Vermögensverwalter Blick in den Abgrund

Vermögensverwalter sind in vergleichbarer Position - von nun an geht es bergab.
Frankfurt Es ist ein Kampf ums Überleben. Kommt es ganz schlimm, könnten die Gewinne der Vermögensverwalter in Europa um über 80 Prozent absacken. Das legt ein Zukunftsszenario nahe, das die Beratungsfirma Oliver Wyman für das Handelsblatt durchgerechnet hat. „Die Gefahr eines Gewinneinbruchs ist so groß wie lange nicht. Dafür gibt es viele Signale“, befürchtet Matthias Hübner, Partner bei Oliver Wyman.
Grundlage für das Schreckensszenario für die Anlagebranche in Europa bilden Zahlen für das vergangene Jahr: Ein betreutes Kapital von 21 Billionen Euro führte zu Einnahmen von 73 Milliarden Euro, daraus abgeleitet ein geschätzter Gewinn von etwa 28 Milliarden Euro (siehe Grafik). „Das Negativszenario unterstellt, dass praktisch alles in die falsche Richtung läuft“, sagt Hübner: Kippende Finanzmärkte und damit fallende Einnahmen, weiter sinkende Gebühren mit dem gleichen Einnahmeeffekt für die Verwalter, zusätzlich getrieben vom Wechsel der Anleger in preiswerte Produkte. Die Kosten werden als konstant unterstellt.
Bei den Einnahmen sieht es unter diesen Voraussetzungen noch nicht so verheerend aus, auch wenn sie um ein Drittel abrutschen könnten. Der Gewinn der europäischen Branche allerdings würde in drei Jahren praktisch kollabieren, wenn bei den Kosten nichts passiert: von 28 auf nur noch fünf Milliarden Euro. Was hier noch als Schreckensszenario gilt, bahnt sich weltweit bereits an. Jonathan Doolan, der als Partner der US-Finanzfirma Casey Quirk die internationale Asset-Management-Branche hautnah beobachtet, spricht von einer historischen Wende: „Zum ersten Mal stehen die Geschäftsmodelle wirklich auf dem Prüfstand.“
Der Einstieg in das düstere Oliver-Wyman-Szenario wären drehende Kapitalmärkte. Die Warnungen davor nahmen zuletzt deutlich zu. Anleihen boomen seit über drei Jahrzehnten, Aktien steigen seit fast einem Jahrzehnt. Treiber sind die Notenbanken mit ihren Geldschwemmen. „Die Märkte sind gut gelaufen, damit das verwaltete Kapital und die daran gekoppelten Einnahmen automatisch gestiegen“, erklärt Michel Degen, Europachef der Credit Suisse Asset Management.
So eine stressarme Zeit scheint die Anlagebranche sorglos und unflexibel gemacht zu haben. „Wenn das Geschäft automatisch wächst, richtet man sich etwas gemütlicher ein“, meint Oliver Röder, Deutschland-Leiter des Verwalters Erste Asset Management. Er will damit sagen: Die Branche ist auf ein verändertes Kapitalmarktklima nicht vorbereitet. „Wenn die Märkte einmal nicht mehr mitspielen, fallen die Einnahmen sofort“, warnt Hübner.
Aber noch verdecken die steigenden Börsen zwei Negativtrends: Die Gebührensätze fallen, außerdem wechseln Investoren von teuren Produkten in preiswertere. „Das belastet die Einnahmen, der Druck auf die aktiven Manager wird exponentiell wachsen“, sagt Degen. Der Experte meint jene Verwalter, die durch gezielte Entscheidungen beim Wertpapierkauf höhere Erträge erzielen wollen und dafür auch höhere Gebühren verlangen. Und genau diese Produkte bringen der Branche den weitaus größten Teil der Einnahmen.
Großinvestoren wie Versicherungen und Pensionskassen versuchen schon heute, die Gebühren bei ihren aktiven Verwaltern zu drücken, um einen Ausgleich für niedrige Zinsen zu finden. Experten wie Uwe Rieken als Chef der Investorenberatung Faros Consulting erkennen, dass institutionelle deutsche Kunden in jüngerer Zeit immer häufiger geringere Gebühren durchsetzen. Für Aktiendepots mit Standardwerten würden beispielsweise momentan im Schnitt nur noch 0,5 bis 0,6 Prozent Jahresgebühr bezahlt. Rieken rät seinen Investoren, mit den Asset-Managern über die Gebühren zu verhandeln.
Wenn die Brutto-Anlageerträge der Investoren wegen des Zinsschwunds schrumpfen, sind konstante Gebühren kaum zu rechtfertigen. Und viele Experten erwarten künftig geringere Renditen von den wichtigsten Wertpapieranlagen, sowohl von Anleihen als auch von Aktien. Deshalb dürften die Großanleger ihren Druck noch erhöhen. „Die Anbieter müssen sich in der Zukunft auf geringere Margen einrichten; die Sonnentage vor allem für die aktiven Manager sind vorbei“, meint deshalb Diana Mackay, Chefin der britischen Beratungsfirma Mackay Williams.
Das ertragreiche Fondsgeschäft mit privaten Kunden ist zwar lukrativer als das mit Großinvestoren. So nehmen Verwalter etwa für Aktienfonds häufig bis zu zwei Prozent Jahresgebühr, Vertriebsgebühren eingeschlossen. Aber die Ratingagentur Morningstar erkennt auch bei den Gebührensätzen für Privatanleger in Europa bereits eine leichte Abwärtstendenz. Dieser Trend könnte durch höhere Transparenz und die Aufsichtsbehörden noch verstärkt werden. Davor warnt Mike O’Brien, Europachef von JP Morgan Asset Management (siehe Interview).
Besondere Brisanz erhält der Einnahmendruck durch die wachsende Popularität von Produkten, die ohne einen Manager aus Fleisch und Blut auskommen. „Bereits jetzt drängen Anleger in billige Indexprodukte und computergesteuerte Fonds“, erläutert Degen. Diese Produkte sammeln Rekordsummen ein. Die Asset-Manager erhalten dafür aber nur einen Bruchteil dessen, was sie mit aktiven Angeboten erzielen könnten. Börsengehandelte Indexfonds etwa für populäre Aktien-Barometer wie einen S&P 500 oder Euro Stoxx 50 gibt es beispielsweise für die Mini-Jahresgebühr von rund 0,1 Prozentpunkten, teilweise noch preiswerter.
Für große ausländische Verwalter außerhalb Europas ist der Umschwung auf der Einnahmenseite nichts Neues: „Den Gebührendruck sehen wir in unserem Heimatmarkt USA schon lange, das wird stärker auf Europa überschwappen“, meint Kevin Clifford, Chef der Capital Group, mit 1,6 Billionen Dollar einer der weltgrößten Verwalter. Ähnlich urteilt Jim McCaughan, der den US-Asset-Manager Principal Global Investors leitet. Er hält den Einnahmeneinbruch im Schreckensszenario von Oliver Wyman für „absolut möglich“.
Ein Kernproblem in der Ertragsrechnung der Verwalter erkennt Hübner noch an ganz anderer Stelle. „Die Kosten sind seit der Finanzkrise um ungefähr die Hälfte gestiegen“, sagt er. Dahinter stecken nach seiner Beobachtung nicht nur höhere Aufwendungen durch viele neue Vorschriften. Es geht auch um gestiegene Ausgaben für Vertrieb, Geschäfts- ausweitung und komplexere Produkte. Die Folgen sind für ihn klar: „Wenn in so fragiler Lage das verwaltete Kapital abstürzt, wird das ein Fall aus großer Höhe.“ Bei steigenden Kosten lande ein Anbieter schneller in der Verlustzone.
Angesichts vieler Belastungen sind die Folgen für die Branche für Degen von der Credit Suisse absehbar: „Mittelmäßige und unterdurchschnittliche Verwalter werden aus dem Markt geschüttelt. Ich erwarte eine disruptive Bewegung.“ Kostensenkungen und Zusammenschlüsse gehören zum Standardprogramm, wenn Verwalter rentabler werden wollen. „Wir erkennen bereits eine Konsolidierung, das wird sich verstärken“, sagt Paul Smith, Präsident des CFA Institute, der renommierten Fortbildungsorganisation für Analysten.
Manche Fonds treten die Flucht nach vorn an. Seit Ende vergangenen Jahres gab es bereits mehrere Großfusionen mit europäischer Beteiligung. Der französische Fondsriese Amundi kaufte Pioneer Investments von der Bank Unicredit; die britischen Adressen Aberdeen Asset Management und Standard Life Investments versuchen unterschiedliche Probleme durch einen Zusammenschluss zu bewältigen; Henderson Global Investors und das US-Haus Janus Capital Group gingen zusammen. Auch ein deutscher Vermögensverwalter mischt mit. Angestoßen durch die Kapitalschwäche der Mutter Deutsche Bank, bereitet die Deutsche Asset Management einen Teil-Börsengang vor. „Das gibt einen Vorgeschmack auf die Zukunft“, sagt Degen.
Dann wäre es angesichts der vielen Störfeuer für die Verwalter fast schon ein Trost, wenn die Branche einen Minigewinn von fünf Milliarden Euro erzielt. Röder von der Erste Asset Management geht es mit einem Augenzwinkern an: „Die Zahl ist ja immerhin noch positiv.“
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