Cum-Ex-Skandal Mehr als 320 Millionen Euro Schaden: Weitere Banker sollen vor das Strafgericht

Die neue Anklage trifft wieder einmal die M.M. Warburg Bank und ihre Manager.
Köln Die Männer sind keine Unbekannten. Im großen Sitzungssaal S.011 des Landgerichts Bonn wurden die Namen der vier Banker von M.M. Warburg immer wieder genannt. Im ersten Strafprozess waren Prokurist Christian S., Aktienhändler Marcus H., ein Manager sowie Detlef M., der früher bei Warburg Invest gearbeitet hat, allerdings noch Beschuldigte. Ab heute gelten sie als Angeschuldigte.
Ein Sprecher des Landgerichts Bonn bestätigte auf Nachfrage den Eingang einer weiteren Anklage im Cum-Ex-Komplex, wollte sich aber weiter nicht äußern. Die Ermittler haben ihre Erkenntnisse auf knapp 300 Seiten zusammengefasst. Sie beziffern den Schaden für den Steuerzahler, den die vier Banker angerichtet haben, auf 326 Millionen Euro. Der Vorwurf lautet auf Steuerhinterziehung in einem besonders schweren Fall, die vier Angeklagten gelten als Mittäter.
Mit der insgesamt vierten Anklage – zwei weitere liegen an den Landgerichten Wiesbaden und Frankfurt – nimmt die Aufarbeitung des Cum-Ex-Skandals weiter an Fahrt auf. Hinter den lateinischen Begriffen „cum“ und „ex“ verbirgt sich ein groß angelegter Handel von Aktienpaketen mit und ohne Dividendenanspruch.
Nach den Erkenntnissen der Ermittler zielten die Akteure mit derartigen Kreisgeschäften ohne wirtschaftlichen Sinn allein darauf ab, sich eine nur einmal abgeführte Kapitalertragsteuer mehrfach erstatten zu lassen. Der Gesamtschaden für den Staat soll sich auf mindesten zwölf Milliarden Euro belaufen.
M.M. Warburg weiter im Fokus
Die neue Anklage trifft wieder einmal die M.M. Warburg Bank und ihre Manager. Bereits im ersten Bonner Strafprozess mussten sowohl die Warburg Gruppe als auch die Tochter Warburg Invest als Einziehungsbeteiligte auf der Anklagebank Platz nehmen. Die Ermittlungen mit zwei Durchsuchungen und das Verfahren vor Gericht brachten ans Licht, dass das Institut sich rege und in verschiedenen Rollen am Cum-Ex-Treiben beteiligte.
Zum einen trat es selbst als Käufer von leer verkauften Aktien auf und profitierte von Steuererstattungen. Zum anderen legte Warburg Invest Cum-Ex-Fonds für vermögende Investoren auf. Später trennte das Gericht den Fall Warburg Invest wieder ab, nicht aber gegen die M.M. Warburg Gruppe.
Mit dem Urteil im März ordnete es bei der Bank die Einziehung von 176 Millionen Euro an Taterträgen an. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, Warburg wehrt sich vor dem Bundesgerichtshof gegen die Einziehung.
Inzwischen reagierte auch die zuständige Finanzbehörde in Hamburg. Für die Jahre 2007 bis 2009 hat Behörde vor wenigen Wochen Rückzahlungen in Höhe von 160 Millionen Euro verlangt. Für 2010 und 2011 gab es schon zuvor Steuerbescheide mit Forderungen von über 50 Millionen Euro.
Im Wesentlichen geht es im Straf- und im Steuerverfahren um dieselben Beträge. Warburg geht auch gegen die Bescheide vor. Ein Sprecher der Bank sagt trotzdem, dass weder die Warburg Gruppe noch die Warburg Bank jemals die Absicht gehabt haben, „steuerrechtswidrige Aktiengeschäfte zu betreiben, zu fördern oder sich an darauf ausgerichteten Absprachen zu beteiligen“. Man habe keine Steuererstattungsansprüche geltend machen wollen, auf die kein Anspruch bestand.
Zivilrechtlich streitet sich Warburg vor dem Landgericht Frankfurt mit der Deutschen Bank, die teilweise als Depotbank fungierte. Nach Ansicht des Hamburger Instituts trägt die Deutsche Bank die Verantwortung für den entstandenen Schaden und soll für ihn aufkommen.
Konfrontative Hauptverhandlung steht bevor
Bevor das Landgericht Bonn sich erneut mit dem Fall befassen kann, muss es zunächst die Anklage zulassen. Beobachter halten es aber für ausgeschlossen, dass die Verteidiger die Eröffnung der Hauptverhandlung verhindern können. Zu tief hat sich die 12. Große Strafkammer um den Vorsitzenden Richter Roland Zickler in die Materie eingearbeitet. Das Urteil fiel eindeutig aus: Cum-Ex war illegal – und strafbar. „Es gab keine Gesetzeslücke“, sagt Zickler.
Zwar fielen die Urteile gegen die beiden britischen Aktienhändler relativ mild aus – beide kamen mit Bewährungsstrafen davon. Das war allerdings allein dem Umstand geschuldet, dass die Angeklagten reinen Tisch machten und enorm viel zur Aufklärung des Skandals beitrugen.
Vor allem der Hauptangeklagte nutzte den Gerichtssaal zu regelrechten Vorträgen. Tagelang erklärte er, wie die Deals funktionierten, welche Geldhäuser eingebunden waren und dass die Akteure wussten, wie die Rendite zustande kommt.
Es ist klar, dass die vier neuen Angeklagten anders ticken. Bis dato hat sich keiner von ihnen gegenüber der Staatsanwaltschaft eingelassen. Auch vor Gericht wird es weit weniger harmonisch zugehen als beim ersten Mal. „Das wird eine konfrontative Auseinandersetzung“, sagte einer der Verteidiger dem Handelsblatt.
Schon das Zwischenverfahren werde man nutzen, um die Anklage infrage zu stellen. Mindestens drei Monate müsse die Verteidigung Zeit haben, um dazu Stellung zu nehmen.
Das Landgericht Bonn würde wohl gerne schneller zur Sache kommen. Landgerichtspräsident Stefan Weismann hatte jüngst betont, dass man Cum-Ex-Anklagen im Akkord abarbeiten könne. Das Gericht sei in der Lage, bis zu zehn Strafkammern einzurichten.
So schnell wird es dazu nicht kommen: Die Staatsanwaltschaft Köln bearbeitet aktuell 68 Ermittlungskomplexe mit rund 900 Beschuldigten und ist massiv überlastet. Nicht einmal neun Staatsanwälte arbeiten in Köln die Fälle auf, die meist internationale Bezüge aufweisen und extrem schwierig zu ermitteln sind.
„Wenn die Dinge nicht beschleunigt werden, droht in einigen Fällen die absolute Verjährung“, sagte Gerichtspräsident Weismann zu der Misere. Viele der Verantwortlichen in Deutschlands größtem Steuerskandal würden dann ohne Anklage davonkommen.
Auch die Bafin stellte Versäumnisse fest
Zumindest im Fall Warburg ist das nicht zu befürchten. Bereits im ersten Verfahren wurde ein Großteil des Sachverhalts umfassend aufgearbeitet. Zahlreiche Zeugen wurden gehört und etliche Beweisstücke gesichtet.
Warburg war außerdem Gegenstand einer Sonderprüfung durch die Beratungsgesellschaft Deloitte, die von der Finanzaufsicht Bafin beauftragt worden war. Auch Deloitte kam zu dem Ergebnis, dass der Privatbank schwere Versäumnisse vorzuwerfen sind.
Personell hatte die Affäre bereits schwerwiegende Folgen für die Privatbank. Ende 2019 zogen sich Aufsichtsratschef Christian Olearius und Aufsichtsrat Max Warburg aus dem Gremium zurück – offiziell, um den Generationswechsel zu vollziehen. Allerdings übte auch die Bafin Druck aus, die Finanzaufseher zweifelten offenbar an der Eignung der beiden Aufseher. Olearius und Warburg sind zugleich die Hauptgesellschafter der Bank.
Abhaken können die Ex-Aufsichtsräte und Miteigentümer das Thema Cum-Ex damit jedoch nicht. Zwar weisen sie die Vorwürfe zurück, die Staatsanwaltschaft konnten sie damit aber bis heute nicht überzeugen. Olearius und Warburg gehören zwar nicht zur Riege der jetzt Angeschuldigten, sind aber weiterhin beschuldigt.
Mehr: „Der Staat macht sich zur Lachnummer“ – Cum-Ex-Kritik an NRW-Justizminister Biesenbach.
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