Benachrichtigung aktivieren Dürfen wir Sie in Ihrem Browser über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts informieren? Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Fast geschafft Erlauben Sie handelsblatt.com Ihnen Benachrichtigungen zu schicken. Dies können Sie in der Meldung Ihres Browsers bestätigen.
Benachrichtigungen erfolgreich aktiviert Wir halten Sie ab sofort über die wichtigsten Nachrichten des Handelsblatts auf dem Laufenden. Sie erhalten 2-5 Meldungen pro Tag.
Jetzt Aktivieren
Nein, danke

Wirecard-Skandal „Solange ein Strafverfahren in Singapur läuft, ist eine Auslieferung O’Sullivans aussichtslos“

Der Brite Henry O’Sullivan gilt als eine Schlüsselfigur im Wirecard-Bilanzskandal und wurde kürzlich festgenommen. Jurist Nikolaos Gazeas erklärt, was für eine Auslieferung passieren muss.
03.09.2021 - 14:37 Uhr Kommentieren
Der Strafverteidiger kennt die Hürden, die Staatsanwaltschaft in München überwinden muss, um eine Auslieferung von Henry O´Sullivan zu erreichen. Quelle: imago images/Future Image
Nikolaos Gazeas

Der Strafverteidiger kennt die Hürden, die Staatsanwaltschaft in München überwinden muss, um eine Auslieferung von Henry O´Sullivan zu erreichen.

(Foto: imago images/Future Image)

Köln Der Jurist Nikolaos Gazeas ist Strafverteidiger in Köln und Lehrbeauftragter an der dortigen Universität. Er ist auf Auslieferungsrecht spezialisiert. Im Interview spricht der Jurist über die Chancen der deutschen Strafverfolger, Henry O’Sullivan nach Deutschland ausliefern zu lassen.

O’Sullivan hatte zwar keine offizielle Funktion bei Wirecard, gilt aber als Strippenzieher, der im Hintergrund etliche große Deals einfädelte. Insider vermuten, dass der flüchtige Ex-Asienvorstand Jan Marsalek und er dabei Gelder in die eigene Tasche abzweigten.

O’Sullivan ist einer der Hauptbeschuldigten in dem Bilanzskandal und könnte viel zur Aufklärung beitragen. Im Interview erklärt Gazeas, welche Hürden die Staatsanwaltschaft in München überwinden müsste, um eine Auslieferung zu erreichen.

Lesen Sie das vollständige Interview:

Im Wirecard-Bilanzskandal gilt der Brite Henry O’Sullivan als einer der Hauptverdächtigen. Können die deutschen Ermittlungsbehörden die Auslieferung O’Sullivans beantragen?
Ja. Voraussetzung ist stets, dass ein auslieferungsfähiges Delikt vorliegt und die beiderseitige Strafbarkeit gegeben ist. Das Auslieferungsübereinkommen enthält einen Katalog an Straftaten, die als „auslieferungsfähig“ erklärt werden. In dem Katalog enthalten ist – neben Doppelehe, Kuppelei und Kindesraub – auch Betrug und Untreue. In Deutschland wird gegen Herrn O’Sullivan wegen Beihilfe zur Untreue ermittelt. Ein auslieferungsfähiges Delikt liegt damit vor.

Reicht das?
Nur bedingt: Was Herrn O’Sullivan in Deutschland vorgeworfen wird, muss auch nach dem Recht Singapurs strafbar sein, wäre die Tat auf dortigem Territorium begangen. Das ist gerade bei Untreue eine sehr diffizile Frage. Die singapurischen Behörden und Gerichte dürften sie bejahen.

Dann ist der Weg also frei?
Das Verfahren ist sehr aufwendig. Nach dem fast 150 Jahre alten Auslieferungsvertrag prüft Singapur den Schuldverdacht nach. Das bedeutet, dass die deutschen Behörden ihre Beweismittel, die sie gegen Herrn O’Sullivan haben, vorlegen müssen. Die singapurischen Behörden prüfen eigenständig, ob der Tatverdacht in ihren Augen begründet ist. Eine solche Schuldverdachtsprüfung macht Auslieferungsverfahren aufwendig und langwierig. Urkunden müssen – in beglaubigter Form, zum Teil mir Schnur und Siegel – vorgelegt werden.

Henry O’Sullivan, eine Assistentin von Jan Marsalek und Wirecards ehemaliger Asien-Vorstand (von links) in den Arabischen Emiraten. Quelle: privat
Treffen in Dubai

Henry O’Sullivan, eine Assistentin von Jan Marsalek und Wirecards ehemaliger Asien-Vorstand (von links) in den Arabischen Emiraten.

(Foto: privat)

Schützt O’Sullivan seine britische Staatsbürgerschaft vor der Auslieferung?
Der Auslieferungsvertrag sieht vor, dass „kein britischer Untertan, keine unter britischem Schutz stehende Person und kein Bürger der Irischen Republik“ ausgeliefert wird. Diese antiquierte Regelung von 1872 ist auch im Verhältnis zu Singapur für anwendbar erklärt worden. Die Rechtslage ist hier jedoch noch komplexer: Denn selbst Großbritannien liefert – inzwischen – seine eigenen Staatsbürger aus. Da O’Sullivan als Brite keinen Schutz vor Auslieferung aus Großbritannien nach Deutschland hätte, wird die Staatsanwaltschaft den Standpunkt einnehmen, dass er nicht in einem für ihn fremden Staat noch besser gestellt werden darf als in seinem Heimatstaat.

Wie kann O’Sullivan dagegenhalten?
Die Verteidigung dürfte auf den insoweit klaren Wortlaut des Auslieferungsvertrags verweisen. Dieser regelt jedoch nur Auslieferungspflichten. Eine über diese Pflichten hinausgehende Auslieferung ist nicht per se unzulässig. Es wird also am Ende eine Frage des singapurischen Rechts sein, ob ein britischer Staatsbürger nach Deutschland ausgeliefert werden darf. Einen solchen Fall hat es übrigens – soweit ersichtlich – in den letzten Dekaden noch nie gegeben. Auch Deutschland betritt hier juristisches Neuland.

O’Sullivan wird sowohl in Singapur als auch in Deutschland beschuldigt. Gibt es eine Konkurrenz zwischen den Ländern?
Ja, die gibt es. Das Auslieferungsgesetz Singapurs sieht ausdrücklich vor, dass eine Auslieferung nicht erfolgt, wenn die verfolgte Person wegen einer anderen Straftat, die sie in Singapur begangen hat, in Haft ist und deswegen in Singapur strafrechtlich verfolgt wird. Das Gesetz regelt für diesen Fall, dass eine Auslieferung nach Deutschland so lange nicht erfolgt, bis der Verfolgte in dem Strafverfahren in Singapur freigesprochen oder verurteilt worden ist und seine Freiheitsstrafe in Singapur verbüßt hat.

Was bedeutet das im Fall O’Sullivan konkret?
Eine Auslieferung ist so lange eher aussichtslos, wie das Strafverfahren in Singapur läuft. Würde Herr O’Sullivan in Singapur zu einer Haftstrafe verurteilt werden – das Strafgesetzbuch Singapurs sieht für das Delikt der Urkundenfälschung, das ihm vorgeworfen wird, eine Freiheitsstrafe bis zu zehn Jahren vor –, müsste er diese zunächst in Singapur verbüßen. Erst danach würde eine Auslieferung nach Deutschland in Betracht kommen.

Lesen Sie auch zum Thema:

Sind die Chancen der deutschen Ermittler größer, wenn die Vorwürfe hierzulande umfangreicher als in Singapur?
Im Prinzip nein, denn das inländische Verfahren in Singapur hat stets Vorrang vor einem Auslieferungsersuchen. Wenn jedoch das inländische Verfahren derart klein ist, dass es schnell erledigt werden kann, entfällt dieser Vorrang natürlich. Das Auslieferungsersuchen wird in einem solchen Fall nicht per se abgelehnt, es kann in einer Art „Warteschleife“ verbleiben.

Ist es denkbar, dass O’Sullivan zunächst in Singapur der Prozess gemacht wird und anschließend eine Auslieferung erfolgt?
Ja, das wäre nach gegenwärtigem Stand das wahrscheinlichste Szenario.

Wie ist das Prozedere, wenn Deutschland Singapur um Auslieferung ersucht?
Deutschland wird ein Auslieferungsersuchen – mit allen Unterlagen zum Schuldnachweis – zusammenstellen und dieses auf dem diplomatischen Weg Singapur zukommen lassen. Allein die Zusammenstellung der Unterlagen – alles muss mit englischer Übersetzung erfolgen – dürfte dauern, es sei denn, die Staatsanwaltschaft München hat für diesen Fall das Päckchen bereits vorbereitet in der Schublade. Man wird davon ausgehen können, dass Deutschland sehr schnell ein Ersuchen um Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft stellen wird. Damit wird man sicherstellen wollen, dass Herr O’Sullivan in Singapur in Haft bleibt, auch wenn er im singapurischen Verfahren aus der Haft eigentlich entlassen werden würde.

Kann die Staatsanwaltschaft O’Sullivan in Singapur in der Haft vernehmen?
Grundsätzlich ja, mit Zustimmung Singapurs. Aber: Als Beschuldigter hat Herr O’Sullivan ein umfassendes Schweigerecht. Er muss keine Silbe sagen.

Wer entscheidet final über eine Auslieferung?
Auslieferungsentscheidungen haben eine juristische und eine politische Komponente. Nach einer Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung, die ein Gericht in Singapur fällen würde, entscheidet immer am Ende im sogenannten Bewilligungsverfahren die Regierung, also hier die Regierung Singapurs. Am Ende liegt es damit in politischer Hand, ob Herr O’Sullivan ausgeliefert wird oder nicht. Das ist keine Besonderheit in diesem Fall, sondern die Regel bei Auslieferungsentscheidungen.

Wie lange könnte ein solches Verfahren dauern?
Gerade wegen der notwendigen Schuldverdachtsprüfung, des anderen Strafverfahrens in Singapur und der Komplexität der Tatvorwürfe nach deutschem Recht dürfte eine Auslieferungsentscheidung nicht so schnell ergehen. Es wäre nicht ungewöhnlich, wenn sich die Sache über ein Jahr oder noch länger hinzieht.

Herr Gazeas, vielen Dank für das Gespräch.

Mehr: Welche Hintergründe die Verhaftung O’Sullivans in Singapur hat

Startseite
Mehr zu: Wirecard-Skandal - „Solange ein Strafverfahren in Singapur läuft, ist eine Auslieferung O’Sullivans aussichtslos“
0 Kommentare zu "Wirecard-Skandal: „Solange ein Strafverfahren in Singapur läuft, ist eine Auslieferung O’Sullivans aussichtslos“"

Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.

Zur Startseite
-0%1%2%3%4%5%6%7%8%9%10%11%12%13%14%15%16%17%18%19%20%21%22%23%24%25%26%27%28%29%30%31%32%33%34%35%36%37%38%39%40%41%42%43%44%45%46%47%48%49%50%51%52%53%54%55%56%57%58%59%60%61%62%63%64%65%66%67%68%69%70%71%72%73%74%75%76%77%78%79%80%81%82%83%84%85%86%87%88%89%90%91%92%93%94%95%96%97%98%99%100%