Die Analysten von Barclays befürchten beispielsweise, dass Knof die Kosten deshalb nicht so stark senken kann wie geplant und zudem mehr Geld für Abfindungen und Altersteilzeitmodelle in die Hand nehmen muss.
Knof will sich mit dem Betriebsrat bis zur Hauptversammlung im Mai auf die Rahmenbedingungen für die anstehenden Stellenstreichungen einigen. Die Gespräche dazu laufen auf Hochtouren. „Dass ich jetzt Aufsichtsratschef bin, ändert daran nichts“, betont Tschäge.
Er strebt wie Knof eine schnelle Lösung an, um Klarheit für die Mitarbeiter zu schaffen. Einer Vereinbarung zustimmen will er aber nur, wenn ein sozialverträglicher Arbeitsplatzabbau gewährleistet wird. „Betriebsbedingte Kündigungen werden wir bis zum Schluss bekämpfen.“
Seinen Zweitjob als Aufsichtsratschef würde Tschäge gerne bald wieder loswerden. Die Chancen, dass dies gelingt, stehen nicht schlecht. Nach Informationen des Handelsblatts will auch der Großaktionär Bund eine schnelle und langfristige Lösung an der Aufsichtsratsspitze – und hat dabei drei Kandidaten im Blick: Ex-HSBC-Trinkaus-Chef Andreas Schmitz, den scheidenden KfW-Chef Günther Bräunig sowie seine Vorstandskollegin Ingrid Hengster.
Als Favoriten gelten Schmitz und Hengster, die als KfW-Vorständin über Erfahrungen im politischen Raum verfügt. Zudem hat die Österreicherin von 1986 bis 1995 bereits für die Commerzbank gearbeitet und anschließend bei internationalen Geldhäusern wie UBS, Credit Suisse, ABN Amro und Royal Bank of Scotland Karriere gemacht.
Schmitz sitzt seit Jahresanfang im Kontrollgremium der Commerzbank. Als ehemaliger Chef der Düsseldorfer HSBC Trinkaus & Burkhardt verfügt er aus Sicht von Beteiligten über die Erfahrung, um das Amt zu übernehmen. Kritiker monieren jedoch, er sei im politischen Raum nicht ausreichend vernetzt. „Ich hoffe, dass die Kapitalseite die Lücke schnell schließt und sich dann zusammen mit uns auf einen neuen Vorsitzenden verständigt“, sagt Tschäge. Solange dies nicht der Fall ist, will er versuchen, seine brisante Doppelrolle „bestmöglich auszufüllen“.
Mehr: Bei der Commerzbank gibt es drei Kandidaten für den Aufsichtsratsvorsitz.
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