Zahlungsdienstleister Sieben Gründe, warum Wirecard immer wieder in die Schlagzeilen gerät

Der Zahlungsdienstleister hat ein besonders schwer zu durchschauende Geschäftsmodell.
München
Das Wohlwollen der Analysten war Wirecard lange Zeit gewiss. Stets lobten sie die gewaltigen Wachstumschancen sowie die überlegende Technik des Aschheimer Unternehmens – trotz aller Bedenken zum schwer durchschaubaren Geschäftsmodell und der seit mehr als einem Jahrzehnt anhaltenden Spekulationen gegen den Zahlungsdienstleister. Diese oftmals sehr einseitige Sicht auf die Dinge bekommt nun nach neuerlichen Zweifeln an der Bilanzierung Risse.
Die „Financial Times“ hatte am Dienstag berichtet, dass im Jahr 2016 rund die Hälfte des von Wirecard in diesem Jahr erzielten Gewinns vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen (Ebitda) über ein Partnerunternehmen aus Dubai namens Al Alam erzielt worden sei. Daraufhin kontaktierte die Wirtschaftszeitung 34 wichtige Kunden, deren Geschäfte über die Plattform dieses Wirecard-Partners abgewickelt wurden.
Diese Recherchen ergaben, dass fast die Hälfte den Namen Al Alam nie gehört haben, andere sich nicht äußerten oder nicht mehr auffindbar sind.
Wirecard selbst wies die Vorwürfe am Mittwoch zurück. Die mehr als 300.000 Vertragskunden von Wirecard seien alle mit der eigenen Technologie-Plattform verbunden, hieß es. Alle Umsätze und Erträge, die Wirecard in seiner Bilanz nenne, bezögen sich somit auf die Dienstleistungen, die über diese Plattform bereitgestellt würden.
Es gibt mehrere Gründe, warum die Aktie von Wirecard immer unter Druck gerät. Und warum Anleger hier starke Nerven brauchen.
1. Das Geschäftsmodell
Keiner der weiteren 29 Dax-Konzerne hat ein solch schwer durchschaubares Geschäftsmodell wie Wirecard. Der Zahlungsdienstleister produziert nichts, hat keine Warenein- und -ausgänge und auch kein allzu großes Anlagevermögen. Stattdessen werden millionenfach Zahlungen von Käufern zu Verkäufer weitergeleitet.
Dafür braucht es vor allem leistungsstarke Service-Hubs, die Wirecard in Aschheim, Dubai, Irland und seit 2017 in den USA hat. Zudem hat Wirecard bereits Mitte des vergangenen Jahrzehnts eine Banklizenz erworben und braucht somit keinen Partner, mit dem die Gebühren für die Abwicklung geteilt werden müssten. Wirecard stellt bei den Zahlungsvorgängen die Plattformen und versucht diese immer weiter auszubauen. Das teils mit namhaften Partnern.
Dabei geht es um Konzepte, die heute bereits die Zukunft des Bezahlens zeigen. Wenn die Telekom-Tochter T-Systems einen Einkaufswagen mit integriertem Tablet für Supermärkte entwickelt, an den der Einkaufszettel via App geschickt und zudem gleich bezahlt werden kann, dann sorgt Wirecard dafür, dass auch Geld für die Ware vom Kunden an den Verkäufer fließt.
Für Privatkunden soll zudem das Angebot um Finanzierungen, Versicherungen sowie Bonus- und Treueprogramme ausgebaut werden. Die eigene Zahlungsverkehrs-App Boon ermöglicht das Bezahlen via Smartphone und ist Partner von Apple Pay, Google Pay, Garmin Pay und Fitbit Pay. Wie bei den meisten Banken fällt dafür eine Kontoführungsgebühr an, hier sind es derzeit 1,49 Euro im Monat.
2. White Label
Dass Wirecard letztlich dahintersteckt, wenn Geld fließt, ist für Außenstehende in den wenigsten Fällen direkt erkennbar. Das gilt für Geschenkgutscheine beim Discounter Lidl ebenso wie für Chinesen, die als Touristen über den populären Bezahldienst Alipay ihre Kirschen am Münchener Viktualienmarkt kaufen. Weltweit ist die Zahl der Geschäftskunden, die diese Dienste nutzen, inzwischen auf über 300.000 angestiegen. Zum Jahreswechsel waren es noch 279.000.
Vor allem auf dem asiatischen Markt boomt der bargeldlose Zahlungsverkehr, ist man dort doch den Schritt direkt vom Bargeld hin zum Bezahlen via Smartphone gegangen. Ähnlich ist es in Afrika, wo inzwischen selbst Kleinbeträge mobil bezahlt werden. Nur dass hier die Telekomunternehmen, über die der Mobilfunkvertrag abgeschlossen wurde, die Rolle der Bank übernommen haben. Der französische Anbieter Orange, einer der Branchenriesen auf dem Kontinent, lässt seit Jahren die Zahlungsströme über Wirecard abwickeln.
Wieder anders ist die Situation in Nordamerika, wo die Menschen traditionell an Kreditkarten gewohnt sind. Auch für Visa, Mastercard und American Express ist der Dax-Konzern tätig.
3. Das Management
Kein Dax-Konzern ist personell so schmal aufgestellt wie Wirecard. Vier Vorstände und sechs Aufsichtsräte bilden den Führungszirkel des rund 20 Jahre alten Unternehmens. An Erfahrung mangelt es dem Führungszirkel nicht. Alle Vorstände sind seit weit über einem Jahrzehnt bei Wirecard. Der für Organisation zuständige Vorstand Jan Marsalek ist gar seit dem Jahr 2000 dabei, Vorstandschef Markus Braun kam zwei Jahre später dazu.
Im Aufsichtsrat kam im Sommer der ehemalige Deutsche-Börse-Vorstand Thomas Eichelmann hinzu. Der 54-Jährige ersetzte den Mittsiebziger Alfons Henseler. In diesem Alter ist auch Aufsichtsratschef Wulf Matthias. Insider rechnen damit, dass er zur nächsten Hauptversammlung am 2. Juli 2020 ebenfalls sein Amt abgibt. Eichelmann wird dann als potenzieller Nachfolger gehandelt.
Generell kritisieren Investoren seit Längerem bereits, dass das Aufsichtsgremium nicht ausreichend vielfältig aufgestellt ist. Es dominiert ebenso wie im Vorstand der technische Sachverstand. Dagegen sind Themen wie Unternehmensführung und der Aufbau innerer Strukturen, die mit dem rasanten externen Wachstum Schritt halten, eher schwach vertreten.
4. Die Branche
Hier herrscht im Moment Goldgräberstimmung. Der Markt ist riesig und zeigt unendliches Wachstum. Dass der generelle Trend weg vom Bargeld geht, ist offensichtlich. Dabei kann das Smartphone eine wichtige Rolle spielen. Aber auch Bezahlmodelle per Gesichtserkennung oder Fingerabdruck kommen vermehrt zum Einsatz. Vorreiter ist dabei der asiatische Markt. Die Dienste der Zahlungsdienstleister werden somit in Zukunft noch stärker nachgefragt als bisher.
Unterschiede gibt es beispielsweise in den Schwerpunkten, die jedes Unternehmen für sich setzt. Bei Wirecard setzte man bisher vor allem auf eine Vielzahl kleiner und mittlerer Kunden. Das hat den Vorteil, dass mit ihnen weit höhere Margen zu erzielen sind, auch wenn die Einzelumsätze je Kunde hier natürlich sehr viel geringer sind als bei Großkunden.
Den anderen Weg wählt der niederländische Konkurrent Ayden, der stark auf Großkunden mit hohen Umsätzen setzt, was aber geringere Gebühren zur Folge hat. Auch Wirecard hatte zuletzt bei seinem Investor Day in New York angekündigt, künftig vermehrt auf das Geschäft mit Großkunden zu setzen.
5. Das Partnermodell
Um Zahlungen in verschiedenen Ländern abwickeln zu können, braucht Wirecard entweder eine eigene Lizenz oder die Dienste eines Partners. Davon hat Wirecard nach eigenen Angaben mehr als hundert weltweit. Dazu zählt unter anderem das Unternehmen Al Alam, dessen Rolle in dieser Woche von der britischen Wirtschaftszeitung kritisch hinterfragt wurde. Zuletzt erzielte Wirecard etwa 52 Prozent des Transaktionsvolumens in Ländern mit eigenen Lizenzen, die verbleibenden 48 Prozent kamen über Partner.
Die Tendenz geht bei Wirecard in Zukunft dahin, mehr Geschäft über eigene Lizenzen in den jeweiligen Ländern abzuwickeln. Das gilt speziell für Teile von Asien und von Nordamerika. Ohne Partner ließen sich höhere Margen erzielen, so der Tenor dazu aus der Wirecard-Zentrale. An eine Lizenz zur Abwicklung des Zahlungsverkehrs zu kommen ist in vielen Ländern unterschiedlich geregelt. In vielen Regionen muss man sie beantragen, andernorts kann man sie auch kaufen.
6. Börsenumsätze
Die Aktien von Wirecard waren in den vergangenen Tagen die meistgehandelten im Deutschen Aktienindex (Dax). Am Dienstag, als die Geschichte zu den möglichen Ungereimtheiten in Dubai erschien, wurden etwa zehnmal so viele Wirecard-Aktien gehandelt wie im Schnitt von den 29 anderen Dax-Titeln dort. Auch in den Tagen danach waren die Umsätze bei Wirecard höher als anderswo.
Für Anleger bedeutet das, dass hier im Moment auch schlicht sehr viel gezockt wird. Investoren mit langfristigem Interesse sind an solchen Börsentagen eher die Ausnahme. Solange nicht wirklich Klarheit herrscht, wie die Dinge bei Wirecard tatsächlich liegen, dürfte das auch weiter so bleiben.
7. Zwei Stränge
Die Vorfälle um Wirecard haben noch immer zwei unterschiedliche Pfade, die den Aktienkurs massiv beeinflussen können. Auf der einen Seite stehen die neuen Anschuldigungen der „Financial Times“, die den Verdacht nähren, dass vieles an der rasanten Geschäftsentwicklung der vergangenen Jahre womöglich nicht so ist, wie es in den Bilanzen dargestellt wurde.
Im Hintergrund steht dabei stets die Befürchtung, es könne nach den vielen Anschuldigungen in der Vergangenheit noch vieles ans Licht gelangen, was die bisher schon großen Zweifel verstärkt.
Auf der anderen Seite steht immer noch der Verdacht, dass Shortseller von dem Erscheinen entsprechender Artikel gewusst und sich positioniert haben. Die Staatsanwaltschaft München ermittelt hier weiterhin, unter anderem auch gegen Reporter der „Financial Times“.
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