Zinsberechnung Streit um Sparverträge: Sparkassen und Volksbanken verbünden sich gegen die Bafin

Sparkassen und Volksbanken sind eigentlich Rivalen, teilen sich in einigen Fällen aber Standorte. Auch im Kampf gegen eine Bafin-Anordnung zu Zinsnachzahlungen treten sie zusammen auf.
Frankfurt Die deutsche Finanzaufsicht Bafin versucht, die deutschen Geldhäuser per Allgemeinverfügung zu Zinsnachzahlungen aus langfristigen Sparverträgen zu zwingen. Die im Juni veröffentlichte Bafin-Anordnung greifen Sparkassen und Volksbanken nun gemeinsam an. Sie wollen den Widerspruch Hunderter Geldhäuser auch vor Gericht in einem Musterverfahren bündeln.
Das geht aus einem Schreiben des Bundesverbands der Volks- und Raiffeisenbanken (BVR) hervor, das dem Handelsblatt vorliegt. „Zwischenzeitlich haben wir der Bafin gemeinsam mit dem Deutschen Sparkassen- und Giroverband (DSGV) drei Sparkassen und drei Genossenschaftsbanken als Musterbeschwerdeführer benannt und eine gemeinsame Widerspruchsbegründung eingereicht“, heißt es in dem Schreiben von Ende September, das sich an Vorstände und Führungskräfte richtet. Ziel sei es, ein Musterverfahren stellvertretend für alle widersprechenden Genossenschaftsbanken und Sparkassen durchzuführen.
Die enge Zusammenarbeit von Sparkassen und Volksbanken ist ungewöhnlich. Schließlich stehen sie eigentlich in scharfem Wettbewerb. Doch der Kampf gegen die Bafin-Allgemeinverfügung eint die Kontrahenten. Letztlich geht es um die Frage, mit wie viel Macht die Finanzaufsicht Geldhäuser künftig in die Schranken weisen kann.
Sollte sich die Bafin in diesem Fall mit der Anordnung durchsetzen, ist es naheliegend, dass sie dieses weitreichende Instrument öfter einsetzt.
Der neue Bafin-Chef Mark Branson machte erst vor wenigen Tagen im Handelsblatt-Interview deutlich, dass die Bafin bei Missständen härter und schneller durchgreifen will. „Wenn es einen Missstand gibt, müssen wir etwas tun, auch wenn dieser Sachverhalt im Gesetz nicht ganz eindeutig geregelt ist.“ Auch das Vorgehen bei der Allgemeinverfügung zu Zinsanpassungen ist laut Branson ein Beispiel dafür.
Die Banken können vor dem Verwaltungsgericht Klagen
In der Finanzbranche stößt die Bafin mit ihrer zweiten Allgemeinverfügung zum Verbraucherschutz auf heftigen Gegenwind. 1156 und damit etwa 70 Prozent aller deutschen Kreditinstitute haben Widerspruch dagegen eingelegt. Weist die Bafin die Widersprüche zurück, können die betroffenen Geldhäuser vor dem Verwaltungsgericht klagen.
Die Bafin will die Geldhäuser mit der Verfügung dazu zwingen, Inhaberinnen und Inhaber lang laufender Prämiensparverträge über unwirksame Zinsklauseln zu informieren. Falls Banken und Sparkassen falsche Zinsklauseln verwendet haben, sollen sie die Vertragslücke schließen und Verbrauchern Nachzahlungen zusagen. Wenn Sparkassen und Banken aber der Allgemeinverfügung widersprechen, müssen sie der Bafin-Anordnung auch nicht nachkommen.
Angesichts der enormen Zahl an Widersprüchen kommt das gemeinsame Vorgehen von Sparkassen und Volksbanken auch der Bafin entgegen. Sie hat vergangene Woche angekündigt, „über einzelne Widersprüche vorrangig zu entscheiden, um anschließend verwaltungsgerichtliche Musterverfahren zu führen“.
Der BVR rechnet damit, dass sich sogar die privaten Banken einer möglichen Klage gegen die Bafin anschließen, „weil die darin zu klärenden Fragen für alle kreditwirtschaftlichen Spitzenverbände in gleichem Maße bedeutsam sind“. Auf Anfrage erklärte der BVR, dass das Musterverfahren getrennt vom jüngsten Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) „und seinen rechtlichen Auswirkungen zu betrachten“ sei. Weiter wollte er sich nicht äußern.
Der DSGV betonte, man habe sich auf einige wenige Musterverfahren verständigt, damit nicht 1100 Verwaltungsverfahren durchlaufen werden müssten. „Um das wiederum möglichst einfach zu halten, werden diese Verfahren gemeinschaftlich betreut beziehungsweise vertreten.“
Verbraucherschützer berechnen Nachzahlungen von 3600 bis 4600 Euro
Aus der Bafin-Allgemeinverfügung drohen den Geldhäusern, vor allem Sparkassen, einerseits hohe Nachzahlungen an Kunden. Es dürfte mehr als eine Million entsprechender Sparverträge geben. Berechnungen verschiedener Verbraucherzentralen zufolge stehen Sparern im Schnitt Nachzahlungen von 3600 bis 4600 Euro zu.
Andererseits geht es der Finanzbranche ums Prinzip. Die Geldhäuser monieren, dass die Bafin mit der Allgemeinverfügung einer höchstrichterlichen Entscheidung zuvorgreife. Laut dem BVR-Schreiben darf ein solcher „Verwaltungsakt nicht erlassen werden, wenn Entscheidungen des BGH zur Rechtslage absehbar sind“.
Nach Ansicht der Bafin dagegen war schon vor dem BGH-Urteil vom 6. Oktober klar, dass viele Geldhäuser für einen bestimmten Zeitraum die Zinsen falsch berechnet haben. Sie verweist auf ältere Entscheidungen des BGH.
Das oberste deutsche Zivilgericht entschied vor wenigen Tagen, dass Banken und Sparkassen variable Zinsen in Prämiensparverträgen nur nach klaren Kriterien anpassen dürfen (Az. XI ZR 234/20). Bei langfristigen Sparverträgen müssen die Geldhäuser auch einen Referenzzins für langfristige Anlagen verwenden – was gerade angesichts der negativen Kurzfristzinsen viel günstiger für die Kunden und ungünstiger für die Banken ist.
Urteil des Bundesgerichtshofs mit Signalwirkung
Geklagt hatte die Verbraucherzentrale Sachsen über eine sogenannte Musterfeststellungsklage. Sie wirft der Sparkasse Leipzig vor, Kundinnen und Kunden über Jahre hinweg zu wenig Zinsen in Prämiensparverträgen gezahlt zu haben.
Das Urteil gilt zwar unmittelbar nur für die Sparkasse Leipzig und 1300 Sparer, die sich der Musterklage angeschlossen hatten. Da vor allem viele Sparkassen ähnliche Sparverträge angeboten haben, hat es aber Signalwirkung. Wie genau der höhere Referenzzins aussieht, soll die Vorinstanz, das Oberlandesgericht (OLG) Dresden, ermitteln. Dafür dürfte das OLG wahrscheinlich auf die Expertise von Sachverständigen zurückgreifen.
Durchsetzen können Sparer mögliche Ansprüche auch durch Einzelklagen. Hier sind inzwischen auch Urteile bekannt, in denen Landgerichte Kunden hohe Nachzahlungen zusprechen. Das Landgericht München I entschied Ende Juli, dass die Stadtsparkasse München 8000 Euro nachzahlen muss (Az. 22 O 15646/20). Das Urteil hat Sarah Mahler, Partnerin der Kanzlei WMP Rechtsanwälte, erstritten. Die Sparkasse geht in Berufung.
Das Landgericht Dresden sprach der Klagepartei fast 11.000 Euro Nachzahlung zu. Die Ostsächsische Sparkasse Dresden hat ebenfalls Berufung eingelegt, der Fall wird bereits vor dem Oberlandesgericht Dresden verhandelt.
Hinweis: In einer vorherigen Fassung stand, dass Rechtsanwalt Thomas Storch das Urteil am Landgericht München I erstritten habe. Das stimmt nicht. Korrekt ist, dass es sich um die Kanzlei WMP Rechtsanwälte handelt.
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