Zahlungsdienstleister Wirecard lässt auch die dritte Frist zur Vorlage der Sonderprüfung verstreichen

Will einen Schlussstrich ziehen unter die Vergangenheit.
München/Frankfurt Wirecard hat zum dritten Mal die selbst gesetzte Frist zur Vorlage des Berichts der Wirtschaftsprüfer von KPMG verstreichen lassen. Am Montag sollte der Report vorgelegt werden, doch selbst gegen ein Uhr am Dienstagmorgen war er noch immer nicht veröffentlicht. Anleger und Beobachter kritisieren das Agieren des Zahlungsdienstleisters aus Aschheim bei München scharf.
Auf das Ergebnis der Bilanzsonderprüfung hoffen Anleger seit der Beauftragung von KPMG im Oktober. Zweimal wurde die Vorlage des Berichts bereits verschoben. Nun sollte er endlich Klarheit bringen zu den schwerwiegenden Vorwürfen rund um Bilanzmanipulation, Geldwäsche und Betrug, die auf dem Zahlungsabwickler lasten.
Neu ist, dass Wirecard bis nach Mitternacht nicht über die Gründe für die Verschiebung informierte. Die erste Verschiebung am 12. März hatte der Konzern mit aufwändigen Prüfmaßnahmen und der grassierenden Corona-Pandemie begründet. Anlässlich der zweiten Verschiebung am vergangenen Donnerstag verwies Wirecard auf noch zu sichtende, in letzter Minute eingegangene Datensätze. Jedes Mal verkündete der Konzern jedoch ein neues Enddatum. Nun unterblieb eine entsprechende Ad-hoc-Meldung, in Aschheim war auf Anfrage niemand mehr zu erreichen.
Wirecard hatte am vergangenen Donnerstag erklärt, „dass KPMG die Ergebnisse der laufenden Sonderuntersuchung am Montag, den 27. April 2020, vorlegen wird.“ Noch am Montagmorgen hatte eine Wirecard-Sprecherin gegenüber dem Handelsblatt mitgeteilt: „Wir veröffentlichen den KPMG-Bericht unverzüglich nach Erhalt.“
Beobachter kritisierten das erneute Reißen der Frist in der Nacht zu Dienstag scharf. „Über die genauen Gründe der Verschiebung lässt sich nur spekulieren. Der Gedanke liegt nahe, dass man sich über zentrale Aussagen des Berichts streitet“, sagte Volker Brühl, Geschäftsführer des Center for Financial Studies der Frankfurter Goethe-Universität, dem Handelsblatt.
Für den Finanzprofessor gilt unabhängig davon: „Dass Wirecard zum dritten Mal die Frist zur Veröffentlichung verstreichen lässt und dies nun sogar nicht kommentiert, ist für ein börsennotiertes Unternehmen im Allgemeinen und ein Dax-Unternehmen im Besonderen inakzeptabel und hochgradig unprofessionell.“
Auch auf dem Nachrichtendienst Twitter äußerten sich erzürnte Aktionäre: „Danke für NICHTS, Wirecard. Hier müssen Entlassungen folgen. (...) Uns Aktionären reicht es!“, schrieb ein Nutzer. „Sagt uns wenigstens Bescheid, was jetzt los ist! Einfach nichts zu sagen ist das Mieseste“, lautete ein anderer Kommentar.
Schwerwiegende Vorwürfe
KPMG prüft seit Oktober 2019 die Wirecard-Bilanzen. Vorausgegangenen war eine quälende Debatte über die Geschäftspraktiken des Konzern, Anlass für die Sonderprüfung waren gravierende Vorwürfe. Seit Januar 2019 hatte die britische Wirtschaftszeitung „Financial Times“ (FT) eine ganze Serie von Artikeln über undurchsichtige Verträge und zweifelhafte Partner des Konzerns veröffentlicht. Vor allem die Ungereimtheiten im wichtigen Asiengeschäft nährten einen bösen Verdacht: Hat Wirecard seine Bilanz manipuliert?
Nachdem der Druck über Monate hinweg gestiegen war, versuchte Wirecard den Befreiungsschlag – und beauftragte die Wirtschaftsprüfer von KPMG mit einer Sonderprüfung der Bilanzen der Jahre 2016 bis 2018.
Die Sonderprüfung erfolgte mit großem Aufwand. Zwischenzeitlich wühlten sich rund 40 Prüfer durch die Bilanzen. Diese waren bereits vom langjährigen Konzernprüfer EY abgesegnet worden, dessen Sorgfalt jedoch in Zweifel steht. Für KPMG ist der Audit heikel: Die Gesellschaft weiß genau, dass nun auch ihre Reputation auf dem Spiel steht.
Seit Wochen fiebern Wirecard-Anleger nun auf den „Tag X“ hin, die Vorlage des finalen Berichts, den Wirecard „in Gänze“ auf der Homepage veröffentlichen wollte. Dass es bereits zweimal zur Verschiebung der Veröffentlichung kam, zeigt, wie weit der Dax-Neuling Wirecard noch vom Standard anderer Großkonzerne entfernt ist.
Laut Insidern prüfte KPMG auch noch zu Beginn der vergangenen Woche einlaufende Zahlen von Drittpartnern. Darüber hinaus rang Wirecard demnach in den vergangenen Tagen mit KPMG um die Schärfe von Formulierungen im Prüfbericht. Zwar gebe es bei den wichtigsten – bilanzwirksamen – Punkten Entlastung, etwa dem Vorwurf des sogenannten Roundtripping, der Erfindung von Umsätzen. Dennoch hätten die Prüfer zahlreiche negative Feststellungen etwa zur Compliance und den internen Prozessen getroffen.
Nun ging es demnach um die Frage, wie gravierend die entsprechenden Rügen im Prüfbericht ausfielen. Die KPMG-Prüfer formulierten deutlich negativer als gedacht, hieß es Ende vergangener Woche aus Konzernkreisen.
Zweimalige Verschiebung
Der Abschluss der Bilanzsonderprüfung hatte sich erst am vergangenen Donnerstag erneut verschoben. „In den verbleibenden Tagen sollen noch eingegangene Datenbestände verarbeitet und berücksichtigt werden“, hatte der Konzern die Verschiebung begründet – und bereits Entwarnung beim aus Anlegersicht wichtigsten Vorwurf gegeben: „Belege für die öffentlich erhobenen Vorwürfe der Bilanzmanipulation wurden nicht gefunden“, hatte Wirecard am Donnerstag erklärt.
Konkret hätten sich bislang in den vom Prüfauftrag umfassten vier Geschäftsbereichen Drittpartnergeschäft, Forderungsvorfinanzierung sowie den Aktivitäten in Indien und Singapur „keine substanziellen Feststellungen ergeben, die für die Jahresabschlüsse im Untersuchungszeitraum 2016, 2017 und 2018 zu Korrekturbedarf geführt hätten“, so die Mitteilung.
Bereits am 12. März hatte der Konzern zu später Stunde einen Teilbericht der Untersuchungsergebnisse präsentiert. Damals erreichten die Prüfer jedoch nur eine teilweise Aufklärung über die Bilanzierungsmethoden bei Wirecard.
Licht brachten sie lediglich in drei der vier untersuchten Teilbereiche. So trafen die Prüfer erste entlastende Aussagen zu zwei Unternehmenskäufen in Indien aus dem Jahr 2015, zu finanziellen Unregelmäßigkeiten in der Asien-Zentrale in Singapur sowie zum Bereich Forderungsvorfinanzierung, auch „Merchant Cash Advance“ (MCA) genannt. Unter MCA versteht der Konzern Kredite an kleine Händler, die die Wirecard-Plattform für ihren Zahlungsverkehr nutzen.
Umstrittenes Drittpartnergeschäft
Zum besonders wichtigen vierten Punkt erlaubten sich die Prüfer damals noch keine Aussagen: dem umstrittenen Drittpartnergeschäft – also der Frage, welche Teile der Wirecard-Umsätze mithilfe externer Firmen erwirtschaftet wurden.
Hier hatte die FT in einem zehnseitigen Artikel im Oktober deutliche Zweifel an Zahlungsströmen über Wirecard-Partner angemeldet. Der Kern der Vorwürfe: Laut FT sollen Kundenlisten beim wichtigen Partner Al Alam aus Dubai, einem sogenannten „Third Party Acquirer“, der in Ländern, in denen Wirecard über keine eigenen Lizenzen verfügt, die Abwicklung des Zahlungsverkehrs übernimmt, nicht mehr existente oder unauffindbare Firmen enthalten. Laut FT sollen über Al Alam im Jahr 2016 rund die Hälfte des Konzerngewinns vor Zinsen, Steuern und Abschreibungen erzielt worden sein.
Wirecard-Chef Markus Braun hatte diesen und all die anderen Vorwürfe stets bestritten. Die Aussage vom vergangenen Donnerstag, auch im Drittpartnergeschäft seien keine „Belege für Bilanzmanipulation“ gefunden worden, schien ihm vorläufig Recht zu geben. Der Aktienkurs stieg in den vergangenen Tagen wieder deutlich auf über 130 Euro – im März war er bis auf 85 Euro abgesackt.
Eine dritte Verlängerung des Prüfzeitraums über den gestrigen Montag hinaus war eigentlich kaum mehr möglich: Am 30. April will Wirecard seine Jahresbilanz 2019 veröffentlichen. Und diese möchte der Konzernprüfer EY ohne die finale KPMG-Einschätzung zur Sonderprüfung offenbar nicht testieren.
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.
Sehr geehrter Herr Holtermann,
seit Monaten arbeiten Sie sich an Wirecard ab. In Ihrem Drang, Wirecard Fehlverhalten nachzuweisen, sollten Sie aber nicht die Objektivität verlieren. Für die aktuelle Verzögerung bei der Veröffentlichung des KPMG - Berichts ist offensichtlich KPMG verantwortlich. Es liegt auf der Hand, dass KPMG Wirecard ursprünglich mitgeteilt hat, "der Bericht würde bei Wirecard am 27. April eingehen."
Laut heutiger Meldung von Wirecard ging der KPMG - Bericht heute erst ein. Man könnte dies eine Lappalie nennen oder einen langen und kritischen Artikel veröffentlichen.
Seit über einem Jahr versucht die Financial Times bei Wirecard Bilanzmanipulationen nachzuweisen, Im Endeffekt wurde sowohl von Rajah & Tann als auch von KPMG festgestellt, dass keine Bilanzmanipulationen stattgefunden haben.
Wäre es nicht eher Aufgabe des Handelsblatts, sich mit der Qualität der jetzt mehrfach widerlegten Vorwürfe der Financial Times zu befassen?