Milliardengewinn: Commerzbank bestreitet Steuertricks
Düsseldorf, Frankfurt Der Commerzbank ist die Wende gelungen. Nach kargen und verlustreichen Jahren verbuchte das Institut 2015 einen Milliardengewinn und zahlt auch wieder eine Dividende. So etwas hatten die Eigentümer, darunter als größter Aktionär die Bundesrepublik Deutschland, schon lange nicht mehr gesehen.
Doch womöglich hält die Freude darüber nicht lange an. Gemeinsam mit vielen anderen Geldhäusern hat die Commerzbank offenbar mit einem Trick den Fiskus um jährlich mindestens eine Milliarde Euro geschädigt – und das schon seit etlichen Jahren. Es geht dabei um das sogenannte Dividendenstripping, das moralisch höchst fragwürdig am äußersten Rand der geltenden Gesetze abläuft.
Ein durch und durch pikanter Vorwurf für jede Bank – doch ganz besonders für die Commerzbank, die sich in der Finanzkrise mit 18,2 Milliarden Euro an Steuergeldern retten ließ.
Der Vorwurf basiert auf vertraulichen Daten, die vom Handelsblatt, dem Bayerischen Rundfunk, der US-Stiftung Pro Publica und der „Washington Post“ ausgewertet wurden. Die darin ersichtliche Methode heißt Dividendenstripping oder Cum-Cum-Geschäft. Es funktioniert so: Kurz vor der Auszahlung der Dividende durch deutsche Konzerne verleihen ausländische Investoren ihre Aktien dieser Firmen an hiesige Banken. Versteuert werden muss die Dividende von allen Aktionären. Doch inländische Eigentümer erhalten über die Steuerhöhe eine gleichlautende Gutschrift, ausländische Aktionäre aber nur für einen Teil. Nach dem Leihgeschäft geben die deutschen Banken die Aktien an die ausländischen Investoren zurück. Alle Beteiligten profitieren von dem Deal. Nur der Fiskus nicht. Der zahlt.
Der Trick ist so beliebt, dass das Volumen verliehener Aktien deutscher Unternehmen in den letzten drei Wochen vor einem Dividendenstichtag um bis zu 800 Prozent anschwillt. Investoren wie Blackrock und Vanguard geben ihre Bestände für kurze Zeit in die treuen Hände deutscher Banken, umgehen so den Fiskus und zahlen für diesen Service gern einige Millionen an die helfenden Banken. Zwischen 2013 und 2015 sind solche Hilfsdienste allein bei der Commerzbank 250 Mal nachzuweisen. Blackrock wollte keinen Kommentar abgeben, Vanguard sprach von „einer weit verbreiteten Praxis“. Die Commerzbank sagte auf Anfrage: „Wir stellen durch umfangreiche interne Systeme und Kontrollen sicher, dass alle Trades im Einklang mit geltendem Recht stehen.“
Doch darf eine Bank alles tun, was legal ist? „Solche Leihgeschäfte haben keinerlei volkswirtschaftlichen Nutzen“, sagt Gerhard Schick, Finanzexperte der Grünen. „Es ist erschreckend zu sehen, dass ausgerechnet die Commerzbank offenbar keine Skrupel hatte, den Staat mit diesen Deals zu hintergehen.“
Der Staat will sich das nicht länger gefallen lassen: Per Gesetz will er die Modelle ab 2016 stoppen. Doch auch die Altfälle könnten für die Banken zum Problem werden: Der Fiskus prüft mögliche Nachforderungen.
Am Finanzamt vorbeigelaufen
Nichts deutete am 26. Januar 2015 auf eine radikale Änderung der Commerzbank-Geschäftspolitik hin. Noch immer gaben sich die Vorstände im Turm am Frankfurter Kaiserplatz als Ansprechpartner für den deutschen Mittelstand. Noch immer joggte die sportliche Commerzbank-Filialleiterin Lena Kuske in Werbefilmchen durch die Stadt und philosophierte dabei über Anstand, Moral und den Dienst am Kunden.
Dividendenstripping – Im Fokus der Politik
Und doch gab es an diesem Januartag diese eigentümliche Nachricht. In einer Stimmrechtsmitteilung für die Börse meldete die Siemens AG, dass sie einen neuen Großaktionär habe. Die Commerzbank hatte 47,7 Millionen Aktien von Siemens übernommen. Einen Tag vor der Hauptversammlung besaß die Bank damit 5,41 Prozent an dem Industriekonzern – Aktien im Wert von gut vier Milliarden Euro. Doch bevor jemand danach fragte, was sich die Bank bei diesem Geschäft dachte, war der Spuk schon vorbei. Nur neun Tage später gab sie ihre Siemens-Aktien wieder ab.
Es gibt eine Erklärung für das Kurzabenteuer der Commerzbank mit ihren 47,7 Millionen Siemens-Aktien, aber es ist eine fragwürdige. Vor allem der deutsche Fiskus, den die Rettung des Geldhauses in der Finanzkrise mehr als 18 Milliarden Euro kostete, könnte sich durch den Deal hintergangen sehen. Denn der daraus entstandene Gewinn für die Commerzbank und ihren Geschäftspartner kam aus der Steuerkasse.
Das Prinzip heißt Dividendenstripping. Die Commerzbank erwarb die Aktien kurz vor dem Tag, an dem Siemens seine Dividende ausschütten wollte. Für Siemens war es unbedeutend, ob ein Investor an diesem Tag seine Aktien seit 24 Stunden hielt oder seit zwölf Monaten. Es kam nur auf den Stichtag an. Die Aktionäre würden ihre Dividende erhalten, darauf eine Kapitalertragsteuer zahlen und das Geld vom Finanzamt zurückfordern.
Genau an dieser Stelle liegt der Fehler im System, so meinen jedenfalls viele Aktionäre von Dax-Konzernen. Denn weil Adidas, Bayer & Co. äußerst attraktive Dividenden zahlen, sind sie bei ausländischen Investoren ziemlich beliebt. So sehr, dass die Mehrheit der Aktien deutscher Top-Unternehmen in ausländischen Händen liegen. Ihr Problem: Ausländer können sich Kapitalertragsteuer nicht voll anrechnen lassen. Zum Beginn der Dividendensaison beginnt deshalb ein riesiger Ringelpiez mit Aktien. Staatsfonds aus Dubai, Katar oder Singapur, US-Großinvestoren wie Blackrock – viele suchen sich eine deutsche Bank, der sie für zwei bis drei Wochen ihre Aktien von deutschen Konzernen anvertrauen.
Die Geldhäuser werden kurzfristig zu Großaktionären, streichen die Dividenden ein und sind damit berechtigt, sich die Steuern anrechnen zu lassen. Anschließend geben sie die Aktien wieder an ihre ursprünglichen Eigentümer zurück. Die Banken tragen kein Risiko, die Leihgeschäfte sind so gestaltet, dass alle Beteiligten etwas davon haben. Bis auf den deutschen Fiskus natürlich. Der verliert bei diesem Ringtausch laut Schätzungen Jahr für Jahr mindestens eine Milliarde Euro.
Nun bringt ein Datenleck Licht in die Praxis, die in der Branche zwar bekannt ist, über deren Details aber Stillschweigen herrscht. Der Journalistenstiftung Pro Publica in New York wurde umfangreiches Material zugespielt. Pro Publica, das Handelsblatt, der Bayerische Rundfunk und die „Washington Post“ haben die Daten ausgewertet.
Das Ergebnis zeigt, dass die Banken und ihre Geschäftspartner beim Griff in die deutsche Steuerkasse offenbar viel Spaß hatten. „Cum-Cum-Trade“ und „Yield Enhancement“ nannten sie ihre Geschäfte. Letzteres bedeutet übersetzt so viel wie „Verbesserung der Ausbeute.“ Und so war es auch. US-Finanzdienstleister wie Vanguard etwa sicherten sich mit den Geschäften die halbe Kapitalertragsteuer-Ersparnis.
Bei solchen Geschäftspartnern ließ sich kaum eine Bank lumpen. In den langen Excel-Tabellen, die mit dem Datenleck an die Öffentlichkeit gelangten, drängen sich die namhaftesten Banken der Welt. US-Häuser wie Goldman Sachs und Morgan Stanley, die schwedische SEB, die Schweizer UBS, die britische Barclays und viele mehr. Die SEB betonte, sie halte sich an die Steuergesetze, andere gaben keinen Kommentar. Bemerkenswert ist, dass die Commerzbank einen Spitzenplatz bei den Leihgeschäften einnahm und weit mehr als größere Wettbewerber hin und her tauschte. Allein mit dem Siemens-Deal von 2015 könnte die Commerzbank mit ausländischen Geschäftspartnern den Staat um 23,5 Millionen Euro gebracht haben.
Ein Sprecher sagte auf Anfrage zu Cum-Cum-Geschäften, die Commerzbank stelle „durch umfangreiche interne Systeme und Kontrollen sicher, dass alle Handelsgeschäfte im Einklang mit dem geltenden Recht stehen“. Die Rechtslage könnte sich aber bald ändern . Ende 2015 stellte das Finanzministerium seinen Entwurf zur Reform der Investmentbesteuerung vor. Fast zeitgleich nahm der Bundesfinanzhof eine spektakuläre Neubewertung vor. Demnach wären Banken nur dann wirtschaftlicher Eigentümer der Aktien geworden, wenn sie Chancen und Risiken trugen. Das war bei Cum-Cum-Deals regelmäßig nicht der Fall. „Ohne wirtschaftliches Eigentum sind die Steuervorteile nicht haltbar“, sagt Steuerprofessor Christoph Spengel, der als wissenschaftlicher Beirat Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble berät. Auf die Banken könnten daher hohe Nachforderungen zukommen.
In Finanzkreisen ist zu hören, dass sich die Bank „vorsorglich auf die neue Gesetzeslage eingestellt“ habe. Filialleiterin Kuske joggt so lange weiter durch die Stadt. Ein aufgeklärter Zuschauer könnte meinen, sie liefe die ganze Zeit vor einem Finanzbeamten davon.
Der Artikel ist das Ergebnis einer Kooperation von Handelsblatt, Bayerischem Rundfunk (BR Recherche / ARD-Politmagazin report München), dem New Yorker Recherchebüro ProPublica und der Washington Post.
Der TV-Bericht: Report München, Dienstag, 3. Mai 2016, um 21.45 Uhr in der ARD
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