Cum-Ex-Prozess Gericht verurteilt Kronzeugen zu Bewährungsstrafen – Hohe Zahlung für Warburg

Früher als erwartet ist ein Urteil im Pilotprozess rund um den Cum-Ex-Skandal gefallen.
Frankfurt/Bonn Es wurde spät am 44. und letzten Tag der Hauptverhandlung im Landgericht Bonn. Trotzdem hatten sich noch gut zwanzig Beobachter und rund zehn Medienvertreter eingefunden, als Roland Zickler, Vorsitzender Richter der 12. Großen Strafkammer, um 19:35 Uhr das Urteil verkündete. Der Prozess hatte in den letzten Tagen wegen der Corona-Krise an Fahrt aufgenommen und wurde nun zu einem schnellen Ende gebracht.
Zu einem Jahr und zehn Monaten auf Bewährung verurteilte die Kammer den britischen Aktienhändler Martin S., weil er im angeklagten Tatzeitraum an schwerer Steuerhinterziehung mitgewirkt hatte. Insgesamt ging es in dem Strafprozess um einen Schaden von etwa 400 Millionen Euro.
Außerdem verurteilte das Gericht S. zu einer Rückzahlung von Taterträgen in Höhe von 14 Millionen Euro. Sein früherer Kollege Nick D. spielte bei den Deals eine weniger prominente Rolle und kam mit einer geringeren Strafe von einem Jahr zur Bewährung davon.
Drastische Sanktionen treffen die Hamburger M.M. Warburg Gruppe: Sie wurde vom Gericht dazu verurteilt, 176,5 Millionen Euro unrechtmäßig erlangter Steuererstattungen zurückzuzahlen.
Bei Cum-Ex-Geschäften haben sich Banken und Investoren jahrelang eine nur einmal abgeführte Kapitalertragsteuer mehrfach erstatten lassen. Vor allem durch die Einschaltung von Leerverkäufern gelang es, die Zahl der Aktien und damit der Dividendenansprüche scheinbar zu vervielfachen.
Der Richter betonte in seiner Urteilsbegründung, dass man Leerverkäufe anhand von Indizien zweifelsfrei erkennen könne. Der durch Cum-Ex-Geschäfte verursachte Schaden in Deutschland wird auf einen zweistelligen Milliardenbetrag geschätzt. Das Bonner Verfahren ist der Auftakt für eine Serie von Strafprozessen in den kommenden Monaten und Jahren.
Im Wesentlichen folgte das Gericht mit dem Urteil den Vorstellungen von Oberstaatsanwältin Anne Brorhilker, die am Vormittag plädiert hatte. Aus ihrer Sicht hat der Prozess gezeigt, dass es sich bei dem Cum-Ex-Geschäften zu Lasten der Steuerzahler um „organisierte Kriminalität“ handelte. Viele Beteiligte hätten sich zusammengeschlossen, um sich mittels detailliert geplanter Aktienkreisgeschäfte Kapitalertragsteuern erstatten zu lassen, die nie abgeführt worden waren. Die Strukturen seien vergleichbar mit denen bei Umsatzsteuerkarussellen.
„Treibende Kraft“
Rund eineinhalb Stunden führte Brorhilker am Morgen aus, warum die beiden angeklagten britischen Aktienhändler aus ihrer Sicht schuldig sind: Martin S. bezeichnete Brorhilker als „treibende Kraft“, zunächst als leitender Angestellter der Hypovereinsbank (HVB) und schließlich als Mitbegründer der Investmentfirma Ballance, die die Cum-Ex-Geschäfte organisierte.
Die Staatsanwältin selbst sprach in ihrem Plädoyer von relativ milden Strafen. Sie begründete das geringe Strafmaß mit den außergewöhnlichen Aufklärungshilfen der beiden Angeklagten. Die Briten waren gegenüber der Staatsanwaltschaft und auch im Gericht äußerst kooperativ und haben zahlreiche Akteure der Cum-Ex-Industrie benannt und die Strukturen offenbart.
Brorhilker sagte, dass gerade in Fällen der organisierten Kriminalität die Mithilfe von Insidern sehr viel wert sei. Deshalb würden die beiden in den Genuss der Kronzeugenregelung kommen. Dieser erste Prozess sei erst der Anfang und Auftakt von zahlreichen Strafverfahren, die noch folgen würden.
Die Angeklagten zeigten sich erleichtert, dass ihre Aufklärungsbeiträge die Strafen so deutlich milderten. In ihren Plädoyers führten die beiden Verteidiger im Detail aus, was ihre Mandanten auf sich genommen haben, um dabei zu helfen, dass Ermittler und Gericht das System Cum-Ex entschlüsseln zu konnten. „Herr S. hat seine Lektion gelernt. Wir bitten um eine milde Entscheidung, die nicht das Leben eines Menschen zerstört, der nicht mehr Teil des Problems, sondern Teil der Lösung sein will“, sagte Hellen Schilling, Anwältin von S.
Ihr Mandant sei bereit, seine Profite in Höhe von rund 15 Millionen Euro zurückzuzahlen, eine Vorauszahlung darauf in Höhe von drei Millionen habe er bereits an den deutschen Fiskus überwiesen.
D. hat sich gut zehn Mal von Ermittlern der Staatsanwaltschaft Köln und des Landeskriminalamts in Düsseldorf vernehmen lassen, S. sogar 35 Mal. Vor allem S. hat dabei zahlreiche Namen von Banken und Akteuren offenbart.
Schilling betonte zudem, dass ihr Mandant durch seine Angaben bereits weitere Ermittlungen angestoßen habe. Die Staatsanwaltschaft verfüge dank S. über Informationen, die bisher noch nicht bekannt waren. In einem Fall gehe es um einen potenziellen Schaden in dreistelliger Millionenhöhe.
Tatsächlich gibt es für die Ermittler noch viel zu tun: Allein Brorhilker bearbeitet rund 60 Komplexe mit circa 600 Beschuldigten. Auch einige andere Staatsanwaltschaften ermitteln. Neben Köln ist die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt federführend. Bei ihr liegen elf Komplexe auf dem Tisch. Eine weitere gerichtliche Aufarbeitung des Cum-Ex-Skandals ist absehbar. Schon in wenigen Wochen soll am Landgericht Wiesbaden die erste Hauptverhandlung beginnen.
Auch hier sind S. und D. als ehemalige Aktienhändler der HVB angeklagt, neben drei Ex-Kollegen. In Wiesbaden soll auch die prominenteste Cum-Ex-Akteur auf die Anklagebank: Steueranwalt Hanno Berger. Ihn bezeichnen die Staatsanwälte in ihrer Anklageschrift mehrfach als „Spiritus Rector“.
Rückforderungen an Banken
Nicht nur für die Beschuldigten und Angeklagten selbst ist das Kapitel Cum-Ex noch lange nicht abgeschlossen. Auch zahlreiche Banken müssen noch mit hohen Rückforderungen rechnen. Sowohl die Steuerbehörden als auch die Staatsanwaltschaften dürften demnächst hohe Rechnungen stellen.
Erstattungen aus Steuerhinterziehungstaten können grundsätzlich zehn Jahre zurückgefordert werden. Im Strafrecht ist ein Rückgriff auf noch mehr Jahre möglich, dafür eignet sich womöglich das Instrument der Einziehungsbeteiligung.
In dem Bonner Prozess stand die M.M. Warburg Gruppe deshalb im Fokus. Bei ihr geht es nun um eine mögliche Einziehung von 176,5 Millionen Euro. Der Verteidiger der Warburg Bank sieht einen Großteil der Forderungen als verjährt an, für die Jahre 2010 und 2011 sollen dagegen Steuerschulden vorläufig beglichen werden. Es ist absehbar, dass die Bank mit dem Fall in Revision geht. Dann muss sich der Bundesgerichtshof in Karlsruhe damit befassen.
Aus Sicht der Finanzaufsicht Bafin geht von dem Prozess Signalwirkung aus. Bedeutsam ist aus Sicht von Bafin-Präsident Felix Hufeld vor allem, dass der Richter die Cum-Ex-Struktur als rechtswidrig bezeichnet und zudem deutlich gemacht hat, dass Rückforderungen der Steuerbehörden nicht verjährt seien. „Das heißt: Die Banken müssen sich auf Strafzahlungen einstellen“, sagte Hufeld dem Handelsblatt. „Wir haben auch relativ klare Vorstellungen, wo es Belastungen geben könnte, und reagieren darauf seit geraumer Zeit aufsichtlich.“
Das neue Einziehungsrecht gibt Gerichten die Möglichkeit, Gewinne aus illegalen Transaktionen einzufordern. Aus Sicht von Hufeld könnte es auch dazu führen, dass am Ende vergleichsweise viele Banken zur Kasse gebeten werden. „Das betrifft potenziell auch Institute, die nur am Rande an Cum-Ex-Geschäften beteiligt waren, die solche Aktiengeschäfte also weder konstruiert noch von ihnen direkt profitiert haben“, sagte Hufeld. Die genauen Belastungen für die Finanzbranche und einzelne Banken seien derzeit „schwer kalkulierbar“.
Mehr: Interview mit Bafin-Chef Felix Hufeld: „Nicht alle haben den Schuss gehört.“
Das Kommentieren dieses Artikels wurde deaktiviert.
Das Finanzministerium wusste seit langem Bescheid und hat nichts unternommen zum Schaden der Gesellschaft, der Steuerzahler und des Staates.
Warum lies man das jahrelang zu?
Ähnliches gilt für das Umsatzsteuerkarussell - da wird Europa um zig-Milliarden geprellt!